Kapitel 22
Aber so wollte er den Tag nicht beenden, dann musste es eben ohne Plan gehen.
„Setzt du dich zu mir?" bat er und nahm am Esstisch Platz. Als sie saß, stand er noch einmal auf, holte zwei Gläser und eine Flasche Wein, schenkte ein, schob ihr ein Glas hin.
„Macht 6 Euro!" sagte er.
Sie grinste.
„Nein, nicht grinsen, Süße! Das machen wir jetzt in Zukunft so! Wenn schon, denn schon! Ich rechne jetzt mal aus, was du bisher gegessen und getrunken hast, und dann zahlst du mir das. Oder du gibst mir Haushaltsgeld, wie es dir lieber ist! Benzingeld für die Fahrt nach Eilsbrunn bekomme ich auch noch, und Kilometergeld für mein Auto! Und mein Geld auf dem Konto spende ich der CSU, denn ich habe ja jetzt nur noch die halben Haushaltskosten! Wenn du einkaufen gehst, rechnen wir ab, wenn die Monatsrechnung der Perle kommt, zahlst du die Hälfte. Wasser, Strom und Heizung teilen wir uns!"
Er sah sie ernst an.
„Möchtest du so in Zukunft leben? Wäre dir ein Mann lieber, der so denkt?"
Sie verdrehte die Augen zur Decke.
„Schieß keine Löcher in die Decke, sonst muss ich am Montag renovieren lassen und du zahlst!"
Langsam kitzelte sie das Lachen.
„Schau, Mia, ich liebe dich, ich will mein Leben mit dir verbringen." Er fasste nach ihren Händen. „Du kommst aus einem vermögenden Elternhaus, hast einen gutbezahlten Job, ich habe dich doch nicht aus dem Obdachlosenasyl gerettet! Es ist halt im Moment ein wenig eng bei dir, aber das ist doch nicht deine Schuld!
Wie stellst du dir denn die Zukunft nach deinen Spielregeln vor? Wenn wir in Urlaub fliegen, wenn wir shoppen gehen, willst du dein Leben lang getrennte Kasse machen, dein Leben einteilen in dein und mein? Ich hatte halt das Glück, geerbt zu haben und einen Job, der zurzeit sehr gefragt ist. Kannst du nicht einfach sagen: Ich habe mir einen tollen Hecht geangelt, der auch noch Kohle hat, und der mit mir zusammen das Leben genießen will? Und ich mache ihm einfach die Freude, weil er ein so toller Hecht ist?"
Mia konnte das Lachen nicht mehr zurückhalten.
Sie prustete los. „Also, bevor du das Geld der CSU spendest, teile lieber ich mit meinem tollen Hecht! Wenn du SPD gesagt hättest, wär's nicht so einfach gewesen, mich zu überzeugen!"
„Du meinst, ich habe dich überzeugt?" Hannes glaubte nicht so recht an ihre Worte. So leicht würde sie es ihm nicht machen.
„Jaaa!" Sie wand sich noch ein bisschen. „Grundsätzlich hast du ja Recht!"
„Aber?"
„Was willst du denn jetzt von mir hören? Hau die Hälfte von deinem Geld auf mein Konto, damit wir geteilt haben? Besorge mir eine Kreditkarte no Limit für dein Konto?"
„Ja, da sind zwei Supervorschläge! Das mache ich gleich morgen!" Er grinste sie an. „Aber es würde mich schon freuen, wenn du von deinem Konto Geld holst und es einfach ausgibst, weil es deines ist und du es als deines ansiehst!"
„Und wann, mein supertoller Hecht, hätte ich das in den letzten Tagen bitteschön machen sollen?"
„Aber du hättest es in zehn Jahren nicht gemacht, gib es zu!"
„Ich bekenne mich schuldig, Euer Ehren!"
„Und du holst morgen Geld und haust es auf den Kopf?"
„Ich hole morgen Geld und zahle dir die Kopien!"
„Dann muss ich aber schnell ausrechnen, wie viel ich bekomme, damit du mich nicht betrügst!"
