Kapitel 105
Anja und Lukas trugen die süßen Zwillinge in ihre Betten. Dann wollten sie aber noch einmal nach unten, die Nacht sollte noch nicht zu Ende sein!
Sie setzten sich ans Feuer, das noch in der Schale glomm, tranken ein Glas Wein, rauchten eine Zigarette, hielten sich im Arm, sahen in den Sternenhimmel.
Sie sprachen nicht, ließen ihre Seelen fühlen. Die Seelen mit den vielen Fasern, mit denen sie sich liebten.
„Ich hab dich lieb, Süße! Ich hab dich so lieb!" flüsterte Lukas nach einer ganzen Weile.
Die Liebe, das ganze Liebhaben machte ihn wieder einmal atemlos.
Dass er ihr das heute so einfach sagen durfte, dass sie ihm sagte, dass sie ihn liebte, war immer noch wie ein Wunder für ihn.
Und dass sie noch ein Kind wollten, ganz bewusst, machte ihn so glücklich!
„Wie soll ich denn dieses Riesenglück aushalten?" fragte er die Liebe seines Lebens.
Sie lächelte ihn an.
Dieses Lächeln, das vom ersten Treffen auf dem Ball an sein Herz hatte schmelzen lassen.
Dieses Lächeln, das sie ihm geschenkt hatte, als er sie das erste Mal hatte lieben dürfen.
Dieses Lächeln, das einen 22jährigen Jungen den Rest seines Lebens nicht mehr losgelassen hatte.
Dieses Lächeln, das er bei all den Frauen nach ihr gesucht und nie gefunden hatte.
Das Lächeln der Liebe seines Lebens, der einzigen Liebe seines Lebens, der ersten und der letzten Liebe seines Lebens.
„Ich liebe dich, Lukas! Ich liebe dich so sehr!" Sie hatte es ihm schon so oft gesagt in den letzten Monaten, aber die Worte klangen noch immer wie die schönste Offenbarung für ihn.
„Lass uns schlafen gehen, Süße!" bat er, emotional am totalen Limit.
Engumschlungen gingen sie nach oben. Sie hielten sich noch lange im Arm, fühlten diese grenzenlose Liebe, dieses Vertrautsein, dieses sich Liebhaben.
Die Leidenschaft schwieg, die Seligkeit gewann. Die Zärtlichkeit kam, sie streichelten sich zart, waren wieder einmal glücklicher als je in ihrem Leben.
Sie schliefen ein, während sie sich sanft berührten. Sie schliefen engumschlungen ein, so wie sie auch am nächsten Morgen erwachten. Die Magnete, die sie aneinander fesselten, waren noch immer voll intakt.
Eine Woche später war der erste Schultag für ihre Kinder. Sie waren zwar ein Jahr jünger als ihre Mitschüler, aber sie waren größenmäßig nicht von den älteren zu unterscheiden. Und klug waren sie sowieso.
Stolze Eltern hielten stolze Kinder mit Schultüten im Arm, sahen mit Tränen in den Augen zu, wie sie sich auf die Stühle im Klassenzimmer setzten, wie sie ihre Namenschilder schrieben, wie sie die ersten Arbeitsblätter ausmalten.
Wie sie sich anlächelten, die beiden Schulkinder, die von Geburt an so sehr miteinander verbunden waren. Die kleine Wilde und der bedächtige große Junge, der seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten war.
Lukas hatte bei Salvatore einen Tisch bestellt, wo sie sich mit allen Verwandten trafen.
Die Großeltern teilten sich die Kinder, keines der beiden Paare musste eifersüchtig sein.
Sonja strahlte an diesem Tag, Oliver hielt glücklich ihre Hand.
„Na, euch scheint es heute aber gut zu gehen!" freute sich Anja.
Ihre Schwester sah den Mann an ihrer Seite an, er nickte nur.
„Ich bin schwanger!" Sonja konnte die gute Nachricht nicht länger für sich behalten. „Ende dritter Monat!"
Anja fiel der großen Schwester um den Hals. Das war ja die Nachricht des Jahrhunderts! Jahrelang hatten die beiden alles versucht, ein Kind zu bekommen. Sie selbst hatte fast ein schlechtes Gewissen gehabt, dass sie gleich beim ersten Mal ohne Kondom von Lukas schwanger geworden war.
Und jetzt, mit knapp 40, sollte die Schwester doch noch Mutter werden.
Na, dann gibt es ja genug Enkelkinder für die Omas und Opas! dachte Lukas und grinste vor sich hin.
Die nächsten zwei Wochen vergingen für die glückliche Familie Sieber. Lukas arbeitete gerne, freute sich jeden Tag auf die Klinik.
