Kapitel 31

Als Mia und Hannes den kleinen Gerichtssaal betraten, sah sie ihre Eltern und Carla mit Robert auf den Zuschauerbänken sitzen. Sie sah Hannes fragend an, der zuckte mit den Schultern, bekam aber das Grinsen nicht ganz unter Kontrolle.
Sie knuffte ihn. „Schuft!" flüsterte sie.
Sie winkte ihrer Familie, ging aber mit Hannes gleich nach vorne zum Richtertisch. Der Anwalt begrüßte sie freundlich. Kurz darauf kam Thomas mit Mary.

Mein Gott! dachte Mia. Die ist schon wieder fetter geworden! Und er könnte wieder einmal einen Friseur vertragen!
Ihr FastEX musterte sie und ihren Begleiter eindringlich. Das war also der Typ mit der fetten Kohle, der für dieses zwar hübsche, aber frigide Weibsbild einen Haufen Geld auf den Tisch blättern würde.

Hannes war entsetzt, als er das ungepflegte Pärchen sah. Der Mann hätte womöglich gut aussehen können, wenn er einen Hauch von Frisur gehabt hätte und sein Gesicht nicht vom Alkohol aufgedunsen gewesen wäre. Aber seine Begleiterin war ja der Ausbund an Hässlichkeit.
Mary verschlang den heißen Typen an Mias Seite mit den Augen. Hätte ich ihr lieber den ausgespannt als den ersten! Aber wenigstens kam Kohle rüber.
So hingen die vier ihren Gedanken nach, als der Richter den Saal betrat.

„Guten Tag, wir verhandeln heute die Scheidungssache Dr. Mia Leissen gegen Thomas Beimer. Treten Sie bitte vor, die neuen Partner bleiben bitte auf den Plätzen!" eröffnete der Richter.
„Also, Frau Dr. Leissen, Sie haben die Scheidung eingereicht. Nun muss ich aber beiden Parteien eine Mitteilung machen!" Mias Herz setzte kurz aus. O Gott, der spricht die Scheidung nicht aus!

Der Richter fuhr fort: „Der Anwalt der Gegenseite hatte wegen der etwas unüblichen Art und Weise der Eheschließung ein ungutes Gefühl, dem er nachgegangen ist. Das war zwar nicht im Sinne seines Mandanten, was ihm durchaus eine Rüge der Anwaltskammer einbringen kann, aber ethisch mit Sicherheit lobenswert. Seine Recherche hat Folgendes ergeben: Der Kapitän der Fähre, auf der Sie getraut wurden, hatte keine Zulassung als Standesbeamter mehr, da er wegen einer Reihe von Betrügereien vorbestraft war. Die Ehe war deshalb nie rechtskräftig, muss sinnigerweise deshalb auch nicht geschieden werden. Weiterhin entfallen deshalb natürlich auch sämtliche Ansprüche von Herrn Thomas Beimer, wie Abfindung, Vermögensausgleich etc. Damit wäre dann diese Sitzung geschlossen."

Mia brauchte eine Weile, bis die Informationen durchgedrungen waren, dann begann sie zu lachen. Sie stand vor Thomas, lachte, lachte, lachte, bis ihr die Tränen kamen.
„Lach nicht so blöd, du dumme Kuh!" Er hob die Hand, wollte ihr eine Ohrfeige geben.

Hannes hatte von den Worten des Richters nichts mitbekommen, sah nur, wie sein Mädchen fast hysterisch war. Er stand auf und wollte zu ihr. Er hörte die Beleidigung des Ex, sah ihn die Hand heben.

Ein Schritt, zwei Griffe, und der Mann lag am Boden. Mary schrie kreischend.
„Fass sie nicht an!" drohte er mit eiskalter Stimme. „Und beleidige sie nie wieder!"
Mias Familie war aufgesprungen, lief nach vorne, sie verstanden gar nichts! Sie sahen, wie Thomas ihre Mia schlagen wollte und Hannes ihn zu Boden warf.
Thomas sprang auf, wollte wie von Sinnen auf Hannes losgehen. „Das hast du dir so gedacht, du feiner Pinkel!"

Ein Griff des deutlich größeren Hannes, und er lag zum zweiten Mal am Boden. Der Richter wies die Saalordner an, Herrn Beimer festzuhalten. „Junger Mann, ich verurteile Sie zu zehn Tagessätzen a 50 Euro wegen Missachtung des Gerichts. Das Urteil wird Ihnen zugestellt! Und jetzt raus!" Die Ordner brachten ihn hinaus, Mary folgte kreischend. „Halts Maul, dumme Nuss!" fuhr Thomas sie an.