Sie hielt ihn auf, nahm ihn in den Arm.
Er küsste ihr Haar. „Wirst du irgendwann einmal sagen: Hannes gib mir ein paar hundert Euro, ich brauche neue Kleider?"
„Vielleicht! Vielleicht sage ich auch nur: Hannes, liebe mich, denn das ist mir viel wichtiger als das Geld?"
„Du hast Recht, süße Mia, Liebe meines Lebens, das ist viel wichtiger!" Er zerfloss schon wieder vor Glück.
„Dann haben wir heute beide Recht?"
„Ja, natürlich! Aber jetzt sag es einfach!" flüsterte er.
„Liebe mich, Hannes!" hauchte sie.
Er sah ihr tief in die Augen.
Er würde es merken, wenn ein Rest von Dunkelheit dort zu sehen war, und er wollte um nichts in der Welt das Klischee bedienen, dass guter Sex alles ins Lot brachte, was in Schieflage geraten war.
Er wollte sie niemals lieben, damit alles wieder gut würde.
Er wollte sie lieben, weil alles wieder gut war.
„Alle klar, Kätzchen?" fragt er zur Sicherheit noch nach.
Das Strahlen ihrer Augen war eindeutig und ließ keine Zweifel mehr zu. Dann erst erfüllte er seinen Wunsch, den er als ihren von ihr eingefordert hatte. Und es war ihm im Moment egal, ob sie sein Geld wollte, Hauptsache war, sie wollte ihn, ihr Leben lang.
Um acht Uhr merkten sie, dass sie seit dem späten Frühstück nichts mehr gegessen hatten. Sie bestellten Thai Food, tranken noch ein Glas Wein und legten sich schlafen. Der Alltag stand ins Haus.
Der erste Arbeitstag war angebrochen. Um sechs Uhr läutete der Wecker. Es war ein himmlisches Gefühl, neben ihrem höchstattraktiven Hannes aufzuwachen, aber auch schwer, sich gegen seine Zärtlichkeiten zu wappnen.
Wie gerne wäre sie ihm auf dem Weg der Liebe gefolgt!
Aber er nahm sich selbst zurück. „Entschuldige, Süße! Das ist nicht fair!" Ein letzter Kuss und sie sprang ins Bad. Im Spiegel betrachtete sie ihre strahlenden Augen und ihren dauerlächelnden Mund.
„Hallo, Mia! Schön, dass du wieder da bist!" Einen Moment wurde ihr schwach vor Glück. Dann fing sie an sich zurecht zu machen. Sie schlüpfte in ein Jeanskostüm mit weißer Bluse.
Hannes hatte ein wunderschönes Frühstück gemacht.
In der Bäckerei hatte er frische Brötchen geholt.
Der junge Bäcker verabschiedete ihn mit den Worten: „Einen schönen Gruß an Ihre reizende Freundin, Herr Dr. Maybach!"
„Aha!" antwortete Hannes grinsend. „Noch ein gebrochenes Herz auf ihrem Weg!"
„Na, da müsste man ja kein Mann sein, wenn einem bei ihrem Anblick nicht das Herz brechen würde!" scherzte der Bäcker. „Aber das ist auch eine ganz Nette, oder?"
„O ja! Das ist sie!" Hannes ging stolz und glücklich zurück zu der nettesten Schönheit, die er je kennengelernt hatte. Er zündete ein paar Kerzen an, machte Schnittchen zurecht, kochte Kaffee. Als Mia zu ihm kam, blieb ihm wieder einmal das Herz stehen, so schön sah sie aus. So sollte er sie aus dem Haus lassen? Er küsste sie vorsichtig.
„Einen schönen Gruß an die schöne Mia soll ich dir vom Bäcker ausrichten!"
Sie grinste ihn an. „Danke!"
Mia genoss das Essen, genoss den Anblick des Mannes in ihrem Leben, genoss das Leben.
Schweren Herzens ging sie fort, schweren Herzens ließ er sie gehen.
Als Mia das Schulhaus betrat, freute sie sich auf die Kids, auf ihre Arbeit, auf ihre Kollegen.
