Kapitel 32

Hannes küsste sie noch einmal zärtlich, zog sie dann hinaus. Sie fuhren Richtung Autobahn zurück.
„Was hast du denn noch so Wichtiges zu erledigen?" wollte sie wissen.
„Das erkläre ich dir, wenn wir da sind!"
„Und wo ist da?"
„Ist ein Stück weg!"
„Du hast dich auch schon einmal verständlicher ausgedrückt!"

Eine Weile sah sie zum Fenster hinaus. Er fuhr sehr schnell, aber sicher, das Sportcoupé lag wie ein Brett auf der Straße. Es ging Richtung München. Was er wohl da wollte?
„Bin ich eigentlich gerade entführt worden?" scherzte sie.
„Ja, so ähnlich könnte man das ausdrücken!" räumte er ein.

„Aha!" Sie dachte ein wenig nach. „Aber mir ist das egal! Ich habe mich von dir nach Hause fahren lassen, das war meine erstbeste Entscheidung. Dann habe ich mich wieder in die Stadt fahren lassen, das war noch einmal meine erstbeste Entscheidung. Jetzt lasse ich mich eben ein Stück weg fahren, und ich denke nicht, dass ich diese Entscheidung dann plötzlich bereuen werde!"

O mein Gott, Mia! Ob du ermessen kannst, wie ich es liebe, wenn du so sprichst? Solche Worte findest, solche Worte so aussprichst? Ob du ermessen kannst, wie sehr ich dich liebe? dachte er.

„Weißt du, wie sehr ich dich liebe, Schönheit?" sagte er leise.
„Weißt du denn, wie sehr ich dich liebe, Hannes?" flüsterte sie.
„Ich denke mal, dass wir uns beide unendlich lieben, könnte das sein?" Seine Augen liefen beinahe über.

„Ja, das könnte durchaus sein!" Eine Träne rollte über ihre Wange. Ihr Herz klopfte wahnsinnig, ihr Magen verkrampfte sich, sie konnte diese Liebe beinahe nicht mehr aushalten.
Ein Parkplatz wurde angekündigt, er drosselte das Tempo, fuhr von der Autobahn ab. Er löste die Gurte, zog sie in seine Arme, küsste sie mit all der riesengroßen Zärtlichkeit, die ihn zu zerreißen drohte. Sie lächelten sich glückselig an, die Augen trockneten wieder.

Er fuhr wieder zurück auf die Schnellstraße, sie hatten noch einen weiten Weg vor sich.
„Das war ein Tag heute! Ich war gar nicht verheiratet! Mann, war ich blöd!" Sie lachte in Erinnerung an den Gerichtstermin. Plötzlich erschrak sie. „Aber stell dir mal vor, ich hätte das rausgefunden, weiß Gott, wo ich an diesem Faschingssamstag gewesen wäre! Vielleicht hat alles so kommen müssen, damit ich auf diesen Ball ging? Meinst du, das Schicksal hat es so geplant mit uns?"

Hannes lächelte sie an. „Ob du's glaubst oder nicht, ich habe gerade über das Gleiche nachgedacht! Ich hoffe schwer, dass das Schicksal das so geplant hat!"
„Ja, denn dann plant es auch weiter für uns, oder?"
„Das wäre nett vom Schicksal, ja! Denn wenn es so gut anfängt mit dem Planen, wird es auch gut weitermachen, das Schicksal, oder?"
„Mit Sicherheit!" Sie lächelte ihn süß an. „Dann nehmen wir unser Schicksal einfach an und lassen es planen!"

„Das wird das Beste sein, meine süße Mia!"

„Genau, mein umwerfender Hannes!"
Kein Parkplatz in Sicht, ärgerte er sich. Dann muss ich mit meiner Liebe eben so fertig werden!
Sie lehnte sich glücklich an die Seitenscheibe, schloss die Augen, Autofahrten machten sie immer sehr müde. Sie schlief lächelnd ein.

