Kapitel 19

Als sie später, noch bebend von der Lust und der Befriedigung, an ihn geklammert in seinen Armen lag, war er wieder einmal der glücklichste Mann auf Erden an seinem glücklichsten Tag. Er liebte diese Minuten nach der Liebe, wenn sie die Nachbeben genossen, die Erfüllung der Lust, die sie sich bereitet hatten.

Langsam fanden sie wieder zur Erde zurück. „Wollen wir uns wieder Abendessen bestellen oder gehen wir aus?" fragte er.
„Heute gehen wir aus! Die Schneemassen sind ja endlich weggetaut!"
„Aber gestern so eingeschneit, das war auch schön, oder?" fragte er schelmisch.
„Ja, das war auch sehr schön! Dann mach ich mich mal fertig!" Sie wollte aufstehen.
„Mach langsam Süße, noch ein bisschen kuscheln." bat er.

Das war auch etwas, was er früher nicht kannte, dass er nach dem Zusammensein mit einer Frau noch so gerne ihr Nähe und Wärme spürte. Kuscheln war ein Fremdwort für ihn gewesen. Er war immer ganz schnell ins Bad verschwunden, hatte sich je nach Tageszeit entweder gleich angezogen oder war eingeschlafen. Er hatte alle Frauen respektvoll behandelt, versucht, ihnen gut zu tun, hatte aber nie diese Nähe gefühlt.

Seine Mutter hatte ihnen zu ihrem 18. Geburtstag ein Buchpaket geschenkt.
Er musste heute noch grinsen, wenn er daran dachte.
Es war Literatur darüber, wie man Frauen behandeln sollte, was Frauen wirklich wollten und so weiter.
Damals waren sie ein wenig peinlich berührt, hatten aber doch viel gelernt.
Seine Eltern lebten in einer sehr erotisch angehauchten Beziehung, noch heute knisterte und prickelte es zwischen ihnen gewaltig.

Das hatte die Brüder auch geprägt, wie der Vater seine Frau behandelte, wie er stets liebevoll mit ihr sprach, sie auf Händen trug, immer kleine Zärtlichkeiten mit ihr austauschte.
Aber man muss halt auch die richtige Frau dafür finden, die all das annahm und der man all das geben wollte.

„Und wohin möchtest du gehen, Süße?" fragte er schließlich.
„Ist egal! Wir bummeln durch die Stadt, lesen die Speisekarten, und wenn wir was finden, was uns schmeckt, gehen wir rein!"
„Das klingt nach einem guten Plan!"
Als sie aus dem Bad kam, war Hannes schon angezogen.
Wieder einmal stockte ihr der Atem.

Er hatte sich total schick gemacht. Dunkle Hose, weißes Hemd, Krawatte, braunes Leinensakko.
„Hallo, mein Herr, warum haben Sie sich denn so fein gemacht?"
„Ich habe heute ein Date mit einer bezaubernden Schönheit! Ich darf sie zum Essen ausführen!" Sie schmachtete ihn an. „Na, da muss ich mal sehen, ob ich was finde, damit ich zu diesem eleganten Herrn passe!" Hannes wartete lieber nebenan, ihr beim Anziehen zuzusehen hätte das Projekt Essen gehen sicher gefährdet.

Sie wählte ein hellbraunes Etuikleid mit einem blauen Jäckchen, zog die Overknees dazu an. Sie betrachtete sich im Spiegel, war zufrieden.
Als sie ins Wohnzimmer kam, pfiff Hannes durch die Zähne.
Er sah sie lange an. „Puh! Vielleicht können wir uns doch eine Pizza bestellen?"
„Nichts da! Jetzt habe ich mich so mühsam eingepackt, jetzt führst du mich auch aus!"

Hannes lachte.
Ja, heute wollte er seine kleine Schönheit ausführen, am besten in alle Lokale der Stadt, damit so viele Männer wie möglich ihn beneiden konnten. Sie flitzte noch schnell ins Bad, steckte die Locken auf einer Seite mit einem Kämmchen aus dem Gesicht, brachte  einen Ohrring an: Lange Weißgoldfäden mit ein paar Saphiren, das Weihnachtsgeschenk ihres Vaters.
Hannes schloss die Augen. „Kannst du mich in die Stadt führen? Denn anschauen darf ich dich heute nicht mehr."

