Kapitel 77

Glücklich kamen sie zu Hause an. Um sechs rief Maria an, sie könnten schon zum Essen kommen. Also machten sie sich auf den Weg, es war nur ein Stück den Feldweg entlang.
Die Paella schmeckte unvergleichlich, die beiden hielten sich die meiste Zeit engumschlungen, aßen mit einer Hand oder fütterten sich.

Maria scherzte: „Seid ihr zusammengewachsen?"
„Natürlich! Am Herzen!" antwortete Lukas, übersetzte für Anja.
Es war ein fröhliche Runde, er übersetzte das Wichtigste für seine Süße, alles musste nicht sein, Worte waren nicht so wichtig, die Stimmung tat ihr gut, sie fühlte sich angenommen.

Zufällig waren zwei der vielen Enkelkinder des Ehepaares zu Besuch, Florian saß mit der 6jährigen Violetta über einem Buch, schaute mit ihr Bilder an, sie sagte die spanischen Worte, er die deutschen. Sie lächelten sich an, zwei ausgesprochen hübsche Kinder, die sich gleich gerne mochten.

Chiara tobte mit dem 5jährigen Tonio über den Hof, besuchte die Ziegen, den Esel, holte Eier von den Hühnern, lernte die spanischen Worte für alles, was Tonio ihr zeigte, schleppte ein junges Kätzchen an, warf Stöckchen für den Hund, spielte Fangen und Verstecken mit dem jungen Spanier, zwei ausnehmend hübsche Kinder, die sich gleich gut verstanden.

Violetta holte noch ein Buch, das sie ganz neu hatte. Florian erkannte es gleich: Zwei Engel in Spanien.
Er lachte und erklärte ihr, dass Anja Berentz seine Mama sei, und die Widmung für seinen Papa Lukas und seine Schwester und ihn war. Violetta musste das gleich ihrer Oma erzählen, sah Anja ehrfurchtsvoll an.

Maria konnte gar nicht glauben, dass eine Schriftstellerin an ihrem Tisch saß. Sie zeigte auf einen Aufkleber, der neuerdings die Engelbücher zierte: Ausgezeichnet mit dem EU-Friedenspreis, stand darauf in Spanisch.

Maria schlug die Hände über dem Kopf zusammen, Pepe ließ einen Redeschwall los.
Lukas lächelte seine Superanjamaus stolz an.
„Sie freuen sich, dass ich nicht nur eine schöne, sondern auch eine kluge Frau gefunden habe!" übersetzte er zusammenfassend. „Und ich freue mich übrigens auch außerordentlich darüber!"

Er küsste sie ausgiebig. Und zum wiederholten Mal dachte er, wie wichtig diese fünf Jahre für sie beide gewesen waren. Welch wichtige Entwicklung sie gemacht hatten in dieser Zeit. Dass diese fünf Jahre sie zu diesen heutigen Menschen gemacht hatten, die sich im Jetzt bedingungslos lieben konnten, lieben mussten.

Maria streichelte Anjas Gesicht, nahm sie in die Arme, hatte das Gefühl, dass sie sie wie eine Tochter lieben würde.
Zwischen den beiden Verliebten hatte sich schon wieder eine sehr knisternde Spannung aufgebaut. Sie konnten die Blicke kaum voneinander lösen, mussten sich ständig irgendwo berühren, vorsichtig küssen.

Pepe nahm seine Maria in den Arm, erinnerte sich an die Zeit, als sie sich verliebt hatten ineinander. Sie war 17 gewesen, das schönste Mädchen im Dorf, Tochter des Bürgermeisters, er 19, ein Landarbeiter, aber der hübscheste Junge im Dorf.
Mit 18 war sie schwanger geworden, die Eltern mussten sie heiraten lassen. Vier Kinder hatten sie im Lauf der Jahre bekommen, zwei Jungen, zwei Mädchen. Marietta, das Nesthäkchen, war gerade 18 geworden. 

Sie hatten nie viel Geld gehabt, aber sie hatten sich immer geliebt. Durch die Arbeit für Lukas' Eltern, die eigentlich keine war, nur ein Nebenjob, hatten sie seit ein paar Jahren ein sicheres, gutes Einkommen, konnten auch ihre Kinder ein wenig unterstützen und vor allem Marietta ein Studium ermöglichen. Sie würde ab dem nächsten Jahr Informatik studieren, sie war ein kluges, hübsches Mädchen. 

