Kapitel 1

Anja

Als Anja mit ihrer Schwester und ihrem Schwager nach Hause fuhr, war sie rundum zufrieden mit diesem Abend. Sie hatte getanzt, geflirtet und sogar geküsst.
„Na, also, wird ja! Geht ja!" dachte sie.

Mit 15 hatte sie Peter kennengelernt, war irgendwie an ihm hängengeblieben, hatte ihn mit 23 geheiratet und ihn mit 28 hinausgeschmissen, weil er sich eine Freundin zugelegt hatte. Seit einem halben Jahr ging es immer hin und her. Er wollte gehen, er wollte bei ihr bleiben, sie wollte ihn los sein, sie wollte ihn zurückhaben.

Aber sollte sie ihn wirklich zurücklassen in ihr Leben, wollte sie vorher etwas erleben, etwas, das andere mit 18 erlebten. Eine bisschen verliebt sein, eine Affäre, ein paar Küsse, irgendetwas musste sie nachholen.

Und heute, auf diesem Faschingsball, war sie ihrem Ziel ein großes Stück näher gekommen. Die Männer hatten sie umschwärmt, einer hatte sie sogar geküsst, also, bei einem hatte sie es zugelassen, sie wusste nicht, warum gerade bei ihm.

Sie saß lange in der Bar auf seinem Schoß, er küsste und streichelte sie, wollte sie am Ende nicht gehen lassen, schrieb sich ihre Telefonnummer auf. Das war alles sehr schön und gut für ihr angekratztes Ego gewesen.

Verliebt war sie nicht, er war als Pirat verkleidet, mit Zottelperücke, falschem Bart und Augenklappe, sie wusste gar nicht, wie er aussah, wusste gar nichts von ihm, außer, dass er Lukas hieß, gut küssen konnte, sehr zärtlich sein konnte, ihr süße Worte ins Ohr geflüstert hatte.

Verliebt war sie eher in Charly, den Bruder einer Freundin, den sie vor ein paar Tagen auf einem Hausfasching kennengelernt hatte, und der mit ihr das Flirten geübt hatte.
Aber so richtig wollte sie von keinem etwas, wollte auf keinen Fall eine neue Beziehung, wollte noch eine Weile ihre Freiheit genießen, ein paar Komplimente sammeln, ein paar Erfahrungen mit Männern.

Sie scherzte mit Sonja und Oliver über ihre Eroberungen, über die lange Schmuserunde in der Bar mit Lukas.

Am nächsten Morgen gegen elf fuhr sie nach Hause. Lukas hatte beim langen Abschied auf der Treppe gesagt, er rufe zwischen eins und zwei an, aber sie glaubte nicht recht daran. Es war Fasching, ein Flirt, auch ein heißer Flirt war durchaus legitim, da musste nichts nachkommen.

Lukas

Lukas saß vor dem Telefon, hatte  den Zettel mit ihrer Nummer in der Hand. Er lag mit sich selbst im Gedankenclinch. Eigentlich hatte er sich gestern in die hübsche Kleine mit den langen blonden Locken und den blauen Augen schwer verliebt.

Er hatte es genossen, sie zu küssen und ein wenig zu streicheln, mit ihr zu tanzen, sie zu fühlen, sie wieder und wieder zu küssen in der Bar. Sie hatte ihm ihre Nummer gegeben, er konnte sie anrufen, um ein Wiedersehen bitten.

Alles war bestens gelaufen, auch wenn er sie nicht hatte überreden können, mit ihm mit zu gehen. Er hatte auch nicht weiter gedrängt, er würde eben um sie werben, eine eher neue Erfahrung für ihn. Er war glücklich gewesen, dieses Mädchen getroffen zu haben.

Bis Charly ihn angequatscht hatte, war seine Welt vollkommen im Lot gewesen.
„Na, Lukas, hast du dich in die süße Anja verguckt?"
„Kennst du sie?" fragte er Charly, den er aus seiner Stammdisco kannte.
„Ich habe sie vor ein paar Tagen auf dem Hausfasching bei meiner Schwester kennengelernt. Eine ganz liebe, ein wenig schüchtern, ein wenig vorsichtig mit Männer, aber reizend!"

Er erzählte Lukas bereitwillig, was er sonst noch von Anja wusste. 28 Jahre alt, Grundschullehrerin, getrennt von ihrem Mann, mit dem sie 13 Jahre zusammen gewesen war.
Lukas wurde immer stiller. Er war 22, jobbte im Moment als Sankafahrer, wartete auf einen Studienplatz in Medizin.

Verflixt, das ging ja wohl dann nicht mit ihnen beiden. Schade! Er hatte sie für viel jünger gehalten, eine Studentin von höchstens 23 Jahren, da hätte alles gepasst.
Er fuhr nach Hause, träumte ein bisschen von ihren blauen Augen, ihren schönen Lippen, ihren Locken, schlief schließlich ein.

Nun saß er hier und überlegte. Er hatte versprochen anzurufen, und er war eigentlich immer fair zu Mädchen und Frauen, aber er musste ihr auch klar machen, dass da nichts laufen würde zwischen ihnen. Er konnte es sich auch leicht machen und sich gar nicht melden, aber irgendwie hatte er das Gefühl, dass sie das nach dem schönen Abend nicht verdient hatte.
Um halb zwei wählte er ihre Nummer.

Anja

Anja war fast überrascht, als um halb zwei ihr Telefon läutete. Sie meldete sich.
„Hallo, Anja, hier ist Lukas!"
Schau an, das hätte sie jetzt nicht wirklich erwartet!
„Hallo Lukas!"

„Anja, ich möchte mich mit dir treffen. Ich würde gerne mit dir reden." Er hätte es auch am Telefon sagen können, dass es altersmäßig nicht passte! dachte er.
Aha, reden, mal was Neues! dachte sie und lächelte. Das hatten sie gestern ganz vergessen.
„Ja, okay! Mach einen Vorschlag!" Sie war ganz locker.

„Im Alex? In einer halben Stunde?" Je eher, desto besser! dachte Lukas.
„Gut, das ist mir lieber als am Abend!" antwortete sie und dachte: Na, verliebt klingt er ja nicht gerade! Aber sie war ja auch nicht verliebt, nur gespannt wie er aussah, was er ihr sagen wollte.
„Also, bis gleich!" Lukas legte auf. Wider jede Vernunft freute er sich auf sie, sie war schon ausgesprochen hübsch, sehr sexy, aber es passte halt nicht mit ihnen.

Eine halbe Stunde! dachte Anja. Das ist knapp. Denn Umziehen wollte sie sich schon noch. Vollkommen unbewusst wählte sie ihr heißestes Outfit, oder doch nicht ganz unbewusst? Als sie die Locken bürstete, bis sie glänzten, ein bisschen Parfüm aufsprühte, lächelte sie in den Spiegel.
Ich darf mich doch hübsch machen, warum denn nicht?

Lukas

Lukas stand vor dem Schrank. Die neue Jeans, das neue Shirt? Warum denn nicht? dachte er, und nahm die Preisschilder ab. Er bürstete seine dunklen Haare. Ein bisschen Aftershave ist ja auch nicht verboten! dachte er und lächelte seinem Spiegelbild zu.

Dann machte er sich beschwingt auf den Weg, als ginge er zu einem Date. Dabei war es eigentlich genau das Gegenteil.

Er wartete vor der Türe des Lokales auf sie.


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