Kapitel 50: Am Ende der Tränen

Irgendwann hatte Becca keinen Tränen mehr, die sie noch weinen konnte. Das Brennen in ihren Augen ließ ihre Sicht verschwimmen und ihre Kehle fühlte sich rau und wund an, selbst nachdem sie bereits das dritte Glas Wasser gierig in sich geschüttet hatte. Tief in ihrem Herzen hatte sie geahnt, dass Wallenstein tot war. Aber sie hatte einfach nicht wahrhaben wollen, dass sie ihren treuesten Freund für immer verloren hatte. Es tat weh zu wissen, dass sie nie wieder mit ihm auf dem Boden toben konnte, sich nie wieder an sein warmes Fell kuscheln konnte. Dass einem Hund im Vergleich zu einem Menschen nur eine kurze Lebenszeit vergönnt war, hatte Becca zwar immer gewusst und sich nicht nur einmal ins Gedächtnis gerufen, dass sie irgendwann einmal Abschied von ihrem geliebten Begleiter würden nehmen müssen.

Aber nicht so, niemals so. Wallensteins Tod bewies einmal mehr wie ungerecht das Leben war, wie brutal, wie gnadenlos. Und sie hasste es.

Wieder und wieder fühlte Becca sich in die Benfield Lodge zurückversetzt, sah den Mann, der sich Nicolaj Seizew nannte, wie in Zeitlupe auf sich zukommen, ein widerliches triumphierendes Lächeln in jenem Gesicht, das Buckys auf so erschreckende Weise geähnelt hatte. Sie erinnerte sich ebenfalls an den Betäubungspfeil, der sich schmerzhaft in ihren Oberkörper gebohrt hatte. In dem Moment war sie bereits mit Wallensteins Geist verbunden gewesen, hatte dem Hund befohlen zu flüchten und Bucky zu suchen. Er hatte ihre Todesangst gespürt, war ohne zu zögern davon gespurtet. Das Letzte, was Rebecca im Gedächtnis behalten hatte, waren die Schüsse. Zwei aufeinander folgende Schüsse, von denen sie nun wusste, dass sie ihren liebsten Freund so schwer verletzt hatten, dass Bucky am Ende nichts mehr für ihn hatte tun können. Die Erkenntnis, dass Wallenstein trotz seiner Wunden wohl immer weitergelaufen sein musste, dass er bis zum letzten Atemzug gekämpft hatte, um ihren Begleiter für seine Menschenfreundin im Wald aufzuspüren, brach Rebecca das Herz.

Bis zum Schluss hatte sie gehofft, dass ihr Gefühl sie täuschte, dass Wallenstein es doch gelungen war, ihrem Angreifer unversehrt zu entkommen. Aber ein Blick in Buckys Augen hatte genügt, um diese Hoffnung in tausend kleine Teile zerspringen zu lassen. Ein weiteres Mal in ihrem Leben war Rebecca eine geliebte Seele genommen worden. Und ihre Gabe, diese verfluchte Gabe hatte ihr noch nicht einmal die Kraft verliehen, ihren eigenen Hund zu retten. Erneut hatte sie versagt, hatte jene im Stich gelassen, die sie um jeden Preis hatte schützen wollen. Und sie fühlte sich mitschuldig. Ihre alberne Flucht vor Bucky und ihren eigenen verkorksten Gefühlen hatte doch erst dazu geführt, dass dieser verfluchte Seizew sie allein in der Lodge angetroffen hatte. Wäre sie nicht so kopflos davongerannt, dann wäre das Alles vielleicht nicht passiert, dann würde Wallenstein vielleicht noch leben.

Mit der Trauer und den Schuldgefühlen machte sich nach und nach die alte Wut in Beccas Innerstem breit. Jene Wut, die in den Jahren ihrer Gefangenschaft in Arnim Zolas Labor von einem Hass genährt worden war, den sie erst mit Angela Benfields Hilfe überwunden hatte. Der blinde Hass auf Hydra, auf Ungeheuer wie Zola und seine abscheulichen Spießgesellen, die ihr Leben zerstört hatten, die ihr alles entrissen hatten, was ihr einmal etwas bedeutet hatte, die sie zu unvorstellbaren Dingen gezwungen hatten.

Wie oft hatte sie sich danach verzehrt, ihre Peiniger für all das Leid büßen zu lassen, das Hydra über sie gebracht hatte? Wie oft hatte sie sich ausgemalt, in ihre Köpfe einzudringen und sie langsam und qualvoll durch ihre eigenen Hände sterben zu lassen?

