Kapitel 30

Hannes sprang aus dem Bett, holte ihr Heft und einen Stift, gab ihr beides. „Schreib bitte!"
Er ging ins Bad, und sie fing an. Die Worte flossen wie von selbst aufs Papier, Seite um Seite füllte sich mit den Gedanken, die sie seit dem Montag im ZAP, im Kopf, im Herzen und in ihrer Seele hatte.
Als er zurückkam, beobachtete er sie eine Weile. Ihre Wangen waren leicht gerötet, sie schrieb wie im Fieber. Die süße Nase krauste sich, die Zunge fuhr über die Lippen.
„So!" sagte sie schließlich und ließ sich zurücksinken. „Das reicht fürs erste!"

Er legte sich neben sie, wortlos gab sie ihm das Heft. Er fand den Anfang sofort, ihr Schriftbild war ein ganz anderes, nicht so fahrig wie bei den alten Sachen, klare, saubere Buchstaben.

Er fing an zu lesen.
Über die Zeit, die keine Wunden heilen kann, weil das nur die Liebe schafft.
Über die Liebe, die unverhofft in ihr Leben kam.
Über den Mann, der ihr seine Liebe schenkte.
Zehn Gedichte hatte sie über ihre Gefühle zu Papier gebracht, und diese Gefühle waren auch die seinen.

Er liebte Gedichte, für einen Mann eher ungewöhnlich, aber er hasste es, wenn Sätze verbogen wurden um eines Reimes willen.
Sie schrieb anders als alle anderen.
Der Rhythmus der Sprache war wichtig, nicht der Reim, fand sie einen, nahm sie ihn, fand sie keinen, ließ sie es ungereimt.

Das letzte Gedicht war ziemlich heiß. Von Lust, von Leidenschaft, vom Begehren sprach sie, von Händen, von Lippen, die diese Gefühle auslösen konnten, vom Fliegen, vom Abheben, vom Landen, aber in wunderschönen, zärtlichen Worten.
Er legte das Heft wortlos zur Seite, sah sie lange an.
Sie hielt seinem Blick stand, wusste, dass er verstanden hatte, was sie ihm sagen wollte.

Es war ihr nicht im Geringsten peinlich, dass sie ihm ihre innersten Gedanken so offen dargelegt hatte.
Er strich über ihr Haar, ihre Stirne. „Es ist fantastisch, was für schöne Worte aus diesem schönen Köpfchen kommen!" sagte er leise. Seine Hand legte sich auf ihr Herz. „Oder kommen sie vielleicht von hier?"

Er küsste sie zärtlich. „Aber das letzte Gedicht darf ich nicht oft lesen!" sagte er lächelnd. Er holte das dritte Kondom innerhalb kurzer Zeit aus der Verpackung. „Sonst wird es echt ein teures Vergnügen!" „Ich zahle die nächste Packung!" versprach sie. „Das wäre meiner Meinung nach die ganz und gar schlechteste Möglichkeit, um zu sparen!"

Hannes küsste sie lachend auf die Nasenspitze. „Mein kleiner Kobold mit den schönen Worten!"
Dann zitierte er ihr Gedicht, und bewies, wie richtig ihre Worte waren: Hände, die streicheln, Hände, die schmeicheln, Hände, die meine Haut berühren, Hände, die mich verführen, Lippen, die küssen, weil sie es müssen, immer und immer, wieder und wieder. Sie lächelte, ließ seine Hände und seine Lippen ihre erregende Arbeit tun, ließ sich lieben, wie beim ersten Mal, staunte, wie beim ersten Mal, genoss die Liebe wie beim ersten Mal.

Hannes nahm ihr Geschenk an, wie beim ersten Mal, und er wusste, dass es immer so bleiben würde, dass er im Leben nichts anderes mehr wollte, als seine süße Mia im Arm zu halten und so hingebungsvoll zu lieben, mit seinem Körper genauso wie mit seinem Herzen und seiner Seele.