Als sie wieder aufwachte, waren sie am Brennerpass. Sie las überrascht die Schilder.
„Wir sind gleich in Italien!" stellte sie überrascht fest.
„Ja, mein Schatz! Jetzt ist es nicht mehr weit!"

Sie sah auf die Uhr. Elf! Na gut, war sie halt um elf Uhr nachts am Brenner, was soll's! Sie schlief noch ein Runde.

Als sie wieder wach wurde, standen sie vor einem Tor, das sich gerade öffnete, dann fuhren sie eine lange Pinienallee hinauf, hielten auf einem Hügel vor einer kleinen Villa an. Der Vollmond erhellte die Nacht.
„Wir sind da, Engelchen!"
„Na, das ist ja wirklich ein ganzes Stück weit weg!"

Er führte sie zum Haus, schloss die Türe auf, trug sie über die Schwelle. Nachdem er die Türe hinter sich geschossen hatte, musste er sie erst einmal sehr lange küssen.
„Herzlich willkommen, Liebe meines Lebens, in der Villa Helena, die der Familie meiner Mutter gehörte, und die sie geerbt hat."

Mia sah sich um. Sie fasste es nicht! Er führte sie in die große Wohnküche. Überall brannten Kerzen, der Tisch war reich gedeckt, Champagner stand im Kühler.
„Wir sind hierhergefahren wegen einer Nacht?"
„Nein, Süße, wir bleiben bis Sonntag!"
„Aber ich habe gar nichts dabei!"
„Doch hast du, Süße. Du hast alles dabei!"

Sie sah ihn verständnislos an.
„Ich zeige es dir später. Jetzt genießen wir erst einmal, was Maria vorbereitet hat!"
„Maria?"
„Maria und Pedro verwalten das Weingut der Familie Cesaro."
„Deine Mutter ist Italienerin? Und du bist zweisprachig aufgewachsen? Und hast nichts verraten?
Und Maria hat alles für uns vorbereitet? Und wo sind wir hier überhaupt?" Sie lächelte ihn überglücklich an.

Er hatte mitgezählt. „Viermal ja. Und wir sind am Gardasee."
„Träume ich jetzt gerade, Hannes, oder wach ich?"
„Küss mich einfach, vielleicht weißt du es dann!"
Sie tat, was er vorgeschlagen hatte, und wusste danach, dass sie nicht träumte.
Sie setzten sich an den Tisch, Hannes schenkte Champagner ein.

„Auf die Liebe meines Lebens! Auf die Liebe, die ich niemals für möglich gehalten habe! Auf die Liebe, die mich auf einem Faschingsball vollkommen kalt erwischt hat, und die zwei Tage später in mir brannte wie ein versengendes Feuer, weil eine Schönheit eine Antwort von mir haben wollte! Auf dich, süße Mia!"
Wieder kullerte eine Träne aus ihren Augen. „Auf dich Hannes, der mir die Angst vor der Liebe nahm, damit ich ihn lieben kann!"

Sie versanken in einem langen Kuss, der sie zärtlich verwöhnte. Die Leidenschaft musste noch ein wenig warten, so schwer es ihnen auch fiel.
Sie aßen die Antipasti, tranken Champagner, sprachen italienisch miteinander, rauchten eine Zigarette auf der Terrasse in der lauen Nacht.
Das Glück, das sie empfanden, war kaum fassbar, doch sie nahmen es als Geschenk mit großer Dankbarkeit an. 

Hannes räumte das restliche Essen in den Kühlschrank, löschte die Kerzen, führte seine bezaubernde Mia in ihre Suite. Sie konnte kaum fassen, was sie sah. Das Bad war ausgerüstet mit ihren Kosmetikartikeln, er hatte alles neu besorgt.

Der Schrank im Ankleidezimmer war voll mit Wäsche und Kleidungsstücken, die er alle neu gekauft hatte, damit sie das Fehlen ihrer eigenen Sachen nicht bemerkte. Aber sie sah alles nur am Rande ihres Bewusstseins. Morgen wäre noch Zeit genug, alles genauer anzusehen. Jetzt sah sie eigentlich nur noch Hannes, ihren Traummann, der Wirklichkeit war.