Am Ende waren es einzig diese wiederkehrenden düsteren Fantasien gewesen, die sie vor dem Wahnsinn bewahrt hatten, wenn sie allein in ihrer Zelle gelegen hatte. Doch die blutigen Bilder hatten auch ihre Erinnerung an ihre geliebten Eltern und ihre kleine Schwester zusehends in den Hintergrund gedrängt, bis Rebecca fast vergessen hatte, welches Leben sie vor Hydra geführt hatte, welcher Mensch sie vor Red Star gewesen war. Und irgendwann war ihr alles gleichgültig geworden, hatte sich eine gähnende Leere in ihrem Innersten ausgebreitet, bis sie vollkommen abgestumpft gewesen war.

Mrs. Benfield hatte ihr einen anderen Weg aufgezeigt.

Die Engländerin hatte sie nicht nur auf einer Landstraße eingesammelt, bei sich aufgenommen und umsorgt, nachdem sie vor Hydra geflüchtet war. Angela hatte Rebeccas Seele gerettet, sie hatte ihr wieder ins Gedächtnis gerufen, dass nicht alle Menschen Bestien waren, dass es Güte und Mitgefühl auch in dieser fremden Welt gab, dass auch sie ein Mensch war, den man wertschätzte, dem man Freundlichkeit und Wärme entgegenbrachte. Angela hatte ihr gezeigt, dass Rachegelüste wie eine Krankheit waren, die nach und nach das Herz vergiftete und schließlich die Seele auffraß. Sie hatte sie gelehrt, dass das Leben immer lebenswert war - trotz allem.

Und so hatte sie versucht zu vergessen, was nicht zu verdrängen, niemals zu vergeben war.

Rebecca hatte sich geschworen, dass ihretwegen nie wieder ein anderes Lebewesen zu Schaden kommen würde. Sie hatte sich geschworen, ihre Kräfte nie wieder gegen ihre Mitgeschöpfe einzusetzen. Sie hatte nichts weiter als in Frieden leben wollen, hatte all das in den Tiefen ihres Geistes vergraben, was die Nazis ihrer Familie angetan hatten, was Zola ihr selbst angetan hatte. Aber vor Hydra gab es kein Entkommen. Die Terrororganisation würde nie ruhen, solange sie atmete. Männer wie Brock Rumlow und Nicolaj Seizew würden nie aufhören nach ihr zu suchen, um sie erneut für ihre Zwecke missbrauchen zu können.

Becca erinnerte sich wieder an die vergangenen Tage, an die Schmerzen, die Angst, die Selbstaufgabe. Sie erinnerte sich an alles. Und sie schämte sich für ihre offenkundige Schwäche, dafür, dass sie es Hydra so leicht gemacht hatte, sie zu brechen, sie erneut zu ihrem Werkzeug zu machen. Sie hatte in den Armen dieses verfluchten Hydra-Kerls gelegen, hatte sich von seinen falschen Worten blenden lassen, dabei war er es, an dessen Händen Wallensteins Blut klebte, der die Schuld am Tod ihres liebsten Freundes trug.

Sie fühlte sich wie eine Verräterin. Und hatte sie nicht genau das getan? Sie hatte Wallenstein verraten und Bucky und am Ende sogar sich selbst, als sie im Hydra-Bunker vor ihren Kerkermeistern kapituliert hatte.

All diese Gedanken drängten sich ohne Unterlass in ihren Kopf, während sie Rotz und Wasser heulte, während sie ihre Wut und ihren Hass hinausschrie, bis schließlich ihre Stimme zu versagen begann. Und Bucky hielt sie die ganze Zeit in seinen Armen. Er saß neben ihr auf der Couch in diesem riesigen Apartment, das er mit ihr gemeinsam über einen Aufzug erreicht hatte, und Rebecca hatte ihren Kopf an seiner Brust vergraben. Lange hatten sie so beieinander gesessen. Bucky hatte sie einfach nur festgehalten, hatte in langsamen Bewegungen über ihr Haar gestrichen. Kein weiteres Wort war über seine Lippen gekommen, seit er sie aus dem gläsernen Raum gebracht hatte.

Seine stille Gegenwart tröstete sie mehr als es hundert Mitleidsbekundungen jemals vermocht hätten.

