Kapitel 84
Kurz vor elf klopfte es an der Türe. Lukas zog nur seinen Slip an, rechnete mit jemandem von der Familie. Doch draußen standen vier junge Damen vom Catering-Service, die das Geschirr abholen wollten, und denen fast die Augen aus dem Kopf fielen.
„Oh, sorry Ladies!" stammelte Lukas verlegen, lief schnell ins Schlafzimmer, um sich etwas überzuziehen.
„Verflixt, ich habe gerade vier Damen nicht gerade korrekt gekleidet empfangen!" scherzte er.
„Da weiß ich auch, wovon die heute Nacht träumen!" gab sie zurück, konnte den Blick nicht von ihm wenden.
Er grinste sie an. Er mochte es sehr, dass er ihr gefiel, dass sie ihn gerne ansah, obwohl er ja nun wirklich nicht eitel war, oder nur ein ganz kleines bisschen?
„Aber ich komme lieber mit! Nicht dass die dich im Überschwang ihrer Gefühle vergewaltigen!"
Ihre Augen hatten schon wieder einen leicht glasigen Glanz angenommen. Immerhin hatten sie fünf Stunden geschlafen!
Die vier Mädchen räumten alles in große Container, brauchten ein wenig länger als bei weniger attraktiven Auftragsgebern. Anja sah belustigt, wie sie ihn mit ihren Blicken verfolgten, als er die Container in den Lieferwagen trug, als wären es leere Pappschachteln. Das Muskelspiel seiner Arme und seiner Brust war schon sehenswert.
Schöne Einschlafträume wünsche ich! dachte sie lächelnd. Aber dieses Prachtexemplar gehört mir!
Kurz darauf kam auch der Trupp von Marry-Fuerte, der die Tische und Stühle abholte und den Pavillon abbaute, sowie das restliche Equipment einpackte.
Einer der Jungs blieb lieber bei Anja, vor allem, da Lukas fleißig mitarbeitete. Er redete pausenlos auf sie ein, strahlte sie an, sie verstand kein Wort.
Sie musste lächeln, er war mindestens zehn Jahre jünger als sie, schien aber sehr angetan von ihr zu sein. Sie fühlte sich geschmeichelt.
Lukas sah dem Mann eine Weile zu, er verstand ja dessen verliebte Worte, mit denen er sie einlud, mal mit ihm essen zu gehen, er sah Anjas Lächeln, aber es machte ihm nicht das Geringste aus.
Sollte sie ruhig erleben, wie sie auf noch jüngere Männer wirkte.
Erst als der Spanier ihr zu nahe kam, nach ihren Haaren fassen wollte, griff er ein. „Stop!" sagte er auf Spanisch, sein Ton war noch relativ beherrscht. „Keiner fischt in meinem Teich!"
Der Junge grinste bloß, wollte sich keine Blöße geben vor dem um einen Kopf größeren Deutschen, schlenderte betont lässig davon.
„So, noch jemand mit Einschlafträumen heute Abend!" Er nahm sie in den Arm. „Keine fünf Minuten kann man dieses männermordende Wesen alleine lassen!"
„Na, irgendwo muss ich die Opfer für meinen Großverbrauch an Männern ja herholen!" antwortete sie und blitzte ihn an.
„Fang doch bei mir an!" schlug er lächelnd vor.
„Bei dir fang ich an und hör ich auf, weil einen hübscheren finde ich ja eh nicht!"
„Damit bin ich einverstanden!" erklärte er und musste sie schnell ausgiebig küssen.
Um zwölf trafen sie bei Sonja und Oliver ein, wo sich alle zum Resteessen und Nachfeiern trafen. Ihre Schwester hatte in der Nacht noch alles in Schüsseln umgefüllt, auch die Hochzeitstorte gerettet, und in ihrem Kühlschrank deponiert.
Die Kinder kamen angerannt, ließen sich abknuddeln, freuten sich, ihre lustigen, strahlenden Eltern wiederzuhaben.
Es war eine überaus fröhliche Runde mit lauter glücklichen Menschen, wobei zwei von ihnen natürlich alle schlugen.
„Na, wie war die Hochzeitsnacht?" fragte Ben anzüglich.
„Willst du Details wissen oder genügt eine Zahl?" konterte Anja.
