Kapitel 21
Am Sonntagmorgen um halb neun wurde Lukas wach.
Wie ein Erdbeben erschütterte ihn die Erinnerung an den vergangenen Tag.
Er löste sich aus Anjas Umarmung, die nur ein wenig brummelte, aber lächelnd weiterschlief, schlüpfte in die Sachen von gestern, er hatte noch nicht ausgepackt.
Er wollte hinüber zu seinen Kindern, wollte sich vergewissern, dass es kein Traum gewesen war. Sie saßen in Chiaras Bett, jeder hatte ein Matheübungsheft auf dem Schoß, sie rechneten mit hochroten Köpfen.
Er musste sie hochheben und abküssen, diesen wunderbaren Sohn, diese wunderbare Tochter. Sie ließen es sich lachend gefallen, strahlten ihn an.
„Aber es ist noch nicht neun!" gab Florian dann zu bedenken. Lukas konnte den Gedankengängen des süßen Jungen nicht folgen.
„Samstag und Sonntag müssen wir Mama bis neun Uhr schlafen lassen!" erklärte Chiara dem Papa, der manches noch nicht so richtig verstand, weil er so lange an der Universität gewesen war. Lukas musste lächeln über die kleinen Rituale seiner Familie.
Seiner Familie!
Das Herz blieb ihm fast stehen vor Glück.
Gestern war er zu ihrem Haus gerast, wollte die Liebe seines Lebens wiedersehen, sie, wenn nötig, zurückerobern, und hatte eine Familie geschenkt bekommen.
„Aber wir drei könnten doch für Mama Frühstück machen, oder?"
Chiara sprang freudig auf, Florian zögerte noch ein wenig. Hier in ihrem Zimmer war es schon okay, dass der fremde Papa bei ihnen war, aber alleine mit ihm nach unten zu gehen, während Mama noch schlief?
„Komm, Florian, wir machen Frühstück für Mama!" rief sie laut.
„Sei leise! Es ist noch nicht neun!" ermahnte der Bruder sie.
Dann stand er doch besser auf, bevor seine Schwester Mama noch aufweckte.
Die Kinder zogen sich an, folgten ihrem Papa, der schon wieder einmal Tränen in den Augen hatte, nach unten.
Der muss uns aber sehr lieb haben! dachte Florian. So viel wie er weint!
„Und, meine Süßen? Was frühstückt ihr so?"
„Sonntags holen wir immer Semmeln, kleine Kindersemmeln und große Mamasemmeln!"
Lukas verstand natürlich wieder einmal Bahnhof, aber sie würden es ihm schon erklären.
Die Bäckerei kannte er noch von damals, er hatte dort oft Semmeln geholt. Neu war, dass sie auch am Sonntag geöffnet hatte.
„Also los, holen wir Semmeln!"
Chiara lief schon los, ihre Schuhe anziehen, Florian zögerte wieder. „Müssen wir nicht Mama fragen?"
Lukas zog seinen Sohn auf seinen Schoß. „Nein, Florian, das müssen wir nicht! Schau, wir sind jetzt Eltern, da dürfen wir auch alleine mal etwas unternehmen mit unseren Kindern! Die Mama und ich sind ja jetzt fest zusammen, und sie weiß, dass ich euch sehr lieb habe, sie hat es die ganze Zeit gewusst!"
Florian sah ihn ernst an, nickte dann, das hatte er verstanden, was der Papa da gesagt hatte.
Er zog auch schnell seine Schuhe an. Lukas nahm Anjas Schlüsselbund, mit seinem Auto konnten sie nicht fahren, das war alles andere als eine Familienkutsche. Die Beiden setzten sich in ihre Kindersitze, schnallten sich an.
Er fuhr sehr vorsichtig zur Bäckerei.
Die Verkäuferin begrüßte die beiden. „Hallo Florian! Hallo Chiara!"
Sie sah den fremden Mann skeptisch an.
„Das ist unser Papa!" strahlte Chiara.
Na, das ging aber schnell, dachte die Verkäuferin, freute sich aber, dass die nette Frau Berentz einen Mann gefunden zu haben schien.
„Er war lange an der Universität!" erklärte Florian. Der Frau fiel die große Ähnlichkeit zwischen dem Mann und dem Jungen auf. Na ja, verstehen musste sie ja jetzt die Familienverhältnisse auch nicht so genau.
„Und? Wie immer? Vier Kindersemmeln, zwei Mamasemmeln?" fragte sie.
„Und noch zwei Papasemmeln!" erinnerte Chiara. „Wir haben ja jetzt Eltern!"
Lächelnd packte sie alles in eine Tüte. Lukas bezahlte und stellte sich vor.
„Dr. Sieber, ich bin der Vater!" sagte er stolz, nahm seine wunderbaren Kinder an die Hand.
Als sie fast zu Hause waren, fiel Lukas siedend heiß ein, dass er Kondome brauchte. Er fuhr an der Straße zu Anjas Haus vorbei in Richtung Tankstelle.
