Kapitel 62
Wenn mir das damals auf der Insel jemand prophezeit hätte! dachte Lukas, und ein paar Tränen schossen ihm wieder in die Augen, zum einen wegen der Erinnerung an die schöne Nacht damals mit Anja, zum anderen wegen seiner Kinder.
Er schreckte die Nudeln eiskalt ab, mischte alles kräftig durch, stellte die Schüssel noch ein wenig in den Eisschrank.
„Hast du die Feuerschale noch?" fragte er Anja.
„Ja, im Keller, da ist auch noch Holz!"
Er flitzte hinunter, schleppte das schwere Ding hoch, fühlte sich wie 22, verrückt, verliebt- verliebt, verrückt, doch ohne jede Angst, dass er diese wunderbare Frau je wieder verlieren würde!
Er schürte gekonnt ein Feuer, stellte vier Stühle um die Feuerstelle, füllte vier Schüsselchen mit Nudelsalat.
Die Kinder sahen ihrem Papa begeistert zu.
Lagerfeuer im Garten, das hatten sie noch nie gemacht!
Die Vier saßen um das Feuer, mampften begeistert Papa-Nudelsalat, Lukas holte Nachschub, Apfelsaft für die Kinder, Weinschorle für die Eltern, sie prosteten sich zu, tanzten einen Indianertanz ums Feuer, neckten sich, küssten sich ab, spielten Ball über die Flammen weg, liefen ein paar schnelle Runden um die Schale, machten eine Polonaise, lachten, küssten sich ab.
Lukas war losgelöst, fühlte sich jung, glücklich, Anja fühlte sich so jung wie nie, so glücklich wie nie, als sie ihren hübschen Jungen in dem schönen Mann wiedererkannte, voll und ganz.
Albern wie ein Schuljunge, aufgedreht bis zum Anschlag, sie hätte jauchzen können vor Seligkeit!
Er nahm sie in den Arm: „Jetzt knutsche ich dich nieder, und dann wieder hoch, und dann wieder nieder, du süßester Happen der ganzen Welt!"
Sie konnte vor lauter Lachen kaum küssen.
„Halt still, süßes Häppchen!" beschwerte er sich.
Er hob sie auf seine Hüften, tanzte mit ihr, sie war immer noch so federleicht wie damals.
„Ich muss jetzt leider die Mama auffressen vor lauter Liebhaben!" warnte er seine Kinder vor.
Die bekamen kaum noch Luft vor lauter Lachen über ihren verrückten Papa. Als er sich wieder beruhigt hatte, holte er seine Gitarre, sang mit seinen Kids ein paar Kinderlieder, ein paar Lagerfeuerlieder und für seine Wahnsinnsfrau ein paar Liebeslieder.
Nachbarn kamen von ihrem Abendspaziergang zurück, blieben eine Weile am Zaun stehen, hatten ein paar Tränen in den Augen, weil sie sich so über diese glückliche Familie freuten. Stören wollten sie das frische Glück heute nicht.
Schließlich saßen sie still am Feuer, sahen den Flammen zu, Lukas hatte beide Kinder auf seinem Schoß, sah seine große Liebe stumm an, dankte allen Mächten des Himmels, der Erde, des Universums für sein unbeschreibliches Glück, Anjas Dank hängte sich an seinen an, nahm denselben Weg.
Sie brachten ihre Kinder ins Bett, legten noch ein paar Holzscheite nach, tranken ein Glas Wein, rauchten noch eine Zigarette. Sie sprachen kein Wort, fühlten nur, hielten sich an der Hand, lächelten sich im Schein der Flammen an, waren einfach nur zu Hause in ihrem unfassbaren Glück.
Als das Feuer abgebrannt war, zog Lukas sie hoch in seine Arme.
„Ich liebe das Leben, Anja!" sagte er leise. „Noch nie habe ich das Leben so geliebt! Nicht einmal damals!"
Sie sagte nichts, es gab nichts zu sagen, er wusste, dass sie fühlte wie er, sie musste es ihm nicht bestätigen.
Und er begriff auch in diesem Moment, dass alle Holgers dieser Welt unwichtig waren, Staubkörner, die er wegpusten konnte. Und wenn alle Männer der Stadt mit hängenden Zungen um sie herumhecheln würden, wären sie nur Staubkörner!
Sie gehörte zu ihm!
Für immer!
Weil sie sein Leben war!
Er küsste ihre Augen, ihre Wangen, ihr Haar. Sein Leben!
Er küsste ihre Lippen. Sein Leben!
Er küsste ihre Hände, ihre Finger. Sein Leben!
Er küsste ihren Nacken, ihre Schultern. Sein Leben!
Er nahm sie auf die Arme, trug sie hinein, verschloss mit einer Hand die Terrassentüre, trug sie ins Schlafzimmer, legte sie sanft aufs Bett, zog sie langsam und zärtlich aus, küsste jeden Zentimeter ihrer Haut.
Sein Leben! Sein Leben! Sein Leben!
Als er in sie eindrang, flüsterte er: „Du bist mein Leben! Ich habe mein Leben zurück!"