Bucky ließ sie nicht allein mit ihrem Schmerz und ihrer Wut. Und so sehr Rebecca in diesem Moment auch litt, die Gewissheit, dass es da jemanden gab, der auch in solch einer Stunde an ihrer Seite war, der sich selbst in Lebensgefahr gebracht hatte, um sie zu retten, ließ ein warmes Gefühl in ihrem Innersten entstehen, das nach und nach die Schatten aus ihrer Gedankenwelt verbannte. Ganz deutlich vernahm sie das dumpfe Pochen in Buckys Brust, an der nach wie vor ihre Kopf ruhte. Einige Zeit lauschte sie den rhythmischen Schlägen seines Herzens, spürte wie dabei ihr eigener Körper allmählich zur Ruhe kam.

Vorsichtig hob sie nach einer Weile ihren Kopf an, ließ ihren Blick über die Konturen seines Gesichts streifen. Er musste sich vor kurzem rasiert haben, denn nur der Anflug eines Bartes umspielte seinen Kiefer. Das markante Grübchen an seinem Kinn fiel Becca nicht zum ersten Mal auf und es verlieh seiner nachdenklichen, zumeist verschlossenen Miene einen fast schon jugendlichen Zug. Ihr Blick wanderte weiter zu seinem Mund, den Bucky einmal mehr zu dieser für ihn so typischen harten Linie zusammengepresst hatte, von der Rebecca jedoch wusste, dass sich dahinter ein schelmisches Grinsen verbarg, wenn es die Situation denn zuließ. Es war noch gar nicht so lange her, da hatten sie nebeneinander in der Küche der Benfield Lodge gestanden und miteinander gelacht, während Becca versucht hatte ihren Begleiter in die Küchentechnik des 21. Jahrhunderts einzuweihen. Er hatte sich dabei über ihre Bemerkungen amüsiert, hatte ihr wieder und wieder dieses so seltene freche Grinsen geschenkt.

Bei seinen hellen Augen kam ihre Musterung schließlich zu einem abrupten Halt. Seit ihrer ersten Begegnung waren es vor allem Buckys Augen gewesen, die Rebecca fasziniert hatten. Selten hatte sie einen Menschen getroffen, dessen Augen so schön und gleichzeitig so kalt waren. Doch als sie nun in das eisige Blau sah, musste sie an jenen Moment zurückdenken, als sie gemeinsam im Licht eines neuen Tages die Hirsche beim Äsen auf der Waldlichtung beobachtet hatten. Damals waren seine Augen von einer Wärme erfüllt gewesen, die sie nicht richtig hatte zuordnen können. Und auch jetzt lag dieser eigentümliche Glanz in seinen Augen, als er zu ihr herabblickte.

Zaghaft fand seine Metallhand den Weg auf ihre Wange, fuhr langsam die Kontur ihres Gesichts nach, bevor seine Finger sich in Beccas Haar verloren und in ihrem Nacken zum Stillstand kamen. Zentimeter um Zentimeter näherte sich dann Buckys Gesicht ihrem eigenen. Erst als seine Stirn sachte die ihre berührte, bemerkte Rebecca, dass sie die ganze Zeit über die Luft angehalten hatte.

„Ich bin so froh, Becca", murmelte er nach einer gefühlten Ewigkeit, in der sie beide regungslos in die Augen des jeweils Anderen gesehen hatten. „So froh, dass du wieder bei mir bist."

Bucky Barnes war kein Mann vieler Worte und das Sprechen fiel ihm auch jetzt sichtlich schwer. Aber zwischen ihnen waren ohnehin nie lange Gespräche notwendig gewesen, damit sie verstanden, was der eine dem anderen mitteilen wollte.

In seinen Augen sah sie dennoch auf einmal so viele unausgesprochene Fragen, dass Rebecca ihren eigenen Blick senkte, um so dem Chaos aus widerstreitenden Emotionen zu entgehen. Zwar schränkte ihr neuer Halsreif offenkundig ihre Kräfte ein und sie hätte beim besten Willen nicht Buckys Gedanken lesen können, aber trotzdem siegte der alte antrainierte Reflex, ihre Augen niederzuschlagen, um nicht aus Versehen in die Geisteswelt eines anderen Menschen gezogen zu werden, weil sie ihrem angeborenen Instinkt nicht hatte widerstehen können.

„Bucky, ich -"

Sie kam nicht weiter. Alle Worte des Dankes, alle Zweifel und Ängste verstummten in Rebecca, als sie endlich all ihren Mut zusammennahm, um erneut in sein Gesicht zu sehen. Zum ersten Mal blickte sie in das Antlitz jenes Mannes, der er einst gewesen sein musste, vor Hydra, vor dem Winter Soldier. Für einen flüchtigen Augenblick schien er wieder ganz er selbst zu sein, frei von der Angst und der Ungewissheit, die sonst in jedem wachen Moment wie ein bleierner Gürtel auf seinem Innersten zu liegen schien.

