Kapitel 60
Am Nachmittag gingen alle vier zur Bank, um die Konten zusammenzulegen. Anja bekam den Mund kaum zu, als sie sah, wieviel Geld auf Lukas' Konto war. Die Mieten, die großzügigen Zuwendungen seiner Eltern hatten eine hohe sechsstellige Summe auflaufen lassen. Das Geld vom Verlag war auch schon eingetroffen.
Auf Anraten des Filialleiters legten sie einen Großteil an, gestreut in verschiedene Anlageformen. Sie hätten auch alles gelassen wie es war, Geld war ihnen nie das Wichtigste gewesen, würde es auch nie werden.
Der Bankangestellte sah die Mieteinnahmen durch. Aus den Unterlagen hatte er ersehen, dass es sich um ca. 100 Quadratmeter große Wohnungen handelte. „Die Mieten sollte Sie aber auch einmal dem Mitspiegel anpassen!" schlug er vor.
Lukas lächelte nur. „Das sind langjährige Mieter, die keine Probleme machen und die es nicht so dick haben, Familien mit Kindern!" antwortete er.
„Aber 300 Euro für so große Wohnungen, das ist schon relativ unvernünftig!"
Lukas wurde scharf. „Nein, das ist relativ vernünftig! Sich zu bereichern an anderen, wenn man es gar nicht nötig hat, das ist unvernünftig!"
Anja drückte seine Hand. Wie oft hatten sie die Thesen zu mehr sozialer Gerechtigkeit diskutiert, sie waren hierbei absolut einer Meinung. Das waren auch die Thesen, die sie in den Talkshows so vehement vertreten hatte. Eigentum verpflichtet, Teilen mit denen, die weniger haben als man selbst, sollte selbstverständlich sein.
Der Filialleiter sah die schöne junge Frau hilfesuchend an. „Aber Sie müssen auch an Ihre Kinder denken!"
„Das tun wir! Eben deshalb sind wir uns hier absolut einig! Weil wir an unsere Kinder denken und an die Welt, in der sie einmal leben sollen!" fuhr Lukas ihn an.
Der Banker gab sich geschlagen. In seiner Welt der Finanzen und der Vermehrung von Vermögen hatten die Ansichten dieses Paares zwar wenig Platz, aber ein bisschen Menschlichkeit konnte auch in dieser Welt nicht schaden.
Deshalb sprach er auch die geringen Mieten für die Studentenwohnungen gar nicht mehr an, aber 50 Euro für ein WG-Zimmer in der Innenstadt waren eigentlich ein Witz, deckten bestimmt nicht einmal die Kosten.
Anja bemerkte den niedrigen Preis dagegen mit Genugtuung.
Das war ihr Lukas, der nicht nur sozial dachte, sondern auch so handelte. Gut, sie hatten innerhalb von ein paar Tagen Unsummen für zwei Autos ausgegeben, sie hatten beide vom Elternhaus her großen finanziellen Rückhalt, sie hatten dick gefüllte Bankkonten, aber sie waren nicht abgehoben, wollten nicht immer noch mehr.
Sie hatte ihre gesamten Preisgelder und auch immer wieder große Summen von ihren Einkünften aus Talkshows und Buchverkäufen an Familien in Not in ihrer Heimatstadt gespendet und würde das auch weiter tun.
Zufrieden mit sich und der Welt gingen sie mit ihren wunderbaren Kindern, die während des Gespräches brav gemalt hatten, nach Hause.
Florian schien zu grübeln. „Warum hast du den Mann von der Bank geschimpft?" fragte er schließlich seinen Vater. Der zog ihn auf den Schoß, überlegte, wie er das Problem der sozialen Gerechtigkeit einem noch nicht einmal Fünfjährigen erklären sollte.
„Schau, Junge, wenn man 100 Euro hat, braucht aber bloß 10, was macht man dann mit dem übrigen Geld?"
„Man hebt es auf, spart es!" antwortete Florian.
„Gut! Und dann kommt der nächste Monat, da ist es genau so, und der nächste, und der nächste, und irgendwann hat man so viel gespart, dass man das ganze Geld niemals ausgeben kann, was könnte man dann machen?"