Als erstes ging sie ins Sekretariat, um ihre neue Adresse und Telefonnummer zu melden.
Der Chef rief sie durch die offene Türe zu sich. „Frau Dr. Leissen, kommen Sie doch bitte einen Moment herein!"
Er begrüßte sie herzlich.
Er schätzte die junge Kollegin sehr, von der Qualifikation her war sie an der Schule der Superstar. Ihre Veröffentlichungen waren ungewöhnlich für ihr Alter.
Sie kam mit den Schülern aller Jahrgangsstufen bestens zurecht, vor allem mit den pubertierenden Kids der Mittelstufe.
Ihren unmöglichen Ehemann hatte sie zum ihrem Glück verlassen. Eine Tochter wie sie hatte er sich immer gewünscht, leider waren ihm und seiner Frau Kinder verwehrt geblieben. Sie war im Kollegium sehr beliebt, weil sie immer freundlich, immer kollegial war. Ein paar Männer gingen mit Sicherheit beschwingter zur Arbeit, seit sie an der Schule war.
Die Abiturienten büffelten wie verrückt, um ihr zu imponieren. Er versuchte immer, ihren Stundenplan so gut wie möglich für sie zu gestalten, damit sie seiner Schule ja erhalten blieb.
Heute hatte er noch ein besonderes Sahnebonbon mit ihr zu besprechen.
Er sah sie aufmerksam an. Irgendwie schien sie verändert, sie strahlte noch mehr als sonst.
„Setzen Sie sich bitte, Frau Dr. Leissen. Also Folgendes: Mitte März ist Sachwaltersitzung für Bayern. Wie Sie wissen, bin ich der Vorsitzende. Ihr Mathebuch 1 bis 6 ist ja jetzt im zweiten Schuljahr in der Erprobung, wird von den Kollegen euphorisch gelobt. Ich hätte gerne, dass dieses Lehrwerk bayernweit zugelassen und eingesetzt wird. Deshalb möchte ich Sie bitten, bei dieser Sitzung das Werk vorzustellen, den Aufbau zu erklären. Termin wäre der 16. März, 15 Uhr, hier in unserem Haus."
Mia klingelten die Ohren.
Bayernweite Zulassung, euphorisch gelobt, das hörte sich sehr gut an.
„Danke schön, Herr Dr. Wagner!" brachte sie gerade noch heraus.
„Sie brauchen mir nicht zu danken! Sie haben etwas sehr Gutes geschaffen, die Kollegen sind echt begeistert!" Er lächelte sie väterlich an. „Gestatten Sie mir die Frage: Sie wirken irgendwie verändert?"
Mia lächelte. „Ich habe mich verliebt!" gestand sie.
„Das freut mich! Ich hoffe, es passt besser als bei ihrem Ehemann!"
„Mit Sicherheit! Am Donnerstag ist übrigens Scheidungstermin! Aber ich lebe jetzt bei Dr. Hannes Maybach, er ist Diplominformatiker, er möchte sich unseren Computerraum mal ansehen, eventuell gegen ein Spendenquittung eine neues Programm installieren. Ich wollte Sie nur fragen, ob Ihnen das Recht wäre!"
„Na, das wäre ja dann ja auch ein Glücksfall für unsere Schule! Ich habe natürlich nichts dagegen! Und das mit der Buchvorstellung geht in Ordnung?"
„Ja, natürlich! Es liegt mir zwar nicht so sehr, meine Arbeit so zu präsentieren, aber da springe ich dann schon über meinen Schatten!"
„Dann wünsche ich Ihnen einen schönen Tag!"
Der Studiendirektor sah ihr nach, wie sie flott sein Büro verließ und dachte an die Zeit zurück, als sie vor viereinhalb Jahren an seine Schule kam.
Doktor der Germanistik, Diplom in Mathematik.
Mit 24 Jahren die jüngste Studienrätin in Bayern. Das Kollegium hatte einen Blaustrumpf erwartet mit strenger Frisur und Hosenanzug, der sich mit Ellbogen an die Spitze gekämpft hatte.
