Kapitel 29
Hand in Hand gingen sie wieder hinunter zum Direktorat, klopften an. „Wir sind es schon wieder!" sagte Mia.
„Immer wieder gerne!" lachte der Chef.
„Ich übergebe das Wort an den Fachmann!" scherzte Mia.
„Also!" begann Hannes. „Der Computerraum ist total veraltet. Da kann man den Schülern nichts beibringen, da führt man sie rückwärts. Die Anschlüsse sind, gelinde gesagt, abenteuerlich. Der Router ist zu schwach für die vielen Geräte, außerdem zu gering abgesichert, das bedeutet absolute Brandgefahr. Mia arbeitet mit Word 2, wir sind mittlerweile bei Word 7! Mein Angebot wäre nun: Ich besorge Ihnen neue Geräte, entweder von meinem Arbeitgeber, oder ich übernehme das gerne gegen eine Spendenquittung. Ich schließe Ihnen alles korrekt an, installiere die Programme, kann auch die Wartung machen, kostenlos natürlich."
Mia schmolz dahin, sein Job war wirklich sexy!
Der Chef war begeistert von dem jungen Mann seiner Star-Studienrätin. Sehr kompetent, sehr nett, sehr wortgewandt, und vom Aussehen passten die beiden auch sehr gut zusammen. Außerdem, und das war das Wichtigste, war er wohl sehr verliebt in seine Frau Dr. Leissen, wenn man seine zärtlichen Blicke und die stetigen Berührungen sah.
„Ja, ich würde sagen, das ist ein Angebot, das ich als Schulleiter schlecht ablehnen kann!" stimmte er lächelnd zu. „Und wie schnell könnten Sie das schaffen?"
„Na, bis nächsten Mittwoch wäre alles fertig!"
„Und können wir heute den Unterricht noch stattfinden lassen?"
„Ja, aber ich wäre dann gerne dabei! Ich könnte die Anzeichen erkennen, wenn es brenzlig wird, im wahrsten Sinn des Wortes!"
Der Chef stand auf. „Gut, Herr Dr. Maybach, dann machen wir das so!"
Und zu Mia sagte er: „Ich gebe Ihnen da jetzt vollkommen freie Hand, Frau Dr. Leissen. Machen Sie gemeinsam das Beste draus! Vielleicht kann ich auch vom Elternbeirat etwas locker machen."
„Lassen Sie nur! Es gibt bestimmt noch andere Baustellen an so einer großen Schule, für die das Geld gebraucht wird! Ich tue gerne etwas für meine ehemalige Schule!"
„Sie waren Schüler hier?"
„Ja, mein Zwillingbruder und ich."
„Maybach? Maybach?" Der Direktor kramte in seiner Erinnerung. Plötzlich wusste er, wohin mit dem Namen. „Kann es sein, dass in der Halle ein paar Urkunden hängen mit Ihren Namen?"
Hannes lachte. „Ja, wenn Sie die Sachen so lange aufbewahrt haben!"
„Sicher! Seit Bestehen der Schule werden die Urkunden über herausragende Leistungen in der Aula aufgehängt! Waren sie der Mathematiker oder der Naturwissenschaftler?"
„Der Mathematiker!" räumte Hannes ein.
Mia schmolz vor Stolz und Liebe wieder vollkommen dahin.
Sie holten sich am Verkaufsstand in der Aula noch einen Kaffee und eine belegte Semmel. Der Hausmeister freute sich, Mia zu sehen, und noch mehr freute er sich, sie glücklich turtelnd mit einem gutaussehenden jungen Mann zu sehen. Er wünschte der hübschen, netten Studienrätin, dass sie endlich glücklich würde.
Mia und Hannes gingen eine Viertelstunde vor Unterrichtsbeginn wieder hinauf zum Computerraum. Dreißig Zehn-Elfjährige warteten schon, schrien, balgten sich, kreischten, kasperten.
Sein Trommelfell schmerzte.
Als sie Mia sahen, wurde sie schlagartig still, stellten sich in Reih und Glied auf.