„Das geht nicht, weil ich auch die Augen zu habe!" konterte sie.

„Na, denn! Dann muss ich als Mann halt in den sauren Apfel beißen!"
Sie schlüpfte in ihren neuen Wintermantel, einem gefütterten Trenchcoat in mittelblau, er in ein ähnliches Modell in braun. Sie sahen sich im Garderobenspiegel an. „Wow!" sagte sie. „Sind wir nicht ein hübsches Paar?"

Hannes lächelte ihr im Spiegel zu. „Das kannst du laut sagen! Aber der eine Teil des Paares ist schon besonders hübsch!"
„Also für so eitel hätte ich dich jetzt nicht gehalten, Herr Dr. Hannes Maybach!"

Hannes grinste sie an. „Kleines Biest!"
Dann zogen sie engumschlungen los. Er hatte ein bestimmtes Lokal im Sinn, lotste sie geschickt durch die Stadt. Das französische Restaurant war derzeit sehr in, aber er war noch nie dort gewesen. Mia merkte schon, dass er sie ein wenig manipulierte, spielte das Spiel aber gerne mit. Er kannte sich mit Sicherheit in der Szene besser aus als sie.
Sie bekamen tatsächlich noch einen Platz, bestellten eine Flasche Wein und zwei entrecote durchgebraten. Sicherheitshalber saßen sie gegenüber, er spielte mit ihrem Ohrring. „Hübsch!" sagte er leise.
„Von meinem Papa zu Weihnachten!" erklärte sie.

„Und er meint wohl, er muss sein hübsches Töchterchen noch hübscher machen?"

Sie lächelte ihn versonnen an. „Mein Papa wird dich mögen!"

„Das würde mich freuen!"
„Er wollte immer nur, dass ich glücklich bin!"
Hannes schenkte Wein ein, stieß mit ihr an. „Da haben wir ja einen großen Wunsch gemeinsam, dein Papa und ich!"
„Bei Mama wirst du es schon schwerer haben! Die wird dich schon erstmal auf Herz und Nieren prüfen!" lachte sie.
„Wenn sie mit dem Herzen anfängt, habe ich gute Karten!"
Mia sah ihn schmunzelnd an. „Heute schlägst aber du mich mit Worten, mein Traummann!"
„Und das will was heißen!"

Das Essen kam, sie ließen es sich schmecken.
Freunde von Hannes kamen an den Tisch, musterten Mia.
Das war doch die Kleine aus dem ZAP vom Montag! Schau an, da hat er es aber schon lange mit ihr ausgehalten!

Na ja, sie würden sie im Auge behalten, irgendwann servierte er sie schon wieder ab, dann brauchte sie bestimmt einen Tröster. Einer, der hübsche Blonde, der sie im ZAP als erster aufgefordert hatte, setzte sich.
Hannes verdrehte die Augen. „Darf ich vorstellen? Patrick – Mia!"
„Ich glaube, wir kennen uns!" meinte Patrick.
Mia grinste, Hannes funkelte ihn an.

„Kennen? Du hast einmal getanzt mit ihr!"
„Aber ich habe die älteren Rechte! Ich habe sie vor dir entdeckt!"
„Das täuscht, Patrick! Ich habe sie schon am Samstag entdeckt! Ich war bloß zu blöd, um sie festzuhalten! Aber das passiert mir kein zweites Mal! Das kannst du auch den anderen sagen, falls sich jemand Hoffnungen machen sollte!" Er lachte den Kumpel an. „Und jetzt ab mit dir! Ich möchte in Ruhe weiter turteln!"

Und das taten sie dann auch ausgiebig. Sie tranken in aller Ruhe ihren Wein aus. Hannes genoss die Blicke der Männer auf seine Schöne, Mia genoss die Blicke der Damen auf ihren schönen Hannes. Engumschlungen gingen sie in die Winternacht hinaus, viele Augenpaare folgten dem verliebten Paar. Sie gingen ein paar Schritte, standen plötzlich vor dem Hauseingang, in dem sie am Dienstagmorgen fast den Verstand vor Begehren verloren hatten. „Weißt du noch?" fragte er leise.