Eine lange Kuschelzeit später kam ihm ein Gedanke. „Duuu, Schönheit?"

„Meint der jetzt mich, der tolle Hecht neben mir?"
„Nein! Ich spreche mit meinem Kopfkissen, du Clown!" sagte er zärtlich.
Sie sah das Kissen an, auf dem sein Kopf mit den vollkommen verwuschelten Haaren lag. „Das ist aber auch ein ausnehmend schönes Kopfkissen!"
Lachend zog er es hervor, legte es ihr hin. „Da, ich schenke es dir!"
„Ja, ohne Kopf pfeife ich auf das Kissen!"

Hannes lachte Tränen. „Darf ich dich jetzt endlich mal was fragen?"
„Fragen kannst du alles, aber ob ich vernünftig antworten kann nach deiner Gedichtinterpretation, steht in den Sternen!"
Er nahm sie fest in die Arme. „Du kleiner Germanistik-Kasper! Ich fresse dich gleich auf!"
„Du hast auch so Hunger wie ich?"
„Ja, deshalb wollte ich dir ja gerade einen Vorschlag machen!"
„Nein, du wolltest mich etwas fragen. Von einem Vorschlag war mitnichten die Rede!"
„Huuuuu!" rief er laut. „Wie bringt man eine Germanistin zum Schweigen und zum Zuhören?"

„In dem man sich klar und deutlich ausdrückt, ganz einfach!"
„Also Frau Doktor, ich würde dir gerne einen Vorschlag machen!" Er wartete auf einen Einwand, sie schwieg. „Gut, keinen Fehler gemacht dieses Mal! Also, mein Vorschlag wäre: Ich koche Abendessen, und du machst deine Vorbereitungen für nächste Woche, damit du frei hast die kommenden Tage!"
„Der erste Teil wird gerne akzeptiert, der zweite Teil wird abgelehnt. Da habe ich morgen Vormittag genügend Zeit."

Er sah sie zärtlich an, blickte ihr tief in die Augen. „Bist du sicher?"
„Ah, hm, oh, ach so! Du musst nicht arbeiten morgen?"
„Nein!"
„Na also dann, aus Sicherheitsgründen werde ich Teil 2 auch akzeptieren!"
Hannes atmete innerlich auf. Gut, dass er noch daran gedacht hatte!
Sie verzog sich ins Arbeitszimmer, hörte ihn in der Küche werkeln, fühlte sich einfach nur wohl in ihrem Leben. Als er nach ihr sah, war sie gerade fertig geworden.
„Essen ist fertig, Süße!" Sie strahlte ihn an. Er war echt unglaublich, unfassbar!

Es gab Rindersteaks mit selbstgemachter Kräuterbutter, Kartoffelgratin und Salat.
„Boa, das war lecker! Da gehen wir nicht mehr essen! Du kochst besser als jeder Koch!"
„Dankeschön, Süße!" Einen langen Kuss holte er sich zum Nachtisch.
„Dafür mache ich die Küche, ja?"

„Nichts da! Du hast acht Stunden Unterricht gehalten! Da stellst du dich mit Sicherheit nicht mehr in die Küche!"
Mein Gott, wie gut solche Worte tun können! dachte sie. Einen langen Kuss gab es zur Belohnung für ihn. Sie legte sich auf das Sofa, sah ihm zu, wie er, Liebeslieder summend, arbeitete.

Sie zerfloss vor Liebe zu diesem Mann. Als er fertig war, schenkte er zwei Gläser Wein ein, zündete zwei Zigaretten an, holte die Jacken. Auf dem Balkon nahm er sie von hinten in den Arm. „Das Leben mit dir ist wunderbar, süße Mia! Ich kann dir gar nicht sagen, wie wunderbar!"
Sie konnte nicht antworten, der Kloß in ihrem Hals war zu dick.