Er war wieder James Barnes, wenn auch nur für wenige Sekunden.

Nun war es an Becca mit ihrer Hand über seine Wange zu streichen, mit ihrem Zeigefinger seine dunkle Augenbraue nachzufahren und dabei in seinen Augen zu versinken, die nichts Anderes erfassten als die Frau in seinen Armen, die immer wieder zu ihrem Mund wanderten, um kurz darauf erneut rastlos zu ihren Augen zurückzukehren. Fragend. Zweifelnd. Bittend.

In Rebeccas Welt galten für wenige Atemzüge andere Naturgesetze.

Der Fluss der Zeit schien sich zu verlangsamen und jedes Geräusch außer ihrem eigenen Herzschlag glich einem leisen Echo, das aus weiter Ferne an ihre Ohren drang. Die Trauer und ohnmächtige Wut, die zuvor ihr Innerstes beinahe zerrissen hatten, wurden an den Rand ihres Bewusstseins gedrängt und durch etwas Anderes ersetzt. Etwas, das ihre Wangen glühen und ihre Hand bei ihrer Erkundung leicht zittern ließ. Bucky schien ebenfalls nicht mehr empfänglich für seine Umwelt zu sein. So vertieft waren sie in ihren Berührungen und Blicken, dass Bucky und Rebecca nicht einmal das piepende Geräusch wahrnahmen, mit dem sich die Tür des Aufzugs öffnete. Ein Räuspern, gekünstelt und viel zu laut, riss sie kurz darauf umso heftiger aus ihrem fast schon tranceartigen Zustand.

„Ich glaub's einfach nicht!"

Neben einem breitschultrigen blonden Mann, den Becca mit Entsetzen als Captain America identifizierte, stand ein weiterer Besucher, älter, mit dunklen Haaren und einem ziemlich eindeutigen Grinsen im Gesicht.

„Da wird eine verdächtige Person aus einem Quarantäneraum geschleust", der Dunkelhaarige warf Bucky einen vielsagenden Blick zu. „Nur damit Barnes endlich ungestört mit seiner neuen Flamme rummachen kann?"

„Tony!", zischte der Blonde und funkelte seinen Begleiter erbost an.

Die Miene von Steve Rogers hätte wohl so ziemlich jeden Erdenbürger mit einem gesunden Selbsterhaltungstrieb eingeschüchtert, außer eben diesem besonderen Exemplar an der Seite des Captains. Und selbst in ihrer Schockstarre realisierte Becca binnen eines Wimpernschlages, dass es sich bei dem Sprecher nicht um irgendeinen Tony handelte, sondern um keinen Geringeren als Tony Stark. Den Milliardär hätte außerdem wohl jedes Kind erkannt, immerhin hatte er noch nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er der Mann im Iron Man-Anzug war.

Sie sah sich also Captain America und Iron Man gegenüber, zwei Avengers in Fleisch und Blut, die sie gerade dabei überrascht hatten, wie Bucky sie fast - Schlagartig stieg die Hitze in ihr auf. Rebecca war sich sicher, dass man ihr Gesicht höchstwahrscheinlich sogar im Dunkeln hätte leuchten sehen können, so heiß glühten mit einem Mal ihre Wangen.

„Was denn? Das hier war ja wohl mehr als eindeutig, Rogers."

Der Dunkelhaarige deutete mit einer vagen Geste in ihre Richtung und Becca konnte spüren, wie sich Bucky neben ihr anspannte wie eine Katze, die sich zum Absprung bereit machte. Sie selbst war viel zu überrumpelt, um auch nur einen Ton herauszubringen, geschweige denn einen sinnvollen Satz zu formulieren.

„Krieg dich wieder ein, Stark", war auf einmal eine leicht genervte Stimme zu hören, die eindeutig zu einer Frau gehörte.

Hinter den Männern trat eine rothaarige Schönheit hervor, die Arme vor der Brust verschränkt, die Augenbrauen als äußerliche Unmutsbekundung zusammengezogen. Ihr Gesicht kam Rebecca auf seltsame Weise vertraut vor, doch sie war zu sehr mit der unwirklichen und vor allem unvorstellbar peinlichen Situation überfordert, um sich über die Identität der Frau weitere Gedanken zu machen.

