Kapitel 61
„Und? Wer lässt sich jetzt von mir in eine Eisdiele einladen?" fragte Lukas. Keiner der drei ließ sich lange bitten. Den Arm um Anja gelegt, die Kinder an den Händen der Eltern marschierten sie los. Anja musste ihn immer wieder ansehen. Er trug seinen Männerschmuck, der sie seltsamerweise total anturnte.
Er sah so jung, so unbekümmert, so losgelöst aus, wie damals, und wie damals nahm sein Anblick ihr wieder den Atem. Die Hand um ihre Taille auf der Suche nach ein bisschen Haut tat ihr Übriges.
Aus seinen Gedanken heraus fragte er sie: „Hast du eigentlich die Panzerkette, die Armreife und die Kreolen noch vom zweiten Piratenball?"
„Mein Gott ja, Lukas! Ich habe erst viel später gemerkt, dass das alles echtes Gold war! Das musste ja ein Vermögen gekostet haben!"
„Hm!" räumte er ein. „Ein paar Euro waren das schon! Aber ich hatte es für ein gute Investition gehalten!"
„Und ich bin losgezogen, um jemanden zu suchen, mit deinem Schmuck ausgestattet!"
„Das war ein bisschen heftig damals, ja! Aber zum Glück haben ja deine verschiedenen Auserwählten immer ganz schnell zu viele Fehler gemacht!" Er grinste sie an. „Und ich hab's ja schon gesagt: Den Jackpot bekommt nur der Beste!" Er küsste sie vorsichtig. „Nimmst du die Sachen dann bitte mit in den Urlaub?"
„Ja, ich habe sie eigentlich nie mehr getragen! Immer nur das Herz, das habe ich nicht mehr abgenommen! Nicht einmal beim Kaiserschnitt konnte die Schwester mich dazu überreden!" Noch ein vorsichtiger Kuss.
„Damals habe ich mich schwer gewundert, dass du die Kette so widerspruchslos angenommen hast!" erinnerte er sich.
„Ich habe mir gedacht: Dieses Herz wird bleiben, wenn das seine geht! Ich wusste ja nicht, dass beide für immer bleiben würden!" Noch ein Kuss.
„Gewusst hast du es schon! Wahrhaben wolltest du es nicht, damit du Recht behältst!" Er lächelte sie an. „Mein süßer Sturkopf!"
Florian musste das Geturtel der Eltern dann doch einmal stören, ihm war etwas eingefallen. „Du, Papa, wir bräuchten neue Arbeitshefte, wir sind mit allen fertig!" Sie standen gerade vor der Buchhandlung.
„Na, dann lass uns Hefte für unsere superklugen Kinder kaufen!" Der stolze Vater strich den Kleinen über den Kopf. Sie deckten die beiden reichlich ein, auch für den Urlaub, noch ein paar Bücher kamen dazu.
In der Eisdiele gab es je zwei Kugeln für die Kinder, einen starken Cappuccino für die Eltern. Lukas bestellte sich ein Stück Kuchen, er hatte das Gefühl, dringend Zucker zu brauchen, was Anja lächelnd registrierte. Sie ging mit den Kindern zur Toilette, Lukas sah ihnen stolz und glücklich nach.
Plötzlich stand Holger an seinem Tisch. „Darf ich mich kurz setzen?" bat er geknickt.
„Wenn es unbedingt sein muss!" Lukas' Gesicht verhärtete sich.
„Lukas...," begann Anjas Kollege.
„Herr Dr. Sieber, wenn ich bitten darf!"
Lukas wollte keine Verbrüderung mit dem Idioten.
Holger atmete hörbar ein.