Sie schloss die Türe auf, die Kids betraten den Raum, setzten sich ruhig auf ihre Plätze. Hannes kam aus dem Staunen nicht heraus. Sie hatte kein Wort gesagt, ihre reine Anwesenheit hatte die wilde Horde gebändigt.
Da fiel Mia plötzlich ein, dass sie ja in der Mittagspause beim Jugendamt anrufen wollte. „Halte bitte kurz Aufsicht!" bat sie Hannes. „Ich muss schnell nochmal telefonieren!"
„Na klar!" versprach er. Alle saßen brav auf ihren Plätzen, was konnte da schon schwierig werden?
Doch kaum war sie zur Türe hinaus, gingen die ersten Quatschereien schon los, schnell gab ein Wort das andere, schnell stieg der Lärmpegel wieder.
Die Schüler verließen ihre Plätze, erste Rangeleien fingen an. Hannes bat die Schüler sich zu setzen, leise zu sein, er hob seine Stimme, um sich über den Lärmpegel zu setzen. Sie sahen ihn nur frech an, machten was sie wollten. Der Gong schlug an, niemand kümmerte sich darum.
„Es hat gegongt! Die Stunde fängt an!" Mittlerweile musste Hannes schreien, um lauter als die Schüler zu sein.
Niemand hörte auf ihn. Er versuchte sich zu erinnern. Waren sie in diesem Alter auch so gewesen? Aber die Zeit lag zu lange zurück.
Mia hörte schon von weitem den Krach, der aus dem Zimmer drang.
O je! dachte sie. Armer Hannes, hatte die Bande ihn auflaufen lassen!
Sie öffnete die Türe, baute sich in ihrer ganzen Größe von 1,62 m vor der Gruppe auf. Schlagartig wurde es ruhig, alle gingen zu ihren Plätzen.
„Dominik, was machen wir, wenn es gongt?" fragte sie leise.
Einer der lautesten senkte den Kopf.
„Ich höre!"
„Wir setzen uns, sind leise und schalten die Computer ein!"
„Katja, wiederhole bitte!"
Das vorhin laut kreischende Mädchen zog buchstäblich den Kopf ein. „Wir setzen uns, sind leise und schalten den Computer ein." wiederholte es unwillig.
„Und warum habt ihr mich jetzt vor Herrn Dr. Maybach so blamiert, Rainer?"
Sie kannte ihre Pappenheimer genau, fischte exakt die Hauptstörenfriede heraus! dachte Hannes und lächelte.
„Ich, ich, ich weiß nicht. Entschuldigung!"
„Das werden wir uns jetzt noch überlegen, ob wir diese Entschuldigung so einfach annehmen! Herr Dr. Maybach ist heute hier, weil er dafür sorgen möchte, dass ihr neue Computer und Programme bekommt. Und was macht ihr? Schreit ihm die Ohren voll! Ich hätte jetzt vollstes Verständnis dafür, wenn er sagen würde: Diese wilde Horde hier verdient meinen Einsatz nicht, ich warte mal bis nächstes Schuljahr!"
„Das haben wir doch nicht gewusst!" maulte Dominik.
„Ja, Dominik, aber das ist das Problem! Man sollte sich immer gut benehmen, nicht nur, wenn es von Vorteil für einen ist! Die Welt funktioniert nicht, wenn alle denken: Ich bin dann nett zu dir, wenn du etwas für mich tust! Die Welt funktioniert dann, wenn alle denken: Ich bin nett zu dir, weil ich nett sein will zu dir!"
Hannes hörte seiner kleinen Philosophin gebannt zu. Die Schüler senkten die Köpfe, manche hatten Tränen in den Augen.
„Und jetzt schaltet ihr die Computer ein, ruft Word auf, öffnet eine neue Seite, und schreibt diese beiden Sätze auf, dann drucken wir es aus, und ihr könnt das Blatt in euer Zimmer hängen. Vielleicht hilft es ja etwas!"
„Und was ist mit den neuen Computern?" fragte Rainer.
