Kapitel 96
Hans musste lachen. Das musste schon eine seltsame Beziehung gewesen sein.
Anja merkte, dass es für Hans immer schwieriger wurde, sie zu verstehen und legte die Karten auf den Tisch.
Sie erzählte vom Kennenlernen, vom Widersehen, natürlich ohne Details, von der Nicht-Beziehung, von seinen Kämpfen gegen ihre Sturheit, von der Trennung, den Kindern, dem Wiedersehen, der Hochzeit.
„Aha, danke! Jetzt verstehe ich alles ein bisschen besser! Chiara hatte ja schon einiges erzählt, aber so recht durchgeblickt habe ich nicht!"
Er erzählte von seiner Beziehung zu Kerstin, einer Grundschullehrerin. Es ging auch schon eine Weile hin und her. Dreimal hatte er sich schon von ihr getrennt, weil sie zu sehr klammerte, heiraten wollte, Kinder, das ganze Paket eben! Dazu war er bisher einfach nicht bereit gewesen.
„Aber, wenn man deine zwei Süßen so sieht, könnte man direkt auf den Geschmack kommen!" scherzte er, fühlte aber selbst den Ernst in sich bei diesem Gedanken.
Anja lachte. „Meine Zwillinge als Ehestifter! Auch eine Karriere!"
Dann gingen sie schlafen. Anja musste noch schnell Lukas anrufen, sich ein paar heiße Liebesworte sagen lassen.
„Oh, mein süßes Anjamäuschen! Das ist schön, dass ich deine Stimme noch mal hören kann!"
„Was machst du denn gerade, Lover-Boy?"
„Also bisher habe ich eine Fachzeitschrift gelesen, aber jetzt muss ich wohl erst kalt duschen!"
„Schön! Das wollte ich erreichen!"
„Vorsicht Engel-Teufelchen! In einer Stunde bin ich im Bayerischen Wald!
„Da schlaf ich längst!" flüsterte sie.
„Nicht, wenn ich dir erzähle, was ich jetzt am liebsten machen würde!"
„Dann revanchiere ich mich aber!"
„Oh! Oh! Und du bist mit Worten besser drauf als ich! Das wird gefährlich!"
„Aber du mit Taten! Das gleicht sich schon wieder aus!"
Er atmete tief ein und aus. „Also, Sternchen, dann wünschen ich dir heiße Träume von meinen Taten!"
„Schlaf gut, mein hübscher Junge!"
„Na, ja, so gegen vier Uhr werde ich es dann schon schaffen! Gute Nacht, Süße!" Dann legte er schnell auf, denn wenn sie ihn noch mal Lover-Boy nannte, würde er es auch um vier Uhr morgens nicht schaffen!
Er lächelte still vor sich hin. Sie war schon der Hammer, seine Anjamaus! Er öffnete die Knöpfe seiner Jeans, um den Druck etwas wegzunehmen. Er hatte das enge Modell angezogen, dachte, in den Tagen, wenn sie nicht da wäre, könnte er es tragen, aber er würde es wohl endgültig wegwerfen. Vor dieser Frau war er ja nirgendwo sicher!
Anja schlich sich leise ins Zimmer, damit die Zwillinge nicht wach würden. Sie fühlte sich wie ein Teenager, der heimlich mit den ersten Freund geturtelt hatte. Das Ganzkörperkribbeln hielt sie auch noch eine Weile wach, so dass sie über die Taten des bösen Lukas nachdenken konnte.
Am Dienstag war der Chefarzt recht unglücklich mit seinem Job. Er hatte eine zweite Ausbildungsstelle durchgedrückt, aber was hatte er bekommen? Die Frauenbeauftragte hatte auf einer Ärztin bestanden, da der Männerüberhang am Klinikum enorm war. Die beste der Damen war Larissa von Kaltow mit einer Prüfungsnote von 3,4, ohne Doktortitel, für eine Uniklinik eigentlich ein No Go.
Die junge Dame war zudem noch sehr von sich überzeugt, trug den Kopf sehr hoch, weil ihr Vater Professor für Pädiatrie an der Uni München war. Schnippisch beantwortete sie seine Fragen, hochnäsig stellte sie Fragen zum Dienstplan. Was sie genau kannte, waren ihre Rechte als Assistenzärztin in Ausbildung.
Als Lukas in seine Kammer kam, bemerkte er gleich den zweiten Schreibtisch. Er freute sich auf den zweiten Kollegen, aber eng würde es hier dann schon werden.
Kurz darauf kam der Chef herein, neben sich eine junge Frau, die zwar zugegebenermaßen gut aussah, aber ein sehr hochnäsiges Gesicht aufgesetzt hatte.
„Darf ich vorstellen?" Sein Gesichtsausdruck war alles andere als fröhlich. „Larissa von Kaltow – Dr. Lukas Sieber. Herr Dr. Sieber, Ihre neue Kollegin!"