„Herr Dr. Sieber, ich wollte mich ernsthaft bei Ihnen entschuldigen! Aber Sie müssten eigentlich für mich Verständnis haben! Sie müssten doch am besten verstehen, wie es ist, wenn man in Anja verliebt ist!" brach es aus Holger heraus. „Ich hatte mir in letzter Zeit wirklich Hoffnungen gemacht, die Mauer, die sie um ihr Herz errichtet hatte, zumindest ein wenig abzubauen. Sie waren weg, seit Jahren, Anja war alleine mit den Kindern, ich hatte ja auch ein bisschen Grund zu hoffen, verstehen Sie? Und plötzlich tauchen Sie wieder auf, aus dem Nichts, und sie rennt mit fliegenden Fahnen zu Ihnen. Da hat mich einfach die Wut gepackt!"
Er wunderte sich, wie er dem anderen seine Gedanken so schonungslos um die Ohren schlagen konnte. Aber Anja war es wert, um sie zu kämpfen!
Lukas sah den anderen Mann lange an, dann beschloss er, ihm einfach die Wahrheit zu sagen. Vielleicht verstand er dann endgültig, wohin Anja gehörte.
„Wissen Sie, die Dinge sind nicht immer so, wie sie scheinen! Ich habe Anja damals nicht verlassen, weil sie schwanger war, auch wenn Gott und die Welt das anzunehmen scheint! Sie hat mich nach einer zweijährigen teils schwierigen, meist aber sehr schönen Beziehung weggeschickt, weil ich ihr zu jung war, weil ich erst zu studieren begonnen habe. Ich habe wochenlang versucht, sie zurückzubekommen, weil ich ohne sie nicht leben wollte. Ich wusste nichts von der Schwangerschaft, es ist beim Abschied passiert! An diesem Samstag wollte ich sie nur noch einmal sehen und war plötzlich glücklicher Vater von Zwillingen. Anja und ich gehören zusammen, schon immer und für immer, heute kann sie das auch akzeptieren. Haben Sie jetzt verstanden?"
Holgers Mund war trocken geworden.
Die Gedanken rasten durch sein Gehirn.
Das hörte sich nun ganz anders an als die Geschichte, die er sich zurechtgelegt hatte. Und die Wahrheit ließ ja keine Träume und Hoffnungen seinerseits mehr zu.
Er hatte verloren, oder besser gesagt, er hatte nie gewonnen, nicht das kleinste bisschen gegen die Liebe ihres Lebens. Er versuchte ein Lächeln, es kam sehr gequält rüber.
„Das wusste ich nicht! Sie hat nie darüber gesprochen! Aber eigentlich hätte ich es mir denken können! Welcher Mann verlässt freiwillig ein Frau wie sie?"
Anja kam mit den Zwillingen an der Hand zurück, sah Holger bei Lukas sitzen. „O Gott!" dachte sie. „Hoffentlich gehen sich die beiden nicht an die Gurgel!"
Stumm vom einen zum anderen blickend stand sie am Tisch. Holger erhob sich, gab Lukas die Hand. „Also, dann Herr Dr. Sieber.....!"
„Lukas, bitte!" sagte der lächelnd. „Dann sind die Fronten klar, und wir können hoffentlich das Kriegsbeil begraben!"
Holger sah Anja an. „Und du hast mir zur Strafe die Sabine auf den Hals gehetzt! Zwei Wochen lang! Dann habe ich hoffentlich genug gebüßt!" Damit drehte er sich um und ging weg.
Anja sah Lukas fragend an. „Ich erzähle es dir zu Hause, Süße!" versprach er.
Chiara und Florian sahen ein wenig ängstlich drein.
Schon wieder dieser blöde Holger!
Lukas sah die Mienen seiner Kinder. „Alles gut! Wir haben nur ein bisschen geplaudert!" beruhigte er sie.
Zu Hause berichtete Lukas ihr von dem Gespräch mit Holger.
„Irgendwie haben alle, außer denen, die mich gut genug kannten, die Meinung, dass ich dich sitzengelassen habe, als du schwanger warst! Das ist halt die landläufige Meinung von uns Männern!
Keiner kommt auf die Idee, dass es ein so verrücktes Weib geben könnte, das einen Prachtkerl wie mich in die Wüste schickt und am ausgestreckten Arm verhungern und verdursten lässt!"
