Kapitel 55

Der Sonntag begann mit einem für Lukas neuen Familienritual: Semmeln holen in der Bäckerei. Kindersemmeln, Mamasemmeln und seit neuestem auch Papasemmeln.
„Mama lassen wir noch ein bisschen schlafen!" sagte er zu seinen zwei Kindern. Der Gedanke raubte ihm immer noch den Atem: Meine zwei Kinder!

„Klar!" sagte Florian. „Jetzt bist ja du für uns da!"
Der nächste Gedanke, der ihn atemlos machte. Er war für seine Kinder da, die das auch widerspruchslos akzeptierten, dass ein Papa da war für sie!
Er belegte die Brötchen für alle, kochte Kaffee und wärmte Milch, lud alles auf ein großes Tablett. Gegen zehn trug er das Familienfrühstück ein Stockwerk höher, die Kinder schlichen hinter ihm her, sie wollten Mama ja überraschen!

Anja öffnete die Augen, als die Türe aufging. Ihre wunderhübschen Kinder und ihr hübscher Junge freuten sich, dass sie wach war. Alle kuschelten sich ins Bett, ließen sich die vom Papa belegten Brötchen schmecken. Es ist ein Traum, dachte Anja.
Ich glaube, ich träume, dachte Lukas.

„Warum bist du nicht am Sonntag immer gekommen, damit wir Papa-Mama-Zwillinge-Frühstück machen konnten?" fragte Chiara. Florian sah seine süße Schwester an. Sie war immer schneller mit den Worten als er. Aber er wollte das Gleiche fragen.

Und in diesem Moment mit seiner Familie wusste Lukas, dass er auch gekämpft hätte um dieses Glück, wenn sie in einer neuen Partnerschaft gewesen wäre. Selbst wenn sie verheiratet gewesen wäre, hätte er gekämpft, geworben. Er hätte nicht kampflos aufgegeben, sie und seine Kinder niemals einem anderen Mann überlassen, ob er jetzt Holger hieß oder sonst wie. Er hätte den Kampf seines Lebens geführt um das Glück seines Lebens.

Und er wusste genauso, dass er zu ihr gefahren wäre, auch wenn er eine Beziehung begonnen gehabt hätte. Dass er jede Beziehung sofort beendet hätte in diesem Moment, als sie ihm das Gartentor geöffnet hatte. Es war nicht knapp gewesen! Ein anderes Leben, als das, was sie jetzt führten, wäre niemals in Frage gekommen, wäre es auch nach zehn Jahren nicht gewesen!
„Ich gehe jetzt duschen! Kommst du mit, Florian?" verkündete Chiara nach einer ausgedehnten Kuschel- und Abschmuserunde.

„Heute ist doch Sonntag!" wandte der ein.
„Aber unsere hübschen Eltern wollen bestimmt hübsche Kinder haben!" gab die Kleine zu bedenken.
Lukas hielt sich schon wieder den Bauch vor Lachen. Das Mädchen war zum Brüllen!
Aber Florian war vom Argument seiner Schwester überzeugt, krabbelte aus dem Bett und ging gemächlich hinter ihr her.
Lukas schüttelte den Kopf. „Wo holt die bloß ihre Sprüche her?"
Anja lächelte ihn an. „Na, ich denke mal, ihre hübschen Eltern sind beide nicht auf den Mund gefallen!"

Da musste er ihr allerdings zustimmen.
Schon beim ersten Spaziergang durch die Stadt hatte er ihre Schlagfertigkeit genossen, wie sie seine Späße parierte, immer noch ein Wortspiel oben drauf setzte.
Oft hatten sie regelrechte Sprachschlachten geschlagen, sich halbtot dabei gelacht.
Sie hatten sich unsinnige Gedichte ausgedacht, sich gegenseitig übertroffen bei ihren Blödeleien. Nein, auf den Mund gefallen waren sie beide nicht.

