Kapitel 41: Anti- Metall
Vielleicht hatte Stark kein Problem damit eine verletzte Frau einzusperren und einzig in der Obhut seiner omnipräsenten K.I. zu belassen, aber in Steve regten sich immer lauter werdende Gewissensbisse, während er mit dem Milliardär und Maria Hill sowie Wilson und Romanoff in einem der Besprechungsräume an einem runden Tisch saß. Und je länger sich Natashas Einsatzbericht hinzog, den er ohnehin nur mit einem halben Ohr verfolgte, desto mehr schämte sich Steve für die fast schon kaltschnäuzige Verfahrensweise seiner Teamkollegen. Noch viel mehr beschämte ihn jedoch, dass er selbst auf einem bequemen Polsterstuhl saß, während Rebecca Goldstein allein in der untersten Ebene des Avengers Towers in einer Zelle gefangen war.
War das ihre Art mit Menschen in Not umzugehen?
Vielleicht zwangen die äußeren Umstände sie ja wirklich dazu, die Telepathin in einem der Verhörräume wie eine Verbrecherin zu verwahren? So zumindest hatte Tony Stark seine Entscheidung begründet. Vielleicht war es das einzig Logische und Richtige, wie Maria Hill ihr Vorgehen noch kurz zuvor gerechtfertigt hatte?
Aber das alles half Steve auch nicht dabei sich irgendwie besser zu fühlen.
Rebecca hatte sie in der Hydra-Basis angegriffen. Es war nicht absehbar, was noch geschehen wäre, wenn Natasha die Telepathin nicht rechtzeitig außer Gefecht gesetzt hätte. Wobei sich Steve selbst hierbei etwas vormachte. Im Grunde war es doch ganz simpel. Dieser Mann, dieser Hydra-Agent, der Bucky so erschreckend ähnlich sah, hätte sie mithilfe der Telepathin umgebracht. Dass die junge Frau bei Romanoffs Einschreiten verletzt worden war, tat Steve jedoch in der Seele weh und er hatte Bucky geglaubt, dass Rebecca nicht absichtlich in ihre Gedanken eingedrungen war, dass sie irgendwie ferngesteuert gewesen war. Es hatte schließlich überhaupt keinen Sinn ergeben, dass sie jene Menschen verletzten wollte, die gekommen waren, um sie zu retten. Doch die Telepathin war in ihrer momentanen labilen Verfassung gefährlich und sie hatten eben jene junge Frau, die Natasha als tickende Zeitbombe bezeichnet hatte, in das Herz von New York City gebracht. So groß sein Mitgefühl für die vollkommen entkräftete Rebecca auch war, sein Pflichtbewusstsein sagte Steve, dass sie ebenso eine Verantwortung für die Bewohner dieser Stadt hatten und ihre Mitmenschen vor einer unkontrollierbaren Gefahr beschützen mussten.
Dass diese Argumentation auch Bucky überzeugen würde, bezweifelte Steve allerdings. Zum ersten Mal seit ihrem Wiedersehen hatte sich ein zartes Vertrauen zwischen ihm und seinem einstigen Freund entwickelt, als sie erneut wie damals vor vielen Jahren Seite an Seite gegen Hydra gekämpft hatten. Doch Bucky würde mit Sicherheit außer sich sein, sobald er erfuhr, dass sie die Telepathin hergebracht hatten, um sie in einen gläsernen Käfig zu stecken.
Und das war noch nicht einmal das Schlimmste.
Nachdem Dr. Ito die Wunde der Telepathin verarztet hatte und Bucky von Clint auf die Krankenstation begleitet worden war, hatte Stark auf einmal einen seltsamen Metallring aus einem Kästchen gezaubert. Mit bedeutungsschwangerer Miene hatte er das Ding Steve unter diese Nase gehalten. Ohne große Umschweife war Tony dann an Rebeccas Bett getreten und hatte der bewusstlosen Blondine den Ring um den Hals angelegt. Mit einem surrenden Geräusch hatte sich der Verschluss zusammengefügt. Steve war es dabei eiskalt den Rücken hinuntergelaufen. Während Stark ihnen das Metallding als AT-HR vorgestellt hatte und als Lösung ihres kleinen Telepathen-Problems anpries, hatten sich Steves Blicke mit jenen von Wilson gekreuzt. Und Steve hatte verstanden, dass er nicht der Einzige war, dem bei der ganzen Sache mulmig zumute war. Glücklicherweise war Rebecca weiterhin bewusstlos gewesen und sie hatten die Schlafende auf der unteren Ebene des Towers zurückgelassen, um mit der zuvor angekündigten Lagebesprechung zu beginnen. Steve wünschte ihr, dass sie in ihrem Schlaf zumindest etwas Erholung finden konnte.
