Kapitel 44
Endlich war der letzte Schultag angebrochen. Alle verabschiedeten sich in die Ferien. Holger hielt Anja noch ein wenig länger an der Hand. Er hatte gehofft, dass es vielleicht nicht klappen würde mit dem Vater ihrer Kinder nach so langer Zeit.
„Na, schönste Kollegin von allen? Alles klar bei dir?" Im Grunde sah er die Antwort in ihren Augen, die strahlten wie nie zuvor.
„Ja, Holger, klarer geht gar nicht!" Sie lächelte ihn an.
„Aber mit dem Schullandheim klappt es schon, oder?" Als sie die beiden Wochen miteinander geplant hatten, war er ein wenig näher an sie herangekommen, zumindest hatte er das Gefühl gehabt. Er hatte große Hoffnungen in die beiden Wochen im Bayerischen Wald gesetzt. Nun war die Situation natürlich schwierig.
„Natürlich!" Kurz dachte Anja nach. „Ich könnte eigentlich meine Kinder mitnehmen!" Die Idee war ihr gerade in den Sinn gekommen.
„Als Anstandswauwaus?"
„Ja, genau!" lachte Anja. „Vor allem meine Tochter ist dafür bestens geeignet!" Sie erzählte ihm die Geschichte im Autohaus.
Holger verzog das Gesicht. „Na, da muss ich aber meine Blicke schwer in Zaum halten, um nicht den Unmut der Kleinen auf mich zu ziehen!"
Grinsend fuhr Anja nach Hause. Ob das mit Holger geklappt hätte, wenn Lukas nicht zurückgekommen wäre, gerade rechtzeitig eigentlich.
Ob sie sich hätte verlieben können in den Kollegen? dachte sie. Sie glaubte nicht so recht daran.
Wenn er da war, war er da, wenn er weg war, war er weg! Sie vermisste ihn nicht, geschweige denn, sehnte sie sich nach ihm.
Lukas vermisste sie immer schon Stunden, nachdem er weg war, nach spätestens einem Tag konnte sie die Sehnsucht kaum mehr ertragen!
Mit Lukas war sie auf Wolke sieben, meistens jedenfalls, immer dann, wenn sie es zuließ. Sie glaubte nicht, dass sie sich mit Wolke 4 oder 5 zufrieden gegeben hätte, nur um nicht alleine zu sein.
Auf dem Weg nach Hause fuhr sie hinter Lukas her, er war aus der Hautgemeinde gekommen. Gleichzeitig kamen sie zu Hause an.
„Oh, meine Schöne ist schon da!"
Sie hatte vergessen, ihm zu sagen, dass an letzten Schultagen eher Schluss war.
„Das ist aber eine freudige Überraschung!" Er küsste sie bis zur Haustüre.
„So, heute habe ich Nägel mit Köpfen gemacht, meine süße Anja! Damit dieses gschlamperte Verhältnis mal ordentlich wird!"
Sie lachte über ihren aufgedrehten Jungen, ihren hübschen Mann.
„Ich habe mich umgemeldet, jetzt hast du mich an der Backe!" Er wirbelte sie im Kreis herum.
Dann kramte er aus seiner Jeanstasche ein Blatt heraus, faltete es auseinander, legte es vor ihr auf den Tisch. „Merkblatt für Brautpaare" las sie.
„Na, du legst aber ein Tempo vor!" Sie lachte Tränen.
„Tempo? Tempo!? Nach sieben Jahren? Was ist denn bei dir langsam?"
„Wo er Recht hat, hat er Recht, mein Hübscher!" Er küsste sie schnell mal schwindelig, löste sich aber wieder von ihr. „Und, wann heiraten wir, schöne Anja?"
„In den großen Ferien?" schlug sie vor.
„Das sind ja noch acht Wochen!" Er hatte die Termine wieder abgespeichert in seinem Kopf.
Sie lachte. „Na, recht viel schneller werden wir das auch nicht hinbekommen mit den Papieren und einem Termin in der Gemeinde!"
„Schade, dass wir nicht kirchlich heiraten können!" rutschte es ihm heraus.
Lukas, du Blödmann, du musst ihr doch keine Vorwürfe machen, dass sie schon einmal verheiratet war! schimpfte er mit sich.
„Wieso können wir das nicht?"
Er sah sie verständnislos an.
„Die Ehe mit Peter wurde doch aufgelöst, wegen Zeugungsunfähigkeit des Mannes!"
Lukas war überrascht. Aber woher hätte er das auch wissen sollen.
