Kapitel 98

„Holt die Kleine mit Kaiserschnitt, das ist weniger belastend für das Kind!" riet er den Kollegen von der Gyn.

Christoph war Oberarzt für Frauenheilkunde in einer anderen Klinik gewesen, bevor er seine eigene Praxis eröffnete, wollte aber sein Kind hier in besten Händen wissen.
Lukas lief mit zum OP, gab Anweisungen, wie das Kind versorgt werden müsste, raste auf seine Station. Dort gab es seit neuestem einen Inkubator, entwickelt in den USA, verbessert nach Lukas Zusammenarbeit mit den Entwicklern.

Darüber hatte er auch seine Doktorarbeit geschrieben.
In Heidelberg hatten sie so ein Gerät angeschafft, er konnte sich ausführlich damit beschäftigen.
Regensburg hatte ebenfalls eines der teuren Geräte durchgesetzt, nachdem klar war, dass mit Lukas ein absoluter Spezialist dafür an die Klinik käme.

Er hatte in jeder freien Minute daran geübt, damit im Notfall jeder Handgriff saß, hatte die Intensivpfleger und –schwestern daran ausgebildet.
Das Gerät lief bereits, Lukas kontrollierte alle Anschlüsse und die Monitore. Er raste wieder zurück, das Baby wurde gerade abgenabelt. Er musste das kleine Menschlein intubieren, es war wirklich winzig! 

Aber er wusste, dass er es konnte, dass seine Hände das nötige Gefühl für diesen Eingriff hatten. Nachdem die Kleine gewaschen war, packte er sie in Wärmefolie und einen Transportkorb., brachte sie schnellstmöglich zur Frühchenstation.
„Barbara, hilf!" schickte er ein Stoßgebet zum Himmel.
Er legte das Mädchen in den Kasten, schloss sorgfältig alle Sensoren, die Sonde und die Beatmung an, das Kind war hinter all den Schläuchen kaum noch zu sehen! Er schaltete auf Schaukelmodus, die Bewegung der Mutter sollte simuliert werden. Er streichelte ein kleines Händchen. „Wir schaffen das, Katrin!" flüsterte er leise. „Ich verspreche dir, dass wir das schaffen! Aber du musst kämpfen!"

Er ging in den Vorraum, wechselte die Kleidung, ging zu Christoph.
„Sie wird es schaffen! Wir müssen daran glauben! Sie wird kämpfen! Für ein Sechsmonatskind ist sie kräftig!"
Da brach der frischgebackene Vater zusammen, fiel Lukas um den Hals und heulte sich die Seele aus dem Leib.

Der schob ihn ins Stationszimmer. „Es war gut, dass du gleich zu uns gekommen bist!" Lukas wusste, dass diese Entscheidung das Leben des Mädchens gerettet hatte. Noch ein paar Wehen mehr hätte es wohl nicht überlebt! Und einen längeren Transport von einem Krankenhaus zum anderen erst recht nicht!

„Der Sanka war schon unterwegs zu meinem Krankenhaus. Da hat irgendeine Stimme in meinem Kopf gesagt: Fahr zu Lukas! Du hattest ja erzählt, dass ihr dieses neue Gerät habt! Aber, dass du auch noch Dienst hast, ist wie ein Wunder!"

Lukas wusste auch, dass er wohl zu spät gekommen wäre, wenn er erst von zu Hause hätte kommen müssen. Er wusste, wem die Stimme gehörte, die zu Christoph gesprochen hatte!
Sie gingen zu Uschi, die gerade am Aufwachen war und nicht recht wusste, wo sie war. Als ihr das ganze Ausmaß des Geschehens klar wurde, brach sie in Tränen aus.
„Soll ich Anja anrufen?" fragte Lukas.
„Meinst du, sie würde kommen?"

Lukas lächelte sie nur an. Was für eine Frage! Anja würde immer kommen, wenn jemand ihre Hilfe brauchte!
Sie saß zu Hause auf Kohlen! Christoph hatte nur nach Lukas gefragt, als er angerufen hatte, aber nicht erklärt, was er von ihm wollte.
Als Lukas von den dramatischen Ereignissen berichtet hatte, liefen ihr die Tränen übers Gesicht! So lange hatten die Freunde auf dieses Kind gewartet, ihm durfte nichts geschehen!
„Kann ich die Kinder mitnehmen?" fragte sie.
„Ja, natürlich!"

Als sie in der Klinik eintrafen, erwartete Lukas seine drei Hübschen am Haupteingang.
Zum ersten Mal sah Anja ihn in seiner Arztkleidung, die ihn noch attraktiver machte, als sonst!
Sein Anblick raubte ihr fast den Atem. Groß, kräftig, die seidigen, glatten, dichten, braunen Haare waren schon wieder etwas zu lang, fielen ihm ins Gesicht , die Bernsteinaugen blitzen im Sonnenlicht. Einen schöneren Mann konnte es doch nicht geben! dachte sie und vergaß beinahe die Probleme, wegen denen sie hier war.

Er küsste sie zärtlich, nahm dann seine Kinder auf den Arm.
„Boa, Papa! Siehst du schön aus!" stieß Chiara hervor.
„Echt cool!" schloss sich Florian an.
Anja grinste. „Geschmack haben sie schon, meine Kinder!" Sie strich ihm die Haare aus dem Gesicht.
„Ich glaube, ich muss dir wieder einmal den Pony schneiden!" flüsterte sie.
„Nein, nein, nein! Danke! Morgen gehe ich zum Klinikfriseur!"

Er hatte sich damals einmal nach dem Sex darüber beschwert, dass ihm ständig die Haare in die Augen fielen.
Da hatte sie beschlossen, sie ihm zu schneiden.
So schwer konnte das doch nicht sein!
Aber es war sehr schwer!