Sein Blick schweifte noch einmal durch die Runde. Natasha trug einmal mehr ihr alt bekanntes Pokerface und es war schwer zu sagen, was sie von der ganzen Sache hielt. Sam war da wesentlich einfacher zu lesen. In seinen warmen brauen Augen spiegelte sich in diesem Moment der gleiche Unmut wider, den auch Steve empfand.
„Das ist nicht richtig, Tony! Wir können Rebecca nicht in eine Zelle stecken wie eine Schwerverbrecherin."
Steve schlug mit seiner flachen Hand auf den gläsernen Tisch. Vier paar Augen hefteten sich überrascht an ihn. Nachdem er zuvor mit einem brütenden Schweigen Romanoffs Ausführungen gelauscht hatte, kam diese plötzliche und noch dazu ungewohnt laustarke Wortmeldung wohl einem kleinen Vulkanausbruch gleich.
„Vielleicht solltest du deinen moralischen Kompass mal richtig norden lassen, Cap", kommentierte Stark mit säuerlichem Gesichtsausdruck und zog dabei eine Augenbraue nach oben. „Glaubst du, ich stecke die Kleine gerne in diese Zelle und verpasse ihr so ein Halsband? Hier geht es immerhin um ein ernstzunehmendes Sicherheitsrisiko, für das ich mir diese sagen wir mal halbwegs elegante Lösung habe einfallen lassen."
Tony erhob sich von einer plötzlichen Unruhe erfasst, schlich wie eine nervöse Katze vor seinen Teamkollegen auf und ab und tippte schließlich auf das Tablet, das er in Händen hielt. Über dem Tisch erschien ein rotierendes holografisches Abbild des Halsreifes und Steve wusste, dass es nun an der Zeit für einen der typischen starkschen Technikvorträge war. Tony glich seinem Vater Howard eben in vielerlei Hinsicht und wenn es darum ging, eine neue Erfindung zu präsentieren, dann wurden bei der beinahe kindlichen Begeisterung für einen weiteren technischen Meilenstein mögliche Einwände des unfreiwilligen Publikums gerne als störende Nebengeräusche beiseite gewischt.
Eine elegante Lösung? Und Stark bezeichnete sich selbst doch tatsächlich als Menschenfreund. Steve verdrehte die Augen.
„Ich versuche das Ganze mal so zu erklären, dass es sogar diejenigen unter uns begreifen, die mit Chemie nur dann in Berührung kommen, wenn sie unter der Dusche die Inhaltsstoffe ihres Shampoos lesen."
Die wie üblich sehr eigenwillige Anspielung entlockte nur Tony selbst ein kurzes Kichern, womit er sich dem Hologramm zuwandte und dann zum bereits befürchteten Monolog ausholte.
„Ich war in den letzten Tagen ziemlich beschäftigt, um genau zu sein, seit Barton mir von seinem Fury-Besorgungstrip ein paar interessante Aufzeichnungen mitgebracht hat. Deshalb konnte ich auch bei eurem kleinen Date mit Hydra nicht dabei sein, aber J.A.R.V.I.S. und ich haben in der Zwischenzeit auch unsere Hausausgaben erledigt. Die technischen Details erspare ich mir angesichts mangelnder anwesender Fachkompetenz an dieser Stelle. Nur so viel, seit Zolas kleinen Horrorfilmchen haben mir diese Metallhelme keine Ruhe mehr gelassen und wie es der Zufall so wollte, waren in den Unterlagen, die unser allseits beliebter Piratenkapitän in Ost-Europa ausgegraben hat, auch ein paar Forschungsberichte zu diesen modisch äußerst fragwürdigen Kopfbedeckungen."
Neben der Projektion des Halsreifs erschien auf einmal einer der erwähnten Metallhelme, an die Steve sich ebenfalls noch gut aus den Filmaufnahmen mit einer wesentlich jüngeren Rebecca erinnern konnte. Langsam aber sicher ahnte er, welche bahnbrechende Errungenschaft Stark ihnen gleich erläutern würde und er war einerseits abgestoßen und andererseits beeindruckt.
„Ein Helm war im Lieferumfang leider nicht inbegriffen. Also habe ich mir was einfallen lassen, denn unsere liebe Natasha hier hat mich nach dem Verschwinden von Barnes kleiner Freundin darum gebeten, mir ein paar Gedanken zu Verteidigungsmaßnahmen gegen telepathische Attacken zu machen."