„Der Pfarrer weigerte sich, die Kinder zu taufen, weil ich ja nach Kirchenrecht mit dem einen Mann verheiratet war und vom andern die Kinder bekommen hatte! Du warst ja immer als Vater eingetragen!" Sie erzählte vollkommen pragmatisch eine Sache, die für Lukas von immenser Wichtigkeit war.
„Das sind aber zwei hammermäßige Neuigkeiten, die du da so gelassen aussprichst, Mädchen!"
Er musste vor allem die zweite Nachricht erst verdauen. „Du hast mich als Vater eintragen lassen? Aber warum habe ich da nie eine amtliche Mitteilung bekommen?"
„Der Vater war unbekannt verzogen!" lächelte sie. „Aber so kannst du dir jetzt eine Adoption sparen!"
Er nahm sie in die Arme. „Ich danke dir, Anja!" Sie war schon ein schlaues Mädchen, seine Süße!
„Und das mit der Eheauflösung ist ja auch toll!"
„Ja, ich hätte es nicht verlangt! Ich hätte schon jemanden von Gottes Bodenpersonal gefunden, der die Mäuse getauft hätte, aber Peter wollte das unbedingt, als Widergutmachung sozusagen! Der Pfarrer hat zwar immer noch blöd geschaut, weil der Vater nicht da war, aber ich habe gesagt, du bist zu einem Studienaufenthalt weit weg. War ja nicht wirklich gelogen, oder?"
Lukas lachte. „Nein, ich glaube nicht, dass Gott das als Lüge angesehen hat!"
„Also, Hochzeit im August! Und wann und wo und wie?" kam er zu diesem wichtigen Thema zurück.
„Auf keinen Fall irgendetwas Großes mit weißem Kleid und Schleier, in meinem Alter und mit zwei Kindern an der Hand!"
Er schloss die Augen. Bitte nicht! Bitte komm nicht wieder in dieses Fahrwasser mit dem Alter!
„Was hast du?" fragte sie, als sie Lukas erbleichen sah.
„Weil du schon wieder mit deinem Alter anfängst!"
„Nein, nein, nein, Lukas! Das hat mit früher gar nichts zu tun! Das hätte ich jetzt auch gesagt, wenn du 40 wärst! Ich fände es halt einfach komisch, mit 35 und fünfjährigen Zwillingen an der Hand als unschuldige Braut in Weiß mit Schleier vor dem Altar zu stehen. Mir gibt auch dieses ganze Schauspiel da in der Kirche nicht wirklich viel! Vor Gott ja sagen, das schon, das wäre schön, aber für die Hochzeit von zwei so Verrückten wie uns stelle ich mir eben etwas Flippiges, etwas Ausgefallenes vor!"
Lukas sah sie fassungslos an. Da hatte er sich schwer getäuscht in ihr, was ihre Vorstellungen von einer Hochzeit anging. Er wirbelte sie durch die Luft, auch hier waren sie wie immer einer Meinung, hatten den gleichen Geschmack.
Er ließ sich auf einen Stuhl fallen, zog sie auf seinen Schoß, rückte mit seinem Vorschlag heraus.
„Also Süße, da hätte ich eine Idee! Aber es ist wirklich nur eine Idee, du kannst jeder Zeit nein sagen, okay?" Seine Augen blitzten vor Begeisterung, sein ganzes Gesicht strahlte.
„Jetzt bin ich aber gespannt!" Sie hatte wieder das Gefühl, in der Zeit zurückgereist zu sein, ihrem verrückten, hübschen Jungen in die Bernsteinaugen zu sehen.
„Also, letztes Weihnachten war ich in unserer Finca auf Fuerteventura, alleine natürlich, nicht dass du auf dumme Gedanken kommst! Da habe ich ein nettes, deutsches Pärchen kennengelernt, als ich am Strand saß und traurige Liebeslieder gespielt habe. Die haben mich dann zu ihrer Hochzeit eingeladen.
Ein ganz lustiges Fest am Strand, alle in bunten Kleidern, Essen aus der Kühltasche. Da kamen dann ein Pfarrer und ein Standesbeamter von der Insel, ein Beamter vom deutschen Konsulat, der alles bestätigte und übersetzte. Es gibt einen Verein, der das alles organisiert! Da habe ich gedacht, so hätte ich meine süße Anja auch gerne geheiratet!" Er hatte feuchte Augen, ihr liefen Tränen über die Wangen.