Ihre Augen blitzen auf. Na, das war ja ein Sahnestückchen! dachte sie. Das konnte einem ja sogar diese Provinzklinik hier versüßen!
Sie hatte sich an vielen Kliniken in Großstädten beworben, aber mit ihren nicht so guten Noten und ohne Doktorarbeit hatten auch die Empfehlungsschreiben von Papa ihre Wirkung verfehlt. So war sie schließlich hier gelandet, aber wenn sie ihren Facharzt in der Tasche hatte, würde sie nach München zurückgehen.
Bis dahin konnte sie ja mit dem gutaussehenden Mann ein bisschen Spaß haben.
Mit einem lasziven Augenaufschlag gab sie ihm die Hand.
„Hallo, Lukas! Wirklich schön, dich kennenzulernen!" Sie hielt seine Hand länger, als nötig gewesen wäre. Lukas musste direkt lachen, so dick trug sie auf, was sie als Lächeln wertete.
Aha, der hübsche Kerl war also interessiert, trotz Ehering!
Der Chef beobachtete die Szene, sein Blick umwölkte sich noch mehr. Nicht nur höchst arrogant, auch noch auf Männerfang!
Das konnte er Dr. Sieber nicht antun!
Er nahm den Kollegen am Arm. „Kommen Sie bitte mal mit!"
Er ging mit ihm ins Stationszimmer, sah sich um. „Ja, das geht! Wir stellen Ihren Schreibtisch hier mit rein! Ich kann Ihnen diese eingebildete Dame mit ihren schmachtenden Blicken nicht antun!"
„Oh!" sagte Lukas. „Ich kann mich meiner Haut schon erwehren!"
„Ja, aber diese Art von Frau hat schnell eine sexuelle Belästigung konstruiert, wenn sie nicht erreicht, was sie will! Ich habe das früher am eigenen Leib erlebt! Das ist bei Gott nicht angenehm!"
Das gab Lukas nun doch zu denken. „Und wie wollen Sie das begründen?"
„Gar nicht! Ich bin der Chef!"
Er rief sofort beim Hausmeister an, der mit seiner Hilfskraft den Schreibtisch ins Stationszimmer räumte.
Larissa sah dem Treiben konsterniert zu. „Flüchtest du vor mir?" fragte sie mit einem, wie sie glaubte, unwiderstehlichen Augenaufschlag.
Lukas räumte seine privaten Sachen in einen Karton und zuckte mit den Schultern. „Anweisung vom Chef!" sagte er nur. Er hätte die Anmache mit der jungen Kollegin schon ausgefochten, ein klärendes Wort zur rechten Zeit, aber die Gefahr, eine sexuelle Belästigung angehängt zu bekommen, war ihm dann doch zu groß.
Larissa kam ihm sehr nah. „Hat der große Doktor Angst vor mir?"
Aha, geht es schon los! Er schob sie von sich. „Larissa, ich habe keine Angst! Ich habe kein Interesse! Ich bin seit ein paar Tagen verheiratet mit der Liebe meines Lebens!"
Mit diesen Worten drehte er sich um und ging.
Das wirst du mir büßen, Herr Dr. Lukas Sieber. Mich lässt kein Mann so einfach stehen! dachte sie.
Lukas spürte ihre Blicke wie Dolche im Nacken. Na, das konnte ja heiter werden! Der Chef nahm ihn noch einmal zur Seite. „Herr Dr. Sieber, wir möchten die junge Dame gerne wieder loswerden! Sie ist nicht im Mindesten qualifiziert für unser Haus, aber sie wurde als Quotenfrau durchgedrückt! Wenn Sie irgendetwas bemerken, was wir ihr zum Nachteil auslegen können, sagen Sie mir bitte Bescheid! Ich weiß, das hört sich nach Anschwärzen von Kollegen an, aber es geht um das Wohl unserer kleinen Patienten!"
Damit war Lukas mitten in eine scheußliche Zwickmühle geraten. Eine fürchterliche Situation!
Larissa war drei Tage im Dienst, als sie nur noch Feinde um sich hatte.
Das Pflegepersonal hasste sie, weil sie alle von oben herab behandelte.
Die Arztkollegen verabscheuten sie, weil sie alle anbaggerte, vor allem natürlich Lukas, auch vor den Eltern der Patienten. Tiefe Blicke, immer wieder Berührungen, gurrende Sätze, oft auch sehr zweideutig.
Die Kinder fürchteten sie, weil sie unfreundlich und laut zu ihnen war.
Der Oberarzt notierte alles, was ihm auffiel, die anderen Ärzte hielten sich noch zurück.
Als sie Lukas in nicht steriler Kleidung auf die Frühchenstation verfolgte, riss ihm der Geduldsfaden.
„Bist du jetzt vollkommen verrückt geworden?" zischte er sie an. „Schau, dass du raus kommst! Du bringst die Babys in Gefahr!"
Doch sie blieb unbeeindruckt, warf sich ihm an den Hals.