Stark zwinkerte Romanoff kurz zu, doch die Rothaarige behielt ihre stoische Miene bei. Eigentlich hätte Steve sich denken können, dass Natasha von dieser Sache gewusst hatte. Black Widow hatte immer ein weiteres Ass in der Hinterhand, wenn sie sich auf eine so riskante Mission einließ und es war nichts Neues, das sie sich noch nicht einmal von ihren Teamkollegen in die Karten schauen ließ.
„Ich persönlich finde ja, dass meine Lösung nicht nur wesentlich ressourcenschonender sondern auch ästhetisch ansprechender ist."
„Jetzt komm endlich zum Punkt, Tony", platzte es aus Steve heraus.
Sams zustimmendes Grummeln verriet ihm, dass er nicht der Einzige war, dem Starks selbstgefälliges Schwadronieren auf die Nerven ging, immerhin hatten sie einige anstrengende und nervenaufreibende Stunden hinter sich, während Stark und seine K.I. sich offensichtlich im Labor mit technischen Spielereien vergnügt hatten. Nicht zum ersten Mal fragte sich Steve, wie es eine gebildete und selbstbewusste Frau wie Pepper Potts auf Dauer nur mit diesem exzentrischen Kerl aushielt.
„Schon gut, schon gut", gab der Angesprochene in einem etwas beleidigten Tonfall von sich und tippte dann wieder auf seinem Tablet, woraufhin übereinander zwei ellenlange chemische Formeln eingeblendet wurden, mit denen wahrscheinlich nur Menschen wie Tony Stark oder Bruce Banner etwas anfangen konnten.
„Um das Ganze zu verkürzen, bei dem Material, aus dem diese Helme bestehen, handelt es sich scheinbar um ein äußerst seltenes Metall, das die Hydra-Wissenschaftler in diesen Dokumenten als Anti-Metall bezeichnen und das offenbar nur in der Antarktis natürlich vorkommt. Allerdings gleicht es interessanterweise in seinem molekularen Aufbau meinem künstlich hergestellten Metall Badassium, das ich bei der Modifizierung meines Arc-Reaktors verwendet habe."
Stark machte eine theatralische Pause.
„Und jetzt überlegen wir alle mal, was damals passiert ist, als Thors Brüderchen mit den großen goldenen Hörnern und den noch größeren Minderwertigkeitskomplexen auf den Arc-Reaktor in meiner Brust mit seiner magischen Psycho-Wünschelrute geklopft hat."
Scheinbar zeichnete sich in allen Gesichtern, die Stark in diesem Moment zugewandt waren, ein ähnlicher Ausdruck ab, denn seine Lippen formten ein triumphierendes Grinsen.
„Bingo!", er deutete auf das Hologramm des Halsreifs und fuhr dann mit regelrechter Euphorie in der Stimme fort. „Badassiums molekulare Struktur ist dazu in der Lage jegliche Gedankenkontrolle zu blockieren. Wie genau das funktioniert, versuche ich euch gar nicht erst zu erklären."
Stark räusperte sich vielsagend.
„Hier ist jedenfalls mein brandneuer Antitelepathischer Halsreif, kurz AT-HR. Gefertigt aus reinstem Badassium, für das mir nebenbei bemerkt die ignoranten Bürokraten vom United States Patent and Trademark Office immer noch kein Patent zusprechen wollen. Naja, wie dem auch sei, der AT-HR ist in der Lage jegliche telepathischen Kräfte des Trägers zu unterdrücken, selbst wenn er nur um den Hals eines Telepathen angebracht ist - zumindest gehen J.A.R.V.I.S. und ich davon aus."
„Ihr geht davon aus?", echote nun Natasha Romanoff fassungslos.
Steve konnte den ungewohnt schockierten Gesichtsausdruck der ehemaligen Agentin nur zu gut nachempfinden. War das Starks Ernst? Er verpasste Rebecca diesen seltsamen Halsreif und war sich nicht einmal sicher, ob das Teil richtig funktionierte? Von einem Plan B war noch dazu überhaupt keine Rede mehr, obwohl Stark bei ihrem kurzen Funkkontakt im Quinjet laut Romanoffs Schilderungen zugesichert hatte, dass er für alle Eventualitäten gerüstete sei. Die Arroganz des selbsterklärten Genies kannte mal wieder keine Grenzen. Plötzlich trat seine anfängliche Sorge um Rebeccas Wohlbefinden in den Hintergrund, denn nun drängte sich Steve unweigerlich die Frage auf, wie sie mit einer wütenden, gehirngewaschenen Telepathin in einem Glaskasten in der untersten Ebene des Avengers Towers umgehen sollten, wenn Starks angepriesener Halsreif nicht die gewünschte Wirkung entfaltete.