Bis sie endlich eine gerade Linie geschafft hatte, war vom Pony fast nicht mehr übrig.
Entsetzt hatte er sich im Spiegel angesehen, ihr hübscher Junge, der schon auch immer ein ganz kleines bisschen eitel war!
„Du hast meinen Pony ermordet!" stellte er fassungslos fest. Dann verhängte er alle Spiegel in seiner Wohnung. Am nächsten Tag schleppte er sie mit zum Friseur, damit sie ihr Verbrechen gestehen konnte.
Er musste sich eine Stufe schneiden lassen, um das mit den massakrierten Stirnfransen zu kaschieren. Er trug dann lange Zeit eine Baseballkappe, natürlich mit dem Schild nach hinten, weil Lukas alles immer ein wenig anders trug, und er sah umwerfend aus!


Kurz hatte Lukas alle drückenden Probleme vergessen. Sein großer Sonnenschein und seine beiden kleinen Sternchen hatten ganz viele strahlendes Licht in das Dunkel gebracht!
Lukas zeigte Anja den Weg zur Entbindungsstation.
„Danke, Herr Doktor! Aber ich war einen Monat lang hier!"

Das hatte er natürlich vergessen, aber er war ja auch nicht dabei, was jedoch heute nicht mehr so schmerzte.
Lukas ging zurück zu der Kleinen, Anja und die Kinder gingen zu Uschi.
Sie hatte den beiden erklärt, dass Uschis Baby zu früh auf die Welt gekommen, wie sie beide auch, dass Uschi deshalb Angst hatte, wie sie auch damals, dass aber der Papa helfen würde.

Christoph fiel ihr um den Hals, drückte sie dankbar an sich. Die Freundin brach wieder in Tränen aus.
„Lukas und Katrin schaffen das schon!" tröstete Anja. Christoph ging mit den Zwillingen zum Kiosk und kaufte ihnen ein Eis. Danach liefen sie zu Lukas' Station.
Hinein sollte er nicht, er müsste sich vollkommen steril anziehen, aber durchs Fenster wollte er einen Blick auf seine Tochter werfen.

Lukas sah ihn, machte ein Zeichen, er sollte die Kinder nicht mitnehmen.
Mein Gott! Wie unsensibel er war! Der Anblick der kleinen Babys mit all den Schläuchen war nichts für die Kleinen! schalt sich Christoph.
„Bleibt ihr bitte hier sitzen?" Er zeigte auf eine Stuhlreihe.
Die beiden hatten gesehen, dass der Papa das so wollte und setzten sich brav.

Lukas fand auch, dass der Freund sein Kind noch nicht sehen sollte, aber einem Vater und Arzt konnte er das schlecht verbieten.
Christoph liefen die Tränen übers Gesicht. Arme kleine Katrin! Kämpfe bitte! flehte sein Herz. Dann löste er sich von dem Anblick, winkte Lukas zu, der dann wieder die Geräte kontrollierte. Alle Vitalfunktionen waren gut, das Herzchen schlug gleichmäßig, die Gehirnströme waren stark.
Er sah auch nach den anderen kleinen Patienten, alles in Ordnung.

Die Kinder sahen den weinenden Christoph. Chiara griff nach seiner Hand.
„Wir waren auch da drin, ganz lange! Und aus uns ist auch was geworden!" stellte sie trocken fest.
Der frischgebackene Vater musste durch die Tränen lächeln.
„Ja, aus euch sind ganz wunderbare Kinder geworden!" stimmte er zu.
Sie gingen wieder zu Anja und Uschi, kurz darauf kam Lukas.
„Es sieht echt gut aus!" tröstete er die Eltern. Uschi kam aus dem Aufwachraum in ihr Zimmer, 

Lukas hatte dafür gesorgt, dass sie ein Einzelzimmer bekommen hatte.
„Ich bleibe heute Nacht hier!" erklärte Lukas. „Die ersten 24 Stunden sind entscheidend!"
Uschi und Christoph sahen ihn dankbar an, Anja voll Stolz. Sie hatte ihrer Freundin von Barbara erzählt, Lukas' Zwillingsschwester, der zu Ehren er Kinderarzt mit Spezialisierung auf Frühchen werden würde.
„Wir werden sie Katrin Barbara nennen!" bestimmte sie.

Als Uschi müde wurde, verabschiedete sich die Familie Sieber. Sie gingen in die Kapelle, zündeten vier Kerzen für Katrin an, beteten zum lieben Gott, zur heiligen Katharina und zur heiligen Barbara.
Auf dem Flur begegnete ihnen Tobias. „Superarbeit, Lukas!" Er klopfte dem jungen Arzt auf die Schulter. „Sie können beide sehr stolz aufeinander sein!" Er lächelte Anja zu.

Chiara platzte vor Stolz auf ihren wichtigen Papa, und Florian fand ihn obercool!
„Ihr könnt auch stolz auf eure Eltern sein!" wandte er sich an die hübschen Kinder.
„Sind wir auch meistens!" sagte Chiara. „Bloß manchmal sind sie ein bisschen komisch!"
„Sei nicht so frech!" schimpfte Florian seit langen wieder einmal.

Die Erwachsenen lachten Tränen.
„Na, die Familie Sieber scheint ja echt gut drauf zu sein!" scherzte der Oberarzt. „Fahr jetzt heim Lukas!"
„Nein, ich bleibe heute Nacht hier! Ich möchte die Kleine nicht aus den Augen lassen!"
„Okay, aber nur auf Überstunden! Sonst verpetze ich dich beim Chef!"


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