Er grinste sie an, sie grinste zurück.
„Du hast vollkommen recht! Spuck nur alles aus!" sagte sie lachend. „Verrücktes Weib, das ist direkt noch schmeichelhaft!"
Er zog sie an sich. „Nur gut, dass dieses Weib so verrückt nach mir ist!" Er küsste sie heiß, zärtlich, gierig.
„Ist es das, das Weib?" flüsterte sie.
„Oh ja! Dieses Weib ist vollkommen verrückt nach mir! Es kann gar nicht genug von mir bekommen, dieses Weib! Von meinem Körper, von meinen Händen, von meinen Lippen, von der Liebe mit mir!" Seine Stimme war nur noch ein heiseres Krächzen.
„Wenn aber dieser Mann auch ein solcher Prachtkerl ist! Wie soll das Weib denn da jemals genug von ihm bekommen?" Der Kuss, den er ihr gab, sprengte fast wieder einmal jede Beherrschung in ihnen.
„Und jetzt? Wen rufen wir jetzt an, dass er die Kinder abholt?" stöhnte sie atemlos.
„Das Jugendamt?" schlug er ebenso kurzatmig vor
„Gute Idee! Vielleicht finden sie kurzfristig eine Pflegefamilie für sie!"
Das Scherzen hatte die Situation ein wenig entschärft. Sie brannten zwar beide noch lichterloh, sahen aber eine reelle Chance, nicht zu verbrennen. Er ging zur anderen Seite der Küche, brachte ein wenig Abstand zwischen sie, atmete ein paar Mal tief ein und aus.
„Aber jetzt noch einmal zurück zu Holger. Das ist jetzt schon eine blöde Situation! Er hat ja ganz offen zugegeben, dass er sehr verliebt ist in dich, dass er sich Hoffnungen gemacht hat. Ich meine, wenn dich Fremde anflirten, ist das okay, ist das eher ein Spiel. Aber es gab damals auch Freunde, die sich ernsthaft verliebt hatten in dich, da bin ich dann schon auf Abstand gegangen." Er sah sie ernst an.
Das schien wirklich ein Problem für ihn zu sein.
Anja fand seine Worte zwar süß, sah aber die Sache nicht so dramatisch.
„Aber Lukas, du wirst doch nicht glauben, dass ich jetzt mit einem anderen etwas anfange, gerade jetzt! Da hätte ich fünf Jahre Zeit gehabt!"
„Nein, ich glaube natürlich nicht, dass du was anfängst mit ihm, um Gottes Willen, Süße! Aber wenn er so Sachen sagt, wie: Schönste Kollegin von allen! und ich habe dann mal einen anstrengenden Tage und vergesse vielleicht, dir etwas Liebes zu sagen, könnte es ja sein, dass du unzufrieden wirst mit mir oder so in der Art. Ich kann es nicht so ausdrücken, aber es ist ein blödes Gefühl, dass du dauernd mit jemanden zusammenbist, der verliebt ist in dich, ernsthaft verliebt!"
Sie musste ihn in den Arm nehmen und ganz fest drücken. Was für Gedanken durch seinen Kopf geisterten!
„Ach, Lukas! Es sind nur noch vier Wochen, dann bin ich ja beurlaubt! Was meinst du denn, wie es mir ergehen wird, wenn du am Klinikum anfängst? Da werden sich reihenweise Kolleginnen in dich verlieben, und auch eindeutige Angebote werden nicht ausbleiben. Aber da stehen wir doch drüber, oder?"
Er streichelte ihr Haar. „Du hast recht, Süße! Da stehen wir zwei drüber! Zwischen uns passt kein Blatt! Geschweige denn ein anderer Mann oder eine andere Frau, nicht wahr?"
„Genau, mein hübscher Junge! Was wir alles durchgestanden haben, was soll uns denn noch gefährlich werden!"
