Kapitel 25
Vorne bestimmten die Kinder die Unterhaltung.
„Schau, Papa! Da wohnt Felix! Der ist nett! Den heirate ich später Mal!"
„Schau, Papa, da ist unser Kindergarten!"
„Schau, Papa, da ist die Kirche! Da sind wir getauft worden!"
„Schau, Papa, da ist die Bank! Da bekommen wir immer Gummibärchen!"
„Kennst du Oma und Opa, also die alte Oma und den alten Opa?"
„Nein, Anjas Eltern kenne ich nicht!"
„Papa, kennst du Tante Sonja und Onkel Oliver?"
„Ja, die beiden kenne ich von früher!"
„Papa, kennst du den Biergarten?"
„Ja, da war ich mit Mama früher oft!" Wieder überrollten ihn die Erinnerungen an die Zeit damals.
Oft hatte er in ihrem ersten Sommer angerufen, hatte den Biergarten als Vorwand benutzt. „Du, Anja!" Koseworte waren da noch verboten gewesen nach ihren Spielregeln, Süße durfte er sie nur für sich nennen oder im Bett.
Dort ließ sie überhaupt mehr Nähe zu als im Leben außerhalb.
Manchmal auch, später, im Urlaub. „Ich hätte Hunger! Gehst du mit mir zum Springer?"
Hunger hatte er schon gehabt, das war nicht einmal geschwindelt gewesen, aber vor allem auf sie.
Manchmal hatte sie sich gefreut, stand schon ausgehfertig auf der Straße, als er vorfuhr, manchmal schafften sie es auch erst zwei Stunden, nachdem er gekommen war, loszuziehen, manchmal wollte sie unbedingt Sonja und Oliver mitnehmen, manchmal lehnte sie seinen Vorschlag komplett ab: „Tut mir Leid, Lukas! Ich muss Aufsätze korrigieren!"
Das waren die schlimmsten Tage, wenn sie sich nicht mit ihm treffen wollte! Jedes Mal hatte er Angst, es wäre soweit, sie hatte jemanden gefunden, mit dem es besser passte. Aber wenn er am nächsten Tag anrief, war alles wieder in Ordnung.
Es war auch ihr Gesetz, dass immer er anrufen musste, sie meldete sich nie bei ihm. Anfangs musste er sich immer eine Ausrede einfallen lassen, warum er kommen wollte, warum sie zu ihm kommen sollte.
Nach dem ersten gemeinsamen Urlaub hörte er einfach auf mit den Vorwänden, sagte am Telefon nur: „Ich komme mal vorbei, okay?" oder „Du könntest mich wieder einmal besuchen!"
Er fühlte sich aber nie als Bittsteller in dieser Nicht-Beziehung, eher als ein Mann, der eben sehr lange ein Mädchen umwarb, was auch seinen Reiz hatte.
Er hätte sein Leben lang so weitergemacht, oder so lange, bis sie einen passenden Partner fand, was ihn wohl umgebracht hätte!
Er selbst hatte mit der Suche relativ bald aufgehört.
Florian merkte, dass ihr Papa nicht mehr richtig zuhörte. Er blieb stehen, sah ihn an. „Ist was? Haben wir was Falsches gesagt?"
Lukas drückte seinen Sohn. „Nein, Florian! Kinder sagen nie etwas Falsches!"
Der kleine Junge war zufrieden mit der Antwort. Das hatte seine Mama auch gesagt, dann musste es ja stimmen, wenn Eltern das Gleiche sagten.
„Ich habe nur an früher gedacht!" fügte Lukas noch hinzu.
„Hast du die Mama früher auch schon lieb gehabt?" fragte Chiara.
„Ja, sehr sogar! Ich habe die Mama schon immer sehr lieb gehabt!"
„Und warum bist du dann weggegangen?"
Anja und Hannah hatten aufgeschlossen, sie hörten die letzten Worte der Kleinen.
„Papa musste doch an die Universität! Das habe ich euch doch schon oft erklärt!" beantworte Anja die Frage ihrer Tochter.
„Ach ja, stimmt!" meinte Chiara.
Aber die Eltern spürten , dass die Kleine nicht mehr so überzeugt war von der Geschichte, die sie ihnen aufgetischt hatte.
Da standen schon noch einige Fragen ins Haus!
Sie waren kurz vor dem Biergarten, als sich Lukas' Magen ein wenig zusammenzog. Wie würden Anjas Eltern auf ihn reagieren? Schließlich war er weggegangen, als ihre Tochter schwanger war und erst 5 Jahre später zurückgekommen.
Wie würden sich Sonja und Oliver ihm gegenüber verhalten?
Sie hatten sich früher gut verstanden, waren Freunde geworden, standen immer auf seiner Seite, wenn Anja gar zu sehr auf ihrer Nicht-Beziehung bestanden hatte.
Bei seinem Besuch damals, als er so verzweifelt Anja wiedersehen wollte, waren sie ihm schon etwas reservierter vorgekommen, wahrscheinlich hatte sie ihnen von seinen dummen Worten am Abschiedstag erzählt.