„Am Ende der Stunde werde ich Herrn Dr. Maybach fragen, wie er sich entschieden hat. Ich bin aber sicher, dass jedes Dazwischenrufen wie eben, Rainer, Minuspunkte gibt!"
Hannes musste sich von der Gruppe wegdrehen, damit die Kinder sein verliebtes Lächeln nicht sahen.
Er hätte seiner süßen Mia stundenlang zuhören können, wie sie mit ihrer leisen Stimme, ihrer drolligen Aussprache, ihren geschliffenen Formulierungen mit den Kids sprach.
Sie schrieb an die Tafel: Die Welt funktioniert nicht, wenn.........
Die Welt funktioniert dann, wenn.........
Eine Weile arbeiteten alle ruhig. Ein wenig Unruhe entstand an den doppelt besetzten Computern. Hannes überlegte. 20 Geräte und 30 Schüler war ja auch Quatsch!
Der Raum war groß genug für 30 Arbeitsplätze, also würde er auch 30 einrichten.
Nach und nach kamen immer mehr Finger in die Höhe, die Schüler hatten Fragen, wussten nicht mehr, welche Tasten wozu da waren, wie man die Schrift veränderte , die Farbe und so weiter. Mia flitzte von Schüler zu Schüler, nach ein paar Minuten beschloss Hannes, ihr einfach zu helfen.
Im Nu war die Doppelstunde um. Die meisten hatte die Arbeit ausgedruckt, die beiden blieben noch, bis der letzte sein Blatt mitnehmen konnte. Als alle Schüler den Raum verlassen hatten, blieb Hannes mitten im Raum stehen, sah die Liebe seines Lebens bewundernd an und klatschte in die Hände.
„Meine Hochachtung, Frau Dr., Sie haben es aber echt drauf!" Sie lächelte ihn an, ging langsam auf ihn zu.
Das war ihr Terrain, hier hatte sie das Kommando. Sie nahm ihn in den Arm, küsste ihn leidenschaftlich, fordernd, zärtlich. In seinen Ohren klingelte es, das Blut pochte, sein Herz raste. Das Begehren nahm ihm fast den Atem.
Plötzlich kam eine Stimme aus dem Lautsprecher. „Frau Dr. Leissen, wenn Sie noch im Hause sind, kommen Sie bitte noch einmal ins Direktorat."
Sie atmeten schwer, versuchten, den Boden unter den Füßen wieder zu erreichen.
„Das war knapp, meine süße Mia, das war sehr knapp!"
„Was war knapp, Hannes?" hauchte sie.
„Ich mag ja eigentlich keinen schnellen Sex auf irgendwelchen Tischen, ich bevorzuge es, Liebe zu machen, aber ich war kurz davor, meine Prinzipien umstoßen zu müssen!" stieß er hervor.
„Das waren aber jetzt viele schöne Nebensätze!"
„Was ich nicht alles tue für dich, Schönheit!" Die Erregung war wieder auf ein erträgliches Maß zurückgegangen.
„Ich danke dir von Herzen!" Sie lächelte ihn an, deutete eine Verbeugung an.
„Gehen wir mal wieder zum Chef?"
„Gehen wir!" stimmte er schweren Herzens zu.
Der Schulleiter musste lächeln, als die beiden sein Zimmer betraten. Leicht glasige Augen, die Wangen gerötet, der Atem etwas schneller. Die elektrische Spannung zwischen ihnen knisterte fast spürbar. Er erinnerte sich an die Anfangszeit mit seiner Frau. Da hatten sie mit Sicherheit auch oft so ausgesehen.
„Frau Dr. Leissen, ich habe gerade gar nicht daran gedacht. Sie sagten Scheidungstermin, da haben Sie Anspruch auf einen freien Tag. Ich habe den Vertretungsplan schon geschrieben, Sie haben dann morgen frei."
„Aber der Termin ist erst um 15 Uhr!" gab sie zu bedenken
Er lächelte sie an. „Vorschrift ist Vorschrift! Sie werden schon etwas anzufangen wissen mit dem freien Vormittag!"
