Der Kontakt

Bewegungslos starrte sie auf ihr Schmuckstück, wagte es kaum zu atmen.
Als sich nichts weiter regte entspannte sie sich etwas. Vielleicht war hier ja niemand drin.
Ja, so musste es sein.
Hier waren schließlich über tausende von Zellen, da konnten gar nicht alle besetzt sein.

Vorsichtig ging sie an die Stäbe, konnte sich dann aber ein lautes Fluchen nicht verkneifen. Es war zu weit nach innen gerollt.
Sie kam nicht ran.
> Was mache ich denn jetzt? < dachte sie panisch.
Es war ihr letztes Andenken an ihre verstorbene Mutter.
Aber egal wie klein sie mit ihren zehn Jahren auch war, durch diese Gitterstäbe passte sie trotzdem nicht.

Währe ja auch schön dumm es gab ja schließlich genug Dämonenkinder, die sollten ja dann auch nicht entkommen, dachte sie ironisch.
Sie wollte gerade trotzdem einen versuch starten ihren Arm so weit wie möglich in das Gitter zu zwängen, als sich plötzlich etwas im Dunkeln bewegte.
Sofort sprang sie einen Meter zurück und beobachtet mit großen Augen und wild pochendem Herzen wie sich eine Person ins Licht schob.

Die Person war männlich, obwohl sie zuerst wegen den langen schwarzen Haaren und den vielen Ketten, die seinen ganzen Körper umschlungen, Probleme hatte das festzustellen. Dann trat der Mann vollständig ins Licht und eine eiskalter Schauer der Furcht überfiel sie, als sie seine Augen sah.
Sie waren so schwarz wie die Nacht und so tief wie der Ozean. Doch es war nicht die Farbe die ihr Angst machte sonder die Seele die sich dahinter verbarg und dessen Anziehungskraft so übermächtig auf sie wirkte, dass sie sich mit aller macht zwingen musste nicht auf ihn zuzugehen.
Seine Ausstrahlung schien so erdrückend, dass sie sich kurzeitig panisch fragte ob das Magieabwehrnetzt ausgefallen war.

Er ging noch einen weiter Schritt auf die Gitter -und damit auf sie- zu und die Ketten klirrten unangenehm in ihren Ohren, steuerten noch mehr zu ihrer stetig wachsenden Angst bei.
Erst als er sich langsam bückte -wieder dieses klirren- und ihr Medaillon aufhob riss sie sich aus ihrer Schockstarre.

"Das ist meins! " rief sie heraufordern in dem kläglichen versuch das Zittern in ihrer Stimme zu übertönen.
Er sah sie an.
Sie zuckte fast gar nicht zusammen. Dann hob sich sein rechter Mundwinkel einen gefühlten Millimeter und als er :
"ach wirklich? " mit einer unglaublichen tiefen Stimme fragte, konnte sie sich des Gedanken nicht erwehren, dass er sich über sie amüsierte.

Natürlich war das komplett lächerlich, er war immerhin ein großer, mindesten ein Jahrhundert alter -die jüngeren mussten nicht in den tieferen Zellen festgehalten werden, weil sie nicht so viele Bannsprüche benötigten- mächtiger Dämonen, der hatte einfach ernst und bedrohlich zu sein und würde sich
-ganz bestimmt!- nicht über ein armes -naja gut, so würde sie sich jetzt eigentlich nicht beschreiben, aber egal- kleines, vor Angst zitterndes Mädchen lustig machen!
Oder?

Plötzlich war sie sich da nicht mehr so sicher -größtenteils dieses halbe lächeln von oben herab von besagtem bösen Dämon schuldes- und diese Idee wurmt sie dermaßen dass ihr ganze Zurückhaltung einfach von ihr abfiel.
"Jawohl!"
Rief sie aufgebracht und stampfte auf das Gitter zu bis sie es fast mit der Nase berührte.
"Und ich währe dir sehr zu Dank verpflichtet, wenn du sie mir wieder geben würdest!"
Er betrachtet sie unbeindruckt von ihrer Forderung und sie tat ihr bestes sehr entschlossen auszusehen.