Damit war seine Kleidung auch konterminiert!
Er packte sie wütend am Kragen, schob sie hinaus.
„Du bist komplett irre!" schrie er sie an.
So etwas hatte er noch nie erlebt!
Er ging in den sterilen Raum, zog sich noch einmal um.
Da stand sie plötzlich hinter ihm, bewegte sich schon wieder auf ihn zu. Er drückte auf seinem Piepser die Nummer vom Chefarzt, es ging einfach nicht mehr!
„Bitte, kommen Sie in den sterilen Raum auf Station drei!" Der Chef kam schnell in Begleitung des Oberarztes.
Die beiden blieben aber geistesgegenwärtig vor der Türe stehen, als sie die Stimmen hörten.
Tobias schaltete sein Diktiergerät ein, öffnete leise die Türe. Zu ihrem Glück drehte die verrückte Ärztin ihnen den Rücken zu, keifte laut auf Lukas ein.
„Dafür hänge ich dir einen sexuellen Übergriff an, du Idiot! Warum zickst du eigentlich so rum? Dein kleines Frauchen wird schon nichts erfahren, wenn wir ein bisschen Spaß haben!"
„Du bist in unsteriler Kleidung in einen vollsterilen Bereich gegangen! Das gefährdet die Winzlinge enorm! Das ist vollkommen inkompetent! Dann hast du meine Kleidung auch noch verseucht! Du bist vollkommen untragbar!" Lukas war fassungslos.
Sie rückte ihm schon wieder auf die Pelle. „Pah! Ein paar von den Schreihälsen weniger, wen kümmert das schon!"
Jetzt meldete sich der Chef zu Wort. „Frau von Kaltow, es reicht! Kommen Sie bitte mit!"
Da begann sie zu kreischen. „Hilfe! Gut, dass Sie kommen! Er hat mich angefasst, der Typ hat mich angefasst!"
„Nein, das hat er nicht!" erklärte Tobias mit tödlicher Ruhe. „Wir stehen schon eine ganze Weile hinter Ihnen!"
„Aber mein Vater hat beste Kontakte zur Münchner Presse! Ein Wort von mir, und fünf Zeitungen bringen meine Geschichte!" Sie sah die Männer überheblich und siegessicher an.
Der Oberarzt ließ das Band zurücklaufen, spielte ab, was er aufgenommen hatte. „Unser Anwalt wird dieses Band allen Redaktionen übermitteln! Sie werden mit Kusshand darüber berichten, wie die Tochter von Professor von Kaltow sich benimmt!"
Da brach Larissa zusammen. „Das dürfen Sie nicht! Mein Papa enterbt mich! Sie dürfen mich auch nicht rauswerfen! Er dreht durch!"
Lukas sah sie mit einem kalten Blick an. „Aber du wirst nie eine gute Ärztin werden! Larissa, du bist nicht geeignet für diesen Beruf!"
„Ich weiß!" schluchzte sie. „Ich wollte ja auch Musik studieren! Das war mein größtes Lebensziel! Ich spiele sehr gut Geige und Klavier! Ich hatte auch die Aufnahmeprüfung am Konservatorium bestanden! Aber mein Vater sagte: Entweder Medizin oder der Geldhahn ist zu!"
„Es gibt Stipendien! Man kann jobben!" schlug Lukas vor. Er wusste, dass er leicht reden konnte als privilegierter Arztsohn mit einem dicken Erbe im Hintergrund.
Dann standen drei kompetente Mediziner vor einem Häufchen Elend, das von seinem dominanten Vater in einen ungeliebten Beruf gezwungen worden war.
Sie wussten sich nicht anders zu helfen, als den psychiatrischen Notdienst zu rufen, der sich Larissas annahm.
Dann sprach der Chef ein ernstes Wort mit der Frauenbeauftragten, anschließend schrieb sein Büro den Bewerber an, der auf der Liste hinter Lukas auf Platz zwei gelandet war.
„Du gehst jetzt nach Hause!" wies Tobias ihn an. „Kommt nicht heute deine Familie zurück?"
Lukas sah auf die Uhr. „Ja, die sind schon zu Hause!"
„Also verschwinde! Überstunden abfeiern, bevor der Chef dahinter kommt! Freitag ist eh ein ruhiger Tag!"
„Am Sonntag haben wir zusammen Dienst!" stellte Lukas fest.
„Genau! Da suchen wir uns noch zwei Mann und hauen einen Schafkopf raus!" lachte Tobias. Er mochte den jungen Kerl wirklich sehr.
„Ich kann nicht Schafkopf spielen, aber meine Frau spielt sehr gut!"
„Okay, dann machst du Visite, und ich spiele mit deiner Frau Karten!" Lachend ging Lukas an seinen Schreibtisch, füllte den Arbeitsnachweis aus und fuhr nach Hause, um endlich seine Familie wieder in die Arme zu nehmen.
Die verrückte Larissa war vergessen, es zählten nur seine süßen Drei!
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