Die Zwillinge freuten sich jeden Tag auf die Schule. Meistens brachte sie der stolze Papa vor dem Dienst, sonst nahmen sie den Schulbus.
Anja freute sich jeden Tag, dass sie nicht zur Arbeit musste, lief oft einfach durchs Dorf, zu einer Zeit, wenn ihre Kolleginnen vor den Klassen standen, genoss die Freiheit.
In ihrem Kopf formten sich die nächsten Geschichten, sie sah die Bilder vor sich, die sie zeichnen wollte.
Sie kaufte voll Genuss ein, ließ vollbepackte, gehetzte Menschen an der Kasse vor. „Ich habe Zeit!" erklärte sie dann, was ihr oft ein dankbares Lächeln bescherte.
Sie kochte Abendessen, machte Hausaufgaben mit den Kids, obwohl die das auch perfekt alleine schafften. Sie freute sich auf ihren hübschen Jungen, auf den Moment, wenn er glücklich von der Arbeit nach Hause kam.
Lukas Herz schlug jeden Tag heftig vor Glück, wenn er sein Auto in die Garage stellte.
Zu Hause!
Er war zu Hause!
Gleich würde er seine Kinder im Arm halten und ein wenig später seine wunderschöne Frau.
Für Anja war es der schönste Augenblick des Tages, wenn sie seinen Schlüssel im Schloss hörte, wenn er in der Türe stand, groß, schlank, anders gekleidet als alle anderen, den Ohrring hatte er auch nicht wieder abgenommen.
Ihr hübscher, lustiger, umwerfender Junge kam jeden Tag zu ihr nach Hause, oft mit einer roten Rose in der Hand, aber immer mit diesem liebevollen Blick in seinen Bernsteinaugen.
Sie ging einmal wöchentlich an die Klinik, las den Kindern aus ihren Büchern vor. Stolz traf Lukas sich dann mit seiner schönen Frau zum Mittagessen in der Kantine. Stolz sah er die Blicke der Kollegen, stolz brachte er sie danach zu ihrem Auto.
Die beiden waren die Lieblinge der Station.
Zwei Wochen nach dem ersten Versuch wartete Lukas darauf, dass sie ihre Periode bekam. Aber keine Anzeichen waren erkennbar. Sie sprachen nicht darüber, wollten nichts bereden. Doch nach drei weiteren Tagen konnte er es nicht mehr aushalten.
Anja wachte auf, als sie etwas an der Wange kitzelte. Ein lächelnder Lukas rieb mit einer Verpackung an ihrer Haut, sah sie mit seinem süßesten Dackelblick an.
„Bitte, Süße!" sagte er nur.
Sie wusste gleich, was er da in der Hand hielt, was er wollte von ihr, und eine Glückswelle überschwemmte sie.
Mein Gott, diesen Augenblick mit ihm zu teilen!
Ob er sich bewusst war, was ihr das bedeutete?
Sie erinnerte sich an das erste Mal, als sie einen Schwangerschaftstest gemacht hatte: Alleine, verzweifelt, vom Schmerz über ihren Verlust zerfressen.
Ohne Plan für die Zukunft, ohne Klarheit, wie sie sich entscheiden würde, wenn! Ja, wenn!
Und heute saß er im Bett, seine Augen flehten darum, dass sie ihm Gewissheit verschaffte!
Lächelnd nahm sie die Packung, verzog sich ins Bad. Die Gebrauchsanleitung brauchte sie nicht zu lesen, es war zufällig der gleiche Test wie der, den sie damals gekauft hatte.
Lukas hatte sich auf sein Kissen zurückfallen lassen, seine Hand lag auf dem klopfenden Herzen. Sicher, bestimmt, auf alle Fälle wäre der Test positiv!
Ihr Zyklus war absolut regelmäßig!
Drei Tage über der Zeit konnten nur eines bedeuten!
Anja kam zurück, hielt das Stäbchen hinter ihrem Rücken, er sah zur Uhr. Fünf Minuten! Der Sekundenzeiger schien sich nicht zu bewegen. Endlos kreiste er ums Zifferblatt. Als er die letzte
Runde begann, hielt er den Atem an.
Anja stand vorm Bett, beobachtete ihn belustigt.
„Neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins! Zeigen!" rief er und sprang auf.
Sie neckte ihn noch ein wenig, lief davon, er hechtete ihr nach und entwand ihr den Streifen.
Gebannt sahen beide gleichzeitig auf das Testfeld, das im schönsten Blau der Welt erstrahlte.
„Yep!" Mehr brachte er nicht hervor, bevor er sie absolut schwindlig küsste.
Dann sank er vor ihr auf die Knie, küsste ihren Bauch. „Wellcome, Baby!" flüsterte er heiser.
