Kapitel 42

Plötzlich fiel ihr etwas ein. „Was ist heute für ein Tag?" fragte sie.
„Wenn mein Gehirn noch funktioniert, würde ich sagen, es ist Mittwoch!"
Sie sprang auf, schaltete den Fernseher ein, wählte ein bestimmtes Programm. Sie kuschelten sich auf die Couch, Lukas hatte keine Ahnung, was jetzt so Wichtiges im Fernsehen laufen sollte!
Es kamen Nachrichten, dann der Wetterbericht.

Im Anschluss daran wurde eine Talkshow wiederholt, die letzte Woche live gesendet worden war. Anja hatte sie selbst noch nicht gesehen. Ungläubig setzte sich Lukas auf. Da saß seine Schöne im Studio neben dem angesagtesten Moderator zurzeit! Er fasste kaum, was er da sah! Der Talkmaster stellte seine Anja als erfolgreiche Kinderbuchautorin vor, die gerade eine europäische Auszeichnung bekommen hatte.

Der Moderator stellte Fragen, sie antwortete, selbstbewusst, ruhend in sich und dem, was sie geleistet hatte. Er fragte nach ihrem Werdegang, sie berichtete locker, schlagfertig, äußerst charmant.

Er stellte Fangfragen nach ihrem Privatleben, sie konterte geschickt, ließ sich nicht aufs Glatteis führen.
„Bei allen Talkshows war es Bedingung, die die Sender auch unterschrieben haben, dass mein Privatleben außen vor bleibt! Alle Kollegen haben sich bisher daran gehalten! Nur Sie bohren und bohren! Wem in der Welt wäre denn geholfen, wenn ich jetzt erzählen würde, ob ich mit einem Mann zusammenlebe, oder vielleicht mit einer Frau, ob ich Kinder habe mit einem Mann, mit einer Frau, von einem Mann oder vom Heiligen Geist, ob ich Single bin, oder verliebt, verlobt, verheiratet, ob ich kinderlos bin oder schwanger?"

Das Publikum tobte.
Sie war bildschön, verdrehte ihm sichtlich den Kopf, er kam mehrmals ins Stottern, da er den Blick nicht von ihr wenden konnte. Sie redete druckreif über ihren Wunsch, die Welt ein wenig besser machen zu können, über Ungerechtigkeiten, die sie verrückt machten, über politische Fehlentscheidungen, die diese Ungerechtigkeiten noch verstärkten, über den Wahnsinn in der Welt und wie leicht er zu bekämpfen wäre, wenn man nur wollte, zeigte Wege auf, die zum Ziel führen würden.

Der Moderator ließ sie reden, die Regie hatte ihn dazu angewiesen. Er stellte keine Fragen mehr, er wusste auch nicht, was er diese schöne, intelligente Frau hätte fragen sollen. Sein Kopf war offensichtlich etwas leer.

Die anderen Gäste lächelten, klatschten Beifall, das Publikum spendete immer wieder Applaus. Als sie verkündete, dass sie das Preisgeld in Höhe von 100.000 Euro für eine Organisation spenden würde, die sich um benachteiligte Kinder in Deutschland kümmerte, gab es Standing Ovation. Der Talkmaster konnte sich eine letzte provozierende Frage nicht verkneifen. „Und warum spenden sie ausgerechnet für deutsche Kinder, denen es doch vergleichsweise gut geht im Vergleich zu dem Elend in der Welt?"

„Ich kann mit 100.000 Euro nicht die ganze Welt retten! Das müssen andere tun, die Milliarden zur Verfügung haben! Möglichkeiten und Wege habe ich gerade eine Stunde lang aufgezählt!" antwortete sie sehr selbstbewusst.

 „Ich lebe in Deutschland, ich bin Lehrerin, wie sie ja des Öfteren angemerkt haben! Ich sehe Ungerechtigkeiten hautnah, tagtäglich. Die einen Kinder sind hochpriveligiert, die anderen werden geboren und vergessen. Welch ein Elend diese Kinder erleben, seelisches und auch körperliches, kann keiner ermessen! Und ich weiß nicht, ob das der Kinder in Afrika so viel größer ist!"

Das Publikum tobte wieder. „Und keiner soll es wagen, mich in irgendeine politische Ecke zu stellen, außer in die Ecke der Vernunft!" schloss sie.
Lukas sah fasziniert zu. Seine kleine Schönheit flashte das komplette Studio!

Als das Gespräch mit ihr zu Ende war, schaltete sie aus.
„War ich gut?" fragte sie schelmisch.
Er drückte sie an sich, lächelte sie fassungslos an. „Nein, Süße! Du warst phänomenal!" Er schüttelte ungläubig den Kopf. „Das fasse ich jetzt echt nicht! Das kann ich nicht fassen! Du redest die größte Quasselstrippe in Grund und Boden!"
Sie lachte. „Ich hatte ja schon ein wenig Übung!"
„Was heißt?" fragte er.
„Das war meine 11. Talkrunde!"