Und wie er das genossen hatte!
Und wie er das vermisst hatte!
Immer wieder war es ihm passiert, dass er eine Wortspielerei mit einer Frau gemacht hatte, und sie sah ihn nur verständnislos an.
Anja hätte schon verstanden! dachte er dann.
Er musste jetzt, wo die Kinder im Bad waren, unbedingt seine Gedanken von gerade loswerden.

„Weißt du, was mir eben durch den Kopf gegangen, Süße?"
„Nein, mein hübscher Lukas, aber du wirst es mir sicher gleich sagen!"

„Äffchen! Nein, im Ernst jetzt! Ich habe gerade gedacht, dass ich es nicht kampflos hingenommen hätte, wenn du in einer neuen Beziehung gewesen wärst! Dass ich gekämpft hätte um dich und die Kinder, selbst, wenn du verheiratet gewesen wärst! Dass ich dich so lange umworben hätte, bis du zu mir zurückgekommen wärst! Nur, wenn ich hätte einsehen müssen, dass deine neue Liebe größer ist als die zu mir, hätte ich aufgegeben!"

Sie küsste ihn zärtlich. „Und das war ja eher unwahrscheinlich, nicht wahr?"
„Das glaube ich auch, heute darf ich das ja glauben!" Er nahm sie fest in den Arm, drückte sie an sich.

„Und selbst wenn ich eine neue Beziehung begonnen gehabt hätte, ich wäre zu dir gekommen, hätte dich noch einmal sehen müssen. Und dann wäre ich auch geblieben, hätte alles andere hinter mir gelassen!"
„Ja, das hättest du! Aber selbst wenn ich einen neuen Mann gehabt hätte, hättest du nicht kämpfen müssen! Jeder andere hätte verloren gehabt, als mein hübscher Junge am Gartentor stand!"

„Und wenn du von meinen Eltern erfahren hättest, dass es eine neue Frau für mich gibt?"
„Du wärst gekommen, um die Kinder zu sehen, und dann hätte ich schon wieder gewonnen gehabt!"
„Immer nur wir, oder? Immer nur unsere Liebe, seit dem ersten Piratenball? Es gab keine andere Möglichkeit mehr für uns, oder?" fragte Lukas mit schon wieder feuchten Augen.
„Ja!" bestätigte Anja. „Immer nur wir! Und ich habe es nicht begriffen! So lange nicht begriffen!"

„Und ich habe es nicht begriffen, warum du es nicht begriffen hast! Aber du hast dich getäuscht, süße Anja! Du hast einen großen Denkfehler gemacht! Es war nicht so, dass du ihn nicht halten konntest! Er konnte dich nicht halten! Du bist ihm davon geflogen, mit all deinen Talenten, deiner Schönheit, deiner Intelligenz!"

Anja konnte nicht mehr sprechen. Sie schmiegte sich an ihn, ihren hübschen Jungen, den sie seit sieben Jahren bis zum Wahnsinn liebte! Und sie wusste, er hatte Recht!
Nicht Peter hatte sie verlassen, ihr Herz hatte ihn verlassen, schon lange vor dem Ende.
Sein Fehltritt war nur die konsequente Handlung gewesen, er musste den ersten Schritt machen bevor sie ihn tat!

Aber vieles, ganz vieles hatte sie damals nicht verstanden, falsch eingeschätzt, nicht wahrhaben wollen. Sie war stur, hatte stur an ihrer Meinung festgehalten, weil sie aber auch zu unerfahren war, was Liebe und Beziehungen anbetraf.
Lukas war der zweite Mann in ihrem Leben gewesen, mit 28 Jahren war sie unerfahrener als mancher Teenager! Und er war noch immer ihr zweiter Mann, der kleine Ausrutscher nach der Fortbildung damals zählte nun wirklich nicht!
Die Zwillinge kamen aus dem Bad zurück, duftend, wunderschön!