Langsam ging er auf sie zu, bis auch er nicht mehr als zwei Finger weit vom Gitter entfernt stand.
Sie war sehr stolz auf sich bei dieser Nähe keine verräterischen Zuckungen zuzulassen. Dass er sie sogar mehr als die normalen erwachsenen überragte war ihr da auch keine Hilfe.
Dann tat er etwas womit sie nicht gerechnet hatte.
Er ging in die Knie.

Aus dieser Perspektive wirkte er zwar nicht mehr so bedrohlich, schenkte ihr aber gleichzeitig einen Einblick in wunderschöne Runen Tätowierungen die unter den schweren Ketten hervorblitzten.
Das war zwar ansich nichts ungewöhnliches (jedenfalls nicht so etwas ungewöhnliches dass sie gleich vor Schreck starb was die von einem Dämon irgendwie erwartete), weckte aber in ihr ungeahnte Interessen und den Drang zur Berührung, was auf eine ganz andere Art gefährlich war.
Wie hatte ihr Vater und ihre Lehrer immer wieder gesagt ?

Egal was du tust, egal wie gesichert der Dämon auch ist, berühre niemals seine Haut!
Sonst erlangt der Dämon Kontrolle über deine Gedanke und Handlungen.

Diese Leitregel wird einem auch im Umgang mit den Vierteln und Achtlern eingetrichtert, aber sie hatte das schon immer lächerlich gefunden. Die meisten waren sogar körperlich zu schwach um mehr als ein Regulärer Mensch zu tragen und dann sollen sie dir ihren Geist aufzwingen?
Tatsächlich hatte sie diese ganze Sache immer für extrem unwahrscheinlich gehalten, denn sie hatte noch nie von derartigen Fällen etwas gehört.
Angela schien es sehr viel sinnvoller das man sich das ganze ausgedacht hatte um sich körperlich von den Dämonen und - da der tatsächliche Kontakt mit Dämonen eher nie eintraf- deren Nachkommen abzugrenzen. So konnte man schon frühe Kindheitsfragen, wieso der gefährlich und deswegen in Ketten war, einfach beantworten.

Nichts desto trotz, jetzt da sie einem Dämon leibhaftig gegenüber stand, klangen diese Mahnungen doch sehr
viel plausibler.

"Und warum genau" riss er sie aus ihren Gedanken, die immer wider um diese Tätowierungen kreisten
"Sollte ich das tun?".
Seine schwarzen Löcher die er Augen nannte schienen sie zu verschlucken.
"Weil..." sie leckte sich über die Lippen.
"Weil das dass einzige Andenken von meiner Mutter ist, das ich noch besitze." Sie fixierte ihn mit festem Blick.
"Und es ist mir sehr wichtig. Es hilft mir meine Ängste zu überwinden."
Er rührte sich nicht.
Einzig seine Augen schienen sie zu durchbohren, schienen nach etwas zu suchen, nur was, das wusste sie beim besten Willen nicht.

Er sagte nichts weiter und sie hatte schon Angst dass er aus reiner Boshaft das Schmuckstück behalten würde, als er langsam seine Hand öffnete und es ihr hinhielt.
"Hier."
Sie schluckte.
Nervös Schaute sie auf die Hand und dann wider in sein Gesicht.
" Kannst du es nicht einfach ... rüberwerfen?"
Er hob eine Augenbraue und obwohl er äußerlich nicht anders aussah, beschlich sie schon wider das Gefühl dass er an irgendetwas die reinste Freude hatte.
"Nein."
"Äh..." kommentierte sie intelligent. "Und wieso fasst du nicht durch und ich hol es mir dann?" Versuchte sie es erneut.
Diesmal sah sie das kurze amüsierte Funkeln in seinen Augen aufflacker.
"Weil" er machte eine dramatische Pause
" ich nicht durch die Schutzzauber hindurch kann."
...