Lukas begann zu lachen, konnte sich gar nicht mehr beruhigen. Anja sah ihn verwundert und auch ein wenig verunsichert an. Er drückte sie fest an sich, küsste sie, musste aber - von Lachen geschüttelt -wieder aufhören.

„Ich erzähle dir jetzt mal ein Drehbuch für einen Film: Also, ein junger Mann geht auf einen Faschingsball, verkleidet sich aus unerfindlichen Gründen furchtbar hässlich. Er verliebt sich bis über beide Ohren in das schönste Mädchen in der Halle. Er versucht sie den ganzen Abend von anderen Männern fernzuhalten, zieht sie in der Bar, auf seinen Schoß, verschmust den Rest des Abends mit ihr.
Er begehrt sie bis an die Grenze des Wahnsinns, erfährt aber dann, dass sie 28 ist und fertige Lehrerin. Er selbst hat durch Selbstüberschätzung seinen 1,00 Abi-Schnitt vermasselt, wartet auf einen Studienplatz für Medizin, jobbt als Fahrer eines Sani-Autos. Er trifft sie am nächsten Tag wieder, um ihr klar zu machen, dass sie nicht zusammen passen, verliebt sich wahnsinnig, verbringt die Nacht seines Lebens mit ihr.
Sie geht, er bekommt sie mit einem Trick zurück, verbringt zwei Jahre mit ihr in einer Nicht-Beziehung, er bekommt einen Studienplatz, sie schickt ihn in die Wüste. Nach fünf Jahren kommt er zurück. Er ist Arzt, hat eine ganz gute Doktorarbeit geschrieben, will seinen Facharzt machen.
Er startet einen letzten Versuch, sie zurückzugewinnen, hofft darauf, dass er vielleicht endlich nicht mehr zu jung für sie ist, hofft vor allem, dass er nicht zu spät kommt!
Sie hat in der Zwischenzeit wunderbare Zwillinge bekommen, diese wunderbaren Kinder wunderbar erzogen, hat weiter gearbeitet, 11 Bücher geschrieben, dicke Kohle mit Lizenzartikeln verdient, das Haus umgebaut, einen Preis für das beste Kinderbuch erhalten, ungefähr 20 Talkshows bestritten, eine europäische Auszeichnung bekommen und - das Tollste an dem ganzen Drehbuch ist, dass sie ihn liebt, nach fünf Jahren immer noch liebt und bereit ist für eine Beziehung! Na, ist das ein Plott?"

Anja lachte mit ihm mit. „Aber da sagt jeder: Das gibt es ja gar nicht! Das ist ganz schlecht erfunden!"
„Genau, darum drehen wir den Film auch nicht, sondern leben die Story!" schlug Lukas vor. Er begann sie zu küssen, begann die Story ihres Lebens zu leben. Sie zerschmolz unter seinen Lippen, seinen Händen. „Du bist unglaublich, meine Süße, vollkommen unglaublich!"
Er küsste weiter.

Als seine Beherrschung zusammenbrach, führte er sie ins Schlafzimmer, liebte sie voll Bewunderung, voll Ehrfurcht, voll Dankbarkeit, dass diese unglaubliche Frau seine war.
Danach lag er wieder einmal fassungslos neben ihr, wie sie auch seinem Körper gut tat, ihn in Höhen führte, die er bei anderen Frauen nicht annähernd erreicht hatte.
Was machte diese kleine Schönheit mit ihm?

„Du tust mir gut, Lukas !" flüsterte sie. „Deine Liebe tut mir gut, und dein Körper tut mir auch gut! Ich genieße es immer sehr, wenn du mich so liebst! Wie beim ersten Mal, als du meinen Körper aufgeweckt hast!"
Lukas zog sie fest in seine Arme. „Ob ein Mann schon je so etwas Schönes gesagt bekommen hat?" fragte er leise mit belegter Stimme.

„Von mir nicht!" sagte sie lachend, um die Rührung ein wenig in den Griff zu bekommen.
Er lachte mit. „Dann ist es ja gut!"
Und urplötzlich spürten sie wieder diese unglaublich Erregung in sich aufsteigen, die sie nur miteinander empfinden konnten, und die sie nach all den Jahren einfach genießen konnten.

Die körperliche Liebe hatte immer sehr viel Raum in ihrer Beziehung eingenommen. Anja fand es anfangs relativ normal, dass sie so hungrig auf ihn war, hatte sie doch erst mit 28 Jahren erfahren, zu welchen Gefühlen sie fähig war, welche Gefühle ein Mann in ihr auslösen konnte.

Sie rechnete immer irgendwie damit, dass seine unheimliche Zärtlichkeit, sein Bemühen um sie nachlassen würde, dass Gewohnheit an Stelle der immer wiederkehrenden Ekstase treten würde. Aber es war nie der Fall.

Nie liebte er sie schnell oder auf seine Bedürfnisse reduziert, immer kam ihre Befriedigung an erster Stelle für ihn.
Sie hatte zu wenig Erfahrung mit Männern, um zu verstehen, ob er ein ganz besonderer Mann war, oder ob es mehrere gab wie ihn. Aber die paar Kusserfahrungen, die sie sammelte, ließen die Vermutung in ihr aufkommen, dass er schon außergewöhnlich gut war im Bett war!
Gut für sie!

