Kapitel 43: Gelöscht
Sie wehrte sich nicht mehr. Rebecca lag einfach nur still da, den Kopf zur Seite gedreht, wahrscheinlich um ihn nicht länger ansehen zu müssen.
Seine schlimmsten Befürchtungen hatten sich bewahrheitet. Becca konnte sich nicht einmal mehr an ihren eigenen Namen erinnern. Als er sie Rebecca genannt hatte, war die Verwirrung in ihren Augen so offensichtlich gewesen, dass Bucky gar nicht erst versucht hatte, ihr weitere Fragen zu stellen. Sie musste regelrechte Panik vor ihm und den Anderen verspürt haben. Solche verzweifelte Gegenwehr brachte nur jemand auf, der echte Todesängste ausstand, immerhin schien ihre Wunde ihr nach wie vor Schmerzen zu bereiten. Ihre frisch genähte Schussverletzung hatte sich wieder geöffnet und dennoch hatte sie sich mit solcher Vehemenz gegen jede seiner Berührungen gestemmt, als würde sie um ihr nacktes Überleben kämpfen.
Ihn hatte sie ebenfalls nicht mehr erkannt, hielt Bucky sogar für jemand Anderen, für diesen verfluchten Nicolaj. Eine dunkle Ahnung überkam ihn. Bucky musste sich zusammenreißen. Wieder und wieder ermahnte er sich innerlich, dass er die Ruhe bewahren musste. Seine Hände begannen bereits verräterisch zu zittern, so heftig erfasste ihn der plötzlicher Zorn, als ihm bewusst wurde, mit wem Becca ihn da eigentlich verwechselt hatte. Es konnte sich nur um den verdammten Dreckskerl aus dem Bunker handeln, der rein äußerlich als eine etwas jüngere Ausgabe seiner selbst durchgegangen wäre.
Was hatte er mit Rebecca zu schaffen? Und warum beschlich ihn das Gefühl, als würden er und dieser Hydra-Mann einander kennen, als gelte es eine alte Rechnung zwischen ihnen zu begleichen?
Bucky atmete tief ein und aus.
Er durfte jetzt nicht in seine üblichen Grübeleien versinken. Vielmehr musste er sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Der Kerl war ohnehin tot. Die Sprengung der Bunkeranlage konnte er wohl schwerlich überlebt haben, selbst wenn Bartons Pfeil ihn nicht unmittelbar getötet hatte. Er konnte Becca nichts mehr anhaben. Hydra würde Rebecca nie wieder Schaden zufügen, niemand würde ihr mehr wehtun, dafür würde er sorgen, das hatte er sich geschworen, als er sie in seinem Armen aus der Basis getragen hatte.
Aber in diesem Moment waren es Bucky, Steve und die Avengers, vor denen sich Rebecca fürchtete. Er war zu einem Fremden geworden, jemand, dem sie zutiefst misstraute. Diese Gewissheit schmerzte tausendmal mehr, als die Ohrfeige, die sie ihm gerade eben verpasst hatte. Den Schlag in sein Gesicht hatte er zudem mehr als verdient. Er hatte ihr wehgetan, während er sie festgehalten hatte. Und dafür hasste und schämte er sich.
Mit jeder Faser ihres Körpers ließ sie ihn spüren, dass sie sich nichts sehnlicher wünschte, als in Frieden gelassen zu werden. Trotzdem zwang er ihr seine Nähe auf und aus ihren Augen hatten so viel Abscheu und Verzweiflung gesprochen, dass sich ein fast schon schmerzhaftes Ziehen in Buckys Bauch ausgebreitet hatte.
Aber egal wie sehr Rebecca seine Berührungen auch zuwider waren, ihre Wunde musste versorgt werden. Und irgendjemand hatte Dr. Ito dabei helfen müssen, sich um ihre widerspenstige Patientin zu kümmern. Diesen unerfreulichen Part hatte Bucky ganz sicher nicht Steve oder Tony Stark überlassen wollen. Wahrscheinlich hätte Rebecca auf die körperliche Nähe der Anderen noch panischer reagiert, als auf seine eigenen Versuche sie zu beruhigen, damit die Ärztin sie behandeln konnte.