Na ja, da musste er jetzt durch! Vielleicht spürten sie alle, dass er den Rest seines Lebens diese Worte wieder gut machen würde.
Aber seine Angst vor dem ersten Treffen war unbegründet.
Anja bat die Kinder bei den neuen Großeltern zu bleiben, nahm Lukas bei der Hand und ging mit ihm zu dem Tisch, an dem ihre Eltern saßen.
„Mama, Papa, das ist also Lukas, die Liebe meines Lebens!" Die Mutter, ein Abbild Anjas, nur ein paar Jahre älter, nahm ihn in den Arm.
„Schön, dich endlich kennenzulernen!" sagte sie leise.
Der Vater, dem Sonja sehr ähnlich sah, sah ihm offen in die Augen. „Gut, dass du nicht aufgegeben hast bei unserem Sturkopf!" meinte er lächelnd, und fuhr seiner Tochter über die Haare.
„Das hätte ich niemals gekonnt!" Lukas nahm seine Süße in den Arm, küsste sie zärtlich. „Niemals!" flüsterte er in ihr Ohr. Die vier Erwachsenen umarmten sich gerade, als Sonja und Oliver ankamen. Die beiden blieben kurz stehen, beobachteten die Szene.
„Na, der neue Schwiegersohn wurde wohl akzeptiert!" meinte Oliver lächelnd. „Dann wollen wir auch nicht so sein, oder?"
Sonja sah ihn verwundert an. „Aber es war doch nicht seine Schuld damals! Das war doch ihr verdammter Dickschädel!"
„Na aber, was er da von dem Worstcase gesagt hatte, war nicht gerade toll!"
„Oliver, denk mal nach! Sie hatte ihn gerade in die Wüste geschickt, nach zwei glücklichen Jahren! Meinst du, dass er da fähig war, jedes Wort auf die Goldwaage zu legen?"
„Stimmt auch wieder!"
Sie gingen zu ihren Eltern und den beiden seit sieben Jahren Verliebten.
„Welcome back again!" sagte Oliver nur und schlug dem Schwager in spe auf die Schulter.
Sonja fiel ihm um den Hals. „Schön, dass du wieder hier bist!"
„Danke!" konnte Lukas nur sagen, der Kloß im Hals war sehr dick. Er war überglücklich, dass alle ihn so freundlich aufgenommen hatten.
Dann endlich durften die Kinder die Verwandten begrüßen. Als alle Platz nahmen, wollten die beiden unbedingt auf Papas Schoß. In Olivers Herz stach es ein wenig. Bisher war er immer der Star bei ihnen gewesen, bei dem sie sitzen wollten. Aber jetzt hatten sie einen Vater, und das war auch gut so.
Und je länger er die drei beobachtete, desto zufriedener wurde er. Es war schön zu sehen, wie die Kinder ihren Vater liebten, und wie sehr der Vater seine Kinder liebte.
Von den Nachbartischen sahen immer wieder Gäste zu ihnen. Zwei gut aussehende ältere Paare, zwei sehr gut aussehende junge Paare, ein Mann, der unentwegt seine ausgesprochen hübschen Kinder abküsste, seine Frau streichelte, viele strahlende Augen, da war das Glück in einer großen Portion ausgeschüttet worden!
Manche kannten Anja, die hübsche alleinerziehende Mutter von Zwillingen, irgendwie schien sie jetzt mit dem Vater zusammengekommen sein, was bei der großen Ähnlichkeit von Florian mit ihm nahe lag.
Der Wirt kam, um die Bestellung aufzunehmen, stutzte, als er Lukas sah. Er hatte sich ein wenig Hoffnungen auf Anja gemacht, nachdem der flippige Junge, mit dem sie immer dagewesen war, weg war.
Ihre Kinder hätten ihn nicht gestört, sie waren total süß! Sie war öfter zusammen mit Nachbarn in den letzten Jahren zum Essen dagewesen, hatte seine Flirtversuche zwar charmant, aber sehr direkt abgewiesen.
Nun war der andere also wieder da, älter geworden, aber sehr gutaussehend, was er einräumen musste.
Und die schöne Anja war für ihn verloren, aber sehr glücklich, wie es schien.
Es wurde ein fröhlicher Abend, die beiden Elternpaare verstanden sich sehr gut.
Hauptgesprächsthema waren natürlich die Kinder.
Anjas Eltern erzählten viel von ihnen, sie kannten sie ja von Geburt an. Lukas hörte gebannt zu, sprach selber wenig, genoss einfach unsagbar das Gefühl, dazuzugehören, aufgenommen zu sein, endlich in einer festen Beziehung zu Hause zu sein, mit Eltern, Schwiegereltern, Schwager und Schwägerin zusammen zu sein, aber vor allem mit seiner süßen Anja und seinen bezaubernden Kinder.
Gegen neun machten sich alle auf den Heimweg. Für die Kinder wurde es höchste Zeit, aber morgen könnten sie ausschlafen, da Lukas sie in den Kindergarten bringen würde. Zu Schulzeiten musste Anja sie immer schon um Viertel nach sieben abgeben, um rechtzeitig in die Arbeit zu kommen.