Er stieg mit ihr auf den Berg des Glückes, erreichte mit ihr den Gipfel und wusste, nichts und niemand würde ihn von dort oben je wieder vertreiben!
Als er wieder denken konnte, musste er eine Frage loswerden. „Anja, glaubst du, dass die Seele Fasern hat?"
Sie lachte nicht.
Die Frage war ernst gestellt, er hatte früher oft solche Gedankengänge gehabt, ihr hübscher, intelligenter, feinfühliger Junge.
„Wie kommst du da drauf?" wollte sie nur wissen.
„Ich habe gedacht, dass ich dich mit jeder Faser meiner Seele liebe und dann überlegt, ob man das so sagen kann? Ob die Seele überhaupt Fasern hat." versuchte er ihr zu erklären.
„Wenn du sagst, dass du mich mit jeder Faser deiner Seele liebst, hat deine Seele natürlich Fasern. Die Seele ist nichts genau definiertes, jeder hat seine eigene, und die ist so, wie man sie sieht, wie man persönlich sie wahrnimmt!"
„Ich wusste, dass du mir eine Antwort geben kannst!" sagte er nur.
Und wer sonst hätte das gekonnt? dachte er.
Eine von den Discomiezen, die du für mich bevorzugt ausgesucht hast?
„Du, Lukas?"
„Was denn, Mäuschen?"
„Wer von deinen Freunden war denn verliebt in mich?"
Er lachte. Das Weibchen in ihr meldete sich nun doch zu Wort, wollte wissen, wer sich noch an der Balz beteiligt hatte.
„Das wüsstest du wohl gerne!" Er küsste ihre süße, neugierige Nase.
Sie grinste ihn an. „Schon!"
„Hast du einen Verdacht?" neckte er sie.
„Also, der einzige, bei dem ich vielleicht ein bisschen was gemerkt habe, war der Julian!" gab sie zu.
„Ja, richtig! Mit dem habe ich mich sogar einmal geprügelt, weil er mir gedroht hat, alles dran zu setzen, dich mir auszuspannen!"
„Nein! Das habe ich gar nicht mitbekommen!"
„Da warst du im Schullandheim im ersten Jahr! Aber ich habe nur eine blutende Nase abgekriegt, er hat leider einen Zahn verloren und hatte ein paar Tage lang ziemliche Weichteilschmerzen!" Er lachte in Erinnerung an die einzige Schlägerei seines Lebens. „Das war das erste und letzte Mal, dass ich mich geprügelt habe!"
„Und das wegen mir?"
„Was hätte es denn in meinem Leben für einen wichtigeren Grund gegeben, sich zu prügeln als dich? Aber der war total fanatisch! Er hat gesagt, er erzählt dir von allen Mädchen, die ich je gekannt habe, er beobachtet mich, und berichtet, wenn ich nur eine ansehe, notfalls würde er irgendetwas erfinden und so weiter!"
Anja konnte nur den Kopf schütteln. Sie hatte schon gemerkt, dass der Julian an ihren Lippen hing, seine Augen nicht von ihr lassen konnte, ihr immer wieder Komplimente machte. Sie war dann auch froh, als er aus dem Freundeskreis von Lukas verschwand.
„Und sonst noch?"
„Der Ulli! Das war der Zweitschlimmste! Aber der war nicht so aggressiv. Der hat mir nur immer die Ohren vollgeheult, dass ich es doch eh nicht ernst meine mit dir, dass ich ihm halt seine Chance lassen sollte usw. Ich habe ihm dann nahegelegt, sich einen anderen Freundeskreis zu suchen. Dann der Max. Das war hart, weil ich den wirklich gern mochte, aber der hat besonders link gespielt, der hat Mädchen auf mich angesetzt, die mich rumkriegen sollten, damit er mich bei dir anschwärzen hätte können, aber da hatte er viel Pech!"
Anja war fassungslos. Davon hatte sie nicht das Geringste gespürt! Aber sie hatte sowieso immer nur Augen für Lukas gehabt.
„Dann waren noch ein paar leichtere Fälle, der Bastian, der Markus und der Felix, aber da hat es gereicht, dass ich ihnen klargemacht habe, dass ich es sehr ernst meine mit dir!" Er küsste noch einmal ihr Näschen. „Zufrieden, Süße?"
„Na ja, wenn du so Andeutungen machst! Ich wollte schon wissen, von wem du sprichst! Hast du eigentlich noch Kontakt zu der Clique?"
„Ja, schon! In den Semesterferien haben wir uns immer wieder mal getroffen. Wenn wir eine Pflegefamilie für die Kinder gefunden haben, können wir ja auch mal wieder um die Häuser ziehen!" schlug er lächelnd vor.
„Du, das können wir wirklich. Ich habe genug Leute, die die Kleinen eine Nacht nehmen. Die beiden sind total unkompliziert, schlafen überall, haben Spaß am Übernachten. Ich möchte schon, dass wir nicht nur Eltern sind, die sich aufopfern! Ich möchte , dass wir uns Zeit nehmen, ein Paar zu sein!"