Anja liefen die Tränen übers Gesicht.
Sie musste wieder an damals denken.
Hätte er sich auch so gefreut, wenn sie es ihm gesagt hätte?
Hatte sie ihm diesen Moment gestohlen?
Hatte sie doch einen Fehler gemacht?
Sie kniete sich zu ihm, umschlang seinen nackten Oberkörper, presste sich an ihn.
„Verzeih mir, Lukas, wenn es etwas zu verzeihen gibt!" flehte sie kaum hörbar.
Er hob ihren Kopf, nahm ihr schönes Gesicht in seine Hände.
„Nein, Anja! Es gibt nichts zu verzeihen! Es war gut, wie alles gekommen ist! Wirklich! Für uns beide!"
Er küsste ihre Tränen weg. „Du darfst nicht immer wieder an deiner Entscheidung zweifeln! Sie war richtig! In unserer damaligen Situation war es das einzig Richtige!"
Langsam beruhigte sie sich wieder.
Er hatte Recht!
Sie waren damals nicht die Gleichen wie heute.
Sie hatten erst zu den Menschen werden müssen, die sie heute waren.
Sie hatten ihre Wege gehen müssen, bevor die sich zu einem zusammenfanden.
Sie hätte Zeit ihres Lebens mit dem Altersunterschied zu kämpfen gehabt, wenn sie nicht die Liebe erlebt hätte, die fünf Jahre überstanden hatte und die ihr heute die Sicherheit gab, die sie einfach brauchte.
Er hätte nicht so schnell und erfolgreich studieren können mit einer Frau und zwei Kindern.
Lukas zog sie hoch. „Süße! Alles war und ist gut, ja?"
Ihre Saphiraugen strahlten wieder klar.
Er küsste sie zärtlich, trennte sich unwillig von ihr, ging zum Duschen.
Auch an einem Tag, an dem die Welt aus den Angeln flog, rief die Arbeit.
Da sie schon wach war, machte sie ein wunderschönes Familienfrühstück ganz ohne Müsli.
Chiara sah sie misstrauisch an. „Heute ist aber kein Sonntag!" erinnerte sie die seltsame Mama, die scheinbar gar nicht mehr wusste, was für ein Wochentag war.
Und warum leuchteten Mamas Augen heute gar so?
Wie Sterne! dachte die Kleine. Und die vom Papa auch!
„Was ist mit denen heute los?" flüsterte sie ihrem Bruder zu.
„Keine Ahnung! Sind sie halt noch komischer als sonst!" antwortete der lächelnd.
Er hatte schon längst aufgegeben, seine Eltern verstehen zu wollen!
Eltern, die sich dauernd küssten, anlächelten, streichelten, hatte sonst keiner!
Aber, dass auch keiner so glückliche, liebe Eltern hatte wie sie beide, das verstand er schon.
Irgendwie hing das wohl zusammen!
Der Papa trällerte auf der ganzen Fahrt zur Schule ein schönes Lied, küsste sie kräftig ab, bevor er sie an der Klassenzimmertüre verließ. Sie sahen ihm nach, wie er aus dem Schulhaus tanzte, schüttelten nur den Kopf.
Lukas flog durch den Arbeitstag, die Schwestern steckten die Köpfe zusammen.
„Heute ist er aber noch besser drauf als sonst, unser Doc Hollywood!" meinte Christa lachend.
Er grinste, hatte ihre leisen Worte durchaus noch gehört. „Doc Hollywood!" Den Spitznamen, den sie ihm gegeben hatten, hatte er relativ bald mitbekommen.
Gibt Schlimmeres! dachte er seitdem immer nur.
Christoph und Uschi durften heute endlich die kleine Kathrin mit nach Hause nehmen. Sie war ein richtiger Wonneproppen geworden, der Liebling der Säuglingsschwestern.
Die Freunde nahmen ihn in den Arm. „Danke, Lukas! Wir wünschen euch alles Glück der Welt!" sagte Christoph. Er würde auf ewig in der Schuld des angehenden Kinderarztes stehen!
„Danke! Das haben wir schon!" antwortete Lukas gerührt, und beinahe wäre ihm die fantastische Neuigkeit herausgerutscht. Aber er hatte Anja hoch und heilig versprochen, mindestens noch eine Woche niemandem von dem Baby zu erzählen.
Die Woche wurde hart für einen werdenden Vater, der sein Glück in die Welt hinausschreien wollte.
Christoph war überrascht, die beiden eine Woche später in seiner Praxis zu sehen.
Jetzt endlich durfte Lukas reden. „Wir sind schwanger!"
Der Gynäkologe lachte. „Na, das höre ich doch gerne!"