Der Kleine überlegte. „Dann könnt man ein bisschen jemandem schenken, der nicht so viel hat?" schlug er vor.
Lukas drückte seinen klugen Sohn an sich. „Genau, mein Süßer! Und das hat der Mann von der Bank nicht verstanden. Er wollte sogar, dass ich Menschen, die nicht so viel haben wie wir, etwas wegnehmen soll, damit wir noch mehr haben! Und das wollen die Mama und ich einfach nicht tun!"
Anja hörte gebannt zu.
Wie hatte Chiara gesagt? „Da hast du uns aber einen tollen Papa ausgesucht!"
Und sie wusste, sie hatte den tollsten Papa der Welt für ihre Kinder ausgesucht. Einen besseren Mann, einen besseren Vater würde es auf der ganzen Welt nicht geben!
Florian schlenderte nachdenklich hinaus in den Garten, wo Chiara wild schaukelte. Er erklärte ihr, was der Papa ihm gerade gesagt hatte. Kurz darauf standen die beiden mit ihren Sparschweinen im Wohnzimmer, wo Anja ihren phantastischen Lukas gerade fest umarmt hielt.
„Wir wollen auch mit jemandem teilen!" forderte Chiara.
Anja lächelte dem unvergleichlichen Mann an ihrer Seite zu und holte die Schlüssel. Jedes Kind hatte um die 200 Euro gespart.
„Und ihr seid sicher, dass ihr teilen wollt?" fragte Lukas ernst.
„Ja, wir haben ja alles! Wir haben jede Menge Spielzeug, Anziehsachen, Mama und Papa und uns, Oma und Opa, einen neuen Opa und eine neue Oma, Sonja und Oliver. Und zu essen haben wir auch genug im Kühlschrank!" fasste Florian ihr glückliches Leben zusammen.
Lukas hatte schon wieder Tränen in den Augen. Die Kinder waren viereinhalb und hatten mehr Verstand als die meisten Politiker, als ein Großteil der Erwachsenen in diesem Land!
Das war natürlich auch Anjas Erziehung zu verdanken, die die beiden zum Denken und Nachdenken angehalten hatte, die ihnen Werte mitgegeben hatte, die sie zu glücklichen, zufriedenen Kindern gemacht hatte.
Im Augenblick wusste er nicht, wie er sein Glück fassen sollte, sein Glück über seine Zwillinge, aber vor allem sein Glück über diese Frau, diese unglaubliche Frau, die eine so tolle Mutter war, ein so guter Mensch, seine beste Freundin, seine Seelenverwandte!
Ich bete sie wirklich an! dachte er. Das war nicht nur so dahingesagt gewesen im Liebesrausch. Er verehrte diese wunderbare Frau mit jeder Faser seiner Seele, auch wenn er nicht wusste, ob eine Seele Fasern hatte.
Bei diesem Gedanken musste er lächeln. Das müsste er mit ihr mal durchdiskutieren.
Sie hatten früher oft philosophische Gespräche geführt, hatten Bücher darüber gelesen, nächtelang darüber gesprochen, er hatte sich oft vorgestellt, er würde so ein Gespräch mit einem der Discogirlies zu führen versuchen, hatte dann regelmäßig einen Lachanfall bekommen, ihr aber den Grund dafür nie gestanden.
Doch irgendwie hatte er das Gefühl, dass sie auch so verstand, was ihn so zum Lachen brachte. Auch sie hatte in ihm wie in einem Buch gelesen, sich nur geweigert, seine Sprache zu verstehen, manchmal zumindest!
Er riss sich aus seinen Gedanken, kam zurück ins Heute. Die Kinder hatten die Scheine und Münzen in zwei Häufchen gelegt, den einen Teil steckten sie zurück in die Sparschweine, den anderen schoben sie Lukas hin. „Und wem wollt ihr das Geld schenken?" fragte der gerührt.
Hilfesuchend sahen sie Anja an.
Da kannten sie sich nun nicht wirklich aus. „Es gibt eine Spendenaktion in der Gemeinde, für Kinder, die nicht am Ferienprogramm teilnehmen können, weil die Eltern es sich nicht leisten können!" schlug sie vor. Sie hatte auch schon ein paar Tausend Euro dafür gespendet.
