Kapitel 39
Oliver ging in Gedanken versunken aus dem Zimmer. Na gut! Dann müsste er sich eben ein anderes Mädchen suchen für seine Einschlafträume. Vielleicht gab es ja eine, die aussah wie sie, sprach wie sie, intelligent war wie sie, schlagfertig war wie sie, humorvoll war wie sie, die kleine Frau Dr. Leissen! Dann würde er eben warten auf seine Wolke 7! Aber weiterbüffeln würde er trotzdem, denn das machte er ja für sich!
Ein Stück den Gang hinunter traf er auf den Verlobten seiner Lehrerin.
„Sie sind ein glücklicher Mann!" konnte er nicht umhin zu sagen. „Sie haben sich die Beste geschnappt!"
Hannes lächelte den jungen Mann an. Das war wohl einer ihrer verliebten Abiturienten.
„Ich habe aber auch lange genug auf sie gewartet!" antwortete er.
„Na, den Satz habe ich heute schon mal gehört!" sagte Oliver resigniert und zog von dannen. Ab diesem Tag öffnete er wieder die Augen, um sich bei den weiblichen Wesen umzusehen nach einer, die mit ihm auf Wolke 7 fliegen wollte. Mia hatte ihre Chance gehabt!
Mia verließ als Letzte den Raum, sah Hannes, der auf sie wartete. Sie küssten sich vorsichtig, als sie sahen, dass alle Schüler weg waren, nicht ganz so vorsichtig. Mia sah schnell noch in ihr Fach im Lehrerzimmer, nahm alles mit, was sich angesammelt hatte. Dann gingen sie Hand in Hand zu ihren Autos und fuhren nach Hause.
Hannes duschte schnell, er war vollkommen verschwitzt von der Schlepperei. Fertig angezogen kam er aus dem Bad.
Mia lächelte ihn an. „Das war jetzt ganz und gar unnötig!"
„Was, das Duschen?"
„Nein, das Anziehen!" flüsterte sie, nahm ihn in die Arme, kuschelte sich an ihn.
„Das war es ganz und gar nicht! Ich lasse mich doch so gerne ausziehen von meiner Süßen!"
„Gut zu wissen! Wann kommst du morgen in die Schule?"
„Freches Biest!" Seine Stimme hatte sich schon wieder einmal verabschiedet.
„Ich bin nicht frech! Mir ist nur immer noch so fürchterlich schmusig zu Mute!"
Hannes schmolz wieder einmal vollkommen dahin, wie immer, wenn seine Süße so mit ihm sprach.
„Dann möchtest du jetzt wohl ein bisschen schmusen mit mir?"
„Ein bisschen schmusen, ein bisschen knutschen, ein bisschen Hannes ausziehen, ein bisschen streicheln! Und vielleicht ein bisschen mehr!"
Er setzte sich aufs Sofa, zog sie auf seinen Schoß. „Dann fangen wir doch einfach an mit dem Schmusen!"
Und sie ließen sich viel Zeit mit den einzelnen Programmpunkten. Als sie nach dem ein bisschen mehr wieder auf der Erde waren, fragte Hannes: „Wann machen wir denn jetzt unsere Verlobungsfeier, Süße?"
„Am Samstag?"
„Genau, das ist der beste Tag! Dann rufen wir mal alle durch, oder?"
Er rief seine Eltern an, die freudig zusagten. Sie hatten sich mit Mias Eltern sehr gut verstanden und freuten sich, wenn alle wieder einmal zusammen kamen. Mias Eltern und Schwester sagten ebenfalls zu. Fehlte nur noch Markus.
Markus fuhr mit zwiespältigen Gefühlen an die Uni. Einerseits war es eine schöne Nacht gewesen, andererseits wusste er nicht recht, was Kerstin nun erwartete von ihm. Für ihn ging die Tendenz schon eher zu einem One-Night-Stand, zwar sicher einem von der besseren Kategorie, aber wenn sie nun eine Beziehung im Sinn hatte, wie sollte er reagieren?
Blöde Situation, man sollte mit Arbeitskolleginnen eben nichts anfangen.
Er traf sie im Fakultätsbüro, sie stand am Kopierer.
„ Hallo!" begrüßte er sie kurz, wartete auf ihre Reaktion. Doch sie blieb ruhig stehen, blickte auf die Kopien.