Auf dem Bett im Schlafzimmer lag ein Traum von einem seidenen Morgenmantel. Und ganz plötzlich war es dann genug an Überraschungen. Ganz plötzlich war es genug an Zurückhaltung. Ganz plötzlich ergriff die Leidenschaft die beiden Verliebten. Ganz plötzlich gaben sie sich dieser grenzenlosen Leidenschaft hin. 

Sie wehrten sich nicht gegen ihren Hunger, ihre Sehnsucht. Sie erkundeten ihre Körper, ihre Herzen, ihre Seelen. Waren halb wahnsinnig vor Begehren, vor Erregung. Halb wahnsinnig vor Glück, als die Erregung befriedigt war.
Erschöpft von all den Gefühlen sanken sie in tiefen Schlaf.

Gegen 10.00 wachte Mia auf, wusste erst nicht, wo sie war, fühlte aber, dass Hannes bei ihr war, mehr brauchte sie nicht zu wissen. Wieder einmal sah sie sich satt an ihm, versuchte es zumindest. Er fühlte ihren Blick, öffnete die Augen, lächelte sie an, zog sie in seine Arme.
„Na, gut geschlafen, Engelchen?" fragte er leise, strich ihre wilden Locken aus dem Gesicht, spielte mit einer Strähne.

„In deinen Armen schlafe ich immer gut!" sagte sie leise, küsste seine Grübchen, verwuschelte seine Haare, streichelte seine Lippen.
Er versuchte wieder einmal sich zu beherrschen, hatte so viel vor mit ihr, aber jetzt hatte er erst etwas sehr Schönes mit ihr vor. Nachdem er ausgiebig mit ihr gekuschelt hatte, sprang er aus dem Bett, ging ins Bad und zog sich sicherheitshalber gleich an.
„Raus jetzt aus dem Bett, Süße!"

„Oh, Hannes hat sich eingepackt! Na, dann kann ich auch gleich aufstehen!"
Sie sprang ins Bad. Jetzt nahm sie alles, was er für sie besorgt hatte, richtig wahr. Sie öffnete das Badschränkchen, glaubte kaum, was sie sah: Sogar an Tampons hatte er gedacht, was gut war, da ihr Zyklus vollkommen unregelmäßig war. Sie setzte sich erst einmal auf den Hocker.

Nach dem Duschen ging sie ins Ankleidezimmer und musste lachen. Mit den Sachen, die da hingen und lagen, hätte sie locker 14 Tage Urlaub machen können.
Verrückter Kerl, verrückter süßer Kerl, verrückter Hannes, geliebter Hannes! dachte sie.

Sie sah die Kleidungsstücke durch, wählte eine weiße Flatterhose und ein blaues Glitzeroberteil, beides passte wie angegossen, ihr Spiegelbild zeigte ihr, dass es ihr auch gut stand. Sie tanzte in die Küche, von wo Kaffeeduft kam. Sie lief auf ihn zu, er fing sie auf, drehte sich mit ihr wahnsinnig vor Glück im Kreis.
„Na, was gefunden?" fragte er schelmisch.
Sie stupste mit dem Finger auf seinen Kopf. „Du bist vollkommen verrückt, Herr Doktor Maybach!"

„Ich weiß! Aber ich denke, da passen wir schon zusammen, oder?"
„Wieder einmal, ja, ich glaube auch!" Sie wurde ernst und zog ihn auf den Stuhl neben sich. Sie musste das jetzt loswerden, und sie wusste, sie konnte bei ihm alles sagen, was ihr auf der Zunge lag.
„Aber weißt du, wichtiger als die Kleidungssachen ist für mich da drinnen," sie zeigte auf ihr Herz, „dass du an Tampons gedacht hast!"

