Kapitel 15

Am Morgen wachte Hannes gegen neun auf, betrachtete seine süße Mia lange, immer noch konnte er nicht so recht fassen, dass sie wirklich in seinem Leben war, in seinem Leben bleiben würde. Er dachte an den Ball, an den Abend in der Bar, den langen Abschied auf der Treppe.

Er hatte sich auf den nächsten Tag gefreut, er würde sie anrufen, sich mit ihr treffen, sie näher kennenlernen. Dann kam Robert zurück, erzählte irgendetwas, das einzige, was er verstand, was hängenblieb, war: Sie ist verheiratet.

Mittlerweile war er überzeugt, dass ihr Schwager ihm etwas ganz anderes klar machen wollte, er aber so durcheinander war von ihrer Nähe den ganzen Abend, dass er einfach etwas in den falschen Hals bekommen hatte. Wenn seine Kleine nicht ihren ganzen Mut zusammengenommen hätte, und heute konnte er besser einschätzen, wie viel Mut sie für diesen Schritt gebraucht hatte, gäbe es sie als Paar nicht.

Er löste sich aus ihren Armen, wollte Frühstück machen, es ihr ans Bett bringen, ganz klassisch.
Sie brummelte unwillig, wachte aber nicht auf. Ihre Hand suchte nach ihm, sie rutschte in die Richtung, in der er gelegen hatte, tastete wieder, fand sein Kissen, zog es an sich, vergrub ihr Gesicht darin.

Seine Augen liefen über. Schnell ging er aus dem Zimmer, schlüpfte in seinen dicken Bademantel und rauchte erst einmal eine Zigarette auf dem Balkon. Die kleine, rührende Szene hatte sich in seinem Gehirn eingebrannt. Sollte er je, was er sich zwar nicht vorstellen konnte, aber sollte er je ein wenig an ihrer Liebe zweifeln, würde er sich daran erinnern, wie ihre Hand ihn gesucht hatte, wie sie ihr Gesicht im Tiefschlaf in seinem Kissen vergrub.
Es war eiskalt, aber sein Herz glühte vor Liebe.

Als er sich wieder ein wenig gefasst hatte, setzte er den Plan mit dem Frühstück in die Tat um. Mia träumte von einer Tasse Kaffee - so intensiv, dass sie ihn schon roch. Als sie die Augen öffnete, sah sie Hannes mit dem Tablett neben dem Bett stehen und strahlte ihren so attraktiven Traummann an. Sie merkte, dass sie sein Kissen im Arm hielt, stutzte kurz, ließ es los und sagte: „Schlechter Ersatz!" Sein Herz schmolz zum tausendsten Mal seit Montag.

„Guten Morgen, Engelchen!" flüsterte er.

„Guten Morgen, Hannes!" O Gott, wie gut er schon wieder aussah. Der Bartschatten machte ihn noch attraktiver! Sie setzte sich im Bett auf. Er stellte vorsichtig das Tablett ab, setzte sich neben sie, zog das Tablett auf sie beide. 

„Mh! Das hast du aber fein gemacht! Dankeschön!" Sie trank durstig einen Schluck Kaffee, himmelte ihn wieder an. Das T-Shirt, das er übergezogen hatte, war knall eng und betonte sein Muskeln mehr als es sie verbarg. „Hast du eigentlich auch ein Shirt ein paar Nummern größer, so ein flattriges, weites Ding?" fragte sie und grinste schelmisch.
„Ich glaube nicht!"

„Dann kaufe ich dir heute eins! So Größe 60/62! Besser für mein Seelenheil!"
Er lachte leise. „Jetzt iss was, du Clown!" Bevor du schon wieder zu locken anfängst! dachte er. Ich bin sowie so schon wieder am Limit!

Sie ließen sich die feinen Schnittchen schmecken, die er so liebevoll vorbereitet hatte, fütterten sich, neckten sich dabei, tranken den leckeren Kaffee mit aufgeschäumter Milch, streichelten sich ganz vorsichtig, küssten sich ein bisschen, turtelten verliebt.
„Weißt du, was mich aufregt?" fragte sie plötzlich.
„Nein, Mäuschen, aber ich bin sicher, du wirst es mir gleich sagen!"

„Dass es für Männer keine ordentlichen Kosenamen gibt! Du sagst immer so schöne Sachen zu mir, und ich? Ich kann nicht sagen: mein Schöner, mein Mäuserich, mein Engel! Mein Süßer wäre ja komplett daneben, Schatz ist zu abgedroschen, Liebling auch!"

Hannes lachte wieder einmal Tränen. „Ja, das ist wirklich ein schwerwiegendes Problem! Ich leide auch kolossal darunter!" Dann wurde er aber sehr ernst. „Weißt du, dass es wie die schönste Musik in meinen Ohren klingt, wenn du Hannes zu mir sagst?"