„Hallo, Markus! Lange nicht gesehen!" scherzte sie und entspannte die Situation ein wenig. Markus suchte in seinem Kopf nach seiner Schlagfertigkeit, aber sie war im Moment verschüttet.
„Also, ich geh dann mal ins Seminar!" brachte er nur hervor.
„Einen schönen Tag!" wünschte Kerstin.
„Danke! Ebenso!" antwortete er.
Na, das war wohl eindeutig! dachte Kerstin. Verliebt ist anders! Okay, ich wollte ihn im Bett haben, das habe ich geschafft, mehr wird nicht daraus werden!
Markus hatte ein schlechtes Gewissen, war aber froh, dass sie anscheinend verstanden hatte.
Hannes wählte die Nummer von Markus' Büro und lud ihn für Samstag ein, auch er sagte gerne zu.
Kurz darauf läutete es an der Türe. „Na, Markus kann es dieses Mal nicht sein!" stellte Hannes fest.
Er ging zur Sprechanlage, meldete sich. „Maybach?"
Eine verheulte Mädchenstimme meldete sich: „Hier ist Sarah Leissen, Mias Cousine. Ist Mia da?"
„Ja, natürlich! Komm rauf!" Er drückte auf den Türöffner, ließ die Wohnungstüre offen stehen.
„Deine Cousine Sarah! Sie klingt ordentlich verheult!" informierte er Mia.
Sie sprang auf, nahm ihr Cousinchen in den Arm, führte sie in die Wohnung, stellte ihr Hannes vor. Dem fiel sofort die große Ähnlichkeit auf. Nicht ganz so hübsch wie seine Mia, die Gesichtszüge nicht so fein gezeichnet, die Haar eher wellig als lockig.
„Das ist Sarah, unsere Väter sind Brüder. Sie hat Medizin studiert, gerade ihren Doktor gemacht und fängt in zwei Wochen in Neumarkt am Klinikum an, um ihren Facharzt für Kinderheilkunde zu machen." fasste Mia kurz zusammen.
Sarah war froh, dass Mia da war. Carla hatte ihr ihre Adresse gegeben. Sie waren als Kinder sehr eng gewesen, hatten sich dann ein wenig aus den Augen verloren, als Mia mit Thomas zusammen war. Seit sie in Regensburg studierte, hatten sie sich wieder häufiger getroffen, seit sich Mia endgültig von dem Idioten getrennt hatte, waren sie sich wieder sehr nahe.
Hannes zog sich ins Arbeitszimmer zurück, er sollte auch wieder einmal etwas arbeiten.
„Was ist denn los, Sarah?"
„Sascha hat mich betrogen!" Sie heulte schon wieder los. „Er, er, er hat mich nur bebebenutzt, damit ich ihn durchs Studium bringe!" Sie putzte sich die Nase.
„Ich war genau so blöd wie du! Er hat sich ein reiches Töchterchen angelacht, all die Jahre von mir gelebt, und jetzt kommt raus, dass er mich immer wieder betrogen hat, jetzt gerade läuft was mit meiner besten Freundin!" Die Wut ließ Sarahs Tränen versiegen.
„Das ist hart! Aber Sarah, du bist jung, sehr hübsch, hast eine glänzende Zukunft, du darfst dem Typen keine Träne mehr nachweinen!"
„Aber all die Jahre, die ich an ihn verschwendet habe!"
„Ja, Schatz! Wem sagst du das! Das scheinen wir zwei in den Genen zu haben!"
Sarah musste lachen. „Aber du bist glücklich jetzt, ja? Der schaut gut aus, dein Hannes!"
„Jaaaah, das tut er! Da muss ich dir zustimmen!"
„Und du bist schon verlobt!" wunderte sich die Cousine.
„Auch das stimmt!" Mia gab einen kurzen Abriss der letzten zwei Wochen. Sarah bekam den Mund nicht mehr zu! „Solche Männer gibt es wirklich?"
„Na ja! Mit Männern kenne ich mich jetzt nicht direkt aus, aber einen solchen gibt es tatsächlich!"
Sie erzählte von ihrer Nichtscheidung, Sarah lachte sich halb kaputt.
Hannes hörte die beiden kichern und reden, dachte, dass er vielleicht etwas gegen seinen knurrenden Magen tun konnte. Mia hatte auch noch nichts gegessen seit dem Frühstück.
Er öffnete vorsichtig die Küchentüre. „Störe ich?"
