Kapitel 19

Anja stand in der Küche, sah zum Fenster hinaus, sah seinen Wagen wegfahren, wie so oft vor langer Zeit.

War das jetzt alles wirklich geschehen? dachte sie. Oder war es einer ihrer sehnsüchtigen Tagträume, mit denen sie sich am Leben gehalten hatte, fünf Jahre lang?
War Lukas wirklich zurückgekommen, hatte sie in den Armen gehalten, hatte sie geliebt, wie beim allerersten Mal?

Hatte er wirklich gesagt, dass er sie noch immer liebte? Dieser schöne Mann hatte sie fünf Jahre lang so wenig vergessen wie sie ihn?
Hatte er sie wirklich gefragt, ob sie bereit sei, jetzt eine Beziehung zu führen, mit ihm, mit dem hübschen Jungen, dem seit Jahren ihr Herz gehörte?
Florian und Chiara sahen sie verwundert an.

Die Mama stand bewegungslos in der Küche, sah verträumt zum Fenster hinaus.
Chiara zupfte an ihrem Ärmel, sie schreckte hoch, fand in die Gegenwart zurück.

„Und, meine Hübschen, was wollen wir denn kochen?" fragte sie lächelnd
„Spagetti!" kam es einstimmig zurück.

„Aber, die hatten wir doch erst gestern!" wandte Anja ein.
„Pizza!" gab es als Alternative.

„Zu ungesund! Wir machen einen Eintopf!" bestimmte die glückliche Mama.
„Nur Gemüse?" maulte Chiara.
„Mit Würstchen?" schlug Anja vor.
„Okay! Ihr esst das Gemüse und ich die Würstchen!" bestimmte Florian, der es mit dem ganzen Grünzeug nicht so hatte.
„Das werden wir schon sehen, mein Sohn!"

Sie fingen alle drei an, Gemüse zu schnippeln, die Kinder waren von klein an gewohnt mitzuhelfen, taten es auch leidenschaftlich gerne.

Lukas fuhr in die Stadt. Er musste sich wahnsinnig konzentrieren, um den richtigen Weg zu finden. In seinem Kopf rasten die Gedanken durcheinander.
Ja!
Er war zu ihr gefahren!

Anja! Er hatte sie im Arm gehalten! Er hatte sie lieben dürfen wie vor Jahren!
Endlich hatte er wieder etwas gefühlt bei einer Frau!
Anja! Seine schöne Lady hatte ihn nicht weggeschickt! Liebte ihn noch immer, konnte es auch

endlich zugeben.
Anja!
Die schönste Frau der Welt!
Die klügste, die lustigste, die charmanteste, die einzige Frau, die es für ihn je geben konnte, war in seinen Armen gelegen!

Die Frau, nach der er sich fünf Jahre lang gesehnt hatte!
Er hatte sie zurückbekommen!
Und er hatte Kinder, zwei Kinder, wunderbare Kinder!
Er hatte eine Tochter und er hatte einen Sohn!
Er war Vater!
Seit fast fünf Jahren war er Vater!
Die Traumfrau hatte ihm Traumkinder geschenkt!
Er hatte im grenzenlosen Schmerz zwei Kinder gezeugt, heute hatte er sie bekommen.

Ich drehe durch! dachte er.
So viel Glück kann ich doch nicht aushalten!
Mein Herz platzt!
Immer wieder hupten ihn genervte Autofahrer an, weil er an den Ampeln nicht vom Fleck kam.
immer wieder hob er entschuldigend die Hand, lächelte alle an.
Wenn euch das passiert wäre, was ich heute erlebt habe, ihr würdet auch keine Ampeln sehen! dachte er nur.

In seiner Wohnung raste er die Treppen hinauf, warf sich kurz aufs Bett, um nach Atem zu ringen, da das unheimliche Glücksgefühl in ihm ihm die Luft nahm.
Er fasste unter das Gestell, holte das Bild von seiner schönen Lady hervor. Er staubte den Rahmen ab und hängte es an den Nagel gegenüber dem Kopfteil.

Dann schnappte er seine beiden Koffer, schleppte sie hinunter, ohne das Gewicht wahr zu nehmen und fuhr los.
Nach Hause! dachte er. Zu meiner Frau und zu meinen Kindern!