Ihr Gebaren glich dem eines verstörten Tieres, das man in einen Käfig gesteckt und an eine Kette gelegt hatte. Und war das nicht genau das, was sie mit ihr gemacht hatten? Sie hatten sie in diesen Glaskasten eingesperrt wie ein gefährliches Raubtier. Wieder fiel sein Blick auf den seltsamen Metallring, der bei ihrer Ankunft im Avengers Tower noch nicht den Hals der Telepathin umschlossen hatte. Es konnte nur an diesem Ding liegen, dass Rebecca ihre Kräfte nicht gegen sie einsetzte, wenngleich Bucky keine Zweifel hatte, dass sie im Augenblick nichts lieber tun würde. Steve hatte kurz zuvor darauf angespielt, dass Stark eine Lösung für ihr Problem gefunden hatte und der Metallring um Beccas Hals schien tatsächlich der einzige Grund dafür zu sein, dass die Telepathin sie nicht erneut angegriffen hatte.
Es tat weh, sie so zu sehen. Es bereitete ihm körperliche Schmerzen.
Apathisch lag sie auf der Matratze, hatte sich allem Anschein nach mit dem Unvermeidlichen abgefunden. Ihr Blick war leer. Erloschen war der feurige Glanz, den er in ihren Augen bemerkt hatte, als sie wieder und wieder versucht hatte, sich von ihm loszumachen. Was hatte Hydra ihr nur angetan, um Rebecca innerhalb weniger Tage so zu verändern? Eine schreckliche Vermutung schnürte ihm die Kehle zu. Die Parallelen zu seinem eigenen Schicksal waren geradezu frappierend.
Sie hatten Becca gelöscht.
Hydra hatte ihr Gedächtnis gelöscht und mit etwas anderem überschrieben, so wie sie es wohl auch mit ihm in der Vergangenheit gemacht hatten. Er wusste nicht, wie diese verdammten Schweine es geschafft hatten, jemanden wie die Telepathin so zu manipulieren, dass sie sich nicht einmal mehr an ihren eigenen Namen erinnern konnte und einstige Freunde nicht wieder erkannte. Und er wusste auch nicht, was man dagegen unternehmen konnte. Bucky konnte sich ja noch nicht einmal erklären, geschweige denn erinnern, was mit ihm selbst geschehen war, warum er sein früheres Leben vollständig vergessen hatte. Es musste schrecklich für Becca sein bei fremden Menschen aufzuwachen, nicht zu wissen, wo sie war und ob man ihr etwas Böses wollte.
Absolute Hilflosigkeit. Dieses Gefühl kannte er nur zu gut.
Sein Blick wanderte zu Steve und Tony, die sich im Flüsterton hinter der Glasscheibe miteinander austauschten. Er war so wütend auf Tony Stark gewesen, hätte dem arroganten Schnösel noch vor wenigen Minuten am liebsten sein überlegenes Grinsen aus dem Gesicht geprügelt, aber nun musste Bucky einsehen, dass Steves Teamkollege wohl das Richtige getan hatte. So sehr es ihm missfiel, dass man Becca wie einen Kettenhund behandelte, es war die einzige Möglichkeit, um sie in ihrer momentanen Verfassung unter Kontrolle zu halten. Durch ihren gesundheitlichen Zustand war sie zwar so ziemlich jedem Anwesenden körperlich unterlegen, doch Steve und er selbst hatten in der Hydra-Basis am eigenen Leib erfahren müssen, wozu die Telepathin fähig war. Rebecca hatte sie nicht aus böser Absicht angegriffen. Bucky sagte sich wieder und wieder, dass man sie irgendwie dazu gebracht haben musste, in ihnen eine Bedrohung zu sehen, aber es änderte nichts an der Tatsache, dass sie für andere und sich selbst eine Gefahr darstellte, solange sie weiter unter Hydras schädlichem Einfluss stand.
„Das war's dann fürs Erste", neben ihnen erhob sich Dr. Ito und blickte dann mit ernster Miene auf Bucky und ihre Patientin herab. „Sorgen sie dafür, dass sie sich schont und vor allem ihren Arm ruhig hält."
Die Ärztin begann ihre Utensilien in ihrem Koffer zu verstauen. Bucky nickte ihr knapp zu.
