Kapitel 11

Dann aßen sie zu Abend. „Willst du nicht deine Taschen mal auspacken?" bat Hannes. „Damit es nicht so nach Besuch aussieht? Ich habe dir im Schrank Platz gemacht!"
Ihre Augen wurde feucht.
„Danke!" konnte sie nur sagen.
Sie ging ins Schlafzimmer, räumte ihre Wäsche, ihre Shirts und ihre Jeans ein.
Dabei fielen ihr die beiden Briefe in die Hand.
Sie setzte sich aufs Bett und öffnete die Umschläge, las fassungslos die beiden Schreiben.
„Dieser verdammte Idiot! Dieser verdammte Trottel! Dieser Teufel! Dieser Idiot!" tobte sie los.

Hannes hörte sie, erschrak fürchterlich!
Was hatte er denn getan, um sie so wütend zu machen?
Er raste ins Schlafzimmer, war kreidebleich. „Was ist los?"
Sie hielt zwei Briefe in der Hand. „Dieses Scheusal! Dieser Trottel" schimpfte sie weiter, ihr Gesicht war tränennass.
Hannes ließ sich neben ihr aufs Bett fallen, das Blut kam in den Kreislauf zurück.
Sie meinte nicht ihn!

„Mia, Süße, was ist denn passiert? Rede doch mit mir!" Sie hielt ihm die Schreiben hin, und er las.
Ein Brief war  von einem Anwalt. Sinngemäß stand darin, dass ihr FastEX auf der Hälfte des Hauses bestehe. Er sei in einer psychisch instabilen Verfassung gewesen, als er der Umschreibung zugstimmt hatte, das sei sittenwidrig gewesen, seine Lage auszunutzen, ärztliche Atteste lägen vor. Ebenso wolle er nicht mehr auf die Hälfte des während der Ehe erworbenen Vermögens verzichten, da sie wieder in einer Beziehung lebte, und auch nicht auf den Versorgungsausgleich. Außerdem werde er auf Unterhalt klagen.

Der zweite Brief war von ihrer Bank, die mitteilte, dass ihr Konto mit 4000 Euro überzogen war, und die EC-Karte deshalb gesperrt war.

Eigentlich war er erleichtert, dass es nur um Geld ging.
Er nahm sie in den Arm. „Komm beruhige dich Süße, ich kann es nicht ertragen, wenn du weinst!"
Sie schniefte noch ein bisschen, doch seine Nähe und Fürsorge beruhigten sie. „Erzähle mir bitte, was los ist!" bat er.

„Also, er wollte dieses verdammte Haus unbedingt bauen, weil er sich in der Wohnung mit allen Nachbarn zerstritten hatte. Da steckt mein ganzes Geld von der Doktorarbeit drin, 80.000 Euro, und 40.000 von meinen Eltern. 100.000 Euro noch Bankdarlehen.
Als ich von der Freundin erfahren habe, habe ich drauf bestanden, dass das Haus auf mich geschrieben wird. Er hatte damals wohl noch einen Hauch von Gewissen und hat zugestimmt. Alles andere haben wir besprochen, als ich die Scheidung eingereicht habe.
Dann ist er plötzlich auf die Idee gekommen, dass die Trennung doch noch nicht endgültig wäre, dass er sich noch nicht entschieden hätte, blablabla.
Und jetzt kommt er so!
Das sogenannte gemeinsam erworbene Vermögen ist mein absoluter Notgroschen aus ein paar Schulbuchsachen, die ich gemacht habe, Fortbildungen, Seminare an der Uni. Woher er das weiß, keine Ahnung!
Ich verdiene das Doppelte von ihm, da darf ich dann auch noch Unterhalt zahlen! Vielleicht hat er auch seinen Job wieder einmal geschmissen! Und von meiner Pension soll ich dann auch noch blechen!
Und dann hat er noch mein Konto abgeräumt, ich war eigentlich nie im Minus!
Aber das ist mit meine Schuld, weil ich ihn immer noch nicht als Verfügungsberechtigten habe streichen lassen!"

