Kapitel 99

Lukas begleitete seine Familie noch bis zum Parkplatz. Viele Augen folgten dem gutaussehenden Arzt und seiner schönen Frau mit den reizenden Kindern.
Manchmal teilte das Schicksal schon ordentlich Glück aus! dachte der eine oder die andere. Die Kinder saßen in den Kindersitzen, Lukas wollte seine schöne Anja nur zum Abschied ein bisschen küssen.

Seine Lippen strichen sanft über die ihren, noch einmal und noch einmal, knabberten an ihnen, strichen wieder sanft, die Zunge liebkoste ihre Mundwinkel, lange, immer wieder, ihre Lippen öffneten sich, seine Zunge spielte mit ihrer, wurde fordernder, zog sich zurück, forderte alles!
Stöhnend löste er sich von ihr.

„Das mit dem Küssen muss ich jetzt endlich mal in den Griff bekommen!" seufzte er, fing aber gleich wieder von vorne an. Seit so langer Zeit liebte er es so sehr, sie zu küssen!
Schließlich konnte er sich doch von ihr lösen. Sein Herz raste, sein Atem jagte! Gut, dass die Arzthose so weit geschnitten war!
„Also, bis bald, geliebte Anja!" brachte er gepresst hervor.

In der Nacht kam es zu einer ernsten Komplikation.
Katrin fing an zu röcheln, das Herzchen schlug unregelmäßig. Lukas spritzen eine Minimaldosis Adrenalin, saugte das winzige Wesen ab, intubierte neu.
Alles war wieder gut!

Er war sehr froh, nicht nach Hause gefahren zu sein.
Dann piepsten die Instrumente bei einem anderen Frühchen, Lukas handelte auch hier hochprofessionell. Er sprach alles auf sein Diktiergerät, die Stationssekretärin würde es am nächsten Tag abtippen.

Er hielt Wache bei seinen Sorgenkindern, bis ihm die Augen zufielen. Er rief beim internen Notdienst an, bat um eine Nachtschwester, die ihn ablösen konnte. Dann legte er sich ein paar Stunden aufs Ohr, er wollte keinen Fehler wegen Übermüdung machen!

Doch bevor er einschlief, musste er noch ein bisschen von Anja träumen, seiner wunderbaren Frau. Schon wieder musste er eine Nacht ohne sie verbringen, und es würde auch nicht die letzte sein.

Er lächelte vor sich hin.
Aber immer wieder würde er zu ihr nach Hause kommen! Würde sie in den Armen halten dürfen, dieses zauberhafte Wesen, mit dem es damals im Alex leider nicht gepasst hatte, das ihn aber wenig später um eine Nacht gebeten hatte, bevor er sie darum bitten konnte!

Die ihm diese Nacht der Nächte geschenkt hatte, die sein Leben verändert hatte!
Die ihm die Liebe gezeigt hatte, ihm, der gedacht hatte, alles zu wissen darüber!
Und jetzt war sie seine Frau, die Liebe seines Lebens und würde es immer bleiben!
Mit dieser Gewissheit schlief er ein.

Doch lang war seine Erholungspause nicht.
Sein Piepser rief ihn auf die Frühchenstation zurück.
Katrin krampfte, schien zu würgen, ihr Herzchen raste. Er zog die Magensonde, spritzte vorsichtig ein krampflösendes Mittel. Sie beruhigte sich sofort. Er tropfte ihr mit der Pipette ein wenig Wasser in den Mund, sie schluckte, ihre Lippen machten ein Sauggeräusch.

Lukas lächelte. Die kleine Kämpferin hatte sich gegen den Schlauch gewehrt, der sie ernähren sollte, hatte ihm gezeigt, dass sie saugen wollte, schlucken konnte! Er fütterte sie mit ein wenig Babynahrung, kontrollierte die winzige Windel, auch die Verdauung funktionierte schon.
Glücklich streichelte er ihr verschrumpeltes Gesichtchen.
„So, Madamchen, dann könntest du ja jetzt den Onkel Lukas ein bisschen schlafen lassen!" flüsterte er ihr zu.

Er sprach noch alles ins Diktiergerät, gab der Schwester ein paar Anweisungen, legte sich wieder aufs Ohr.
Am Montag traf er Klaus, den Frühchenspezialisten der drei Stationsärzte auf dem Flur.
„Was machst du denn da? Hattest du nicht Sonntagsdienst?" fragte der Kollege ihn freundlich.
Lukas berichtete über die dramatischen Ereignisse, dann füllte er seinen Arbeitsnachweis aus, brachte das Diktiergerät der Sekretärin. Nach einem letzten Besuch bei Katrin fuhr er nach Hause.
Seine Familie war leider schon weg, aber mittags würde er sie ja sehen.