Alle lachten, ihre Schlagfertigkeit war legendär.
Lukas zog Ben zur Seite. „Du, das war aber unnötig gestern, deine Bemerkung über mich und die Frauen!"
„Sorry, ich weiß! Micha hat mir auch schon den Kopf gewaschen! Aber Anja kann das schon ab! Außerdem habe ich gebüßt, als ich deiner Kleinen eine halbe Stunde lang erklären musste, wie ich das gemeint habe! Die ist ja echt gut drauf!"
„Ja, die Süße ist ganz die Mama!" Lukas schlug dem Freund auf die Schulter. Er hatte schon auch recht, Anja konnte das ab, sie war kein Mimöschen, konnte sich schon immer mit dem Mund wehren, spielte auch nie beleidigte Spielchen. Ein paar Mal waren die Jungs und er nur mit Anja unterwegs, sie war der Kumpel für alle, nach dem die Verliebtesten aufgegeben hatten, und die Schwärmenden akzeptiert hatten, dass sie chancenlos waren.
Sie ging mit ihm und den Freunden zu Fußball- und Footballspielen. Sie war die einzige Frau, die er kannte, die die Abseitsregel verstand, sie erklärte den jungen Männern die komplizierten Regeln des American Football. Sie schwamm im Sommer allen davon, obwohl er gemeinsame Badefreizeiten eher nicht so mochte!
Anja im Bikini hatte er dann doch lieber für seine Augen alleine. Aber sie war ein Mädchen zum Pferdestehlen, was ihn immer besonders stolz machte, fast noch stolzer als ihre Schönheit!
Die Gäste räumten die letzten Schüsseln leer, Sonja kochte Kaffee, ein fürchterliches Gebräu, Lukas litt Qualen. „Nicht gut?" fragte Anja mitleidig.
„Da könnte ich glatt eine Schüssel Müsli dagegen tauschen!" meinte er.
„Gut! Ich hole eine!"
„Aber nur, wenn ich zehntausend Küsse danach bekomme!"
„Hast du deinen Labello dabei?" Sie lächelte zuckersüß.
„Nein! Mist! Vergessen!"
„Ja, dann! Pech gehabt!"
„Aber einen könnte ich schon riskieren, was meinst du?" flüsterte er ihr zu.
„Okay!" Sie versuchte es, ob er einen Kuss aushielt.
„Einer geht noch!" war er sicher.
Zehntausend wurden es nicht, aber deutlich mehr als einen schaffte er durchaus.
Später sah Anja in die Runde der vergnügt Feiernden. Lukas trug seine hübsche Tochter auf dem Arm, Florian kam zu ihr, drückte sich an ihren Oberschenkel.
„Du, Mama, war das jetzt eine richtige Hochzeit gestern?"
„Ja, mein Schatz! Warum?"
„Aber das war eine ganz andere Hochzeit, ohne langes weißes Kleid, ohne Kirche, gar nicht langweilig!"
„Genau darum haben wir ja so eine Hochzeit gefeiert, mein Süßer, weil langweilige Hochzeiten sind etwas für Spießer!"
„Was ist ein Spießer?"
„Jemand, der immer alles gleich macht, jeden Tag, so wie alle es machen, nicht ein bisschen Spaß hat, nicht ein bisschen verrückt ist!"
Florian dachte nach. „Waren wir ein bisschen Spießer, bevor Papa kam?"
Anja lachte, musste ihren Sohn auf den Arm nehmen. „Ja, ich fürchte fast, da waren wir ein bisschen Spießer!"
„Aber jetzt nicht mehr?"
„Nein, ich meine nicht! Was gefällt dir denn besser, Schatz?"
„Nicht-Spießer-sein!" Sein Urteil war eindeutig.
„Dann passt doch alles, oder?" Sie küsste ihn herzhaft ab.
Sie verabschiedeten sich von den Freunden und der Familie, die würden morgen zurückfliegen, Anja und Lukas erst am Sonntag.
Da fiel Hannah plötzlich noch ein Brief vom Klinikum für ihren Sohn ein, der an ihre Adresse geschickt worden war. Lukas öffnete, verdrehte die Augen, gab das Schreiben Anja. Der Schreck fuhr ihr in alle Glieder, so ein offizieller Brief hatte für großen Kummer gesorgt in der Vergangenheit.