Manchmal hatten sie schon gedacht, sie könnte vielleicht mit Lukas zusammenkommen, aber der junge Mann trauerte nur seiner verlorenen Liebe nach, die er nun wiedergefunden hatte.
Lukas löste sich ein wenig atemlos von Anja, es war unhöflich den Gastgebern gegenüber, sich so in ihrer Liebe zu verlieren.

Er lächelte entschuldigend. „Amor!" sagte er nur.
Maria flüsterte ihm etwas zu. Lukas strahlte sie an. „Sie hat gesagt, wenn wir mal etwas Zeit für uns brauchen, könnten wir die Kinder gerne bei ihnen vorbeibringen, sie scheinen sich ja mit den Enkelkindern gut zu verstehen!"

Anja lächelte ihn sehnsüchtig an. „Dann lassen wir sie doch gleich da, oder?"
Lukas lachte leise, zog sie an sich, küsste ihr duftendes Haar. Zu verachten wäre ihr Vorschlag nicht!
Dann palaverten sie noch über weitere Umbaumaßnahmen der Gästezimmer, die Pepe beaufsichtigen sollte. Lukas wollte Maria Geld geben für die Einkäufe, was sie strikt ablehnte. „Beleidige uns nicht, Sohn unseres Herzens!" sagte sie.
Anja beobachtete ihre Kinder. Es war das erste Mal, dass sie so getrennte Wege gingen. Florian, der an Violettas Lippen hing, Chiara, die mit Tonio herumtobte.

Um zehn Uhr verabschiedeten sie sich. In Spanien ging zwar da erst das Leben richtig los, aber ihre Kinder waren einen anderen Rhythmus gewohnt. Violetta gab Florian ein Küsschen auf die Wange, er lächelte sie an. „Er lächelt wie der Papa!" scherzte Anja. „Irgendwie scheinen die Sieber-Männer auf ältere Frauen zu stehen!"

„Oh, wenn das meine Verlobte hört, dass du sie als ältere Frau bezeichnest!"
„Ich glaube, das sieht sie mittlerweile ganz locker!"
Dafür bekam sie einen besonders langen Kuss.

Die Kinder fielen ins Bett, die Erwachsenen kurze Zeit später. Die standen aber später noch einmal auf, um das bisschen Zweisamkeit, das ihnen an einem Tag blieb, auf der Terrasse zu genießen. Lukas holte Wein und Knabbersachen, sie saßen aneinandergeschmiegt auf der Bank, sahen den Sternen beim Funkeln zu.

„Das war ein schöner Tag! Er hat wieder ein wenig Schmerz ausgelöscht! Bald ist nichts mehr übrig!" sagte Lukas.
Sie lächelte ihn an. Es gab mit Sicherheit wenige Männer, die ihr Herz so auf der Zunge trugen, die so schöne Worte fanden wie er.

Eigentlich hatte er die Seele eines Dichters. Sie behielt aber diesen Gedanken für sich, wusste nicht, wie er darauf reagieren würde. Schließlich war er ein Mann, und was für einer!
Er hatte den Arm um sie gelegt, seine Hand suchte unter dem seidenen Morgenmantel nach Haut. Die sanften Berührungen jagten jedes Mal Blitze durch ihre Adern.

Dieses unschuldige Streicheln, das immer wie zufällig, wie vollkommen ungeplant wirkte, hatte sie schon immer sehr erregt.
Sie lehnte sich an ihn, schloss die Augen, ließ sich fallen in das Gefühl.
Er gab ihr ihr Glas, zündete ihr eine Zigarette an. Stumm tranken sie, stumm rauchten sie, stumm genossen sie die Nähe des anderen.

Sie fütterten sich mit Erdnüssen und Salzstangen, lächelten sich an, hatten die Sehnsucht in Griff, weil sie das Jetzt noch genießen wollten.
Liebten sich mit jeder Faser ihrer Seelen, hörten den Wellen weiter unten zu, hörten die Nachtigall, das Käuzchen.