Anja und die Kinder aßen zu Abend.
„Kommt der Papa heute nicht mehr?" fragte Florian, und die alte Angst tauchte in seinen Augen auf. Vielleicht waren sie heute morgen zu frech gewesen?
„Nein, Florian, der Papa muss heute bei Katrin bleiben, er hat es euch doch erklärt."
„Aber morgen kommt er wieder?"

„Wenn alles gut ist. Aber wenn sie ihn noch braucht, wird er noch bei ihr bleiben!"
„Aber er ist unser Papa, nicht der von Katrin! Die hat selber einen!" maulte Chiara.
Anja setzte sich mit den beiden aufs Sofa, nahm sie in den Arm.

„Schaut, Mäuse, der Papa ist Arzt! Da muss er sich um die kleinen Babys kümmern, weil nur er das so gut kann! Die anderen Papas haben einen anderen Beruf, die können nicht die kleinen Kinder gesund machen! Und weil nur euer Papa das so gut kann, muss er halt manchmal im Krankenhaus bleiben! Aber er kommt ja immer wieder zurück! Er bleibt ja nicht in der Klinik, weil es ihm da besser gefällt, sondern weil sein Herz ihm sagt, dass er bleiben muss! Aber er hat immer ganz viel Sehnsucht nach uns, wenn er nicht da ist!"

Das verstanden die Kinder, dass nur der Papa Katrin helfen kann. Sie machten noch ein paar Matheaufgaben, dann brachte Anja sie ins Bett, zum ersten Mal seit langem alleine.
Ein paar Tränen musste sie schon hinunterschlucken, als sie die Kinderzimmertüre schloss.
Aber nur weil die Erinnerung plötzlich in ihr hochschoss an die vielen Male, als sie hier stand, alleine, krank vor Sehnsucht nach ihrem hübschen Jungen, dessen Kinder sie gerade zugedeckt hatte.

Wie sie dann immer alleine im Wohnzimmer gesessen hatte, sein Bild in Händen, blind vor Tränen. Sie hatte sich an seine Stimme, seine Lippen, seine Hände, seinen Körper erinnert!
Seinen Körper, seinen wunderschönen jungen Körper mit der weichen duftenden Haut! Sie hatte sich nur in den Urlauben gestattet, ihn hin und wieder zu berühren, weil sie genau wusste, dass sie ihm sonst vollkommen verfallen würde!

Hatte wieder und wieder an ihrem Entschluss gezweifelt, hatte sich wieder und wieder darin bekräftigt!
Sie wollte oft zum Telefonhörer greifen, um seine Eltern anzurufen, nachdem sie erfahren hatte, dass sie seine Eltern waren, hatte Panik, von einer lieben Schwiegertochter zu erfahren!

Und dann erfüllte plötzlich ein wahnsinniges Glücksgefühl ihr Herz!
Er war ja da, jetzt war er da bei ihr und seinen Kindern!
Niemand hatte daran geglaubt, dass ein so gut aussehender junger Mann fünf Jahre auf sie warten würde.

Sie hatte ihn in den Stimmen der Bekannten und Verwandten gehört, den Zweifel, wenn sie von ihrer kleinen Hoffnung gesprochen hatte.

Und doch war es geschehen! Sie war verheiratet mit diesem wunderbaren Mann, mit dem es damals im Alex überhaupt nicht zu passen schien, mit dem sie dann aber doch unbedingt eine Nacht verbringen wollte, der ihr in dieser Nacht zeigte, zu welchen Gefühlen sie fähig war, und der ihr das immer und immer wieder gezeigt hatte, ihr hübscher Junge, der es drauf hatte: beim Küssen, mit Worten und auch im Bett!

Am Morgen brachte sie die Kinder in den Kindergarten, fuhr zur Schule. Sie musste Uschis Klasse mitversorgen, kam nicht viel zum Nachdenken.
Eltern bedankten sich bei ihr für die Mühe, die sie sich mit dem Schullandheimaufenthalt gemacht hatte, fragten, was an dem Gerücht dran wäre, dass sie nächstes Jahr beurlaubt sei.

Sie bestätigte, ließ auch durchhören, dass sie vielleicht ganz aufhören würde.
In der Pause rief sie der Chef ins Rektorat, eröffnete ihr ihre Beurteilung. Der Schulamtsdirektor hatte sie von zwei auf vier zurückgestuft, ein Vorgehen, das sie ohne weiteres anfechten könnte, wie der Chef erklärte.