Das erdrückende Schweigen wurde von Starks K.I. unterbrochen, die sie darüber in Kenntnis setzte, dass Rebecca Goldstein soeben aus ihrer Betäubung erwacht und wenig angetan von ihrer derzeitigen Lage war. Das Wort „Panikattacke" reichte aus, um Steve aus seiner sitzenden Position zu katapultieren. Schon war er wieder auf dem Weg zu den Aufzügen, einen aufgeregt mit seiner K.I. kommunizierender Tony Stark im Schlepptau. Die Anderen wollte Steve in diese brenzlige Situation nicht auch noch hineinziehen, schlimm genug, als J.A.R.V.I.S. ihnen im Gehen eröffnete, dass er ohne ihr Wissen bereits Bucky und Clint verständigt hatte. Manchmal fragte sich Steve, ob Starks elektronischer Butler nicht bereits ein seltsames Eigenleben entwickelt hatte, denn wie sonst waren derartige eigenmächtige Entscheidungen zu erklären? Ein kurzer Blick auf Howard Starks exzentrischen Sohn, der mit einem vielsagenden Glänzen in den Augen neben ihm durch den Gang eilte, lieferte ihm die passende Antwort auf seine mehr oder weniger rhetorischen Frage.
„Woher können wir wissen, dass Rebecca nicht in unsere Gedanken eindringt, sobald wir uns ihr nähern?"
Statt Tony ging J.A.R.V.I.S. auf Steves atemlose Frage ein.
„Miss Goldstein scheint wegen des AT-HR sehr ungehalten zu sein. Jedenfalls hat sie mehrfach versucht sich von dem Halsreif zu befreien, woraus zu schließen ist, dass Mr. Starks Erfindung funktioniert."
Steve vermied es in Tonys Gesicht zu sehen. Auf das selbstgefällige Schmunzeln des Milliardärs konnte er in diesem Augenblick gut verzichten. Nach nur wenigen Minuten kamen sie vor dem Raum, in dem sich Rebeccas Zelle befand, zum Stehen. Kurz darauf trafen auch Bucky und Clint ein. Ein Blick in die unruhigen Augen des einstigen Winter Soldiers machte deutlich, wie aufgewühlt der Mann sicherlich sein musste.
„Ihr habt Rebecca da drin allein gelassen?", kam die zu erwartende gereizte Frage und während Steve beschämt zu Boden blickte, zuckte Tony neben ihm mit den Schultern.
„Wär's dir lieber gewesen, wenn mehrere Unbekannte um die Frau herum gestanden hätten, als sie aufgewacht ist? Nicht gerade höflich, oder?"
Zornige, eisblaue Augen schossen zu Stark und Steve konnte anhand der plötzlichen Körperspannung ihres Gegenübers ausmachen, dass Tony gut beraten war, sich mit weiteren Bemerkungen zurückzuhalten, vor allem da im Moment keine seiner Iron Man-Rüstungen in der Nähe zu sein schien, mit der er einem ehemaligen Hydra-Killer mit einer kybernetischen Armprothese und allerlei aufgestauter Wut im Bauch gewachsen war.
„Buck, sie ist in Sicherheit. Tony hat dafür gesorgt, dass sie keinen Schaden anrichten kann."
Kaum hatten die unüberlegten Worte seinen Mund verlassen, da bereute sie Steve auch schon. Das war wohl das mit Abstand Dümmste, was ihm in diesem Augenblick in den Sinn kommen konnte. Buckys zorniger Blick fixierte ihn und die nachfolgende Frage, die der Mann zwischen zusammengepressten Zähnen hervorbrachte, glich mehr einer Drohung.
„Was habt ihr gemacht?"
Nun schien auch Tonys Geduld ein Ende zu haben, denn er positionierte sich vor der geschlossenen Tür, gänzlich unbeeindruckt von Buckys angriffslustigem Verhalten, und seine Stimme hatte ebenfalls einen ärgerlichen Tonfall angenommen.
„Komm runter, Opa! Niemand hat ihr auch nur ein Haar gekrümmt. Alles was wir getan haben, ist ihre Kräfte zu blockieren, sofern es denn wirklich funktio -"
Stark brach mitten im Satz ab, als ein wutschnaubender Bucky ihn mühelos zur Seite stieß, anschließend den Türgriff samt Tür beinahe mit seinem Metallarm aus der Verankerung riss, um dann in den Raum zu stürmen.
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