Aber der Inhalt war eher harmlos. Ein Empfang war geplant am nächsten Mittwoch um 17.00 Uhr für die sechs neuen Assistenzärzte, die in den verschiedenen Abteilungen ihre Facharztausbildung beginnen würden. Die Klinikleitung würde sich auch über die Teilnahme der Partnerinnen freuen, etwaige Kinder wären herzlich willkommen. Um entsprechende Kleidung werde gebeten.
Per Telefon sollten die sechs Ärzte ihre Teilnahme bestätigen. Lukas zog gleich sein Handy heraus. „Ihr kommt schon alle mit, oder?" fragte er sicherheitshalber.
„Ja, klar!" Anja freute sich. Lukas telefonierte, meldete zwei Erwachsene, zwei knapp fünfjährige Kinder an.
Sie packten die Schüsseln ein, die Sonja mitgenommen hatte, ihre Mutter hatte sie alle schon gespült. Viele Küsschen später saßen sie im Auto, fuhren zu ihrer Finca.
Lukas wäre fast wieder schwach geworden, als Oliver fragte, ob sie die Kinder nicht noch eine Nacht nehmen sollten. Der hatte Lukas' Blicke gesehen, die an Anja klebten, die das blaue Hängerchen mit den Hotpants darunter trug.
Doch ein verheirateter Familienvater würde ja mal in der Lage sein, die Finger von seiner Frau zu lassen! dachte er.
Sicher gelang ihm das! Ein Blick im Auto auf ihre schönen Beine ließen ihn schon wieder etwas zweifeln. Aber er schaffte das, bestimmt! Hoffentlich! Vielleicht! Eher wohl nicht!
„Das ziehst du auf den Empfang an, dann interessiert sich wenigstens niemand für mich!"
„Du meinst, das geht als angemessene Kleidung durch?" fragte sie lächelnd.
„Die haben nicht geschrieben angemessen wofür! Angemessen für ein Date oder angemessen für kein Date! Ich interpretiere das ganz in meinem Sinn!"
„Und in deinem Sinn ist, dass ich halbnackt auf einem Empfang auftauche?"
„Yep! Ganz nackt wäre dann wohl too much!"
Anja knuffte ihn.
„Was machen wir heute?" fragte Chiara genervt, bevor die manchmal komischen Eltern wieder den ganzen Tag nur noch flüsterten.
„Überraschung!" verkündete Lukas, Anja sah ihn fragend an. „Überraschung!" wiederholte er auch für sie.
Sie fuhren zuerst zur Finca. „Badesachen anziehen, Klamotten zum Wechseln einpacken, Schwimmflügel, Sonnencreme, Ball, Luftmatratze, los, Appell in 15 Minuten ab jetzt!" kommandierte er. Die Kinder lachten, Anja grinste. „Kaum verheiratet, schon General!"
Lukas ging in die Küche, bestückte die Kühltasche.
Dann zog er sich auch um, Anja stand am Türstock, beobachtete ihn.
„Eine kleine Voyeurin habe ich da an der Backe!" flüsterte er heiser.
Sie ließ den Blick nicht von ihm.
Sie schluckte, atmete tief ein.
War es normal, dass eine Frau so auf das Aussehen eines Mannes abfuhr?
Dass ihr ganzer Körper kribbelte, dass alles Blut aus dem Kopf sich viel tiefer sammelte?
Vollkommen willenlos ging sie auf ihn zu, wollte ihn unbedingt berühren.
Er sah sie gequält an. „Anja, bitte! Es ist schon schwer genug, ohne dass du mich so ansiehst oder gar anfasst!" stöhnte er.
„Wer hat gesagt, dass eine Ehe leicht ist?" flüsterte sie, drehte sich um, kurz bevor sie ihn erreicht hatte und ging hinaus.
Er ließ sich aufs Bett sinken, fuhr sich über das Gesicht.
Puh, das war knapp.
Das kleine, süße Biest!
Seine kleine Schönheit schaffte ihn total!
Immer noch wacklig auf den Beinen zog er sich fertig an, packte Sachen zum Wechseln, leicht taumelnd traf er auf seine Familie, die schon auf ihn wartete.