Auch er war ärgerlich auf den Boss, der seine beste Kraft so behandelte!
Aber Anja lachte nur. Es war ihr vollkommen egal geworden, was der Typ im Schulamt da gemacht hatte. Sie hatte abgeschlossen mit ihrem bisherigen Job, ihrem bisherigen Leben! Sie würde Zeit haben für ihre wunderbaren Kinder, ihren wunderbaren Mann, für sich.
Um 11.20 Uhr rief er sie auf ihrem Handy an, es war kleine Pause.

„Hallo, Sweetheart, ich bin schon zu Hause!" sagte er.
„Hallo, Lukas ! Das ist gut, wenn du zu Hause bist!"
„Soll ich die Kids vom Kindergarten abholen?"
„Ja, das wäre gut! Sie waren gestern eh schon wieder so ängstlich, weil du nicht nach Hause gekommen bist!" Das sollte kein Vorwurf sein, er verstand es aber auch nicht so.
„Soll ich Brotzeit besorgen?"

„Nein, das mache ich nach der Schule schnell!"
„Ich liebe dich, Anja! Ich liebe dich unendlich!" flüsterte er.
„Ich habe dich gestern vermisst! Unendlich vermisst!" gestand sie.
Auch das sollte kein Vorwurf sein, und auch das verstand er nicht so.
Er wusste, dass ihr klar war, dass manchmal anderes wichtiger war, als sie in die Arme zu nehmen!

Er wusste, dass sie verstand, immer verstehen würde!
Auf dem Balkon seiner Wohnung an jenem Morgen hatte er mit ihr seinen weiteren Weg besprochen, und sie hatte verstanden, so wie sie immer verstehen würde.
Sie würde es den Kindern erklären, damit auch sie verstanden, was sein Weg war.

Der Weg, der ihn aber auch immer wieder zu seiner Familie zurückführen würde, weil er ja sonst vollkommen in die Irre laufen würde.
Seine Berufung und seine Familie, dazwischen würde sein Leben sich abspielen, und es würde das wundervollste Leben werden, das ein Mann sich wünschen konnte!

Er legte sich noch eine Stunde auf das Sofa, stellte den Kurzzeitwecker aus der Küche auf 45 Minuten und verträumte die restliche Zeit.
Pünktlich stand er vor dem Kindergarten, als seine zwei wunderbaren Kinder in seine Arme flogen.

„Papa ist wieder da!" jubelten sie.
Er nahm sie beide auf die Arme. „Kinder, ich komme immer zurück! Ihr müsst mir das glauben!" Ihre Angst rührte ihn, aber sie mussten langsam einmal Vertrauen fassen.

„Die Mama hat uns schon erklärt, dass du Katrin helfen musst, weil das kein anderer kann!"
„Genau! Und deshalb muss ich eben manchmal in der Nacht in der Klinik bleiben, weil es immer wieder Kinder geben wird, denen ich helfen muss, okay?"
„Okidoki!" Chiara war überzeugt, dass er die Wahrheit sagte.

Dann liefen alle drei den Berg hinauf um die Wette.
Um Viertel nach eins kam Anja, wurde von ihren drei herzlich in Empfang genommen.
„Wie geht es Katrin?" wollte Anja als erstes wissen. Lukas berichtete von seiner Nacht und von der kleinen Kämpferin. „Ich wusste, dass sie dich braucht!" erklärte sie.
„Ja, es war gut, dass ich da war!"

Und wieder freute sie sich über sein Selbstbewusstsein. Er wusste, was er konnte, spielte nichts herunter, fischte vor allem nicht nach Komplimenten, etwas, das sie hasste.
Dann machten sie im Garten Brotzeit, Lukas telefonierte mit Christoph, Anja mit Uschi. Die Freunde waren etwas beruhigter nach den Telefonaten.

„Und Schnuckelanja, wie war dein Tag?" fragte er liebevoll.
Sie erzählte vom Racheakt des Schulamtsdirektors, lachte aber nur über die billige Revanche des alten Mannes.

„Na ja, das war ja klar, dass da noch was nachkommt. Deine Verbalattacke konnte er nicht einfach so hinnehmen. Aber sie war berechtigt und richtig."
Mein Gott, tat dieses Verständnis ihr gut! Tat es gut, dass er richtig fand, was sie sagte, was sie dachte. Sie musste ihn schnell küssen, nur ein bisschen, damit die Kinder nicht wieder motzten.


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