„Und sehen Sie zu, dass sie die Frau zum Trinken bringen", Itos schmale dunkle Augen wanderten ein letztes Mal zu Rebecca. „Sie ist in keiner guten Gesamtverfassung. Ich weiß nicht, wann sie das letzte Mal Flüssigkeit zu sich genommen hat und von fester Nahrung will ich gar nicht erst sprechen. Entweder sie trinkt und isst in den nächsten Stunden freiwillig oder wir müssen sie zwangsernähern."
Ein besorgter Ton hatte sich in die zuvor eher neutrale Stimme der Ärztin geschlichen. Buckys Augen folgten ihr, als sie außerhalb der Zelle neben Steve und Tony stehen blieb. Zwar beachtete er die folgende Unterhaltung nicht weiter, doch er war sich sicher, dass die Beiden ähnliche mahnende Worte zu hören bekamen.
Während Stark mit der Ärztin den Raum verließ, betrat Steve mit einer nur allzu vertrauten Miene die Zelle. Eine tiefe Sorgenfalte zog sich über seine Stirn, ließ ihn schlagartig um Jahre älter wirken. Einmal mehr wurde Bucky bewusst, was Steve Rogers in den vergangenen Tagen für ihn und Rebecca getan hatte und dass die jüngste Vergangenheit auch für einen Mann wie Captain America nicht leicht gewesen sein musste, selbst wenn der Blonde stets beflissentlich darauf achtete, sich seine innere Erschöpfung nicht anmerken zu lassen. Nicht zum ersten Mal fragte sich Bucky, wie viel seelischen Ballast Steve auf diesen zugegebenermaßen breiten Schultern noch zu tragen vermochte.
Als Steves Hand den Weg auf seine eigene Schulter fand, ließ diese plötzliche körperliche Nähe ihn zum ersten Mal nicht zurückschrecken. Ein hörbares Seufzen entfuhr dem Mann und das sorgenvolle Blau von Steves Augen spiegelte seine eigene Unruhe wider. Langsam richtete Bucky sich auf.
„Rebecca schafft das, Buck. Sie ist eine starke Frau."
Sie wussten beide, dass sein einstiger Freund nicht auf die körperlichen Wunden der Telepathin anspielte. Aber Steve konnte nicht einmal ansatzweise nachvollziehen, was gerade in ihr vor sich gehen musste, wie es sich anfühlte, wenn man vollkommen hilflos war und sich der Willkür fremder Menschen ausgeliefert fühlte.
„Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um ihr zu helfen", fuhr Steve nach einiger Zeit fort, in der die beiden Männer schweigend nebeneinander gestanden und die regungslose Frau betrachtet hatten.
Rebecca kämpfte verbissen gegen die Müdigkeit an. Immer wieder fielen ihr die Augen zu, doch bis jetzt schaffte sie es jedes Mal ihre schweren Augenlider erneut aufzureißen. Sie musste sich davor fürchten in ihrer Gegenwart einzuschlafen, dabei schrie ihr gesamter Körper förmlich nach Erholung und Rast. Sie hatte Schlaf bitter nötig und als sie endlich ihre zitternden Lider schloss, wich zumindest ein Teil der Anspannung aus Buckys Gliedern.
„Sie haben sie gelöscht", hörte er sich selbst nach einer Weile sagen. „Hydra hat Rebeccas Erinnerungen gelöscht."
Ein tonloses Ja war alles, was Steve Rogers ihm als Antwort gab.
„Wisst ihr etwas darüber?"
Bucky erkannte sofort, dass die Frage seinem Gegenüber Unbehagen bereitete. Unruhig fuhr sich Steve durch sein Haar, vermied es seinen Blick zu erwidern.
„Wir haben eine Vermutung", antwortete er schließlich.
„Wie?"
Es war alles, was Bucky in diesem Moment hervorbrachte.
„Buck, das hier ist nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber zu reden."
„Wie?", bohrte Bucky nach und ein gereizter Unterton mischte sich in seine Stimme.
„Eine Maschine. Hydra hat eine Maschine entwickelt, mit der sie auf das menschliche Gehirn Einfluss nehmen können. Sie nennen sie Chimäre."
Chimäre.
Buckys Magen krampfte sich zusammen. Er kannte diesen seltsamen Namen. Rebeccas Worte hallten in ihm wider. Sie hatte ihm von einem Projekt erzählt, das ein Dr. Zola Chimäre getauft hatte. War es das? Verbarg sich hinter Projekt Chimäre eine Maschine mit deren Hilfe ihm Hydra seine Erinnerungen genommen hatten? Und bei Becca hatten sie diese Maschine ebenfalls angewendet?
