Kapitel 88
Lukas erwachte, bevor der Wecker sich meldete. Noch immer hatte er einen Knoten im Magen, wenn er an den gestrigen Abend dachte.
Er hatte Anja verletzt und seine Kinder, die drei Menschen, die er am meisten liebte. Es würde eine Zeit dauern, bis er darüber wegkam!
Er sah seine Frau an. Sie lächelte im Schlaf wie immer, er hoffte, dass dieses Lächeln bleiben würde, wenn sie aufwachte.
Aber, sie hatte mit ihm geschlafen, hatte seine Zärtlichkeiten angenommen. Er glaubte nicht, dass sie das gekonnt hätte, wenn nicht alles gut gewesen wäre, vor allem, da er sie nicht bedrängt hatte, sie den Anfang gemacht hatte!
Da öffnete sie die Augen, strahlte ihn an, ein Stein fiel von seiner Seele.
„Guten Morgen, Sonnenschein!" flüsterte er und küsste sie auf die Stirn.
„Guten Morgen, Sonne meines Lebens!" flüsterte sie zurück und streichelte sein Gesicht.
Er wollte noch einmal ihre Bestätigung, dass sie ihm nichts nachtrug. „Anja, es tut mir so leid....!"
„Pst!" unterbrach sie ihn. „Lukas, hör auf! Niemand ist perfekt! Aber glaub mir, du bist verflixt nah dran!" O Gott, wie er diese Frau liebte, die mit einem Satz so viel ausdrücken konnte, die vor allem so viel an Liebe und Urvertrauen ausdrücken konnte!
„Ich werde daran arbeiten, Süße, ganz perfekt zu werden!" versprach er.
„Um Gottes Willen! Ich will doch keinen Androiden! Ich will einen Mann, ich will dich, wollte immer nur dich!" Und als er ihren lachenden Mund küsste, wusste er ganz sicher: Alles war wieder gut, voll und ganz im Lot!
In der Schule gab es ein großes Hallo, als Anja von ihrer Hochzeit erzählte.
Da hat er aber jetzt schnell Nägel mit Köpfen gemacht, der junge Herr Dr. Sieber! dachte Holger. Es fiel ihm schwer, ihr zu gratulieren, aber er riss sich zusammen. Seiner Meinung nach hatte sie ja total überreagiert mit der Umbuchung, aber wahrscheinlich hatte der Doktor das verlangt von ihr.
Jetzt hatte er die mannstolle Sabine an der Backe, die schon während der ganzen Ferien bei ihm angerufen hatte, sich mit ihm wegen angeblicher Planungen treffen wollte.
Er dachte an das Gespräch mit Hans, einem Kumpel von ihm, am Samstag. Der hatte so Andeutungen gemacht, dass er mal eine Anja kennen gelernt hatte, dass da auch was gelaufen sei.
Holger war ziemlich sicher, dass es nach der Beschreibung seine schöne Kollegin war. Ob der hübsche junge Kerl davon wohl wusste?
In der vierten Stunde klopfte es an Anjas Klassenzimmertüre. Sie stellte den Schülern Herrn Beimer vor, der mit seiner 6. Klasse zusammen mit ihnen im Schullandheim sein würde. Sie erzählte auch, dass sie ihre Zwillinge mitnehmen würde, weil ihr Mann seinen Dienst am Klinikum beginnen würde.
Sie gab den Schülern eine Stillarbeit, ging mit Hans in ihren Gruppenraum.
Der sah sie verblüfft an. Sie sah aus wie vor sechs Jahren, war keinen Tag älter geworden. Ihre Augen strahlten, ihr Mund schien im Dauerlächeln zu sein.
Er hatte damals mit seiner Freundin Schluss gemacht, weil er sich so in die junge Kollegin verknallt hatte, war sicher, sie wiederzufinden, obwohl sie nach dem Frühstück ohne Abschied verschwunden war. Aber weder Schulamt noch Regierung, auch nicht der Veranstalter rückten ihre Adresse oder ihre Dienststelle heraus.
