Kapitel 12
Lukas besorgte öfter einmal Karten für einen Kurztrip zu einem Musical. Sie flogen nach Hamburg, fuhren nach Wien, Berlin, Köln, flogen nach London. Er genoss diese Reisen, weil sie ihm nicht weglaufen konnte während dieser Tage, ihn nicht wegschicken konnte, weil sie in diesen Tagen darauf verzichtete, ihn ständig darauf hinzuweisen, dass sie nicht zusammen passten.
Sie feierten Nächte durch mit Freunden von ihm, die allesamt begeistert von ihr waren.
Lukas war stolz auf sie, ihr Charme und ihre Schlagfertigkeit, ihre Schönheit und ihr Humor zogen die Männer in Scharen an. Die Freundinnen seiner Kumpel verblassten neben ihr. Alle beneideten ihn um sie! Doch nicht einmal das kam gegen ihren Alterskomplex an. Immer wieder versuchte er, sie zu überzeugen.
„Anja, du musst doch spüren, wie die Männer auf dich reagieren! Du musst doch merken, wie begehrenswert du bist, dass ich dich liebe!"
„Ja!" sagte sie lakonisch. „Jetzt!"
Und er verstand nicht!
Er verstand damals einfach noch nicht!
Sie trafen sich mal bei ihr, mal bei ihm, mal nur für einen Tag und eine Nacht, mal auch für ein paar Tage.
Sie spielten Nächte lang Karten oder würfelten, tranken dazu eine Flasche Champagner, die Lukas mit gebracht hatte, lachten sich halbtot miteinander, weil sie so beschwipst waren, kamen oft tagelang nicht aus dem Bett.
Sie lasen Bücher gleichzeitig, diskutierten den Inhalt, kritisierten oder lobten den Stil. Sie lasen sich Gedichte vor, zeichneten in der Natur, Anja fotographisch genau, Lukas mehr interpretierend. Sie feierten mit den Nachbarn, für alle waren sie ein festes Paar, nur für Anja nicht.
Jedes Mal, wenn Lukas zu ihr kam, brachte er seiner guten Freundin eine rote Rose mit. Oft, wenn sie sich trennten, erinnerte sie ihn daran, dass das aufhören musste mit dem Sex, dass sie endlich jemanden suchen mussten, der besser zu ihnen passte, und sie war doch krank vor Angst, dass er es einmal wahr machen würde.
In den Sommerferien fuhren sie zwei Wochen in die Berge.
Sie wanderten viel, genossen das Zusammensein unsäglich, genossen die Nächte, aber sie versicherte ihm immer wieder, dass sie freie ungebundene Menschen waren, weil eine Beziehung zwischen ihnen niemals klappen würde.
Zu Hause beschloss sie zum hundertsten Mal, dass sie sich eine Weile nicht sehen würden, damit ihre Herzen frei wurden für neue Partner, Lukas hielt genau fünf Tage durch, lange Tage, verdammt harte Tage, in denen er sein Leben vermisste.
Fünf Tage, in denen sie die Panik befiel, ihr Leben mit ihm zu verlieren. Das Lachen, die Unterhaltungen, das Tanzen, das Jungsein! Panik, sich doch verliebt zu haben in diesen hübschen Jungen, der absolut nicht zu ihr passte, und der doch so gut zu ihr passte wie kein anderer!
****
Auf einer mehrtägigen Fortbildung wollte Anja es versuchen.
Ein gutaussehender Kollege umwarb sie heftig, mit ihm passte alles, er wohnte sogar in der Nähe von Regensburg.
Er machte ihr unentwegt Komplimente, warf ihr verliebte Blicke zu, wo immer er auf sie traf, diskutierte mit ihr, war witzig, tanzte mit ihr bei der Abschlussveranstaltung, küsste sie, sie ging mit ihm in sein Zimmer.
Sie musste ja noch immer Erfahrungen sammeln.
Weiter als bis zu einem hübschen Jungen hatte sie es bisher noch nicht gebracht.
Sie wollte wissen, wie es mit einem anderen Mann im Bett war, hatte ein Glas Wein mehr getrunken, damit der Mut sie nicht verließ.
Der Kollege zog ihr Shirt aus, grapschte an ihrem Busen herum, warf sie aufs Bett, zog das Kondom über und drang in sie ein.
Ein paar Stöße später stöhnte er auf, rollte neben sie und schlief ein.
Anja zog sich an, ging in ihr Zimmer, überlegte, ob sie weinen oder lachen sollte, entschied sich fürs Lachen, denn Tränen war dieses Abenteuer nicht wert.
Zum Glück hat er mich nicht gefragt, ob er gut war! dachte sie und lachte Tränen, die dieses Abenteuer dann doch wert war.
Kurz überlegte sie, was geschehen wäre, wenn er sie so geliebt hätte wie Lukas, wenn er im Bett ein wenig wie ihr hübscher Junge gewesen wäre.
Hätte sie Lukas dann verlassen?
Hätte sie verzichten können auf seinen Humor, seine Klugheit, ihre Freundschaft?
Hätte sie verzichten können auf seinen Körper, seine Lippen, seine Augen? Irgendwie war sie froh, dass der andere im Bett nicht gepasst hatte, wenn es auch sonst gepasst hätte! Und irgendwie wollte sie auch keine Erfahrungen mehr sammeln!
Sie erzählte Lukas nichts von ihrem missglückten Versuch, es stand nicht dafür!
**********
Im Sommer machten sie Radtouren, Lagerfeuer an der Donau, Lukas spielte Gitarre und sang Liebeslieder, natürlich nicht für sie, sondern für seine zukünftige Partnerin, mit der er eine Beziehung führen konnte, die klappte, wie sie stets betonte.
Sie machten oft Picknick mit exquisiten Leckereien, die Lukas angeschleppt hatte, saßen auf einer Decke am Waldrand, aßen Kaviar und Wachteleier, Krabbencocktail und feinen Käse, tranken einen Piccolo dazu, liebten sich.
Sie gingen auf alle Volksfeste, Anja war ein Adrenalinjunkie.
Sie liebte die atemberaubenden Fahrgeschäfte, je wilder desto besser.
Lukas starb die ersten Male beinahe, aber dann fand er auch Gefallen daran.
Wenn ihre Locken flogen, ihre Augen strahlten, ihre Wangen glühten, wenn sie juchzte vor Begeisterung, war sie schöner denn je, war er der glücklichste Mann der Welt!
Sie teilten sich eine Maß Bier, obwohl sie Bier beide verabscheuten, teilten sich eine Bratwurstsemmel, eine Schokobanane, fütterten sich mit einer Portion Pommes.
Männer beneideten ihn um das schöne Püppchen, das im Dirndl zum Anbeißen aussah.
In der Geisterbahn knutschten sie fünf Fahrten hintereinander, danach hatte er wackligere Knie als nach dem schnellsten Karussell.
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