„Genau das ist es, Lukas! Genau so möchte ich dich heiraten!" schluchzte sie. „Das ist echt toll! Wirklich! Das wäre ein Traum! Das ist doch viel besser, als dieses steife Zeug da in einer Kirche! Du bist echt der Hit! Lukas, du bist der Hit!" Sie lachte und klatschte in die Hände wie ein kleines Kind, das endlich sein Lieblingsspielzeug bekommen hatte.
Diese Begeisterung war echt, davon war er überzeugt.
Weihnachten letztes Jahr hätte er im Leben nicht daran gedacht, dass sein Traum mit seiner süßen Anja Wirklichkeit werden würde.
Lukas nahm sie fest in den Arm. „Gut, meine Schönheit! Dann machen wir das doch einfach so! Ich muss jetzt nur abwarten, bis meine Arbeit losgeht, um abzuklären, ob ich im August schon Urlaub bekomme!"
„Mein Gott ja! Du musst ja bald arbeiten! Ich habe jetzt gedacht, das geht immer so weiter!"
Sie dachte kurz nach. „Aber der 9.9. wäre auch ein netter Termin, oder?"
„Ja, am 30. Geburtstag seine Traumfrau geschenkt zu bekommen, wäre auch nicht schlecht! Und fünfjährige Zwillinge dazu!"
„Aber weißt du, Lukas, wenn das mit dem Urlaub nicht so schnell klappt, wäre es auch nicht schlimm! Jetzt haben wir so lange aufeinander gewartet, dann kannst du auch in Ruhe deinen Facharzt machen, und wir heiraten dann! Wir sind ja noch jung!"
Er küsste sie dankbar, sein Blick fiel auf die Uhr. „Oh! Höchste Zeit, die wunderbaren Kinder abzuholen!"
Lachend liefen sie aus dem Haus, lachend die Straße hinunter, lachend läuteten sie an der Türe. „Endlich!" stöhnte Chiara theatralisch, als sie die Eltern sahen.
Lukas sah theatralisch auf die Uhr, sah Anja zerknirscht an. „Unsere innig geliebten Kinder mussten fünf Minuten auf uns warten! Das werden sie uns nie verzeihen!"
Florian ging grinsend zu seinem Vater.
Der Papa war lustig, weinte gar nicht mehr, er hatte ihn schon so lieb wie Mama. Er drückte sich an den großen Mann. Lukas nahm ihn hoch, küsste ihn atemlos vor Vaterliebe ab.
„Na, wenigstens die Hälfte unserer innig geliebten Kinder kann uns verzeihen!"
Chiara musste lachen. „Du bist doof, Papa!"
„Nein, mein Schatz! Das bin ich nicht! Das hat mir eure Mama früher 200 Mal versichert, dass ich nicht doof bin! Und Mamas sagen immer die Wahrheit!"
Chiara stand auf, lief auf Anja zu, die sie auffing und auf den Arm nahm. „Der Papa ist wirklich nicht doof!" flüsterte ihre Mutter ihr ins Ohr. „Der Papa ist supersupersuperschlau! Weil er uns nämlich supersupersuperlieb hat!"
„Dann bin ich auch supersupersuperschlau!" flüsterte Chiara zurück. „Weil ich den Papa nämlich supersupersuperlieb habe!"
Anja drehte sich mit ihrer süßen Tochter im Kreis, Lukas mit seinem süßen Sohn. Andere Mütter beobachteten die Szene. Na, da ist aber eine Liebesgeschichte gut ausgegangen, dachten sie.
Die vier gingen hüpfend und tanzend vor Glück nach Hause, blieben bei Nachbarn am Zaun stehen, die sich bei ihnen für die Feier gestern bedankten. „Es ist gut, dass du wieder da bist, Lukas! Dass unsere Anja wieder strahlen kann wie früher!" Sie freuten sich wirklich alle.
Sie hatten den Jungen immer gerne gemocht, der eine halbe Generation jünger war als sie, der frischen Wind in ihre Gartenfeste gebracht hatte, der mit ihren Kindern Fußball gespielt hatte oder fangen, verstecken, blinde Kuh.
Der immer einen lockeren Spruch auf den Lippen gehabt hatte, mit dem man aber auch ernste Unterhaltungen führen konnte, der über alles Bescheid wusste, der seine Anja so offensichtlich liebte, dass diese Liebe oft auf sie selbst abfärbte, der wunderbar singen und Gitarre spielen konnte, den sie alle vermisst hatten, als er von einem Tag auf den anderen verschwunden war.
Er war ein Mensch, der Räume füllte mit seiner Art und Lücken hinterließ, wenn er ging.
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