Kapitel 36: In der Höhle des Löwen

Es war ein seltsames Gefühl, aber gleichzeitig war es vertraut. Das Gefühl vor einem Kampf.

Jeder seiner Muskeln war bis aufs Zerreißen angespannt. In seiner kybernetischen Armprothese arbeiteten die mechanischen Schaltkreise auf Hochtouren, erzeugten ein kaum hörbares Knacken, das sich bis in sein Schulterblatt fortsetzte, während seine metallische Hand die Maschinenpistole vor seiner Brust in einem unerbitterlichen Griff umklammert hielt. Er nahm seine Umgebung in diesem Moment so deutlich wahr, dass ihn die vielen Sinneseindrücke, die mit einer plötzlichen, fast brutalen Intensität von allen Seiten auf ihn einströmten, beinahe überforderten.

Da war das rhythmische Trommeln der Regentropfen, die auf das Blätterdach niederprasselten, das sich wie ein Baldachin über ihre Köpfe spannte. Der Geruch von feuchtem Moos und fauligen Blättern stieg in seine Nase auf. Unter sich spürte er den weichen, durchnässten Waldboden, auf dem er neben Steve und den Anderen im Schutz der Bäume kauerte. Der Abend war weiter vorangeschritten und die Dunkelheit legte sich wie ein schwerer schwarzer Mantel über die Welt. Am Himmel blockierten die Regenwolken das bisschen Licht, das ihnen die aufziehenden Gestirne vielleicht hätten spenden können und so waren sie umfangen von einer zunehmenden Schwärze, in der er den modrigen Waldgeruch noch viel eindringlicher wahrnahm. Der ferne Ruf eines Käuzchens verlieh der Szenerie einen beinahe schaurigen Charakter, wie ein schlechtes Omen für alles, was sich in den kommenden Stunden zutragen würde. Er konnte hören wie Steve an seiner Seite scharf die Luft einzog, um sie anschließend mit einem langgezogenen Rasseln wieder auszustoßen. Das Nachtsichtgerät hatte Bucky abgelegt. Seine geschärften Augen verrieten ihm auch ohne optische Hilfsmittel, dass sich die Frau namens Natasha lautlos und mit der Eleganz einer Katze durchs Unterholz auf die Patrouille zubewegte. In einiger Entfernung waren die zwei Wachposten schemenhaft am Eingang zur Bunkeranlage auszumachen. Ein glühender Punkt im dämmrigen Licht des sterbenden Tages verriet, dass einer der Beiden sich gerade eine Zigarette angesteckt hatte. Neben ihm landete Steves Nachtsichtgerät ebenfalls mit einem leisen Rascheln im Laub.

„Bereit?"

Auch wenn er nur im Flüsterton gesprochen hatte, dröhnte Steves Stimme geradezu in Buckys Headset, durchbrach die Stille und riss ihn so aus seiner eigenen Gedankenwelt. Ein gehauchtes „Ja" der Frau, ein stummes Nicken des Bogenschützen, ein letzter tiefer Atemzug bevor Steve und er synchron vom Boden hochschnellten, während im selben Moment ein Pfeil von der gespannten Bogensehne losgelassen wurde und surrend durch die Luft schoss. Zeitgleich sah Bucky im Augenwinkel eine Bewegung und ein unterdrücktes Röcheln, unmittelbar gefolgt von einem dumpfen Schlag, verriet ihm, dass Romanoff ihre Zielpersonen mühelos außer Gefecht gesetzt hatte. Steve schirmte im Rennen seinen Oberkörper mit dem großen Metallschild ab, doch ein Blick geradeaus zeigte schnell, dass derartige Vorsichtsmaßnahmen gar nicht mehr nötig waren. Einer der Wachposten lag bereits tot am Boden. Ein Pfeil ragte aus seiner Brust empor. Der Zweite sank gerade mit einem bluterstickten Gurgeln an der Betonwand zusammen. Mit tödlicher Präzession hatte sich eines der gefiederten Geschosse in seinen Hals gebohrt. Die Beiden hatten keine Chance gehabt auch nur einen Schuss abzugeben, als sie in der Dunkelheit ein leiser schneller Tod ereilte.