Außerdem war sie die Tochter eines Uniprofessors, da waren bestimmt auch ein paar Beziehungen im Spiel gewesen, auch bei ihren ausgezeichneten Prüfungsnoten.
Was dann bei der ersten Konferenz ins Lehrerzimmer kam, war ein wunderhübsches Püppchen, mit langen Locken, aber großen, traurigen Augen.
Erst dachten sie, eine Schülerin hätte sich verirrt. Ein wenig belächelten die älteren Kollegen die Kleine, erwarteten ein Fiasko mit den Schülern.
Doch schon bei der zweiten Konferenz zwei Monate später hatte sie die Hochachtung aller erlangt. Die Eltern waren begeistert, die Schüler ebenso, die Kleinen liebten sie, die pubertierende Mittelstufe fraß ihr aus der Hand, die Oberstufenschüler verliebten sich reihenweise in sie, die Mädchen bewunderten sie, wollten werden wie sie.
Ihre Doktorarbeit war ein Bestseller gewesen, viele Kollegen hatten sie mit großem Spaß gelesen. Ihre Diplomarbeit über den Mythos der Dyskalkulie brachte viele neue Denkansätze.
Sie kam meist als erste, ging erst spätnachmittags nach Hause. Die Augen wurden immer trauriger, sie hatte dunkle Ringe unter den Augen.
Dann kam der Tag des Schulfestes, an dem ihr Mann angetrunken mit einer fürchterlichen Frau im Arm auftauchte und sie vor allen dumm anquatschte. Im Kollegium wurde der Vorfall ihr gegenüber totgeschwiegen.
Am nächsten Tag meldete sie eine Adressänderung, ein paar Tage später ihre Namensänderung. Sie war nun Dr. Mia Leissen, und von diesem Tag an blühte sie auf. Die Traurigkeit verschwand aus ihren Augen, die Ringe verschwanden.
Später zog sie wieder zurück in ihr Haus, er befürchtete, sie wäre zu ihrem Mann zurückgegangen. Aber sie hatte ihn wohl hinausgeworfen. Sie hatte diese Mathebücher verfasst, über die das Kollegium begeistert war.
Nun hatte sie sich offensichtlich sehr verliebt in einen passenden Mann. Er wünschte ihr alles Glück der Welt.
Mia flog in den Unterricht. Die Kleinen freuten sich über die farbigen Arbeitsblätter und ihre supergute Laune. Die neunte war etwas besser drauf als vor den Ferien. Mia ließ sie erst einmal über ihre Faschingserlebnisse erzählen. Der eine oder die andere hatte sich verliebt auf einer Party, dafür hatte Mia mehr Verständnis als jeder andere Mensch der Welt, und das fühlten die Schüler. Deshalb arbeiteten sie auch nach der Pause in Mathe sehr gut mit. Ein paar Späße, ein bisschen Schlagabtausch mit ihrer verehrten Lehrerin lockerten wie immer den Unterricht auf.
Der Leistungskurs Mathe begann wie immer sehr erwachsen, die jungen Leute schätzten es, dass Mia sie als ihresgleichen behandelte.
„Warum strahlen Sie denn heute so, Frau Dr. Leissen?" fragte Philipp, der Klassensprecher.
„Weil ich mich freue, Sie alle endlich wiederzusehen!" gab Mia zurück.
Manche der männlichen Abiturienten nahmen das sehr persönlich, freuten sich auf die Zeit nach dem Abi, wenn sie um die schöne Lehrerin werben konnten.
Im Leistungskurs Deutsch lief es ähnlich, allerdings stöhnten die Schüler, als sie ihnen die Literaturliste vorlegte, die in diesem Schuljahr noch zu behandeln war.
Um 12.15 hatte nur noch ein Gedanke in ihrem Kopf Platz: „Hannes, bald bin ich zu Hause!"
Sie schnappte sich aus ihrem Fach die Mathebücher 1 bis 6 mit Lehrerhandbüchern, um schon einmal zu überlegen, wie sie das Gesamtwerk vorstellen sollte.
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