Unten im Hof fuhr Markus in die Garage. Er sah die beiden engumschlungen stehen. „Hallo ihr zwei! Luft schnappen oder Atem holen?" Sie grinsten ihn an. „Mal sehen!" rief Mia nach unten.
Sie gingen wieder ins Warme, aber keiner hatte die Kälte gespürt. Sie tanzten noch ein bisschen, kuschelten ein bisschen, knutschten ein bisschen, schenkten sich ein paar Zärtlichkeiten, erinnerten sich an den Ball, waren unendlich glücklich, legten sich unendlich glücklich ins Bett, schliefen unendlich glücklich ein.

Am Morgen wachten beide mit demselben Gedanken auf: Frei! Keine Schule, keine Computer, Zeit, viel Zeit! Sie konnten sich sehr viel Zeit lassen mit dem Aufstehen, was sie dann auch taten.

„Wir sind verrückt, oder?" fragte Mia ihn lange nach dem Aufwachen. „Oder ist das normal?"
Hannes lachte. „Nein Süße! Also das kann ich dir versichern, normal ist das nicht, dass man so verrückt nach einer Frau ist!" Er küsste seine neugierige Lady auf ihr süßes Näschen.
„Aber ich weiß auch, warum das so ist: Einmal begehre ich meine Schöne! Das nächste Mal meine Blitzgescheite! Dann meine Supercharmante! Und schließlich meinen süßen Clown! Da kommt schon was zusammen!"

Ihr verschlug es direkt die Sprache, was selten genug geschah.
„Das hast du schön gesagt! Ich glaube, so etwas Schönes hat noch nie ein Mann zu einer Frau gesagt!" flüsterte sie eine Weile später. Er nahm sie fest in die Arme.
„Dafür ist ein Mann doch da, damit er seiner Liebsten schöne Sachen sagt, oder?"

Ja, dachte sie, aber woher sollte ich das denn wissen! Plötzlich erschrak sie, sah auf die Uhr, ließ sich erleichtert wieder in die Kissen fallen. „Scheidung!"
„Ich habe das schon im Auge! Ganz ruhig!"
„Mein Gott, bin ich jetzt erschrocken! Ich habe schon gedacht, wir haben den Termin verliebt!"
Hannes lachte: „Den Scheidungstermin verliebt! Dann hättest du einen verliebten Scheidungstermin!"

„Na, das passt ja gar nicht! Oder doch? Ich habe einen Scheidungstermin und ich bin verliebt! Also habe ich einen verliebten Scheidungstermin! Nein, passt doch nicht! Subjekt kann nicht gleich Objekt sein!"

Hannes schnappte schon wieder nach Luft. Sie alberten noch eine Weile, kuschelten noch ein bisschen. Lösten sich schließlich voneinander und vom Bett. Als sie fertig im Bad war, zog Mia das neue Kleid an und wollte Semmeln holen.

„Ja ja! Von wegen! Alleine zu dem verliebten Bäcker! Nichts gibt's!"
„Dann gehen wir zusammen!" Sie sah ihn bewundernd an, er sah einfach super aus in seiner hellen, engen Jeans, die wieder in den Stiefeln steckte, dazu die neue Lederjacke, das neue Shirt.
„Aber nur, wenn du den Sicherheitsmantel über dieses Kleid anziehst!"
„Okay! Gebongt!" Mehr tanzend als gehend kamen sie in dem kleinen Ladengeschäft an.

„Guten Morgen!" begrüßten sie den Bäcker freundlich und strahlend.
Der sah demonstrativ auf die Uhr. „Für die einen ist es Morgen, für die anderen kurz vor Feierabend! Was kann ich für Sie tun, Herr Doktor, schöne Lady?"
Hannes grinste ihn an. „Zwei Kaiser- und zwei Sesamsemmeln, bitte!"

„Darf's noch was Süßes sein?"
„Danke nein, davon habe ich reichlich!" Er küsste seine Süße zum Beweis.
Dann tanzten die beiden zurück und ließen sich ein ruhiges, ausgiebiges Frühstück schmecken, rauchten eine Zigarette und machten sich langsam mit dem Auto auf Richtung Gericht.


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