„Hannes ist ein schöner Name, er ist so männlich, er passt zu dir!"
„Danke! Eigentlich heiße ich ja Johannes, aber als wir in der ersten Klasse die Silben unserer Namen gezählt haben, war Markus immer sauer, weil er nur zwei hatte und ich drei. Also hat er Hannes aus mir gemacht!"

Mia lachte. „Na, Gott sei Dank hat er keinen Jonny aus dir gemacht!"
„Das hätte er wohl nicht überlebt!"
„Ist das Absicht von deinen Eltern gewesen mit den Evangelisten?"
„Wie?"
„Na, die Evangelisten Johannes, Markus, Matthäus und Lukas!"
„Das ist mir noch nie aufgefallen! Nein, das sind einfach die Namen unserer Großväter! Zum Glück sind wir gleich im Doppelpack gekommen, da war keiner beleidigt!"

„Wie ist das eigentlich, so als eineiiger Zwilling?"
„Sehr schön, wirklich, ich habe das immer toll gefunden. Wir sind uns sehr nah, vertrauen uns blind, immer schon!"
„Und habt ihr manchmal die Mädels ein bisschen gefoppt?"
Er lachte wieder. „So mit 16 / 17 manchmal, aber nie ernsthaft!"

„Und deine Eltern, was machen die?"
„Mein Vater ist Chefarzt der Chirurgie bei den Barmherzigen und meine Mutter Anästhesistin."
„Ui, da ist ja die geballte Intelligenz zusammengekommen!"
„Na, da kannst du ja auch ein Lied davon singen!"

„Und von euch wollte keiner Mediziner werden?"
„Nein, aus unerfindlichen Gründen konnten wir beide kein Blut sehen!" lachte Hannes.
„Ich hab's nach dem Abi bei einem Praktikum probiert, bin aber regelmäßig vor den Patienten kollabiert! Aber meins waren schon immer die Zahlen, und Markus liebte schon immer die Naturwissenschaften, er ist Dozent für Biochemie. Seinen Doktor hat er in Biologie gemacht."

„So, jetzt haben wir endlich mal die ganzen gescheiten Leute durch!"

Hannes lächelte sie an.

„Warum lächelst du so?" fragte sie.
„Ich lächle doch seit vier Tagen ununterbrochen!"
„Und warum machst du das?"
„Weil ich glücklich bin!"
„Und warum bist du glücklich?"
„Weil du mich so unheimlich glücklich machst!"
„Dann ist es ja gut!"

„Ja, süße Mia, alles ist gut!" Er brachte das Tablett in Sicherheit, zog sie endlich in seine Arme. Frühstück im Bett mit dieser Frau ist jetzt nicht die beste Idee! dachte er.
Am Tisch ist es ein bisschen leichter, die Beherrschung wenigstens für die Dauer des Frühstücks zu behalten, und man schmeckte manchmal sogar, was man aß.
„Gibt es nichts mehr zu essen?" fragte sie leise.

„Nein, nur noch Nachtisch!" antwortete er.
„Und was gibt es zum Nachtisch?"
„Ein paar Küsse!"
„Gut!"
„Reicht dir das schon?"
„Versuch's halt mal! Du wirst es dann schon merken, ob's mir reicht, oder ob ich nur noch hungriger geworden bin!"
Hannes folgte ihrem Rat und merkte bald, dass Küsse ihren Hunger nicht stillen würden, seinen sowieso nicht!

Nach dem Duschen machten sie mit dem Nachhilfeunterricht im Computerraum weiter. Es gefiel ihr so gut, dass sie gar nicht mehr verstehen konnte, dass sie sich bisher so gegen diese Technik gesperrt hatte. Sie lernte schnell, Hannes war begeistert, wie gut sie nach kurzer Zeit das Programm beherrschte.

„Ich könnte euch eine neue Word-Version beschaffen und installieren!" schlug er vor. „Ich kriege sie über Siemens günstig, und ihr schreibt mir halt eine Spendenquittung!"
„Das wäre toll! Was kostet sowas?"
„So zweitausend?"
Sie fiel fast vom Stuhl. „Das ist günstig?"

„Ja, ihr braucht ja eine Lizenz für mehrere Plätze, oder?"
„Schon, aber du kannst nicht mich und die Schule finanziell retten!"
„Doch, kann ich schon! Mein Steuerberater freut sich, wenn ich was zum Absetzen habe!"
„Du willst mich von der Steuer absetzen?"

„Oh, diese Germanistinnen! Bestrafen jede ungenaue Formulierung gnadenlos!"
„Hast du schon so viel Erfahrung mit Germanistinnen?"
„Da! Schon wieder! Oh, diese Germanistin! Bestraft jede ungenaue Formulierung gnadenlos! Korrekt?"
„Korrekt!"