„Nein, Hannes, gar nicht! Der Tränenstrom ist im Augenblick versiegt!" versicherte Mia.
Er machte schnell ein paar Brote, kochte Kaffee, stellte den beiden Tassen und einen Teil der Brote auf den Tisch, küsste Mia kurz, aber intensiv, verzog sich mit seinem Essen wieder an die Arbeit.
„Der ist ja echt süß!" schwärmte Sarah.
„Na, das lass ihn lieber nicht hören! Ich glaube, süß möchte er nicht wirklich sein!"
Die beiden lachten wieder.
„Und jetzt? Wie geht es jetzt weiter mit Sascha?"
„Sascha? Wer ist Sascha? Ich habe ihn hochkant hinausgeworfen! Vielleicht kommt er bei Katja unter, mir ist das vollkommen egal!"
„Und warum hast du dann so geheult?"
„Das kommt immer wieder hoch! Ich bin einfach wütend, dass ich so blöd war! Aber du hast mir schon sehr geholfen, vor allem mit deiner Liebesgeschichte. So was will ich jetzt auch haben!"
„Genau Schatz, suche dir jemanden für Wolke 7, weniger taugt nichts!" Da hatte Mia eine Idee.
„Warte mal kurz! Ich möchte nur Hannes etwas fragen."
Sie ging zu ihm ins Arbeitszimmer. „Achtung! Mia kommt! Programm abspeichern!" sagte er laut und führte seinen eigenen Befehl aus.
Dann drehte er sich lächelnd auf seinem Stuhl um. „Nicht, dass du wieder anfängst, meinen Nacken zu streicheln und die Arbeit von zwei Stunden zu nichte machst!"
„Heute bist aber du der Clown!"
„Jaha! So werde ich, wenn sich meine Süße 120 Minuten lang nicht um mich kümmert!"
Er zog sie auf den Schoß und küsste sie erst einmal ausgiebig.
„Armer Verlobter!" Sie küsste ihn auch erst einmal ausgiebig.
„Ja, so sind die Frauen, kaum haben sie einen Ring am Finger, vernachlässigen sie ihre vorehelichen Pflichten!" Mia lachte über ihren kaspernden Hannes.
„Und dann lachen sie einen auch noch aus!" Seine Hände machte sich auf die Suche.
„Hannes, hör auf! Sarah wartet vorne! Ich wollte dich nur etwas fragen!"
Er fuhr hoch. „Ach, sie ist noch da! Na, dann warte ich eben noch zwei Stunden!"
Mia bekam vor Lachen kaum noch Luft. „Ich wollte dich fragen, ob ich Sarah zu unserer Party am Samstag einladen kann!"
„Also Mia, bitte! Da brauchst du mich doch nicht zu fragen! Du kannst doch einladen, wen immer du willst!" Er schüttelte verständnislos den Kopf, wurde aber gleich etwas nachdenklich. „Ich meine, jetzt nicht gerade Niklas oder Patrick, aber bei jungen Damen hast du echt freie Hand!"
„Hört, hört! Jetzt gehe ich los und suche ein paar extra Hässliche!"
„Du kannst auch ein paar Wunderschöne suchen, keine wird schöner sein als du!"
Sie küsste ihn zum Dank und ging wieder zurück zu Sarah.
„Na, das war aber eine lange Frage!" meinte die lächelnd.
„Bei uns dauert alles immer ein wenig länger, weil wir die Hände nicht voneinander lassen können!" gab Mia offen zu.
Sarah wunderte sich, wie sehr Mia sich verändert hatte, seit sie Thomas losgeworden war. Nicht nur doppelt so hübsch, sondern auch tausendmal so glücklich.
„Also, Sarah, wir geben am Samstag ab sechs Uhr eine Verlobungsparty. Nur unsere Eltern und Geschwister! Wenn du kommen möchtest, wir würden uns freuen!"
„Ja, Mia, gerne! Dann sehe ich deine Eltern auch mal wieder!" Kurz darauf läutete das Telefon,
Hannes hob im Arbeitszimmer ab. Wenig später kam er zu den beiden Cousinen. „Der Anwalt kommt noch schnell vorbei wegen des Programmes!"
Sarah musste lachen, Hannes sah sie verwundert an. „Sorry, aber du wendest den Genitiv richtig an! Da hattest du natürlich gute Karten bei Mia! Sie ist ein Casus-Junkie!"