„Ihr werdet Rebecca nicht wieder dort einsperren! Sie ist keine Gefahr mehr!"

Nun war also doch Leben in Bucky gekommen, denn er war schneller als alle Anwesenden es wohl erwartet hatten auf seinen Beinen und baute sich wie ein gereiztes Raubtier vor der Couch auf, so als gelte es sich und seine Schutzbefohlene vor diesen ungebetenen Gästen zu verteidigen. Dieses Gebaren beeindruckte Tony Stark jedoch nicht im Geringsten, ganz im Gegenteil schien er der Einzige zu sein, der sich über dieses Intermezzo amüsieren konnte. Zumindest zwinkerte er Rebecca frech zu und wandte sich dann mit einem verschlagenen Grinsen erneut an Bucky, der sich in der Zwischenzeit keinen Millimeter bewegt hatte.

„Schon gut, Casanova! Wir wollen dir deine Freundin ja gar nicht wegnehmen. Wenn wir gewusst hätten, dass ihr Zwei gerade so beschäftigt seid, dann wären -"

„Wir wollten uns nur vergewissern, dass alles in Ordnung ist", fiel Captain America seinem Kameraden dankenswerterweise ins Wort und die zarte Röte auf seinen Wangen verriet Rebecca auch ohne in seinen Kopf blicken zu können, dass ihm das Ganze mindestens so unangenehm sein musste wie ihr selbst.

Immerhin, bei seinen Worten bemerkte sie, wie Buckys Haltung sich ein Wenig entspannte und auch ihre eigene Atmung normalisierte sich langsam aber sicher wieder. Das waren die Avengers, beruhigte sich Rebecca im Stillen selbst, während sie abwechselnd die Neuankömmlinge musterte. Ihr wollte hier bestimmt niemand etwas Böses, ganz im Gegenteil, Becca wurde in diesem Moment bewusst, dass die Heldentruppe sie zusammen mit Bucky gerettet hatte. Zwar waren für sie die genauen Umstände der Befreiungsaktion immer noch ein undeutlicher Wirrwarr aus verschwommenen Erinnerungsfetzen, aber sie wusste tief in ihrem Herzen, dass sie diesen Menschen zu Dank verpflichtet war.

„Ich - ich kann mich wieder erinnern", kam es ihr über die Lippen und plötzlich ruhten alle Augen im Raum auf Becca.

Es war das ziemlich erleichterte Lächeln von Steve Rogers, das Rebecca ermunterte weiterzusprechen.

„Nicht genau daran, wie ihr mich befreit habt, aber an vieles Anderes."

Ihre eigenen Worte ließen Bilder in Beccas Kopf entstehen, die sie nur allzu gerne verdrängen wollte und der plötzliche Kloß in ihrem Hals führte dazu, dass ihre Stimme versagte.

„Du musst nicht darüber reden", kam ihr unerwartet die Frau zu Hilfe und auch Bucky hatte sich zu ihr umgewandt, die Augen sorgenvoll verdunkelt.

Die Rothaarige musterte Becca unverhohlen mit ihren grünen Katzenaugen und versuchte sich dabei ebenfalls an einem Lächeln, das sie wohl aufmuntern sollte.

„Romanoff ist hier, um dich auf die Krankenstation zu begleiten, Rebecca", erklärte nun Steve Rogers. „Du warst in keinem guten Zustand, als wir dich hierher gebracht haben und die Ärztin möchte dich gerne noch einmal gründlich untersuchen."

„Später habt ihr noch genug Zeit, um euch weiter zu erholen", fügte Stark hinzu und betonte das letzte Wort mit einem erneuten Zwinkern in ihre Richtung.

Als Bucky bereits scharf die Luft einsog, um zum Protest anzuheben, berührte Becca sachte seine metallische Hand. Kurzzeitig trafen sich ihre Augen. Mit einem leisen Seufzer gab Bucky sich geschlagen, seinen stechenden Blick spürte Becca jedoch die ganze Zeit in ihrem Rücken, während sie der Rothaarigen die kurze Strecke zum Aufzug nachfolgte. Kaum hatte sich die Tür geschlossen und sie war mit ihrer Begleiterin allein, atmete Rebecca hörbar aus.

„Wenn Dr. Ito mit ihren Tests fertig ist, besorgen wir dir etwas Neues zum Anziehen", ließ ihr Gegenüber verlauten, als der Lift sich in Bewegung setzte.