Alles war in Ordnung, wie die Untersuchung zeigte.
„In drei Wochen dann zum Ultraschall!" wies er die beiden an.
„In drei Wochen erst?" Lukas war enttäuscht. Der Freund sollte lieber jeden Tag nachsehen, ob auch alles okay war mit dem Baby!
Am Abend erzählten sie ihren Süßen die Neuigkeit, hatten ein wenig Bammel davor, wie die Kleinen reagieren würden.
Doch die sahen das obercool.
„Na, Platz haben wir ja noch!" stellte Chiara fest. Die beiden waren immer noch nicht davon zu überzeugen, zwei getrennte Zimmer zu beziehen. Und wenn das neue Baby dann da war, mussten sie es auch gar nicht mehr, weil das letzte Zimmer belegt wäre. Lukas verstand die Gedankengänge seiner schlauen Tochter, musste lachen.
„Drum seid ihr noch lustiger als sonst!" Florian grinste sie an. Jetzt war dieses Rätsel auch gelöst.
Die drei Wochen bis zur nächsten Untersuchung vergingen wie im Flug. Sie standen schon zu viert in der Haustüre. Die Eltern wollten die Kinder zur Schule bringen und dann gleich zur Praxis weiterfahren. Da ging das Telefon gleichzeitig mit Lukas' Piepser.
Eine Drillingsgeburt im sechsten Monat!
Lukas raste los. Es tat ihm in der Seele weh, dass er seine Süße nicht begleiten konnte, aber hier galt es drei Leben zu retten. Aber warum gerade heute?
Anja packte ihre beiden Großen in ihr neues Auto, sie hatte es vor einer Woche endlich bekommen. Seitdem fuhr sie ein wenig öfter zum Einkaufen, holte die Kinder von der Schule ab, genoss jede Fahrt mit der heißen Kiste.
Sie brachte die zwei hinein, küsste sie zum Abschied, sah mit Stolz, wie die Klassenkameraden sie umringten, wechselte ein paar Worte mit der Lehrerin, die sie in den höchsten Tönen lobte.
Strahlend und überglücklich lief sie zum Auto.
Ihre Gedanken waren bei Lukas, ihrem über alles geliebten Lukas. Kurz schoss ihr eine Idee durch den Kopf. Er wäre doch so gerne mit ihr zu Christoph gefahren! Vielleicht sollte sie den Termin einfach verschieben? Aber Drillinge brauchten ihn wohl in den nächsten Tagen rund um die Uhr. Und es wäre ja nicht der letzte Termin!
Beschwingt fuhr sie los.
„Na, wo ist denn der schwangere Vater?" fragte Christoph sie lachend.
„Notfall! Drillinge!" gab Anja Auskunft und verdrehte die Augen.
„Ah! Na, da muss der Beste ran, ganz klar!" Er dachte an seine kleine Tochter, die ohne Lukas wohl kaum überlebt hätte.
Als das Bild auf dem Bildschirm erschien, musste Christoph lachen.
„Müsst ihr immer gleich im Doppelpack liefern?" fragte er, und druckte das Bild aus, das die zwei neuen Leben als Punkte zeigte.
Anja hielt sich den Bauch vor Lachen. Zwillinge! Schon wieder!
„Na, wenn er etwas macht, der Herr Dr. Sieber, dann gleich ordentlich!" gluckste sie.
„Ihr wolltet die Kinder, oder? Kein Unfall?" Der Arzt war sich eigentlich sicher.
„Nein, wir haben uns ganz bewusst und einstimmig so entschieden!" bestätigte sie lachend. „Also, die Initiative ging schon von Lukas aus, aber ich hatte schon auch diese Idee irgendwo in meinem Kopf!"
„Super! Ich freue mich für euch! Also dann in drei Wochen!"
Anja tanzte zu ihrem Auto. Sie musste versuchen, Lukas zu erreichen, ihm wenigsten eine Nachricht auf die Mailbox zu sprechen.
Natürlich konnte er nicht ans Telefon gehen. „Hallo, neuer Papa von neuen Zwillingen! Ruf mich doch mal an, wenn du Zeit hast! Ich liebe dich! Über alles!"
Sie fuhr mehr als glücklich auf die Autobahn, drehte das Radio laut, sang, lachte, sang, lachte!
Sah vor lauter strahlendem Glück nicht, dass der LKW, den sie gerade überholte, nach links zog. Als sie es merkte, drückte sie das Gaspedal durch, um vorbeizukommen, doch es war zu spät! Ihr Auto wurde erfasst, an die Leitplanke gedrückt, ein paar Meter mitgeschleift.
Mein Gott! schrie es in Anja. Lukas! Meine Kinder!
Dann wurde die Welt schwarz um sie.
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