Doch sie konnte nicht wie ein Mann beliebig viele Abenteuer suchen, um einen passenden Liebhaber zu finden. Sie konnte nicht mit 28 anfangen auszuprobieren, wer mehr draufhatte als das, was sie vor Lukas kannte. Sie musste zumindest ein wenig verliebt sein, ein wenig umworben werden.

Sie musste fühlen wie bei Lukas bei dem Spaziergang durch die Stadt, als ihre Sinne vernebelt waren, die Erregung sie willenlos gemacht hatte.
Sie wusste nach der Trennung, so würde sie wohl nie wieder fühlen, und der Verlust nahm ihr oft den Atem. Die Sehnsucht nach seinen Lippen, seinem Körper, seinen Händen ließ sie oft ganze Nächte lang durchweinen. Natürlich vermisste sie auch alles andere: Das Lachen, das Reden, die Reisen, seine Intelligenz, seinen Charme, sein Aussehen, das Chaos, die Verrücktheiten, aber am meisten vermisste sie seine Berührungen.

Lukas wusste seit der ersten Nacht, dass die Liebe mit ihr unvergleichlich war. Im Gegensatz zu ihr war er sexuell sehr aktiv gewesen in den letzten Jahren, den Jahren vor ihr. Wenn er ausging, verbrachte er selten eine Nacht alleine.

Oft ging auch die Initiative von den Mädchen aus, die ihn unbedingt in ihr Bett bekommen wollten. Aber lange gewehrt hatte er sich natürlich auch nie! Er hatte stets versucht, ihnen gut zu tun, schließlich hatte er einen Ruf als Liebhaber zu verlieren.

Manche ließen sich auch in Ruhe verwöhnen, meistens war aber alles zu hektisch, als dass er es richtig hätte genießen können.
Selten schlief er mit derselben Frau öfter als einmal, niemals jedenfalls mehrmals in einer Nacht! Dann kam Anja, und alles war anders als je zuvor. Er hatte sie so begehrt, dass er dachte zu verbrennen, bis sie in seiner Wohnung waren, so erregt war er in seinem ganzen Leben nicht gewesen!

Dann durfte er endlich ihren Körper in den Armen halten, ihre Haut spüren. Er genoss ihre Hingabe an seine Zärtlichkeit, ihr Staunen über das, was er mit ihr machte, ihr Genießen der Gefühle, jedes Mal wieder aufs Neue.

Sie sprach nicht darüber, aber er fühlte, dass er Empfindungen in ihr auslösen konnte, die neu für sie waren. Schließlich war er erst der zweite Mann in ihrem Leben! Das machte ihn glücklich, das machte ihn stolz, das erregte ihn unglaublich.

Immer wollte er ihr so gut tun, wie er nur konnte. Wollte sie erregen und befriedigen, das war ihm viel wichtiger als seine eigenen Empfindungen.
Auch er rechnete damit, dass die Leidenschaft, ihre Anziehungskraft schwächer werden würde mit der Zeit, dass es irgendwann einmal mehr brauchen würde, um ihn zu erregen als einen Blick, ein Wort, eine Berührung von ihr.

Aber es geschah nicht, im Gegenteil, er hatte das Gefühl, er wurde immer verrückter nach ihr!
Und die Erfüllung, die Befriedigung seiner eigenen Sehnsucht, war jedes Mal wieder unbeschreiblich.

Sie führte ihn in Höhen, von denen er nicht die geringste Ahnung gehabt hatte. Wenn er nach einem Höhenflug in ihren Armen gelandet war, sah er oft Sterne, raste sein Herz, hatte er Angst, das nächste Mal nicht zu überleben.

Dagegen war alles, was er bis dahin erlebt hatte, unbedeutend, klein, leer gewesen.
Das hatte auch viel zu seinem Elend in Heidelberg beigetragen: Zu fürchten, dass diese Art der Leidenschaft für ihn für immer vorbei war, dass er solche Gefühle nie wieder haben sollte!

Mit all den Abenteuern, die er in dieser Zeit hatte, versuchte er, einen Hauch vom Glück mit ihr zu erleben, wäre mit einem Teil davon vielleicht schon zufrieden gewesen, aber die Enttäuschung wurde immer größer.

Es war stets nur ein Akt der körperlichen Befriedigung gewesen. Immer war das Gesicht, in das er blickte, das falsche, nie der Körper, den er in seinen Armen hielt, der richtige, die Haut, die er mechanisch streichelte, fühlte sich fremd an, der Duft war unbekannt, die Stimme, die seinen Namen stöhnte, auch.

Nichts war wie mit Anja, auch nicht ansatzweise.
„Ich habe die Liebe mit dir, den Sex, wie du es immer nanntest, sehr vermisst!" gestand er seiner neuen, offenen Anja.
Sie lächelte ihn an. „Ich auch! Das kannst du mir glauben!"

Engumschlungen schliefen sie schließlich ein.


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