Für ihre Eltern hatten sie das Duschfrei außer Kraft gesetzt! Es waren unglaubliche Kinder!
„Wollt ihr noch ein bisschen kuscheln?" fragte Chiara, die nie lange nachdachte, bevor sie aussprach, was ihr durch den Kopf ging.
„Ja, süße Tochter! Das wäre schön!" antwortete Lukas.
„Dann rechnen wir noch ein bisschen, oder Florian?" Der Bruder grinste seine Schwester an.
„Genau! Dann rechnen wir noch ein bisschen! Eltern kuscheln nun mal gerne!" sagte er schmunzelnd.
Die beiden gingen nach nebenan, und wieder hatten die Eltern das Gefühl, die beiden verstanden mehr, als sie glaubten!

„Dann lass uns ein bisschen kuscheln, Liebe meines Lebens!"
„Aber leise kuscheln!" warnte Anja.
Und sie kuschelten, küssten sich, streichelten sich, liebten sich ganz leise, aber sehr intensiv, waren ihren unglaublich süßen Kindern unheimlich dankbar!
Am Nachmittag fuhren sie in ein Trampolin-Zentrum. Chiara tobte wie wild durch die ganzen Attraktionen, Florian hatte zu tun, auf seine Schwester aufzupassen. Lukas starb tausend Tode, während er seine Kleine beobachtete.

„Also, das hat sie eindeutig von dir!" stellte er lächelnd fest. „Ich war ja in den zwei Jahren froh, dass du nicht Bungee-Jumping oder Fallschirmspringen angesprochen hast!"
„Aber du hättest es für mich mitgemacht, oder?" fragte sie lachend.
„Natürlich! Ich wäre mit dir von jeder Klippe gesprungen, hätte jeden Eiskanal durchpaddelt, mich jede Piste hinuntergestürzt!"

Anja lachte. „Seit ich Kinder habe, bin ich ruhiger geworden!"
„Gott, ich danke dir!" Er nahm sie in den Arm. „Weißt du, wie viel Tode ich gestorben bin in all den wilden Fahrgeschäften auf den Volksfesten? Aber das war alles kein Vergleich zu den Toden, die ich gestorben bin, wenn du gesagt hast: Lukas, wir müssen ein Pause einlegen! Wir können uns ein paar Tage lang nicht sehen!"

Sie küsste ihn, ihr Herz bat ihn zum tausensten Mal um Verzeihung, aber sich gleich mit, denn sie hatte genauso gelitten wie er.
Aber vielleicht hatte es das ganze Leiden auch gebraucht, um sie heute so glücklich zu machen? dachte sie.

Wenn alles nach Schema F gelaufen wäre, würden sie heute alles so genießen können?
Vielleicht brauchte die Liebe auch die Angst, um das, was war, zu schätzen?
Sie hatten sich ja nie wirklich verloren, das Gefühl war ja nie wirklich gestorben, damals, in den wundervollen, schrecklichen, phantastischen, grausamen, phänomenalen Jahren.

Sie hatten Panik, Glück, riesengroßes Glück, Angst, Verzauberung, Leidenschaft erlebt.
Jede Woche neue Gefühle, jeden Tag neue Ängste, jeden Monat neue Ideen, neues Werben, neuer Anfang, neues Ende!

Aber nie Normalität, Alltag, Langeweile!
Vielleicht war das auch der Schlüssel zum Glück gewesen, dass einfach alles so unnormal, so gefährlich, so chaotisch war?
Sie dachten beide in etwa die gleichen Gedanken und wussten auch die Antwort.
Es war gut gewesen, wie sie gelebt hatten, damals!

Und es war gut wie sie lebten, heute!
Lukas sprach es als erster aus: „ Und trotz allem waren die zwei Jahre das Beste, was wir als Paar oder Nicht-Paar erleben konnten! All die Erinnerungen hätten wir nicht, wenn alles normal abgelaufen wäre! Und ich möchte keine der Erinnerungen missen! Nicht die perfekten, nicht die guten und auch nicht die weniger guten!"

Anja zog ihn in ihre Arme, küsste ihn, war überrascht, wie er wieder einmal ihre Gedanken denken, ihre Worte aussprechen konnte.
Aber jetzt hielt Lukas erst einmal die Angst um seine Tochter nicht mehr auf seinem Platz. Er lief zum großen Trampolin. „Chiara, nicht ganz so wild!" bat er.