„Ja, dann kann ich meine Probeaufsätze korrigieren!" schlug sie vor.
„Zum Beispiel!" Er lachte leise.
„Also, dann bis Montag!" sagte sie. „ Ach, Anita ist übrigens gut untergekommen. Es gab zwar fürchterlichen Trouble mit dem Stiefvater, aber sie haben tatsächlich eine Pflegefamilie für sie gefunden!" berichtete sie.
„Ja, Frau Dr. Leissen, da haben Sie wirklich sehr gut reagiert! Wer weiß, was passiert wäre, wenn Sie nicht zwischen den Zeilen gelesen hätten!"
„Danke!" Die beiden verabschiedeten sich und fuhren glücklich und zufrieden nach Hause.
In der Wohnung fragte Hannes als erstes, was es denn mit der Schülerin auf sich hatte.
Eigentlich durfte sie ja aus Datenschutzgründen nichts erzählen, aber alle Kollegen mussten mit ihren Partnern die Probleme mit Schülern zu Hause ausdiskutieren, sonst wären sie ja vollkommen alleine mit ihren vielschichtigen Sorgen gewesen.
Mia erzählte Hannes, worum es gegangen war.
Er war wieder einmal fassungslos. „Und das hast du alles aus einem Gedicht herausgelesen?"
„Ich kenne mich mit traurigen Gedichten aus!" sagte sie nur.
„Du schreibst auch noch Gedichte?" fragte er überrascht.
„Hin und wieder habe ich welche geschrieben!"
„Darf ich die auch lesen?" Seine Stimme war leise und bittend. Er wollte noch so viel von ihr wissen, sie immer noch besser verstehen.
„Ja, Hannes, du darfst sie lesen!"
Sie holte das Heft, legte es ihm hin und zog sich zurück, um ein paar Ausätze zu benoten. Sie wollte die Arbeit so schnell wie möglich hinter sich bringen, um die vier Tage, die vor ihr lagen, mit Hannes und mit Liebe genießen zu können. Zwei Stunden später war sie fertig, kam ins Wohnzimmer zurück. Er saß auf dem Sofa, hielt das Heft in den Händen, wischte sich schnell die Tränen aus den Augen.
„Schlimm?" fragte sie.
„Sehr schlimm! Es tut weh, dass jemand mein Mädchen so verletzen konnte, dass es solche Worte geschrieben hat!"
„Aber du fühlst schon, dass du alle Wunden geheilt hast, oder?" Sie sah ihn mit strahlend blauen Augen an, kein Schmerz war darin zu sehen, nicht der Hauch eines Schmerzes.
„Ja? Das ist dann etwas, auf das ich mein Leben lang stolz sein kann, Schönheit!" Er küsste sie zärtlich und ließ zu, dass sie allen Schmerz, den er empfunden hatte, wegküsste. Dass sie seine Wunden, die die Lektüre ihrer Gedichte gerissen hatte, heilte.
„Ich liebe dich so unendlich, Mia, ich liebe dich so unsagbar, ich liebe dich so sehr, so sehr, so sehr, süße Mia, ich liebe dich wahnsinnig!" brach es leise aus ihm hervor. „Bitte, lass mich dich immer lieben! Bitte, liebe mich für immer! Bitte, bleibe in meinem Leben, für immer!"
„Ja, Hannes, das werde ich tun! Weil ich gar nicht anders könnte!"
Sie versanken in klammernder Leidenschaft, wollten sich nie wieder voneinander lösen, mussten es doch, um die störende Kleidung loszuwerden, um das Bett zu erreichen, liebten sich wie Ertrinkende mitten im Strudel, liebten sich noch einmal mit aller Zärtlichkeit, die die Zukunft bereit hielt, die Zukunft , die sie mit heilen Seelen beginnen konnten, ab sofort beginnen konnten!
Hannes hielt sie noch fest in den Armen, als er sie fragte: „Süße Mia, kannst du eigentlich auch weniger traurige Gedichte schreiben?"
„Weniger traurige nicht, aber glückliche habe ich tausend im Kopf!"
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