Hannes nahm seine Süße in den Arm. „Das war es, warum du dich auf dem Ball für mich entschieden hast?"
„Ich könnte mich nicht erinnern, dass wir da mit recht viel Präpositionen gesprochen hätten!"
„Ich habe dich bestimmt ganz am Anfang gefragt: Bist du wegen des Tanzes oder wegen der Musik hier! Da bist du mir hoffnungslos verfallen!"
„Genau! Und ich habe dir geantwortet: Nur wegen des Mannes!" Alle drei lachten Tränen.
Es läutete an der Türe, Hannes ließ den Anwalt herein, Sarah verabschiedete sich.
„Also, Mia-Cousine Sarah, dann sehen wir uns am Samstag um sechs?"
„Ja, gerne bis dann! Und ich suche mir jetzt einen Typen für Wolke sieben!"
„Du kannst ihn gerne mitbringen! Bewohner von Wolke sieben sind bei uns immer willkommen!" rief Hannes ihr nach.
Mia lächelte glücklich. Ihr Superhannes kam so gut mit allen Menschen aus, war nie um das richtige Wort verlegen, das Selbstbewusstsein drang ihm aus allen Poren.
Sie begrüßte den Anwalt. Er deutete einen Handkuss an. „Guten Tag, gnädige Frau! Ich hoffe, ich störe nicht zu sehr!"
Wenn du wüsstest, wie sehr! dachte sie.
„Aber nein, wirklich nicht!" sagte sie. „Darf ich Ihnen etwas anbieten?"
„Ein Glas Wasser vielleicht, danke!" Hannes ging mit dem Kunden ins Arbeitszimmer, Mia brachte beiden ein Glas Wasser. Hannes legte den Arm um sie, hielt sie eine Weile fest, atmete eine Weile durch, ließ sie wieder los.
Sein Süße, Frau des Hauses, die seine Geschäftspartner begrüßte, ihnen Getränke anbot, diese Wahrnehmung hatte ihm kurzzeitig den Atem genommen, zeigte, dass sie in seinem Leben angekommen war.
So hatte er sich sein Leben vorgestellt, Mia an seiner Seite.
Dann konnte er sich auf den Anwalt konzentrieren, machte Vorschläge zur Lösung seiner Probleme, machte sich Notizen, zeigte ähnliche Programme, wusste schon, wie er vorgehen würde, was umgeschrieben werden müsste, länger als zwei Stunden würde er nicht brauchen. Als er nach den Preisvorstellungen des Kunden fragte, antwortete der: „Also ich habe ein Angebot, das ich eingeholt habe, bevor ich Sie kennenlernte, das ist aber nur halb so umfangreich, würde mich 80.000 Euro kosten!"
„Gut, ich mache Ihnen meines für 40.000!" Eigentlich wollte er es kostenlos anbieten, da sie ja viel Geld eingespart hatten durch die Recherche des Anwaltes, aber er konnte den Markt auch nicht kaputt machen durch seine Großzügigkeit.
„Dann sind wir im Geschäft, junger Mann!" Hannes holte einen Vertrag auf den Bildschirm, trug die Daten ein, druckte zwei Exemplare aus, beide unterschrieben und der Kunde verabschiedete sich.
Mia gab ihm freundlich lächelnd die Hand. „Auf Wiedersehen, und vielen Dank für Ihre Hilfe! Das war großartig von Ihnen! Ich hoffe, Sie hatten keine Schwierigkeiten?"
„Na, eine Rüge von der Anwaltskammer, aber das stecke ich weg! Irgendwie hätte ich es nicht über mich gebracht, dass der Typ auf Kosten einer so reizenden, klugen Frau mit seiner, wie soll ich sagen, Tussi? lebt!"
Er verabschiedete sich herzlich von dem schönen, tüchtigen Paar und freute sich noch immer über sein Husarenstück.
Hannes nahm Mia in den Arm, endlich! „Warum hast du mich gerade so festgehalten?" wollte sie wissen.
Er sah sie lange an, wusste nicht recht, wie er das Gefühl richtig beschreiben sollte.
„Es hat mich kurz umgehauen!" Er stockte, suchte nach den richtigen Worten. „Es war schön, zu sehen, dass du die Frau in meinem Leben bist, die meine Kunden begrüßt, die Getränke anbietet, es hat sich so richtig angefühlt!"
Sie sah ihn liebevoll an. „Ja, stimmt Hannes! Das hat sich verdammt gut angefühlt! So nach zu Hause sein!"