Anja hatte kurz kontrolliert, ob die Kleinen die Schwimmflügel dabei hatten, er steckte seine Sachen in die Badetasche.
Sie fuhren in die nächst größere Stadt, er parkte am Hafen.
Mittlerweile hatte sich seine Sprache wieder normalisiert.
Er führte sie zu einem Boot. „Voila, Herrschaften, ich bitte an Bord!"
Die Überraschung war gelungen. Er hatte letztes Jahr den kleinen Bootsführerschein gemacht, Pepe hatte das Leihboot organisiert. Sie fuhren aufs offene Meer hinaus, die Kinder mit Schwimmwesten über der Badekleidung.
„Schneller, Papa, schneller!" forderte Chiara.
Anja nahm ihn liebevoll in den Arm.
„Mein verrückter Ehemann!" Sie erzählte ihm vom Gespräch mit Florian.
Er küsste sie zärtlich, ein Hauch von Berührung der Lippen.
„Ich glaube jetzt auch nicht wirklich, dass wir Spießer werden irgendwann! Wir beide werden das schon verhindern, oder?"
„Ja, das werden wir, mein hübscher Junge!"
Auf dem Meer warf er den Anker. Die Kinder zogen widerspruchslos die Schwimmflügel an, Florian stieg brav die Leiter hinunter, Chiara sprang von der ersten Sprosse kopfüber ins Wasser, genau wie Anja.
Er pumpte die Luftmatratze auf, warf sie mit dem Ball ins Wasser, stieg wie sein Sohn die Leiter hinunter. Dann tollte eine lustige, schöne, glückliche Familie im Wasser herum, losgelöst von allem. Sie rasteten auf der Matratze , tollten weiter, spielten Ball, lachten viel, schluckten Wasser, freuten sich am Leben.
Nach einer Stunde gingen sie zurück an Bord, zogen trockene Sachen an. Lukas packte die Kühltasche aus, sie machten Brotzeit, tranken Saft. Dann kuschelten sie sich alle vier auf die Handtücher im Heck, das Schaukeln des Bootes ließ sie einschlummern. Die Eltern hielten sich an der Hand, die Kinder lagen zwischen ihnen, was ziemlich ungefährlich für das Seelenheil der Verliebten war.
Dann schwammen sie noch ein paar Runden ums Boot, fuhren zurück.
„Das war zwar die kürzeste, dafür aber die schönste Hochzeitsreise der Welt." Anja küsste ihn dankbar.
Lukas nahm sie in den Arm. „Schnuckelige Schnuckelanja, ich verspreche dir, wir machen noch eine richtig tolle Hochzeitsreise!"
„Ach, Lukas! Hochzeitsreise! Das ist doch auch so ein Klischee, etwas für Spießer! Unser ganzes Leben wird eine einzige Hochzeitsreise werden, das weiß ich genau!" Sie drückte ihn, vorsichtig auf nicht zu viel Körperkontakt bedacht. „Deine vielen kleinen verrückten Einfälle, das zählt doch tausend Mal mehr als irgend so ein voll durchorganisierter Trip auf die Malediven!"
Er hatte gewusst, dass sie in dieser Sache dachte wie er, war aber froh, dass sie es auch aussprach. Er würde versuchen, sie noch oft, immer wieder, zu überraschen, sein Leben lang. Eng umschlungen, jeder ein Kind an der Hand gingen sie die Hafenpromenade entlang.
In einem kleinen Lokal saßen sie dann noch im Freien, aßen ein paar Krabben, klauten sich gegenseitig Essen vom Teller, fütterten sich alle vier, die Eltern tranken ein Glas Rotwein, durften auch eine Zigarette rauchen, ohne missbilligende Blick zu ernten, die Kinder bekamen ein Eis, die Eltern einen ordentlichen Cappuccino, das Glück dieser Familie war fast mit Händen zu fassen.
Und nicht einmal Anja und Lukas wussten noch etwas von dem Schmerz, der fünf Jahre lang diesem Glück vorausgegangen war. Dann bummelten alle zum Auto, fuhren zu ihrem Haus, sie duschten und fielen alle ins Bett und in einen tiefen, erschöpften Schlaf.
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