„Also, zurück zum Thema. Soll ich euch Word 7 besorgen?"
„Ich sprech' mal mit dem Chef, okay?"
„Aber ich muss mir erst mal eure Computer ansehen, ob die kompatibel sind! Weißt du ungefähr, welche Modelle das sind?"

Sie bekam einen Lachkrampf. „Also, ich weiß, dass sie einen Knopf zum Ein-und Ausschalten haben, einen Bildschirm, so dick, nicht so flache Teile wie hier, eine Tastatur und eine Maus, die am Kabel hängt!"
Hannes lachte mit. „Na, das hilft mir schon weiter! Und sind sie aus Holz geschnitzt oder schon aus Kunststoff?"

„Ich glaube, aus Kunststoff!" japste sie
„Das lässt hoffen, dass sie aus diesem Jahrtausend sind! Kann ich am Mittwoch mal vorbeikommen?"
„Du willst ein Date mit mir im Computerraum?"
„O ja, Süße! Für Dates mit dir bin ich immer zu haben!" Er sprang schnell auf, wollte nicht schon wieder schwach werden. „Komm, wir gehen shoppen!"
„Och ne! Warum denn das?"
„Na, ich bin dir noch ein tolles Kleid und Schuhe schuldig, und du wolltest mir doch ein größeres Shirt kaufen!"

Sie sah zum Fenster hinaus. Es schneite in dicken Flocken, auf dem Boden lag ein feiner Schneefilm.
„Wir können nicht fort!" jubelte sie. „Wir sind eingeschneit! Ich hatte doch gestern schon so eine Ahnung!" 

Sie machte einen Schritt auf ihn zu. „Und dir ein weiteres längeres Shirt zu kaufen wäre Masochismus in Reinform!" Sie strich mit dem Finger am Saum seines knappen Oberteils entlang. „So ist es viel praktischer, da kommt man viel schneller an diesen perfekten Body ran!"

Hannes schloss die Augen, atmete flach. Wie sehr er es liebte, wenn sie so sprach mit ihm, wie sehr es ihn erregte, süße harmlose Worte, aber in ihrer Wirkung verheerend, oder vielmehr äußerst beglückend. Und ihre Ausdrucksweise, ihre Sprache, machten das Ganze noch komplett. Er hätte ihr stundenlang zuhören können, allerdings hätte sie da ein paar hundert Meter von ihm entfernt sein müssen.

Er hielt still, blieb vollkommen passiv, ließ ihre Hände mit ihm spielen, ließ sie seine erogenen Zonen streicheln, küssen, Zonen, von denen er nicht die leiseste Ahnung gehabt hatte, bevor sie sich mit ihm beschäftigt hatte. Er hätte es vor der Zeit mit ihr auch weit von sich gewiesen, überhaupt erogene Zonen zu haben. Aber ihre Hände suchten und fanden immer neue, ihre Lippen noch mehr.

Mia genoss es, ihn zu streicheln, zu küssen, ihn zu erregen, ihn in aller Ruhe hochzubringen an den Rand des Gipfels des Glückes. Sie wusste mittlerweile, dass er sie jedes Mal mit der Hingabe liebte, die sie schon beim ersten Mal so staunen ließ. Er sollte Ähnliches erleben dürfen, wenn es in ihrer Macht stand. Als er am äußersten Rand seiner Beherrschung angelangt war, hielt er ihre Hände fest. „Stop!" bat er, hob sie auf seine Hüften, küsste sie mit seinem ganzen Hunger, den sie entfacht hatte, trug sie zum Bett.

Dann gab er ihr alle Zärtlichkeit zurück, die sie ihm im Übermaß geschenkt hatte. Zum Glück hatten sie eine Großpackung Kondome gekauft, da ein Zentimeter Schnee sie ja daran hinderte, das Haus zu verlassen.
„Mia, schöne, süße Mia!" Mehr brachte er nicht an Worten zustande.
„Hannes, Mann meiner Träume!" Mehr Worte brachte auch sie dieses Mal nicht zustande.

Sie hielten sich in den Armen, konnten vor Glück kaum atmen. Sie bestellten sich später bei einem Lieferdienst chinesisches Essen, tranken ein Glas Wein dazu, wehrten sich nicht mehr gegen die Leidenschaft, die wieder aufflammte, rauchten auf dem Balkon eine Zigarette. Dann kuschelten sie sich auf das Sofa, hörten Musik, plauderten ein wenig, alberten ein wenig, küssten sich ein wenig, streichelten sich ein wenig, tanzten ein wenig, und wehrten sich nicht gegen die Leidenschaft, die wieder aufflammte.


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top