Sie hielten sich lange im Arm, fühlten sich aufgehoben, zu Hause in ihrem Leben, wussten, dass der Weg, den sie vorhatten zu gehen, der einzig richtige war.
„Danke für dich, süße Mia!" stieß er hervor. Engumschlungen gingen sie ins Zimmer. Da fiel Mia etwas ein. Während Hannes mit dem Anwalt im Arbeitszimmer war, hatte sie ihre Post aus ihrem Fach durchgesehen. Ein Brief von Anita war dabei.
„Ich muss dir etwas zeigen!" sagte sie. Hannes nahm den Umschlag. Er zog ein paar Blätter heraus: Eine selbstgestaltete Karte mit einem Origami-Engel, hinten ein Gedicht:
Es gibt Engel
Es gibt Engel im Himmel
Es gibt Engel
Die bleiben im Himmel
Es gibt Engel
Die kommen zur Erde
Um zu helfen.
Danke
Dass sie
zur Erde gekommen sind
Um mir
Zu helfen
Anita
Ein zweites Blatt war ein Brief der Pflegeeltern, die sich bei Mia bedankten und versprachen, alles für das Mädchen zu tun.
Das dritte Blatt war von Anitas Mutter, die von ihrer Krankheit berichtete und versprach, ihren Mann zu verlassen, und, sollte sie gesund werden, sich nur noch um ihre Tochter zu kümmern.
„Ich werde Sie für immer in mein Nachtgebet einschließen! Möge Gott Ihnen vergelten, was Sie für meine Tochter getan haben!" schloss das Schreiben.
Hannes las aufgewühlt, er konnte die Tränen nicht zurückhalten.
„Ich habe es gewusst, dass du vom Himmel gefallen bist, Engelchen!" flüsterte er schließlich.
„Aber du hast mich aufgefangen, sonst läge ich zerschmettert auf der Erde!"
Hannes musste durch die Tränen lächeln. „Du meinst, du bist in der Halle auf dem Ball gelandet?"
„Ich weiß es!"
„Ja, Engelchen, du hast Recht!"
„Und weil du den Genitiv richtig gebraucht hast, bin ich lieber gleich auf der Erde geblieben! Die Engel da oben können nämlich die Fälle nicht gut anwenden!"
Hannes drückte sie an sich. Sie schafft es, die gerührte Stimmung mit ihrem Humor zu entspannen.
Er küsste sie zärtlich. „Ich liebe dich, süße Mia! Ich liebe dich!"
Da läutete es schon wieder an der Türe. Hannes brach fast zusammen. „Was ist denn heute los!" stöhnte er.
Es war Markus. „Kann ich kurz mit Mia sprechen?" bat er, froh offensichtlich nicht gestört zu haben, da sein Bruder sehr korrekt gekleidet war. Wie sehr er aber doch störte, konnte er nicht wissen!
„Komm rein! Ich bestelle jetzt mal was vom Lieferdienst! Wer will was?"
„Lasagne!" Mia hatte echt Hunger. Markus und Hannes schlossen sich an.
„Das sind drei Lasagne!" half Mia ihm.
„Danke, Süße!"
„Bitte!"
Nachdem Hannes bestellt hatte, brachte er eine Flasche Wein und drei Gläser. Die drei tranken einen Schluck, dann gingen sie erst noch mal auf den Balkon, eine Zigarette rauchen.
Das Essen kam, sie stopften die Löcher in ihren Mägen. Endlich rückte Markus mit der Sprache heraus.
Hannes saß mit Mia auf dem Sofa, hielt sein Mädchen wenigstens eng im Arm.
„Also Mia, du hast doch Kerstin nach Hause gefahren!" Hannes hatte noch keine Zeit gehabt, sie über die Frau auszufragen, hörte jetzt interessiert zu.
„Was hast du für einen Eindruck? Habt ihr über die Sache geredet?"
„Mit Sache meinst du sicher die gemeinsam verbrachte Nacht, nehme ich an?"
Markus zog den Kopf ein. „Ja, sorry! Also habt ihr?"
„Was haben wir? Sprich bitte in ganzen Sätzen, mit Subjekt, Prädikat und gegebenfalls, mit Objekt!
Und nenne eine Nacht mit einer Frau nicht: die Sache!"