„Buck, hör zu. Es ist spät. Wir sind alle erschöpft und Rebecca braucht ihre Ruhe. Lass uns morgen weitersprechen."
Erneut landete Steves Hand auf seiner Schulter.
„Tony sorgt dafür, dass man sich um Rebecca kümmert. Sie wird Essen und Trinken bekommen und J.A.R.V.I.S. wird auf sie aufpassen."
„Ich werde auf sie aufpassen, Steve."
Bucky war perplex, denn anstatt Widerworten begegnete ihm der Mann mit einem vielsagenden Schmunzeln.
„Das hab ich mir schon gedacht", murmelte der Blonde, als er sich zum Gehen wandte.
+++
Seine Gedanken rasten. Bucky konnte nicht sagen, wie viel Zeit vergangen war. Mit seinem Rücken saß er an die gläserne Wand gelehnt und starrte auf das schachbrettartige Muster des Fliesenbelags zu seinen Füßen. J.A.R.V.I.S. hatte auf seine Bitte hin das unangenehm grelle Licht gedämmt. Es war seltsam mit dieser so genannten K.I. zu kommunizieren. Er verstand nicht wirklich, wie diese Stimme dazu fähig war, all das zu tun, womit sie den lieben langen Tag beschäftigt war. Andererseits fiel es ihm noch immer deutlich leichter mit diesem unsichtbaren, körperlosen Butler eine kurze Unterhaltung zu führen als mit den meisten Menschen aus Fleisch und Blut.
Sein Blick wanderte durch den Glaskasten.
Auf dem kleinen Beistelltisch neben Rebeccas Bett stand mittlerweile eine mit Wasser gefüllte Karaffe samt Trinkglas. Daneben hatten etwas Brot und Käse auf einem Teller Platz gefunden. Eine von Starks unzähligen Mitarbeiterinnen, die den Avengers Tower scheinbar Tag und Nacht wie die emsigen Arbeiterinnen in einem Bienenstock bevölkerten, hatte Beides vor einigen Stunden zu ihnen gebracht und war anschließend so lautlos verschwunden, wie sie aufgetaucht war.
Becca war allem Anschein nach in einen tiefen Erschöpfungsschlaf gefallen.
Buckys Blick glitt über ihre stille Silhouette. Es tat gut sie beim Schlafen zu beobachten, dabei zu zuschauen, wie sich ihr Brustkorb rhythmisch auf und ab bewegte. Wenn er ganz genau hinhörte, konnte er sie sogar leise atmen hören.
Allmählich kam auch er selbst zur Ruhe. Seltsam, aber es fühlte sich wieder so an wie in der Benfield Lodge, als er sich nachts in ihr Zimmer geschlichen hatte, um neben ihrem Bett zu wachen, gemeinsam mit Beccas Hund. Wallenstein. Die Erinnerung an den Tod von Rebeccas vierbeinigem Freund schmerzte immer noch und er wollte gar nicht daran denken, wie sie diese Nachricht aufnehmen würde, wenn sie sich wieder an alles erinnern konnte. Vor dieser Offenbarung graute es ihm am meisten.
Das alles war nur wenige Tag her, aber seitdem hatten sich die Ereignisse derart überschlagen, dass ihre gemeinsame Zeit in dem abgelegenen Ferienhaus wie eine Episode aus einem anderen Leben wirkte.
So viel war passiert. Er war nicht mehr derselbe Mann wie noch vor wenigen Wochen.