Er hatte die Regensburger Schulen angerufen, nach einer Kollegin Anja Berentz gefragt, unter verschiedenen Vorwänden, aber alle Sekretärinnen hatten dicht gehalten, der Datenschutz wurde sehr ernst genommen. Er hatte bei allen seine Nummer hinterlassen, aber sie hatte sich nie gerührt.
Er wusste selbst, dass das Liebesabenteuer mit ihr missglückt war. Er hatte dummerweise Aufputschtabletten genommen, um möglichst fit zu sein für die erhoffte Nacht. Aber die hatten zusammen mit den zwei Gläsern Rotwein eine gegenteilige Wirkung entwickelt. Er war das Zeug ja überhaupt nicht gewohnt.
Aber er hatte gehofft, dass sie bei ihm bleiben würde, dass er ihr später in der Nacht seine nicht unbeträchtlichen Qualitäten als Mann beweisen konnte. Na, ja! Dumm gelaufen! Das alles ging ihm durch den Kopf, als er ihr gegenüber saß. Erzählen würde er ihr das sicher nicht!
Sie besprachen Busfahrten, gemeinsame Ausflüge, Freizeitangebote, waren in allen Dingen ziemlich einer Meinung, waren froh, dass sie sich gut verstanden, auch vom Humor her auf einer Wellenlänge lagen.
Er hatte mittlerweile eine Freundin, die ihr vom Typ her sehr ähnlich war, hoffte, dass seine Gefühle nicht wieder aufflackern würden!
In der kleinen Pause traf Hans auf Holger. „Und, ist sie es?" fragte der neugierig.
„Nein, leider!" meinte Hans nur.
Lukas genoss seine letzte freie Woche, auch oder vor allem die letzten Tage als Vormittagsvater. Er räumte die Koffer aus, sie hatten alles noch im Urlaub gewaschen, er musste die Sachen nur ordentlich in den Schränken verstauen. Er kaufte ein, brachte seinen Hochzeitsanzug in die Reinigung, holte die Kinder wieder ab, plauderte mit Nachbarn am Zaun, war rundum zufrieden und glücklich.
Kurz bevor Anja kam, rief Peter an. „Hallo, ich habe gehört, ihr habt auf Fuerte geheiratet! Herzlichen Glückwunsch!" rang er sich ab.
„Danke!" Lukas war sehr einsilbig. Weiß Gott, welche Buschtrommel ihm das schon wieder zugetragen hatte! dachte er
„Und das hat Anja gefallen? So einfach, ohne großes Fest?"
„Es war ein großes Fest, denn es war unser Hochzeitsfest!" Lukas war leicht genervt.
„Na dann! Also, wenn wir die Kinder wieder einmal nehmen sollen....?"
„Danke! Wir kriegen das mittlerweile ganz gut hin!" wehrte Lukas ab.
Peter verstand! Der neue Mann an ihrer Seite hatte sie voll am Wickel. „Und, mit dem Schullandheim, das klappt?"
„Ja, das wird wunderbar klappen! Und wenn nicht, sind ja Sonja und Oliver auch noch da oder unsere Eltern!" Lukas hoffte, das war deutlich genug.
Peter startete noch einen letzten Versuch. „Und wenn die Kinder mich sehen wollen?"
„Sie werden das schon verstehen! Sie haben ja jetzt einen Vater!" Einen Vater, der du nie sein wirst!
„Na, dann, alles Gute! Grüße Anja von mir!" Kein: Bis dann einmal! Kein: Auf Wiedersehen! Peter legte auf. Na, warten wir mal ab, wie lange du das Familienleben aushältst, Doktorschnösel! dachte er wütend.