Sahen die Fledermäuse, die Sterne, den Mond, sahen sich in die Augen, sahen die Liebe darin, sahen das Lächeln, sahen das Glück.
Aus heiterem Himmel liefen ihre Augen über, die Tränen liefen in Strömen über ihr Gesicht.
Lukas erschrak. „Mäuschen, was ist denn los?"

Sie lächelte ihn an, während der Wasserfall weiter sprudelte. „Ich, ich, ich bin so, so glücklich!"
Und dann musste er mit ihr zusammen heulen, heulen, heulen, und irgendwie ahnte er, dass es seine letzten Tränen auf der Insel waren. Feuchte Augen würde er immer wieder haben, er war kein harter Mann, war nicht dazu erzogen worden, aber so eine richtige Tränenflut wie in den letzten Jahren würde es nicht mehr geben. Heute musste alles raus, und dann war alles gut!

Er wusste, auch sie hatte gelitten, aber sie hatte ihre Kinder, ihre Familie, ihren Beruf, ihre Freunde, ihre Bücher.
Er hatte nichts in Heidelberg, alles war zurückgeblieben, er hatte nur Sehnsucht, Einsamkeit, hin und wieder idiotischen Sex zum Abreagieren, der ihn nur noch einsamer machte, noch sehnsüchtiger. Aber er hatte überlebt, hatte sich gefangen, war dann seinen Weg gegangen.
Und heute war er angekommen, endgültig, unwiderruflich, für immer!
Die Insel der Liebe hatte ihn therapiert.

Er erinnerte sich an die Nacht, bevor er den Brief bekommen hatte, die berauschende Nacht, und dann an den Tag, als er an ihrem Gartentor stand.
Dazwischen war nichts, woran es sich zu erinnern lohnte.
Er lächelte durch die letzten Tränen, sah, wie sie durch Tränen lächelte.
„Ich bin wieder heil!" sagte er, und wusste, dass sie verstand.

Er sprang auf, erfüllt von Glück und Dankbarkeit, hob sie hoch, drehte sich wie ein Verrückter im Kreis mit ihr, setzte sie ab, lief ins Haus, holte seine Gitarre, spielte sein Lied für sie, spielte das Lied, von dem eine andere Frau gesagt hatte, es passe nicht zu ihm, spielte noch viele Lieder, die er für sie geschrieben hatte, und die deshalb auch wie nichts sonst zu ihm passten, hörte nicht mehr die Trauer aus den Texten, sondern nur noch die Hoffnung, die immer darin zu hören gewesen war.

„Weißt du, wie sehr ich dich liebe?" fragte er.
„Ja, Lukas! Wenn ich eines weiß, dann, wie sehr du mich liebst!"
„Und ich weiß, wie sehr du mich liebst!"
„Dann wissen wir ja alles, was wichtig ist, nicht wahr?" Sie streichelte seine verheulten Augen, wusste, dass sie nie wieder verheult sein würden, weil er endlich wieder heil war.

Nicht nur oberflächlich heil, sondern tief in ihm!
Die Insel hatte ihn heil gemacht!
Ihre Insel der Liebe!

Es war gut, dass sie hergekommen waren!
Es war verdammt gut!
Nur hier hatten sie mit der Vergangenheit abschließen können.
Hier, auf dieser Insel, auf der sie immer für eine Zeitlang die Angst vor einer Trennung hatten vergessen können.

Wo auch sie sich einfach hatte ergeben können.
Der Sehnsucht nach ihm.
Der Liebe zu ihm!

Er summte ein Liebeslied, zog sie in seine Arme, tanzte mit ihr zu der Melodie. Es war das Lied, zu dem sie auf dem Ball getanzt hatten, zu dem sie im Club getanzt hatten, zu dem sie bei ihr oder bei ihm getanzt hatten: „I wonna know, what love is, and i want you to show me!" von Foreigner.

„Ich wollte wissen, was die Liebe ist, und ich wollte, dass du sie mir zeigst!"
Das war eigentlich das Motto ihres Lebens: Sie wollten sich zeigen, was Liebe ist!
Sie versanken in einem endlosen Kuss, in endloser Leidenschaft, versanken im neuen Polsterbett. Liebten sich endlos, liebevoll, heiß, zärtlich, fordernd, gebend, lachend, spielerisch, ernst, neckend. Liebten sich, wie nur sie sich lieben konnten, schon immer, von Anfang an, von der ersten Nacht an.


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