„Können wir da gleich hinfahren?" bat Chiara.
„Prima!" Lukas fand den Plan gut. „Und dann kaufen wir noch ein paar Anziehsachen für den Urlaub, okay?"
So fuhr eine vor Glück strahlende Familie zur Gemeinde, wo die Kinder stolz ihr Geld in eine Spendenbox steckten.
In der Stadt musste Lukas wieder einmal ein bisschen tricksen, um seinen Plan umsetzen zu können. Er lotste Anja in ein bestimmtes Geschäft, wo er einen Anzug kaufte, ähnlich dem, den er getragen hatte, als er sie das erste Mal auf Fuerteventura gelockt hatte und auch ein entsprechendes Shirt. Er überredete sie zu einem Kleid aus viel weißer Spitze und wenig Stoff, wadenlang, mit einer kunterbunten Jacke in ihren Farben darüber.
Für Chiara setzte er ein weißes Kleidchen durch, für Florian eine süßen Anzug mit Shorts. Beim Rest der Kleidung überließ er die Entscheidung ihr. Viel brauchten sie nicht mehr, er hatte bei seinem Kaufrausch letzte Woche schon einen kräftigen Grundstock gelegt. Ein paar Badeanzüge, ein paar Badehosen, Shorts für ihn, das war's dann.
Müde packten sie das Auto, das wieder im Hof seines Hauses parkte, voll.
„Ich weiß nicht recht, ob ich mich von der Wohnung trennen kann!" flüsterte er ihr ins Ohr. „Ich weiß, es ist total unvernünftig, aber im Moment möchte ich sie noch behalten!"
Anja lächelte ihn verschwörerisch an. „Das ist gut, mein hübscher Junge! Vielleicht können wir ja am Mittwoch ein paar Stunden hier verbringen!"
Der Gedanke an das Versprechen, das ihr Vorschlag beinhaltete, nahm ihm kurz den Atem.
„Nach oder vor dem Hausputz?" neckte er sie heiser.
„Ach, ich habe ganz vergessen, dir zu sagen, dass heute Nachmittag die Perle da war! Hausputz hat sich erledigt!"
„Kleines Biest!" presste er hervor, bevor er sie dringend küssen musste. Die Kinder spielten Fangen im Hof, dann Verstecken, dann setzten sie sich auf die Stufen, spielten Schnick-Schnack-Schnuck, dann verdrehten sie ein bisschen die Augen, bis die Eltern wieder aus ihrer leidenschaftlichen Umarmung auftauchten.
Die Haustüre ging auf, zwei Studenten, die schon zu Anjas Zeiten damals hier gewohnt hatten, kamen heraus. „Hei, Lukas! Bist du wieder da?" freute sich Thomas.
Er sah die Frau in seinem Arm näher an. „Anja! Hallo! Schön dich zu sehen!" Er küsste sie links und rechts auf die Wange.
Stefan begrüßte sie ebenso freudig. Dann fiel der Blick der beiden auf die Kinder.
„Nein, oder?" Thomas musste lachen. „Na, das sind ja eine Menge Neuigkeiten für einen Tag, alter Junge!" Er schlug ihm auf die Schulter.
Lukas grinste ihn stolz und glücklich an. Sie lachten und alberten noch eine Weile, Lukas stellte seine Kinder vor, berichtete auszugsweise über die vergangenen Jahre.
Einen Teil der zweijährigen Nichtbeziehung hatte die beiden jungen Männer mitbekommen, wenn zum Beispiel lautes Stöhnen durch die Wände gedrungen war, oder wenn Lukas wieder einmal sein Wohnung zerlegt oder laut seine Wut herausgebrüllt hatte, oder wenn sie die beiden im Treppenhaus überraschten, wenn sie es taumelig vor Erregung kaum in die Wohnung geschafft hatten.
So recht hatten sie bei dieser Beziehung nie durchgeblickt: zwei so schöne, verliebte Menschen, aber auch so viel Zündstoff in ihrem Zusammenleben. Und jetzt war Anja plötzlich wieder da und mit ihr zwei hübsche Kinder!
Schließlich verabschiedeten sich alle voneinander.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top