Als Lukas zurückkam, saßen die Drei in ihre Arbeit versunken in der Küche.
Er trug seine Koffer nach oben, setzte sich zu ihnen, konnte sich nicht sattsehen an dem Bild, das sich ihm bot.

Eine wunderschöne Frau, eine wunderschöne Tochter, ein wunderschöner Sohn schnitten Zucchini, Paprika, Kartoffeln, waren versunken in ihre Arbeit.
Er lief nach oben, holte seinen Skizzenblock und die Kreiden aus einem Koffer und begann die Szene zu zeichnen. Er tat sich schwer, weil seine Augen in Tränen schwammen. Doch als der Topf auf den Ofen gestellt wurde, war sein Bild fertig.

Anja sah ihm über die Schulter. „Das ist wunderschön, Lukas!"
„Ihr seid wunderschön!" konnte er gerade noch hervorbringen. Vor fünf Jahren hatte seine Stimme oft versagt, wenn er sie sehr begehrte. Heute versagte die Stimme, weil er die drei so unglaublich liebte.

Die Kinder sahen das Bild an. „Du kannst aber gut zeichnen!" stellte Florian fest. „Unsere Mama kann das auch."
„Ja, ich weiß!"

Als das Essen fertig war, deckten die Kinder den Tisch, alle setzten sich. Dann sprachen Anja und die Kinder ein Tischgebet. Danach durften die Kinder noch einen Wunsch an den lieben Gott schicken.
„Lieber Gott, lass unseren Papa nicht mehr so lange weggehen!" bat Chiara
„Lieber Gott, mach, dass unsere Mama nicht mehr weinen muss, wenn sie Papas Bild ansieht!" bat Florian.

Lukas sprang auf, die Tränen schossen aus seinen Augen, er lief hinauf ins Schlafzimmer, warf sich aufs Bett und heulte wie ein Schlosshund. Er schluchzte vor Glück über diese Frau und diese Kinder. Er weinte um die verlorenen fünf Jahre. Er heulte vor Freude auf die Jahre, die vor ihnen als Familie lagen.

Als er sich einigermaßen beruhigt hatte, wusch er sich das Gesicht mit kaltem Wasser, atmete eine paar Mal tief ein und aus und ging zurück.
„Haben wir etwas Falsches gesagt?" fragte Florian leicht verstört, nachdem Lukas weg war.
„Nein, mein Schatz! Kinder sagen nie etwas Falsches! Kinder sagen immer die Wahrheit!" Auch sie hatte Tränen in den Augen. „Aber Papa hat uns alle so lieb, da muss er manchmal ein bisschen weinen vor Liebe, versteht ihr?"

„Ja klar!" sagte Chiara. „Manchmal muss ich auch weinen, wenn es mir sehr gut geht!"
Die letzten Worte seiner bezaubernden Tochter hörte Lukas, als er zurückkam.
Er küsste sie auf die Haare, seinen Sohn auf die Wange, wusste, dass er noch unzählige Tränen vor Glück weinen würde, bis er all das fassen konnte, was er heute erlebt hatte.

Dann küsste er Anja, die fabelhafte Mutter seiner fantastischen Kinder, die Liebe seines Lebens, auf den Mund und brachte nur ein einziges Wort heraus: „Danke!"

Sie hielten sich lange eng umschlungen, die Kinder löffelten ihren Eintopf, aßen die Würstchen, die Ereignisse des Tages hatten sie hungrig gemacht. Sie ließen ihre Mama und ihren Papa nicht aus den Augen.

„Jetzt haben wir Eltern!" erklärte Florian seiner Schwester. „Eine Mama und ein Papa, das sind Eltern!"
„Aha!" sagte Chiara und biss in eine Wurst. „Eltern! Das hatten wir noch nie!"

Anja und Lukas bekamen einen Lachanfall.
„Öfter mal was Neues!" scherzte Anja zwischen zwei Lachern. „Jetzt haben sie plötzlich Eltern!"
Lukas bekam kaum noch Luft. „Mein Gott, Anja! Sind die beiden süß!"
Dann aßen die Eltern auch einen großen Teller Eintopf, und nie hatte eine Mahlzeit Lukas besser geschmeckt.


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