Lukas hörte gebannt zu. Seine unglaubliche Anja, es war toll, dass sie so dachte! Dass sie nicht die Glucke spielte, sondern ihr Leben als Mann und Frau sehr ernst nahm! Sie war einfach fantastisch!
„Das wäre natürlich toll! Ich liebe die beiden wirklich sehr, genieße jede Minute, das weißt du ja, aber wenn wir ab und zu Zeit für uns als Paar bekommen würden, wäre das natürlich wundervoll!"
„Lukas, wir müssen immer über alles sprechen, ja? Über unsere Wünsche, unsere Hoffnungen, unsere Pläne, unser Forderungen ans Leben! Wir haben nur dieses eine! Wenn wir es verbocken, gibt uns keiner eine zweite Chance! Wir sind für unser Glück selbst verantwortlich! Okay? Versprichst du mir, dass du mir immer sagen wirst, was du willst?"
„Meine kluge Philosophin! Ja, du hast recht! Wir lieben unsere Kinder über alles, aber wir müssen auch an uns denken!" Er küsste sie zart. „Aber was ich will, ist ganz einfach: Dich! Immer nur dich!"
Er wollte ihr gerade zeigen, wie sehr er sie wollte, da merkte er, wie sie in den Schlaf abdriftete. „Schlaf gut, süßes Häppchen!" sagte er leise. Sie lächelte ihn an und war schon eingeschlafen. Die letzte Nacht forderte ihren Tribut.
Lukas lag da, hielt sie im Arm, hatte Tränen vor Zärtlichkeit in den Augen.
Seine Süße, seine Traumfrau!
Er dachte an den Urlaub, seinen verrückten Plan und nahm sich vor, nie aufzuhören, verrückte Pläne für sie zu schmieden!
Er durfte nie nachlassen in seinem Werben um sie, in seinen Bemühungen, ihr die Welt zu Füßen zu legen.
Er durfte nie den Alltag zulassen, nie sie beide als Paar aus den Augen verlieren!
Er schwor ihr in diesem Augenblick der Innigkeit der Gefühle, dass sie es nicht verbocken würden, wie sie es ausgedrückt hatte.
Dass sie am Ende ihres gemeinsamen Lebens sagen könnten: Es war gelungen! Unser Leben war gelungen! Unser Leben war perfekt, war verrückt, war ungewöhnlich, war erfüllend, war phantastisch, wir hätten nichts besser machen können!
Ja, so würde ihr Leben als Paar sein, und er würde alles in seiner Macht stehende dafür tun!
Seine Gedanken gingen wieder zurück in die Vergangenheit. Heute hatten sie schon viel Zeit dort verbracht, und es war ihm immer klarer geworden, wie unglaublich schön diese beiden Jahre gewesen waren.
Anfangs hatte er manchmal das Gefühl gehabt, dass die Ängste das Leid überwogen hatten, aber das stimmte nicht!
Weitaus häufiger gab es diese unglaublichen Glücksmomente, diese Tage, diese Nächte, unbeschreiblich schön!
Und selbst die Tiefschläge, die er einstecken musste, hatten doch nur dazu geführt, ihn die Höhenflüge noch intensiver erleben zu lassen.
Die Tränen, die er beim zweiten Piratenball vergossen hatte, hinter der Halle, wo er fassungslos, zerstört, hoffnungslos mit seinem Schicksal gehadert hatte, hatten ihn den Rest des Abends, den sie in seinen Armen verbracht hatte, tausend Mal intensiver erleben lassen.
All die Ängste um sie hatten ihn die sicheren Tage umso mehr genießen lassen.
Wenn sie nach unglaublichen Liebesnächten nicht verschwunden war, war er glücklicher gewesen, als wenn das der Normalfall gewesen.
All die Musicalbesuche, wenn sie die Kleider trug, die er für sie ausgesucht hatte, wenn sie die schönste Frau im ganzen Theater war, wenn sie die Nächte im Hotel durchgeliebt hatten, hatten ihn über die nächsten Tage weggetröstet, wenn sie wieder einmal eine Beziehungspause oder eher eine Nicht-Beziehungspause angeordnet hatte.
Je länger er sie kannte, desto sicherer war er, dass sie während dieser Pausen genauso litt wie er.
Die beiden Jahre waren das wildeste Karussell gewesen, das man sich vorstellen konnte. Doch die Tage und die Nächte ließen ihn das Leben in seiner reinsten Form spüren. Kein Dahingeplätscher eines kleinen ruhigen Baches, sondern ein Wildwasser, das sie beide taumeln ließ!
Er dachte an die Freunde, die lange geglaubt hatten, für ihn sei es ein Spiel, ein kleines Geplänkel mit einer schönen Frau, ein kurzes Intermezzo auf seinem Weg durch die Betten der Stadt. Sie hatten nicht verstanden, dass er, der Liebling der Frauen, verloren war vom ersten Tag an! Dass diese kleine Schönheit seine Seele geraubt hatte, seine Seele, die viele Fasern hatte. Lächelnd schlief er ein, wieder einmal glücklicher als je in seinem Leben.
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