„Halt! Falsch!" rief Chiara.
„Ich weiß schon, Schatz! Ich muss nur noch etwas an der Tankstelle kaufen!"
„Was denn?" Die Kleine wollte es schon genau wissen.
„Ah, hm, ein Geschenk für Mama!" So sehr geschwindelt war das ja auch nicht!
„Was denn?"
O Gott, schick mir eine Idee! „Vielleicht ein Buch? Oder eine Zeitschrift?"
„O ja!" freute sich seine Tochter und schnallte sich ab.
„Bleibt ihr bitte so lange im Auto?"
Florian sah ihn verständnislos an. „Mama lässt uns nie alleine im Auto! Sie hat Angst, dass wir gestohlen werden!"
Oh, Lukas, du musst noch viel lernen! dachte er. Und das wird schwieriger, als für die Prüfungen an der Uni!
„Du hast Recht, Florian, das war dumm von mir!"
„Mama ist nie dumm! Die macht immer alles richtig!" Florian war nicht so einfach zu beruhigen.
Lukas hob seinen Sohn auf seine Arme, sah ihn ernst an. „Die Mama hatte ja auch viel Zeit zum Lernen! Ich hatte ja noch nicht einmal einen Tag!" Das verstand der Kleine wieder, da hatte der Papa schon Recht! „Aber du machst das ganz gut!" stellte er überzeugt fest.
„Das wird schon!" schloss sich Chiara an.
Lachend mit beiden Kindern auf den Armen betrat Lukas den Verkaufsraum, um dann eben keine Kondome zu kaufen. Aber er musste deshalb auch keine Angst haben, dass seine wunderbaren Kinder gestohlen würden, und auch keine Angst, wieder einmal einen Fehler zu machen!
Heiner, ein guter Freund von Anja, erkannte ihre süßen Kinder sofort. Der Mann, der sie auf den Armen hatte, kam ihm vage bekannt vor. Sollte das der Junge sein, der immer Kondome bei ihm geholt hatte vor Jahren? Der auch öfter Mal mit Anja da war zum Tanken? Der plötzlich verschwunden war, kurz bevor Anja erzählte, dass sie schwanger war? Florian sah ihm unheimlich ähnlich.
„Onkel Heiner, schau, das ist unser Papa!" Sie küsste Lukas auf die Wange. „Er ist hübsch, oder?"
Heiner musste lachen. „Wenn du das sagst, Süße!"
„Kriegen wir ein Bussi-Bär-Heft?" fragte Florian.
Tausende! dachte Lukas.
„Natürlich! Sucht euch aus, was ihr möchtet!"
Die Kinder liefen zum Zeitschriftenstand. Als sie abgelenkt waren, ging Lukas schnell mit einer Packung zur Kasse, Heiner grinste, scannte den Preis ein, Lukas steckte die Schachtel in seine Jackentasche.
„Uff!" sagte er. Der Tankwart grinste.
„Bist du wieder da? Seid ihr wieder zusammen?" fragte er.
„Ja, Gott sei Dank, sind wir jetzt endlich zusammen!" antwortete Lukas strahlend vor Glück.
„Und das sind deine?" Heiner zeigte auf die zwei Kinder.
„Ja", sagte Lukas stolz, „das sind meine! Ich habe sie gestern geschenkt bekommen!"
Heiner hatte direkt Tränen in den Augen. „Na, verleugnen kannst du den Florian auch nicht wirklich!"
Die Kinder kamen nach langen Debatten mit zwei Heften zur Kasse. „Hast du jetzt schon was für die Mama ausgesucht?" wollte Chiara wissen.
„Nein, das mache ich gleich."
Er suchte die Taschenbücher im Ständer durch.
Zum Glück war auch ernsthafte Literatur dabei.
Er wählte das neueste Werk eines Autors, den sie damals gerne gelesen hatten, hoffte, dass sie das Buch noch nicht kannte, nahm gleich zwei Exemplare, sie hatten ja immer gleichzeitig ein Buch gelesen, um darüber sprechen zu können.
„Warum kaufst du das Buch zweimal?" wollte Florian wissen.
„Das haben die Mama und ich früher immer so gemacht, wir lesen das Gleiche und können gleich darüber reden, weißt du?" Lukas brannte das Herz, als er an ihre schöne Zeit damals dachte.
„Chiara und ich suchen immer verschiedene Hefte aus, dann können wir tauschen. Das ist wirtschaftlicher, sagt Mama."
Lukas musste seinen klugen Sohn wieder einmal küssen. „Da hat die Mama schon Recht! Aber manchmal darf man auch etwas machen, das nicht wirtschaftlich ist, sondern einfach nur schön!"
Der Junge nahm das so hin, weil es sein Papa sagte, und langsam glaubte er, dass auch Papas das Richtige sagten, nicht nur Mamas.
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