Anja musste lachen. Die Kleine sprang ganz normal, drehte ein paar Saltos, schlug ein paar Purzelbäume! Aber er war den Wildfang halt noch nicht gewöhnt!
Florian sah seinen Vater erstaunt an. „Ich habe das schon in Griff, Papa!"
Lukas musste wieder einmal lachen über seinen Sohn. „Möchtest du denn nicht auch einmal in Ruhe hüpfen, ohne auf die kleine Wilde aufzupassen?"

„Nein, nein! Das passt schon! Ich spring ja immer hinter ihr her!"
Auf einmal rief Chiara: „Papa, fang mich!" Aber sie hatte vom letzten Schaukelabenteuer gelernt, wartete wenigstens, bis er seine Arme ausbreiten konnte, um sie aufzufangen. Sie hing um seinen Hals, erhitzt und durchgeschwitzt, und küsste ihn ab.

Andere Elternpaare sahen verzückt auf die hübschen Kinder: die hibbelige Kleine mit den Locken, die sie heute zum Pferdeschwanz gebunden trug, den hübschen ruhigen Jungen, auf den gutaussehenden Vater, der sie liebevoll anstrahlte und der mit ihnen zu einer wunderschönen Frau ging und sie zärtlich küsste. Das Glück der vier war fast mit Händen zu greifen und doch erst eine gute Woche alt, was aber niemand ahnen konnte.

„Was haltet ihr von Würstchenpause?" fragte er.
„Mit Pommes?" fragte Chiara.
Lukas sah Anja fragend an, die wieder die Hände nach oben drehte. Entscheide du! hieß das. Du bist der Vater!
„Eine Portion zum Teilen, dafür eine Vollkornsemmel zum Teilen!"
„Und Cola? " Chiara wollte die Gunst der Stunde nutzen, in der der Papa über Essen und Trinken entschied.

„Nein! Cola auf keinen Fall! Apfelsaftschorle!"
„Dann bekommst du kein Bier!" bestimmte sie.
„Das ist ein Deal!" Die Eltern mussten lachen. Lukas hasste Bier, schon immer war er, wenn überhaupt Alkohol, Weintrinker gewesen.
Florian war seiner Schwester dankbar, dass sie wenigstens ein halbe Portion Pommes für jeden ausgehandelt hatte!

Sie gingen ins Restaurant, Lukas holte vier Portionen Würstchen, zweimal Pommes, zwei Vollkornsemmeln und viermal Apfelschorle.
„Reicht dein Geld noch?" rief Florian sicherheitshalber dem Papa zu, als er an der Kasse stand.
Die Kassiererin lachte. Der gutgekleidete Mann sah nicht gerade aus, als hätte er Geldprobleme.
„Danke, Florian! Heute reicht es noch!"
„Dann nehme ich morgen mein Sparschwein mit!"
„Schau 'n wir mal! Vielleicht hat Mama noch ein bisschen Haushaltsgeld!"

Zur Kassiererin sagte er: „Er hat zur Zeit immer Angst zu verhungern, weil seine Mama ein wenig Krach mit dem Chef hatte!" Lachend trug er das schwere Tablett zum Tisch.
„Boa, Papa, du hast aber viel Kraft!" staunte seine Tochter.
Lukas schüttelte schon wieder ein Lachanfall. „Ich bin ja zurzeit gut im Training!" Er blinzelte Anja zu, die in sein Lachen einstimmen musste.

Dann verteilte er die Pommes gerecht auf die zwei Teller der Kinder, schnitt die Semmel in der Mitte durch. Chiara klaute sich schnell eine Handvoll Pommes von Florian.
„Ah! Hörst du auf!" mahnte der Vater.
Der Sohn grinste nur. „Das macht sie immer, wenn wir etwas teilen sollen! Sie meint, ich merke es nicht!"
„Also, den sozialdemokratischen Gerechtigkeitssinn hat sie nicht von ihrer Mutter!" stellte Lukas fest.
„Ich glaube nicht, dass ich den mit viereinhalb schon hatte!" lachte seine Süße.


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