Sie fühlte wie ihre Wangen brannten und musste sich schwer zusammenreißen um nicht wie ein kleines Kind loszuheulen.
Sie war kein kleines Kind.
Sie war schon zehn!
Und viel klüger als die meisten Erwachsenen! Sie ließ sich nicht von diesem dummen Dämon der sie auslachte, vorführen!
"Das wusste ich." Presste sie wütend -und vielleicht ein ganz kleines bisschen verlegen- zwischen ihren Zähnen heraus.
Der Dämon erwiderte darauf nichts, sie bildete sich aber ein, seinen Unglauben zu spüren.
"Wieso gibt's du es mir nicht?"
Fragte sie schließlich, als ihre Wangen nicht mehr ganz so stark glühten.
"Tue ich doch." Antwortete er unbeirrbar.
"Du weißt was ich meine! "
Er setzte wohl an um wieder irgendeinen Unsinn zu reden, aber als sie ihn wütend anzischte überlegte er es sich anders.
"Ich will wissen wie wichtig es dir ist."

Sie blinzelte überrascht.
"Das habe ich doch schon gesagt." Brachte sie ihre Verwunderung zum Ausdruck.
Er schüttelte leicht den Kopf und sah sie belehrend an.
"Etwas zu sagen und etwas zu tun sind zwei sehr verschiedene Dinge."

Sie stutze.
Hatte er recht?
Wie sehr war ihr das Medaillon wert?
Bei jedem anderen Gegenstand wäre sie schon längst weggelaufen, aber würde sie auch so weit gehen wie ihr Leben zu riskieren, um es wieder zu bekommen?
Dabei ging es ja noch nicht mal um das berrühren Ding -das konnte sie ja sogar vermeiden- sondern um die Tatsache, dass dann ihr Arm in seiner Reichweite war.
Er konnte ihr zwar nicht die Kehle rausreißen wegen den Schutzzaubern aber ihr Arm und was er sonst noch in seinen Bereich ziehen konnte, war ihm frei ausgeliefert.

Sie hob ihren Blick und begegnete wartende Augen.
Sie musterten sie eingehend, ansonsten war an ihm keine Regung zu sehen.
War das eine Falle?
Wartete er darauf dass sie ihm vertraute um sie zu töten? Wollte er gar was ganz anderes von ihr?
Wie etwa ihrem Geist kontrollieren?
Ihr Herz klopfte gar so laut, das sie Angst hatte dass der Dämon es hörte. Wie gut war eigentlich das Dämonengehör?
War es besser als das des Menschen? Es wurden ihnen ja immer Tierische Züge nachgesagt... konnte er vielleicht ihren Puls hören? Oder riechen?
Was wusste sie überhaupt über Dämonen?

Gar nichts.
Gar nichts wusste sie.
Nur Klischees, alte Sagen und Schauergeschichten. Mehr gab es nicht und fragte man nach, wurde man mit einem > das braucht man nicht zu wissen < abgefertigt.
Was wusste sie schon?
Sie tat zwar gerne auf Klug aber sie war gerade mal zehn Jahre alt, und mehr als diese Burg mit dem Dorf kannte sie auch nicht.
Sie fühlte sich auf einmal sehr Dumm.

Aber all diese plötzlichen Erkenntnise über sich selbst halfen ihr in ihrem Problem auch nicht weiter.
Soll sie oder soll sie nicht?
Traute sie sich oder Traute sie sich nicht ?
Vertraute sie ihm oder vertraute sie ihm nicht.

So wie sie es sollte.
So wie man es ihr seit ihrer Geburt gesagt hatte.
So wie man es ihr jedesmal eingetrichtert hatte, wenn sie mal wieder mit einem Teildämon geredet hatte.
So wie es klug und richtig wäre.

Sie streckte ihre Hand aus und griff in die Gefängniszelle.

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