Dieses Mal legte er in seinen Kuss all die Zärtlichkeit, die er für sie im Übermaß empfand. Lange hielt er sie danach einfach nur im Arm, fest an sich gedrückt. Sie waren eins, ihre Seelen waren eins. Daran würde nie jemand etwas ändern können!
Chiara kam hereingestürmt. „Oh, ich dachte, ihr kocht Abendessen!" Den Rest schluckte sie hinunter, sonst würde Florian wieder mit ihr schimpfen.
„Dabei pappen wir wieder aneinander!" Lukas sprach ihre Gedanken aus und lachte sie an. Er sah auf die Uhr, halb acht! Da wurde es aber wirklich Zeit! Er sah Anja tief in die Augen. „Hatten wir etwas geplant für heute?"
„Kann schon sein! Schau in den Kühlschrank!" Ihre Gedanken waren ganz woanders, bestimmt nicht beim Kochen.
Verflixt noch einmal, sie musste das wieder besser in den Griff bekommen. Aber diese neue Liebe zu Lukas stellte ihr Leben komplett auf den Kopf.
Lukas öffnete die Kühlschranktüre. Was wollte er jetzt schnell wieder nachsehen? Sein Kopf war schon wieder vollkommen leer.
Er sah seine Tochter an. „Was sollte ich tun?" fragte er.
„Abendessen!" Sie verdrehte die Augen. „Heute bist du aber ein komischer Papa!" Er hob sie hoch, küsste sie ab, bis sie kicherte. „Ich weiß, mein Schatz!"
Florian kam um die Ecke. Anja nahm ihn hoch, küsste ihn ab, bis er kicherte. Lukas sah im Kühlschrank nach. Eine Packung Knacker lachte ihn an. Er suchte nach weiteren Zutaten, alles da.
„Was haltet ihr von einem leckeren Papa-Nudelsalat?"
Anja grinste ihn an.
Na ja, gesund war anders!
Aber sie liebte seinen Nudelsalat!
Er hatte ihn mal auf Fuerte gemacht, sie hatten ihn am Strand gegessen, sich geliebt, Wein getrunken, er hatte Gitarre gespielt und gesungen für sie, sie hatten sich geliebt, waren geschwommen, hatten den Rest gegessen, hatten sich die ganze Nacht im Arm gehalten in einem Schlafsack eingewickelt, in die Sterne gesehen, hatten versucht, sich zu lieben in dem engen Teil, hatten sich halb zu Tode gelacht, als es partout nicht gelingen wollte, dann hatten sie eben die Flasche Wein leer gemacht, hatten sich in den ersten warmen Sonnenstrahlen geliebt.
Er sah an ihren glasigen Augen, dass auch sie mit Nudelsalat die schönsten Erinnerungen verband.
„Was ist denn Nudelsalat?" lachte Chiara. „Salat mit Nudeln oder Nudeln mit Salat?" Sie kriegte sich gar nicht mehr ein.
„Lass den Papa nur machen!" beschloss Florian. „Wir werden schon sehen, was das ist, oder Mama?"
„Nudelsalat ist das Ambrosia der Götter!" sagte Anja verträumt.
Lukas musste lachen über sein kluges Mädchen, seine verrückte Kleine.
„Also, dann raus aus meinem Reich!" kommandierte er.
Die drei Verbannten setzten sich auf die Terrasse, Anja wagte es zum ersten Mal, vor den Kindern eine Zigarette zu rauchen. Die befürchtete Kritik blieb aus. Lukas brachte ihr ein Glas Wein, rauchte eine mit, bis das Nudelwasser kochte. Sie wussten, es war nicht gut, vor den Kindern zu qualmen, aber die eine Ausnahme durfte schon einmal sein!
Sie waren ja nicht nur Eltern, und sie mussten nicht tausend Prozent perfekt sein. Sie durften auch einmal den einen oder anderen Fehler machen.
Dann verzog Lukas sich überschäumend vor Glück in die Küche, schnippelte, kochte Nudeln, machte Nudelsalat für seine Familie.
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