Hannes grinste seinen Bruder an, zuckte mit den Schultern und sagte nur: „Germanistin!" Dann besann er sich eines Besseren: „Leg dich nicht mit einer Germanistin an, wollte ich sagen!"
Sie lächelte ihn süß an.
Markus startete einen neuen Versuch, der seiner Schwägerin in spe genehm wäre.
„Also, liebe Mia, hast du mit Kerstin über die gemeinsam mit ihr verbrachte Nacht gesprochen?"
„Ich habe eine Nacht mit Kerstin verbracht?" Sie fand immer mehr Spaß an dem Spiel.
Markus stand kurz vor dem Nervenzusammenbruch, Hannes lachte Tränen.
„Gestrenge Mia! Hast du mit Kerstin über die Nacht gesprochen, die ich mit ihr verbracht habe?"
„Na also! Geht doch! Also lieber Markus, ich habe sie gefragt, ob sie in dich verliebt ist, und sie hat geantwortet: Ja, ich denke schon! Dann habe ich sie gefragt, ob sie glaubt, dass du in sie verliebt bist, dann hat sie geantwortet: Nein, ich glaube, eher nicht!"
Markus stützte den Kopf in die Hände. „Und bist du in sie verliebt?" fragte Mia.
Der Zwilling ihres Traummannes wand sich ein bisschen.
Schließlich antwortete er: „Nein, ich glaube eher nicht!"
„Und, wo ist dann das Problem?"
„Das schlechte Gewissen? Ein dummes Gefühl, weil sie eine Kollegin ist? Ein bisschen auch das Gefühl, dass die Nacht ganz gut war?" Er wunderte sich, dass er mit Mia so offen sprechen konnte.
„Und deshalb willst du sie jetzt heiraten, oder was? Wegen des schlechten Gewissens? Wegen eines dummen Gefühls? Wegen einer ganz guten Nacht?" Sie betonte das ganz ironisch.
„Markus, wir leben im 20. Jahrhundert! Die Frau wollte dich im Bett haben, das hat sie geschafft! Und wenn du ein wenig wie dein Bruder mit Frauen umgehst, hat es sich für sie auch gelohnt! Aber sie weiß, dass sie nicht mehr erwarten kann, und sie akzeptiert das auch! Sie wusste genau, dass du nicht verliebt bist in sie, ist aber trotzdem mit dir mitgegangen, dann muss sie auch damit leben!"
Hannes musste schmunzeln. Von Männern verstand sie vielleicht nicht so viel, wie sie es auch immer wieder betonte, aber von Frauen eine ganze Menge. Sie hätte niemals mit einem Mann geschlafen, wenn sie nicht sicher gewesen wäre, dass er verliebt in sie war.
Und wenn eine Frau anders für sich entschied, musste sie auch die Konsequenzen tragen.
Sie hätte nie versucht, einen Mann rumzukriegen, nur um ihn ins Bett zu bekommen.
Wenn eine Frau das so wollte, musste sie auch damit leben, dass der Plan nicht so aufging, wie sie sich vorgestellt hatte.
Markus lächelte sie dankbar an.
Sie hatte Recht!
Kerstin war kein unerfahrenes, unschuldiges Mädchen, das er verführt hatte.
Sie war eine erwachsene Frau, die es darauf angelegt hatte, ihn zu verführen. Das hatte sie geschafft, aber es zog auch keinerlei Verpflichtungen von seiner Seite nach sich.
Sie nahmen ein Glas Wein mit auf den Balkon, rauchten noch eine Zigarette, fühlten, dass das Problem Kerstin gelöst war.
Als Markus gegangen war, fragte Hannes: „Was hattest du denn für einen Eindruck von der Frau?"
Mia dachte nach. „Ein wenig spröde? Sehr selbstbewusst? Verliebt? Aber eher glaube ich, dass sie verliebt sein wollte, weil Markus ihr einfach gefiel!"
Hannes merkte, wie ihr die Augen zufielen. Zu viele Probleme anderer Menschen hatte sie heute lösen müssen!
„Geh schlafen, Engel mit den blonden Locken!"
Sie küsste ihn und wankte ins Bett. Hannes saß noch eine Weile im Wohnzimmer, wieder glücklicher als noch gestern. Natürlich hätte er gerne noch einmal ihre Zärtlichkeit genossen, hätte es genossen, ihr Zärtlichkeit zu schenken. Aber die körperliche Liebe war nicht das Wichtigste, viel wichtiger war die Liebe!
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