„Na, das scheint auch die wahre Liebe zu sein!" stellte Hannes fest, was ihm noch einen mörderischen Blick von Thomas einbrachte. „Dich krieg ich noch, du Arschloch! Wir treffen uns schon mal irgendwo!"
„Ich freu mich drauf!" rief Hannes ihm nach.
„Und dich Anwalttrottel mach ich fertig! Du siehst keinen Cent von mir!" brüllte Thomas noch zurück in den Saal.
„Das war es mir wert!" antwortete der so Beschimpfte.

Dann nahm Hannes endlich sein noch immer lachendes, zitterndes Mädchen in den Arm. Er strich ihr über den Kopf, sprach beruhigend auf sie ein. „Einatmen, ausatmen, langsam atmen!" Er streichelte ihren Kopf, bis sie ruhiger wurde. Die Familie beobachtete gerührt die Szene. Er setzte sich auf einen Stuhl, zog sie auf seinen Schoß.
„Jetzt erzähl mal, was los war!" bat er sie
Mia begann, musste aber wieder lachen, riss sich zusammen, erzählte, was der Richter gesagt hatte.
Nun musste auch Hannes lachen, und die Familie stimmte mit ein.

„Du warst nie verheiratet?" Hannes konnte alles nicht recht fassen.

„Nein! Mein Gott, war ich blöd!" Sie fasste sich an den Kopf.
„Das wäre eigentlich die Aufgabe von uns Eltern gewesen, das herauszufinden mit der Zulassung!" räumte ihre Mutter mit Tränen in den Augen ein.
„Ich war volljährig, Mama!"
„Eine Tochter wird nie volljährig!" Sie nahm ihre Kleine in den Arm.

„So ein Trottel!" schimpfte Robert.
„Sei froh, dass es so ausgegangen ist!" räumte seine Frau ein.
„Von was für einer Abfindung hast du gerade gesprochen?" fragte Professor Leissen schließlich, während sie das Gericht verließen.
„Wir hatten eine Abfindung angeboten, wenn er sonst auf alle Ansprüche verzichtet und in eine schnelle Scheidung einwilligt!" erklärte Mia zögernd.

Ihr Vater registrierte das „wir" und wollte es schon genauer wissen. „Wieviel?"
„Ein paar tausend Euro!"
„Wieviel genau? Ich habe zwar nicht Mathematik studiert, wie meine kluge Tochter, aber dass ein paar Tausend nicht reichen für einen Verzicht auf alle Ansprüche, kann ich auch überschlagen!"
„300.000 Euro!" räumte Mia ein.

„Und wer hätte das bezahlt?"
„Hannes!" flüsterte sie.
„Darüber reden wir noch, mein Fräulein! Und mit dir auch, Monique!" sagte er in seiner Muttersprache zu seiner Frau. „Aber jetzt stell uns mal deinen Helden vor!"

„Also, das ist Herr Doktor Hannes Maybach, seines Zeichens Diplominformatiker!"
Sie wandte sich ihrer Familie zu. „Mein Vater, ihr hattet am Telefon schon das Vergnügen! Hatte ich nicht Recht? Ein sehr attraktiver Mann! Du siehst, ich stelle schon gewisse Ansprüche!"
„Brauchst dich jetzt gar nicht einschmeicheln, ma petite!" mahnte der Vater, aber seine Augen strahlten seine Kleine liebevoll an.

„Meine gestrenge Frau Mama, die dich auf Herz und Nieren prüfen wird und hoffentlich mit dem Herzen anfängt! Im Übrigen kannst du an ihr sehen, wie ich in ein paar Jahren aussehen werde!" Ihre Mutter lächelte ihn an. Viel zu prüfen würde sie nicht haben nach der Szene gerade.
„Meine Schwester Carla, die mich am liebsten noch im Kinderwagen spazieren fahren würde, damit sie nicht zugeben muss, dass ich ganz langsam erwachsen werde!"

Aber ganz langsam, dachte Carla. Naja, in den letzten Tagen vielleicht etwas schneller.
„Und last but not least, mein vorlauter Schwager Robert, der mir viel geholfen hat in den letzten Jahren, es mit uns aber beinahe vermasselt hätte!"
Hannes gab allen die Hand. Robert wollte das jetzt aber nicht mehr auf sich sitzen lassen und endlich das Missverständnis klarstellen, zog Hannes ein wenig von den anderen weg.