Nach dem Kampf auf dem Helicarrier hatte Bucky einfach nur davonlaufen wollen. Vor Hydra, vor Steve Rogers, vor der Welt. Aber am Ende war er doch nur vor sich selbst geflüchtet, vor dem Monster, das Hydra aus ihm gemacht hatte. Es war leicht in einer Metropole unterzutauchen, noch dazu wenn sie nach solch chaotischen Geschehnissen erst langsam wieder in ihren alltäglichen Trott zurückfand. Niemand hatte sich um einen herumlungernden obdachlosen Kerl geschert, der nachts auf Parkbänken oder in abrissreifen Häusern übernachtete. Solche Gestalten gab es mehr als genug in den Straßen von Washington D.C. Er hätte ein Phantom bleiben können, hätte sich irgendwann ins Ausland absetzen können. Bucky hatte mit diesem Gedanken häufig gespielt. Es gab Staaten, in denen interessierte sich sicher niemand für die frühere Identität eines Menschen. Im Nirgendwo von Kolumbien oder Mexiko hätte selbst Hydra ihn kaum finden können, zumindest hatte er immer wieder diesen Eindruck bekommen, wenn er die weggeworfenen Tageszeitungen durchgeblättert hatte, im Versuch sich ein Bild vom aktuellen Weltgeschehen zu machen.
Aber dann war er an diesem einen Abend Rebecca Goldstein begegnet. Und das hatte alles verändert.
Bucky glaubte nicht ans Schicksal oder irgendeine andere höhere Macht, von der die Geschicke der Menschheit gelenkt wurden. Genauso wenig konnte es jedoch ein Zufall gewesen sein, dass er von all den Millionen Menschen in Washington ausgerechnet sie vor einem Überfall gerettet hatte. Ausgerechnet eine Frau, deren Vergangenheit seiner eigenen so ähnlich war. So grotesk es vielleicht klang, im Nachhinein war er den besoffenen Kerlen, die Becca im Park belästigt hatten, fast schon dankbar. Niemals wäre er ihr sonst in diese Bar gefolgt, niemals wäre all das geschehen, was schließlich dazu geführt hatte, dass er nicht mehr auf der Flucht war, dass er sich jetzt im Avengers Tower auffielt, dass er gemeinsam mit Steve und seinen Teamkollegen eine ganze Hydra-Basis ausgelöscht hatte, dass er nachts neben dem Bett einer Frau saß, die ihm innerhalb so kurzer Zeit so unvorstellbar wichtig geworden war.
Seine Gedanken wurden mit einem Mal düster.
Bucky konnte nicht anders, als darüber zu grübeln, was genau mit Becca geschehen war. Diese Maschine, diese Chimäre, und dieser Dr. Zola ließen ihm einfach keine Ruhe. Und wieder einmal verfluchte er sich dafür, dass er sich an kaum etwas aus seiner Vergangenheit erinnern konnte. Egal wie sehr er sich anstrengte, wie sehr er versuchte an jenen schwarzen Fleck in seinem Innersten vorzudringen, von dem er mittlerweile wusste, dass sich dort Antworten auf viele seiner Fragen befanden, alles, was er erreichte, war, dass der altbekannte Kopfschmerz in seinen Schläfen zu pochen begann. Die Vorstellung, dass nun auch noch Becca dieses Schicksal mit ihm teilen sollte, machte ihn schier wahnsinnig.
Zorn stieg in ihm auf.
Sollte eines dieser Ungeheuer die Zerstörung der Hydra-Basis wider Erwarten überlebt haben, würde er es sich zu seiner persönlichen Aufgabe machen, jeden Einzelnen von ihnen zur Strecke zu bringen, um die Höllenbrut langsam und qualvoll umzubringen. Buckys Blick wanderte auf seine kybernetische Armprothese. Er hasste das Ding. Es würde immer ein Fremdkörper bleiben, ein stummer Zeuge für all die Verbrechen, die der Winter Soldier in den letzten Jahrzehnten begangen hatte. Doch sollte er irgendwann einem von Beccas Peinigern noch einmal gegenüberstehen, würde er mit Freude den verfluchten Metallarm benutzen, um das Leben aus dem Drecksschwein herauszuquetschen.
Diese Gedanken führten ihn an einen finsteren Ort.
Und wieder war es Rebecca, die ihn aus der Dunkelheit riss, die sich zusehends wie ein Schatten über sein Innerstes zu legen drohte. Ihr Schlaf schien eine unschöne Entwicklung genommen zu haben, während Bucky tief in seine eigenen Überlegungen versunken gewesen war. Die Telepathin wälzte sich auf der Matratze, warf ihren Kopf hin und her, strampelte dabei die Decke von sich, mit der er sie noch vor einiger Zeit vorsichtig zugedeckt hatte. Ein gequältes Stöhnen drang an seine Ohren.
Und dann hörte er sie schreien.