Anja schloss die Türe gerade auf, die Kinder flogen in ihre Arme, erzählten vom ersten Tag im Kindergarten. Dann durfte Lukas sie endlich in die Arme nehmen. Sie erschien ihm noch schöner als am Morgen. Schon wieder war die Sehnsucht kaum in den Griff zu bekommen.
Sie erzählte von dem Treffen mit Hans, er vom Telefonat mit Peter.
„Na, da haben wir heute ja zwei Brocken in den Griff bekommen!" sagte sie trocken.
Lukas musste lachen. Seine Süße, die mit ein paar Worten alle sagen konnte!
Die Kinder hatten sich in der Zwischenzeit umgezogen, kamen wieder in die Küche. Chiara wirbelnd, Florian gemessenen Schrittes.
„Mann, habe ich einen Hunger!" Der Junge sah Lukas fragend an. Dieser Blick war so wertvoll für den Vater. Der anfangs etwas misstrauische Sohn erwartete mittlerweile von ihm, dass er für Brotzeit sorgte!
Lukas hatte schon leckere Brote vorbereitet, kochte Kaffee, schenkte Saft für die Kinder ein.
Chiara sah ihm aufmerksam zu. „Du machst das, als wärst du schon immer Papa gewesen!" stellte sie zufrieden fest. Er sah Anja lachend an. „Von wem sie wohl diesen trockenen Humor hat?"
Sie saßen zufrieden unter dem Apfelbaum, neckten sich alle vier, küssten sich ab, freuten sich am Leben.
Dann ging Anja nach oben, um die Zeugnisse fertig zu schreiben. In der vierten Klasse machten die Übertrittszeugnisse viel Arbeit, aber die Schlusszeugnisse jetzt waren schnell erledigt. Lukas spielte mit den Kindern im Garten Fußball.
Sie sah ihnen vom Mansardenfenster aus zu. Florian stand im Tor, Chiara kämpfte mit ihrem Vater um jeden Ball, er musste sich schon anstrengen, gegen den kleinen Wirbelwind anzukommen. Sein dunkles, losgelöstes Lachen, das helle glückliche Lachen ihrer Kinder drang zu ihr hoch und eine kleine Träne des Glückes rollte über ihre Wange.
Als die Kinder müde waren und ein paar Seiten lesen wollten, kam Lukas zu ihr hoch.
Sein Gesicht glänzte schweißnass, strahlte aber vor Zufriedenheit.
„Ich glaube, ich melde Chiara nächste Woche bei der Damennationalmannschaft an! Die ist vielleicht schnell!" Er wollte sie küssen, erinnerte sich daran, wie verschwitzt er war, ging schnell ins kleine Bad nebenan.
„So Weib! Jetzt braucht es endlich mal ein bisschen Mann-Frau-Gefühl!" Er hatte eigentlich nur an einen bis tausend Küsse gedacht und ein paar Streicheleinheiten, aber sie merkten schnell, dass sie die Kontrolle verlieren würden. Seine Lippen und Hände forderten sie zu sehr heraus, ihre Lippen und Hände waren schlecht zu kontrollieren, gehorchten dem Verstand nicht mehr.
Sie versperrten die Türe, sanken auf das kleine Sofa, vergaßen die Welt.
Chiara wollte kurz darauf etwas von ihrem Papa wissen. Florian hielt sie zurück. „Lass sie ein bisschen kuscheln!" bat er die Schwester. „Papa ist doch gerade erst raufgegangen!"
Sie grinste ihn an. Sie hatte zwar keine Ahnung, warum die Eltern nach dem Kuscheln immer gar so glücklich aussahen, aber das war besser, als wenn sie so laut waren wie gestern Abend.
„Meinst du, sie haben sich gestern so angeschrien, weil sie den ganzen Tag nicht gekuschelt haben?" fragte sie todernst.
„Das könnte schon sein!" antwortete Florian ebenso überzeugt.
„Na, dann!" Chiara beschloss, eben ein Bild zu malen.
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