Hannes war es nicht im Geringsten peinlich, über dieses Thema zu sprechen. Er war mit einem Ärzteelternpaar großgeworden, seine Mutter hatte die Zwillinge außerdem sehr genau aufgeklärt, auch was den Körper der Frau betraf, bei ihnen gab es kein Tabuthema.
„Ja, das ist doch klar, Süße! Wenn ich dich schon entführe, muss ich auch daran denken, dass du deine Periode bekommen könntest in diesen Tagen."

Sie schüttelte den Kopf. So einen Mann kann es gar nicht geben, dachte sie.
„Und da bist du einfach hingegangen und hast Tampons gekauft?"
Er grinste. „Zusammen mit einer Großpackung Kondome, ja!" Er küsste ihre Nasenspitze, zog sie auf seinen Schoß. „Ich bin in einem sehr offenen Elternhaus aufgewachsen, Mia, bei uns zu Hause wurde über alles gesprochen, und wie ich dir schon einmal gesagt habe, hat unsere Mutter großen Wert darauf gelegt, dass wir lernen, eine Frau gut und richtig zu behandeln."
Sie küsste seine Grübchen. Endlich!

„Aber wie und wann hast du denn das alles gekauft und hier runter geschafft?"
Er berichtete von seinen Einkäufen in der kleinen Boutique, dem Kurierdienst, Maria, die alles ausgepackt hatte.
„So, blondgelocktes Engelchen, jetzt frühstücken wir draußen in der Sonne, und dann stelle ich dich Maria und Pedro vor!" Er nahm sie an der Hand führte sie auf die windgeschützte Terrasse. Der Blick auf den See nahm ihr den Atem, der Blick auf sie nahm ihm den Atem.

„Habe ich dir schon gesagt, dass du reizend aussiehst?"
Sie lächelte ihn an. „Nein!"
„Du siehst reizend aus!"
„Das hast du gut ausgesucht!" lobte sie ihn.
„Ja, das kann man sagen! Das Mädchen habe ich gut ausgesucht! Besser geht es gar nicht!" Ein Kuss belohnte ihn für seine schönen Worte.

Dann frühstückten sie unter der italienischen Sonne mit Blick auf den Gardasee, ein Wärmeeinbruch sorgte für angenehme Temperaturen. Nie im Leben waren sie glücklicher.
Mia sah Hannes an. „Habe ich dir schon gesagt, dass du fantastisch aussiehst heute?"
„Nein!"
„Du siehst fantastisch aus heute!"
„Danke schön! Das eine oder andere Shirt habe ich mir auch mitgenommen, vor allem in der Farbe, bei der deine Augen immer zu flimmern beginnen!" Er küsste sie vorsichtig.

„Du kennst mich schon ganz gut, oder?"
„Noch lange nicht gut genug! Aber manche Zeichen kann ich inzwischen ganz gut lesen, ja!" Er lächelte sie zärtlich an.
„Solche Zeichen wie Augenflimmern?"
„Hm!"
„Und was noch?"
„Das verrate ich nicht!" Seine Stimme war nur noch ein Flüstern. Mein Gott, war diese Frau entzückend.

Aber er würde sich zusammenreißen!
Ganz sicher würde er nicht mit ihr ins Bett fallen!
Er würde sie nicht ausziehen!
Er würde sie nicht küssen!
Er würde sie nicht streicheln, und er würde sie auch nicht lieben!
Er würde hier neben ihr sitzen bleiben, zu Ende frühstücken, sie ansehen!

Dann würde er den Tisch abräumen, und er würde auch das Flimmern in ihren Augen nicht sehen! Seine Hände würden ihm gehorchen!
Er würde auch nicht sehen, wie ihre Augen sich leicht verdunkelten!
Er würde mit ihr zu Maria und Pedro hinuntergehen!
Er würde ihre Hand festhalten, die ihn streicheln wollte!
Er würde ihren Lippen ausweichen, die ihn küssen wollten!
Er würde sich jetzt zusammenreißen!
Aber überleben würde er das nicht!


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