„Und woher weiß er von uns?"
„Das kann jetzt ein Schuss ins Blaue sein, weil ich ja zu Hause nicht erreichbar bin, oder Gabi, meine Nachbarin und seine Schwester hat etwas mitgekriegt und gequatscht! So viel zum Thema: Mia, wir stehen immer hinter dir! Ich wollte dieses verdammte Haus eh nie haben, ich wollte es auch nicht behalten, was soll ich allein mit dieser Bude da draußen? Ich wollte es verkaufen, meine Schulden bezahlen und mein sauerverdientes Geld wieder haben. Gut, ich könnte meine Eltern bitten, die haben genug, aber die haben mir von Anfang an von dieser Beziehung abgeraten, und ihr Geld ihm jetzt zu geben, kommt mir auch nicht richtig vor. Ich meine, ich verdiene gut, ich könnte das schon stemmen, aber ich sehe halt nicht ein, dass ich diesem faulen Idioten das Leben mit seiner Mieze finanziere!"

Hannes schwirrte ein wenig der Kopf.
Über die Doktorarbeit, die ein Bestseller gewesen war, hatten sie auch noch nicht gesprochen, ein paar Schulbuchsachen, Fortbildungen, Seminare an der Uni, ihre Eltern - das wäre eigentlich Gesprächsstoff für ein paar Wochen.

Er schwieg lange, überlegte, ob er einen bestimmten Vorschlag machen sollte, war sehr zwiespältiger Meinung, lag im Clinch mit sich selbst.
Dann wagte er es trotzdem.
„Und wenn ich dir jetzt sagen würde, dass ich genug Geld habe, um das alles in Ordnung zu bringen, würdest du mich wahrscheinlich vierteilen, oder?"

„So ungefähr, ja! Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich dein Geld nehme, um es meinem FastEX zu geben? Das wäre ja schon fast Slapstick!"

„Das habe ich mir schon gedacht! Und leihweise?"
„Da kann ich auch zur Bank gehen!"
„Aber ich würde keine Zinsen verlangen!"
„Schön blöd!"
Hannes gingen die Argumente aus.

Aber es war schon zu dumm!
Er hatte Millionen auf verschiedenen Konten rumliegen, verdiente außerdem zurzeit echt gutes Geld. Es wäre ein Klacks für ihn, alles für sie in Ordnung zu bringen.
„Ja, und was hast du dann für einen Plan?"
„Plan? Ja, Plan ist gut! Ich bin eben in ein paar Monaten pleite und heimatlos, aber endlich geschieden! Ich werde zwar fast ersticken daran, aber ich werde ihm das Geld geben und halt wieder neu anfangen!"

Er startete noch einen neuen Versuch.
„Mia, bitte hör mir in Ruhe noch einmal zu! Dieses Haus hat uns unser Großvater vererbt, ebenso wie ein dickes Aktienpaket. Unsere anderen Großeltern haben uns Immobilien in Millionenhöhe hinterlassen. Allein die Mieten können wir beim besten Willen nicht ausgeben. Ich verdiene bei Siemens sehr gut.
Das Programmieren läuft super, ich kassiere wie verrückt.
Heute habe ich einen Scheck von 60.000 Euro bekommen für eine Arbeit von zwei Tagen. Das soll jetzt keine Angeberei sein, aber ich weiß, dass du das auch nicht so siehst.
Ich will mein Leben mit dir verbringen, ich habe es mehrmals angedeutet, vielleicht hast du die Hinweise verstanden.
Wir sind zusammen, wir sind ein Paar, auch wenn wir uns erst kurz kennen! Und ein Paar teilt! Ich wünsche mir nichts mehr auf der Welt, als dass du hierbleibst, bei mir bleibst, nicht am Sonntag wieder zurückgehst in dieses Haus!
Du hast einen guten Job, verdienst eigenes Geld genug, um unabhängig zu bleiben. Aber ich möchte nicht, dass du dein Leben lang, unser Leben lang, diese Altlasten mit dir herumschleppen musst, jeden Monat an ihn erinnert wirst! Wenn wir ihm jetzt eine Art Abfindung zahlen, er dafür in eine schnelle Scheidung einwilligt, du dann das Haus verkaufst und bei mir bleibst, könnten wir unbelastet von diesem Typen unsere gemeinsame Zukunft beginnen!"