Ihr brach jedes Mal das Herz, wenn sie ganz alleine im Spielzimmer saßen, die anderen Kinder kamen viel später. Aber ihre Süßen beklagten sich nie, sie hatten sich gegenseitig, fanden immer eine Beschäftigung.
Für das nächste Schuljahr hatte Anja einen Teilzeitantrag gestellt, reduzierte die Stundenzahl kräftig. Die Bücher und Kassetten brachten gutes Geld ein, finanziell konnte sie es sich leisten, mehr Zeit für die Kinder zu haben.
Jetzt war ja Lukas da, der noch vier Wochen hatte, bis sein Dienst begann. Eine Woche Schule noch, dann wären Pfingstferien! Die Kinder hatten dann noch eine Woche Kindergarten, eine Woche würden sie als Familie zusammen frei haben. Alles war gut!
Als die Kinder im Bett waren, kuschelten sie wieder auf der Couch wie früher, als sie nur Freunde waren, niemals ein Liebespaar!
„Erzähl mir doch, bitte, wie du zum Schreiben gekommen bist! Wie das mit den Büchern angefangen hat!" Er küsste ihr Haar, hielt sie fest im Arm.
„Als ich einen Monat im Krankenhaus liegen musste, habe ich begonnen, mir Geschichten für die beiden auszudenken und Bilder dazu zu zeichnen. Die hat dann Sonja mal entdeckt, sie kannte jemanden, der bei einem Verlag arbeitet, dem hat sie sie gezeigt, na ja, und von da an lief es! Ich habe geschrieben, sie haben es gedruckt. Dann habe ich einen Kinderbuchpreis bekommen, die Kassetten kamen, die ganze Rundumvermarktung, die Engelchen auf Federmäppchen, Rucksäcken, T-Shirts, als Schlüsselanhänger und so halt! Bringt ganz schön was ein!"
Lukas hörte fassungslos zu. Sie erzählte vollkommen uneitel von ihrem großen Erfolg, als wäre es das Natürlichste der Welt, eine erfolgreiche Kinderbuchautorin zu sein.
„Mit dem Dachboden habe ich ein bisschen geschwindelt. Das war schon Geld von den Büchern!"
Er wurde wieder nachdenklich. Vielleicht war die Trennungszeit, so hart sie auch war, für beide von Vorteil gewesen. Beide hatten ihren eigenen Weg gefunden in diesen Jahren! Seine Hochachtung für sie stieg ins Unermessliche. Sie hatte in diesen Jahren einen anstrengenden Beruf gehabt, zwei Kinder wunderbar erzogen, elf Bücher geschrieben, einen Hausumbau gestemmt!
Still lagen sie zusammen auf dem Sofa. Tausend Fragen waren in seiner Seele, tausend in ihrer, aber sie mussten nicht gestellt werden, weil die wichtigste Antwort auf alles war: „Ich liebe dich!"
„Ich liebe dich, Anja!" sagte er dann auch leise. Er hatte das noch nicht oft ausgesprochen. In der Zeit ihrer Nicht-Beziehung wollte er sich das erst nicht eingestehen, weil es zwischen ihnen nicht gepasst hatte, die Lehrerin und der junge Mann, der noch nicht einmal mit dem Studium angefangen hatte. Dann, als er begriffen hatte, dass es doch sehr gut passte, hatte sie die Worte nicht hören wollen.
Zu einer anderen Frau hatte er sie auch nicht sagen können, weil es nie gestimmt hatte, auch wenn manch eine die Worte gerne gehört hätte.
Doch jetzt durfte er sie sagen, musste sie sagen, weil sie stimmten, weil sie sie hören wollte.
„Ich liebe dich sehr, Anja!"
„Ich weiß!" sagte sie nur. An einer Liebe, die fünf Jahre absoluter Trennung überstanden hatte, brauchte sie nie wieder zweifeln, da war sie sicher, sechs Jahre Altersunterschied hin oder her!
Sie besprachen noch den morgigen Tag, wann sie aus dem Haus musste, wann er die Zwillinge in den Kindergarten bringen sollte, wie sie ihr Müsli gewohnt waren, was sie dazu tranken, was sie anziehen sollten, wann er sie wieder abholen konnte, wann sie nach Hause kam, was er einkaufen konnte, was sie zu Abend essen wollten.
Sie waren erst knapp zwei Tage in einer festen Beziehung zusammen und es fühlte sich an, als ob sie nie getrennt gewesen wären, es fühlte sich unheimlich gut an.
Dann, mitten in einem Satz, stockte ihm wieder einmal der Atem. Die Leidenschaft, die Erregung überfiel ihn fast schmerzhaft. Er begann sie zu küssen, ihr Körper reagiert wie immer sofort. Sie fielen ins Bett, er liebkoste sie wie immer - und wäre Chiara noch wach gewesen, hätte sie ihre Mama in dieser Nacht viele Fragen ihres Papas mit „Ja! Ja, Lukas!" beantworten hören können.
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