„O ja, das vergesse ich in meinem Leben nicht! Ich war so verrückt nach dir, und wusste, nicht was ich tun sollte!"
„Ich habe gedacht, ich überlebe das nicht!" gestand er. „Ich wollte dir Zeit lassen, um deine Gefühle zu verstehen! Aber viel Zeit ist dann doch nicht draus geworden!"
„Das liegt daran, dass ich manchmal sehr schnell verstehe!"

Hannes lächelte sie an. „Touche, kleine Doktorin!" Er küsste sie wie am Montag, heiß, leidenschaftlich, seine Hände suchten Haut, fanden zum Glück den Eingang am Mantel. Sie streichelte die Stelle an seinem Haaransatz im Nacken, er verlor fast den Verstand. Stöhnend machte er sich los. „Und jetzt, kleiner Teufel?"

„Einatmen, ausatmen, weiter atmen!" wies sie ihn an.
Er lachte, die Erregung ging um ein µ zurück. Er atmete eine Weile weiter, bis er sich ein wenig beruhigte. „Jetzt brauche ich einen Kaffee!" stöhnte er.
„Hilft der?"
„Nein, aber in einer Bar wirst du vielleicht die Hände von mir lassen!" Er grinste sie frech an. „Also, da hinten darfst du mich echt nur zu Hause anfassen, Süße!"
„Okay!" Sie grinste frech zurück.

Sie hat schnell gelernt, meine Schöne! dachte Hannes. Am Dienstag um vier morgens wollte sie panisch vor ihren Gefühlen davon laufen, ein paar Tage später genoss sie diese Gefühle in vollen Zügen. Sie hielten sich an den Händen und betraten ein kleine Bar, tranken einen Kaffee, küssten sich ein wenig, streichelten sich ein wenig.

„Möchtest du noch tanzen gehen?" fragte er leise. „Um die Ecke ist ein Club!"
„Ja, gerne, mit meinem supertollen Hannes tanzen gehen, ganz ohne Angst!" Er bekam wieder einmal feuchte Augen. Auch sie erinnerte sich an den Montag, als sie noch so unsicher war, was richtig und was falsch war. Heute wollte sie genießen, weil sie wusste, was richtig war: Ihn zu lieben und sich von ihm lieben zu lassen. Sie hatte den Anschluss ans Leben wieder gefunden.

Sie betraten den Club, gaben ihre Mäntel ab, Hannes nahm seine Krawatte ab, steckte sie in die Manteltaschen, sie suchten sich einen Platz.
Wieder folgten ihnen viele Blicke. Hannes grüßte nach links, nach rechts, schien auch hier gut bekannt zu sein. Er holte Getränke, an der Bar gesellten sich sofort zwei hübsche Mädchen zu ihm. Er unterhielt sich eine Weile, schien die beiden zu kennen.

Mia beobachtete die Szene vollkommen ruhig, ohne Eifersucht. Mit Sicherheit gehörten die beiden der Vergangenheit an, nicht der Zukunft. Eigentlich war sie nur stolz.
Himmelt ihn ruhig an, denn er gehört zu mir! dachte sie.
Plötzlich stand ein junger gutaussehender Mann vor ihr, wollte sie zum Tanzen holen. Sie lehnte lächelnd ab.
Er setzte sich neben sie. „Du bist doch die Kleine, die uns Hannes am Rosenmontag weggeschnappt hat?"

„Ja!" lachte Mia. „Das Leben ist oft grausam, oder?"
„Das kannst du laut sagen! Ich schlafe seitdem keine Nacht mehr!"
„Wahrscheinlich schläfst du am Tag, weil du jede Nacht unterwegs bist!" scherzte sie.
„Logisch, ich musste dich ja überall suchen! Ich heiße übrigens Niklas, und du?"
„Ich nicht!" sagte Mia. „Und übrigens, ich weiß ja nicht, wie du zu Hannes stehst, aber er kommt gerade zurück!"

Niklas grinste sie an. „Danke für die Warnung!"
Er stand auf, Hannes war schon am Tisch.
Die beiden begrüßten sich herzlich. „Hast du ein bisschen auf mein Mädchen aufgepasst?" fragte Hannes. „Ich danke dir! Weißt du, überall wo wir hinkommen, baggern sie irgendwelche Typen an! Da ist es gut, wenn man Freunde hat, die sie beschützen vor den aufdringlichen Kerlen!"
Er grinste Niklas an, der grinste zurück.