Schreie, die so grausig waren, fast schon unmenschlich, dass sich seine Nackenhärchen aufstellten. Binnen eines Wimpernschlages war er auf seinen Beinen und neben Beccas Schlafplatz. Wieder schrie sie. Ihr gellend hohes langgezogenes „Nein" zerfetzte sein Herz, beschwor Übelkeit in ihm herauf, weil er sich ausmalte, welche Dämonen sie sogar in ihren Träumen heimsuchten. Beccas sonst so ebenmäßige Gesichtszüge waren entstellt. Stattdessen sah sich Bucky mit einer verzerrten Maske aus Schmerz und Angst konfrontiert. Und er wünschte sich nichts sehnlicher, als all das Leid, all die Angst von ihr zu nehmen.
Behutsam setzte er sich auf die Bettkante. Umfasste so sanft es ihm möglich war ihre Schultern und verhinderte so, dass die Träumende weiter wild mit ihren Armen um sich schlug. Seine Berührung schaffte es tatsächlich sie nach und nach zu beruhigen. Ein leises Wimmern bahnte sich seinen Weg durch ihren halboffenen Mund. Auf ihrer Stirn standen Schweißperlen und trotz des gedämpften Lichtes erkannte er, dass ihre Wangen gerötet waren. Unter ihren Augenlidern zuckte es unkontrolliert. Langsam glitten seine Hände von ihren Schultern, ergriffen stattdessen eine ihrer schwitzigen zarten Hände. Mit seinem Daumen begann er gedankenverloren kleine Kreise über ihren Handrücken zu zeichnen.
„Ich bin bei dir, Becca", hörte er sich selbst flüstern.
Wieder und wieder sagte er nur diesen einen Satz auf, wiederholte dieses einfache Versprechen hunderte Mal, bis sich der angestrengte Ausdruck in ihrem Gesicht endlich auflöste, bis ihr zuvor wie unter Strom gesetzter Körper sich entspannte.
Bucky ließ ihre Hand nicht los.
Er blieb an ihrer Seite, blieb in exakt dieser Position sitzen und wagte es nicht einmal sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Er fürchtete sich davor, dass Becca ihre schönen Augen öffnen und ihm auf ein Neues diese Abscheu entgegenschlagen würde, mit der sie ihm bei ihrem Wiedersehen begegnet war. Es war nicht ihre Schuld, das redete er sich ein ums andere Mal ein, doch es half nicht dabei, das beengende Gefühl in seiner Brust zu vertreiben, das durch seine schmerzenden Rippen nur noch mehr intensiviert wurde.
Geistesabwesend wanderte seine metallische Hand zu einer der blonden Strähnen, die sich in Rebeccas Stirn verirrt hatte. Er strich sie aus ihrem Gesicht, fuhr anschließend die zarte Kontur ihrer Wange entlang. Bucky war über sie gebeugt, konnte ihren leichten Atem fast schon auf seinen eigenen Lippen schmecken.
Gott, er hatte sie so sehr vermisst. Mehr als er sich jemals eingestehen wollte. Und er würde sie zurückholen. Es musste irgendeine Lösung geben und er würde nicht ruhen, bis sie wieder ganz die alte war, auch wenn er tagelang an ihrem Bett sitzen musste oder bei Tony Stark oder irgendeinem anderen selbsternannten Genie zu Kreuze kriechen musste, damit sie sich ein Heilmittel einfallen ließen.
Und dann begann sie auf einmal im Schlaf zu reden.
Es war mehr ein Murmeln und wäre er nicht so nah gewesen, hätte er Becca vielleicht gar nicht gehört. Auch so wurde er kaum aus dem unverständlichen Kauderwelsch schlau, das sie im Traum von sich gab. Nur ein Wort konnte er ganz genau verstehen, doch dieses eine Wort genügte, um ihn in eine unbekannte Ekstase zu versetzen.
Nie hatte sich sein eigener Name schöner angehört, als in diesem Moment, in dem er Rebeccas bebenden Lippen entwich. Sie rief nach ihm. In ihren Träumen rief sie nach ihm. Und er wusste, dass sie ihn nicht vergessen hatte, dass sie sich tief in ihrem Herzen an ihn erinnerte.
Wieder erklang sein Name und er konnte nicht anders, als ihre kleine Hand fest zu umschließen und gegen seine Brust zu pressen.
Bucky.
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