„Herr Dr. Maybach..." begann er.
„Hör bloß auf mit dem Dr.! Ich bin Hannes!"
„Also Hannes, ich habe mir in den letzten Tagen ja einiges von meiner Frau anhören müssen, aber was ich dir gesagt habe, war, dass du aufpassen sollst auf sie, weil der Typ, mit dem sie noch verheiratet ist, ihr nicht gut getan hat. Vielleicht hätte ich die Klappe halten sollen, aber sie liegt mir halt am Herzen!"

„Ja, und ich hatte ziemlich Watte im Kopf und habe eben nur das mit dem verheiratet mitbekommen! Aber zum Glück hat sie ja den Mut gehabt, mir nachzulaufen, und seitdem lasse ich sie nicht mehr weg!" Die beiden umarmten sich und wussten, dass sie jetzt beginnen konnten, Freunde zu werden

Hannes sah auf die Uhr, halb vier!
„Also!" sagte er zu Mias Familie. „Dann sollten wir langsam los!"
Die anderen stiegen in Roberts Auto, um in Richtung Autobahn zu fahren.
„Wo wollen wir denn hin?"

„Ich habe deine Familie zum Essen eingeladen, um deine Scheidung zu feiern, jetzt feiern wir halt die Nichtscheidung!"
„Nett, dass ich das auch erfahre!"
„Mäuschen, ich wollte dich doch überraschen!"
„Na, heute kann ich mich über einen Mangel an Überraschungen nicht beklagen!" Sie lächelte ihn an.

„Mein Held! Was war das? Jiu-Jitsu?"
„Ja! Ich hab's ein paar Jahre während des Studiums gemacht, damit ich meine Süße vor einem tobsüchtigen Nichtehemann schützen kann!"
„Der wollte mir echt eine knallen!"
„Hat er dich früher...?"
„Nein, niemals!" fiel sie ihm ins Wort. „Also, da wäre ich ja sofort gegangen! So viel Selbstachtung hatte ich schon noch!"

Hannes war froh, dass er gefragt hatte.
„Hat Robert jetzt endlich mal erklärte, was das sollte auf dem Ball?"
Hannes erzählte von dem Gespräch mit ihrem Schwager.
„Aja! Weißt du, er ist ja eigentlich ein ganz Netter, aber er meint halt immer, er muss sich einmischen und die ganze Welt retten!"

„Aber du siehst ja deiner Mutter wirklich enorm ähnlich! Und deine Schwester ist ganz der Vater!"
So verplauderten sie die Fahrt nach Bad Abbach. Auf der Autobahn überholte Hannes und fuhr etwas schneller als Robert. Er wollte unbedingt vor ihrer Familie ankommen.

Im Restaurant erwartete Mia die nächste Überraschung. Stolz stellte Hannes seine Schöne seinen Eltern vor. „Liebste Mamutschka, das ist also das Wundermädchen Mia, in Langfassung Frau Doktor der Germanistik Mia Leissen, Diplommathematikerin, Studienrätin am Goethe."
Seine Mutter lachte. „Ich glaube, da bleiben wir bei der Kurzfassung."

Sie gab ihr die Hand. „Hallo, Mia! Schön, Sie kennenzulernen! Ich bin Helena!"
„Und das ist mein Papa, Chefaufschneider der Barmherzigen Brüder!"
Der Vater boxte seinen Sohn. „Frecher Lümmel! Wer hat dich denn erzogen? Hallo Mia! Sagen Sie einfach Peter!"

Mia sah Hannes lächelnd an. „Hast du gut gemacht, mein Superheld! Ich danke dir!" Sie begrüßte Markus, der sie freundschaftlich in den Arm nahm. Dann kam auch schon ihre Familie. Hannes stellte alle vor, dann gab es die Vorspeise. Mia betrachtete Hannes' Eltern. Größe und Figur hatten die Zwillinge eindeutig vom Vater, Haarfarbe und Augen von der Mutter, die feinen Gesichtszüge von beiden.

So viele schöne Menschen auf einem Haufen! dachte sie und lächelte. Es wurde eine lustige Mahlzeit, alle verstanden sich gut, es wurde gescherzt, gelacht, Mias Schlagfertigkeit fiel natürlich auf, gegen sie kam mit Worten niemand an. Über den Gerichtstermin wurde nicht mehr gesprochen, die Maybachs ging es nicht an, und die Leissens hatten alles gesagt, was zu sagen war.