„Darf ich vorstellen: Mia, die Liebe meines Lebens – Niklas, mein Kollege bei Siemens."
Der junge blonde Mann setzte sich noch ein bisschen zu ihnen, berichtete Hannes über ein paar Störfälle am Hauptrechner, sie diskutierten Lösungen, fachsimpelten ein wenig.
Mia hörte fasziniert zu, auch wenn sie kein Wort verstand. Sie konnte den Blick nicht von Hannes wenden, sie liebte es, wenn er diese ganzen Fachausdrücke aussprach, Gerätenamen nannte, die sie noch nie gehört hatte, die Fachkompetenz ihm aus allen Poren drang, sie war verrückt nach diesem Diplominformatiker!

„Und was machst du so, schöne Frau, die nicht Niklas, aber dafür Mia heißt?"
Sie lachte, Hannes sah verständnislos drein. „Ich bin Lehrerin am Goethe, Deutsch und Mathe."
„Deutsch und Mathe? Na, da hast du dir ja ein Brett ausgesucht!" sagte der andere bewundernd.

„Mensch, Hannes, so eine schöne Lehrerin hätten wir auch gerne gehabt, oder? Vielleicht hätte ich dann die Integralrechnungen auch kapiert!"
„Die hättest du schon bei Frau Müller auch kapiert, wenn deine Augen nicht immer in den Ausschnitt von Anita gefallen wären!"
„Ja, der Herr Überflieger redet sich leicht. Wenn man 13 Jahre lang eine Eins in Mathe hat, sind meine Probleme natürlich unverständlich."
„12 Jahre!"

„Wie, hast du einmal eine zwei gehabt?"
„Nein, ich war nur zwölf Jahre in der Schule! Und jetzt verzieh dich, ich muss meine Süße küssen!"
Als Niklas weg war, tat er, was er tun musste und küsste sie leidenschaftlich. Mia war ein bisschen zurückhaltend, es war ihr ein wenig peinlich.
„Komm, sei locker, Süße! In einem Club muss man knutschen!"
„Echt?"

„Ja, Hausregel Nr. 1: Leidenschaftlich küssen.
Regel 2: Leidenschaftlich küssen und streicheln!" Er zeigte ihr, wie sehr er die Regeln einhalten konnte.
„Regel 3: Ganz eng tanzen!" Er führte sie zur Tanzfläche.
„Regel 4: Ganz eng tanzen und leidenschaftlich küssen!" Sie vergaß fast das Atmen.
„Regel 5: Ganz eng tanzen , leidenschaftlich küssen und streicheln!"
„Regel 6: Atmen!" Sie holte tief Luft, genau wie er.
„Regel 7: Mia mit den weichen Knien zum Platz führen und schwierige Matheaufgaben lösen!" flüsterte sie.
„Genau! Du hast die Regeln im Aushang auch gelesen?"
„Nein, aber ich kann logisch denken!" Sie lachten beide. Mia war so glücklich, nicht nur einen so gutaussehenden, so intelligenten, so netten Mann kennengelernt zu haben, sondern auch einen mit Sinn für Humor, mit dem sie sich in ihrer Schlagfertigkeit messen konnte. Das machte einfach nur Spaß.

„Also, was berechnen wir?" fragte sie.
„Wie oft ich dich noch lieben darf bis zum Ende meines Lebens?"
„Zu viele Unbekannte!"
„Aber nach den Gesetzen der Stochastik durchaus einzugrenzen!"
„Eingrenzen ist aber nicht berechnen! Aber es wirkt schon!" lachte sie.
„Dann können wir ja wieder Regel 1 befolgen!"
„Halt warte mal! Wer waren den die beiden Hübschen an der Bar?"
„Die, mit denen ich gesprochen haben, während sich Niklas an dich rangemacht hat?"
„Rangemacht! Der hat doch nur auf mich aufgepasst!"

„Aufgepasst? Niklas? Da ist der gerade der Richtige!"
„Also, wer waren die Mädels?"
„Ist die kleine süße schöne Frau Doktor endlich mal eifersüchtig?"
„Nö, bloß neugierig!"
„Nicht ein bisschen eifersüchtig?"
„Nein, ich denke, wenn man Grund zur Eifersucht hat, ist eh alles zu spät! Also kann man es auch gleich lassen!"


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