Mia hatte fassungslos zugehört.
Ja, dachte sie, ja, er hatte Recht!
Verflixt noch einmal, er hatte wirklich Recht.
Sie wollte bei ihm bleiben, nichts lieber als das. Sie konnte sich vorstellen, für immer bei ihm zu bleiben. Er hatte genug Geld, damit sie den Anderen endgültig loswerden konnte.

 Damit sie endlich frei sein konnte! Nicht Monat für Monat bluten musste! Eine Abfindung, das wäre die Lösung! Die Lösung für ihre gemeinsame Zukunft! Die Zukunft, die sie beide wollten, die sie so und so planen würden, weil es gar nicht anders ging, davon war sie überzeugt.

Sie hatte jetzt die Wahl: Sie konnte sein Angebot annehmen und die Zukunft unbelastet gestalten oder stolz und stur bleiben, dann musste sie ein Leben lang darunter leiden, eigentlich mussten sie beide darunter leiden.
Und sie konnte ja versuchen, Hannes das Geld zurückzuzahlen!
Vielleicht auch mit Hilfe ihrer Eltern!
Aber erst einmal wäre sie den anderen los, und das war das Wichtigste!
Diese verdammte Episode ihres Lebens endlich hinter sich lassen zu können!

„Das klingt aber jetzt nach einem wirklich guten Plan!" sagte sie schließlich leise. Sie lächelte ihn an.

„Nein! Echt? Mia, ich fasse es nicht!" Er nahm sie überglücklich in den Arm. „Wie das denn plötzlich?"
„Ja, manchmal schlägt ein Doktor der Mathematik eine Doktorin der Germanistik in der Argumentation! Nicht oft, aber manchmal!"
„Ich bin der glücklichste Mann der Welt! Aber du bist dir schon bewusst, dass mein Plan beinhaltet, dass du hier bleibst, bei mir bleibst, nicht mehr am Sonntag in dieses Haus zurückgehst?"
„Dieser Teil des Planes ist der beste!"

Er küsste sie mit all der Liebe, die er für sie empfand, und das war unendlich viel. Er kannte sie erst ein paar Tage und wusste doch schon, dass er sie nie wieder hergeben würde, nie wieder gehen lassen würde.

Immer hatte er in Beziehungen Panik gehabt vor zu viel Nähe, vor zu viel Klammern.
Er hatte seinen Freiraum gebraucht, wollte keinen Zentimeter von seiner Freiheit aufgeben. Doch seit dem Montagabend, als die Eifersucht ihn im ZAP gemartert hatte, als dieses schöne Mädchen mit anderen Männern getanzt hatte, wusste er, dass er gefunden hatte, was er gesucht hatte.
Und jede Stunde, die er mit ihr seitdem verbracht hatte, hatte ihn sicherer gemacht, dass genau sie die Richtige war.
Als könnte sie gerade in diesem Moment seine Gedanken lesen, fragte sie: „Was lässt dich eigentlich so sicher sein?"

„Ich habe eine Frau kennengelernt, die wunderschön ist, die wunderschönes Haar hat, wunderschöne Augen, wunderschöne Lippen, einen wunderschönen Körper! Eine Frau, die blitzgescheit ist, eine Frau, mit der ich lachen kann, wie noch nie im Leben, eine Frau, mit der die Liebe unbeschreiblich schön ist. Eine Frau, die mit mir Kondome kauft, in der Bank das kleine Dummchen spielt, die als Doktorarbeit einen Bestseller geschrieben hat und ein paar Schulsachen so nebenbei. Die Fortbildungen hält und Seminare an der Uni, eine Frau, um die mich die restliche Männerwelt beneidet, bei der ich aber vollkommen überzeugt bin, dass sie mich liebt, nur mich! Wie könnte ich da nicht sicher sein, dass ich mit ihr mein Leben teilen will?"

Sie schmiegte sich noch enger an ihn. „Glücklicher als ich kann keine Frau sein!" flüsterte sie mehr zu sich selbst. Hannes küsste sie zärtlich, dann schliefen beide ein, emotional am Limit.
Das war auch gut, damit sie irgendwie mal wieder in einen normalen Tag- und Nachtrhythmus kamen.


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