Ihr souveräner, fast schon sachlicher Tonfall gefiel Rebecca. Überhaupt strahlte die Frau so viel Ruhe und Selbstsicherheit aus, dass es nicht schwer war, in ihrer Gegenwart einen Teil der Anspannung abzulegen, die ihren immer noch geschwächten Körper seit dem unerwarteten Auftauchen der drei Besucher erfasst hatte.

„Ich bin übrigens Natasha."

Bei diesem Namen fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Natürlich kam ihr die Frau mit dem roten Haar bekannt vor. Das war Natasha Romanoff, Black Widow! Sicherlich, den ganzen Rummel um die Avengers nach dem Kampf um New York hatte sie nur halbherzig mit verfolgt. Zu sehr war Becca in dieser Zeit noch damit beschäftigt gewesen, ihr eigenes Leben in halbwegs normale Bahnen zu lenken. Aber selbst an ihr war die Berichterstattung nach den Ereignissen in Washington nicht unbemerkt vorbeigegangen und so hatte sie noch vor wenigen Wochen im Fernsehen miterlebt, wie Natasha Romanoff vor dem Untersuchungsausschuss des Senats ausgesagt hatte. Pat hatte Becca und den Mädels im „Red Passion" noch Tage danach mit allerlei Verschwörungstheorien in den Ohren gelegen und sich dabei als glühender Black Widow-Fan geoutet. Ihr selbst war nicht mehr viel von dieser öffentlichen Anhörung in Erinnerung geblieben, nur wie beeindruckt Becca gewesen war, mit welch nüchterner Gelassenheit die Befragte dem Komitee und damit auch der Weltöffentlichkeit Rede und Antwort gestanden hatte.

„Du bist Black Widow. Tut mir leid, ich habe dich nicht sofort erkannt."

Unschlüssig starrte Rebecca vor sich auf den Boden. Sie hatte das Bedürfnis sich bei jedem Einzelnen von ihnen zu entschuldigen. Bei Bucky, weil sie einfach mit dem Weinen nicht hatte aufhören können, weil sie sich in der Zeit, die sie schweigend auf der Couch zugebracht hatten, wie ein kleines Mädchen an ihn geklammert hatte, so als sei er der letzte Mensch auf dem Planeten. Bei Steve Rogers, weil sie in der Hydra-Basis versucht hatte, ihn und Bucky umzubringen, weil er sich und seine Teamkollegen ihretwegen in Lebensgefahr gebracht hatte. Bei Tony Stark, weil ihre Anwesenheit Iron Man sicherlich ein Dorn im Auge sein musste, schließlich war ihre erste Begegnung, als man sich ihr in dem gläsernen Kasten genähert hatte, alles andere als freundlich verlaufen. Zwischenzeitlich war sie sogar schon kurz davor gewesen, sich gedanklich bei diesem seltsamen J.A.R.V.I.S. zu entschuldigen.

Ein Schnauben ließ sie ihren Blick heben. Das amüsierte Glänzen in Natasha Romanoffs Augen traf sie unerwartet.

„Das ist eine schlechte Angewohnheit."

Ihr stand wohl die Verwirrung auf die Stirn geschrieben, denn Black Widow verschränkte ihre Arme vor der Brust und sprach weiter, ohne Rebeccas Antwort abzuwarten, die sich bereits auf ihrer Zunge formte.

„Dieser Drang sich für alles entschuldigen zu wollen. Es ist nicht deine Schuld, dass passiert ist, was passiert ist, Rebecca."

Der Aufzug stoppte und Becca trat nach der Rothaarigen aus dem beengenden Raum. Fast schon hatte sie das Gefühl, dass die Frau es irgendwie geschafft hatte, ihre Gedanken zu gelesen, auch wenn sie sich ziemlich sicher war, dass diese Gabe nicht zu den Fähigkeiten der Agentin zählte. Becca kam jedenfalls gar nicht dazu irgendwelche Widerworte anzubringen, denn die Frau fuhr unbeirrt fort und schritt dabei mit ihr durch einen langen Gang.

„Jetzt wird Dr. Ito dich erst einmal gründlich durchchecken. Danach bringe ich dich in ein Gästeapartment. Und gegen ein warmes Bad hast du bestimmt auch nichts, während ich etwas zu Essen organisiere, oder?"

Becca schüttelte den Kopf, als ihre Begleiterin sie mit einem prüfenden Seitenblick bedachte. Nein, dagegen hatte sie ganz sicher nichts einzuwenden.

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