Das Ehepaar Maybach war sich einig, dass die hübsche Studienrätin genau richtig war für ihren Älteren, dass sie bezaubernd war, dass sie Hannes offensichtlich sehr glücklich machte, ihn zum Strahlen brachte.

Das Ehepaar Leissen war sich ausnahmsweise einmal einig, wenn es um Mia ging, dass Hannes ihrer Kleinen gut tat, dass die beiden sich offensichtlich liebten, dass er nicht weiter auf den Prüfstand musste.
Nur diese Abfindung lag dem Professor noch auf der Seele. „Hast du mitbekommen, dass Hannes 300.000 Euro an Thomas gezahlt hätte, damit der auf alle Ansprüche ihr gegenüber verzichtet?"

Monika fiel vor Schreck fast das Messer aus der Hand. „Aber warum hat sie denn nicht uns gefragt?"
„Ich denke, die Antwort auf diese Frage kannst du am besten geben!" Seine Frau senkte den Blick. „Ich weiß, dass ich vieles falsch gemacht habe!"
„Einsicht ist der erste Weg zur Besserung!" hoffte Mias Vater und drückte ihre Hand.

Carla und Robert waren sich einig, dass Hannes das Beste war, was ihrer Kleinen passieren konnte. Sie hatten schon auf dem Ball gemerkt, dass der Typ, der sich so hässlich verkleidet hatte, Mia nicht mehr von der Seite wich. Sie spielte eine Weile mit ihm, flirtete hier ein bisschen, da ein bisschen, bis er sie auf seinen Schoß zog und nicht mehr losließ. Der Abschied war beiden schwer gefallen, umso mehr wunderten sie sich, dass er am nächsten Tag nicht angerufen hatte. 

Mia war nicht direkt verliebt gewesen, nur sauer, weil er sein Versprechen nicht gehalten hatte.
Aber dann hatte sich gezeigt, dass ihr Selbstbewusstsein beträchtlich gewachsen war in dem letzten halben Jahr, und sie hatte die Initiative ergriffen. Von der Abfindung hatte Carla ja gewusst, aber zum ersten Mal die Kleine nicht mit Ratschlägen bombardiert. Sicherheitshalber hatte sie auch Robert und ihren Eltern nichts davon erzählt, nicht, dass sich da wieder jemand einmischte. Das mussten Mia und Hannes untereinander ausmachen

Nach dem Dessert bat Hannes Markus, der in die Fortsetzung seines Planes eingeweiht war, die Rechnung für ihn zu bezahlen. Er klopfte leicht an ein Glas und fing an zu sprechen, als die Gespräche verstummten.

„Liebe Gäste, ich danke allen, das Sie gekommen sind, dass ihr gekommen seid, - ich muss auf eine korrekte Grammatik achten, da ich mir eine Frau Doktor der Germanistik angelacht habe und ich sonst schlechte Noten bekomme!"
Alle lachten. „Also ich freue mich, dass alle da sind, meine süße Mia und mich, den glücklichen Mann an ihrer Seite, kennenzulernen. Ich hoffe, meine Schöne, das waren genug Nebensätze?"
„O ja! Ich bin sehr zufrieden mit dir!" lobte sie ihn.
„Danke!" Hannes grinste sie an.

„Bitte!" Die Gäste lachten wieder, die zwei waren schon super süß!
„Wir müssen uns jetzt leider verabschieden, ich habe noch etwas Wichtiges zu erledigen!
Markus übernimmt die Rechnung, wenn er viel Glück hat, kriegt er das Geld zurück, aber vielleicht muss er auch Strafe bezahlen, weil er uns immer stört."
Markus lachte: „Ja, um drei, um vier, um fünf, um sechs – ich kann kommen, wann ich will, ich störe immer."

„Warte, bis du dich selbst einmal so sehr verliebst wie ich, kleiner Bruder, dann verstehst du uns. Also, feiert noch weiter. Jetzt könnt ihr auch getrost alle Peinlichkeiten aus unserer Kindheit und Jugend loswerden."
Mia ergriff auch noch das Wort: „Ich habe den Worten meines umwerfenden Hannes nichts hinzuzufügen, was auch eher selten vorkommt." Die Gäste lachten über die beiden sehr, sehr Verliebten.


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