„Alles klar, wir gehen rein!", raunte Steve in das Headset und trat dann mit einem kraftvollen Fußtritt die Flügeltür nach innen auf.

Bucky hatte die Maschinenpistole im Anschlag, bereit die erste Salve in den dahinterliegenden Gang abzufeuern. Mehrere überraschte Hydra-Agenten wurden im nächsten Moment von seinen Schüssen niedergemäht, ohne dass sie dazu kamen das Feuer ihrerseits zu erwidern. Sie waren die ersten, die heute durch Buckys Hand sterben würden. Es wäre gelogen, wenn er behaupten würde, dass der Tod dieser Männer in seinem Innersten irgendeine Emotion hervorrief. Bucky war geradezu dankbar dafür, dass es in diesem Augenblick die antrainierten Instinkte des Winter Soldiers waren, die einmal mehr die Steuerung seines Körpers übernahmen. Die Waffe wandte sich gegen ihren Erfinder. Der bissige Hund lehnte sich gegen seinen einstigen Herren auf. Hydras Tötungsmaschine war zurückgekehrt, doch dieses Mal würden keine Unschuldigen sterben, dieses Mal kämpfte er für etwas Wichtiges, tötete für etwas Gutes. Zumindest redete er sich das ein, als er an den leblosen blutüberströmten Hydra-Agenten vorbeieilte.

Sie mussten sich beeilen.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis Schusswechsel und Schreie der gesamten Basis ihre Anwesenheit offenbaren würden und dann war ihr Durchkommen zusätzlich erschwert, schließlich hatten sie keine Ahnung wie viele Feinde sie im Inneren dieser Bunkeranlage erwarteten. Vom Eingang führte ein breiter Gang leicht abschüssig tiefer in den Komplex hinein. Ohne lange zu zögern, preschten Bucky und Steve voran, kamen schließlich vor einer weiteren Stahltür zum Stehen. Dahinterliegendes aufgeregtes Stimmengewirr sowie hektische Schritte bezeugten, dass man den Angriff bemerkt hatte. Das vielbeschworene Überraschungsmoment war verpufft, aber damit hatten sie gerechnet.

„Weg von der Tür", hörten sie plötzlich Bartons Stimme hinter sich.

Gerade noch rechtzeitig konnten sie einige Meter zurückweichen, als ein Pfeil an ihren Köpfen vorbeischwirrte und kurz darauf eine Explosion die stählerne Barriere aus der Verankerung riss. Noch bevor sich der aufgewirbelte Staub und der dunkle Rauch gelegt hatten, rannte Bucky weiter, schlug einen Angreifer mit seinem Metallarm beiseite, als dieser gerade seine Waffe auf ihn richten wollte und feuerte seinerseits auf mehrere Männer, die durch den Dunst auf sie zugestürmt kamen. Steves Schild brachte derweil weitere Hydra-Agenten zu Fall und wieder zischte ein Pfeil - dieses Mal gefährlich nah an Buckys Ohr - vorbei, traf einen Mann genau ins Auge. Zwei gleichzeitig abgefeuerte Glock-Pistolen stoppen eine ganze Gruppe von Angreifern im vollen Lauf. Natasha Romanoff hatte also auch ins Kampfgeschehen eingegriffen. Gemeinsam arbeiteten sie sich so weiter durch endlos lange Gänge vor, die sie immer tiefer in die Höhle des Löwen führten.

Das plötzliche Aufheulen von Sirenen ließ keinen Zweifel mehr daran, dass nun tatsächlich die gesamte Hydra-Basis in Alarmbereitschaft versetzt war. Es war wie ein Stich in ein Wespennest und sicherlich würde es hier bald von Hydra-Agenten nur so wimmeln. In all dem Lärm und Chaos schaffte es Steves Freund Wilson dennoch sie mit kurzen Anweisungen und Richtungsangaben durch das weitverzweigte Labyrinth zu dirigieren. Wohin genau, wusste allerdings niemand von ihnen, denn sie hatten schließlich immer noch keine Ahnung, ob Rebecca tatsächlich hier festgehalten wurde und falls ja, wo sich ihr Aufenthaltsort genau befand.

Bucky wusste nur eines: sie waren verdammt nochmal viel zu langsam.

Vor ihnen zweigte sich der Korridor in verschiedene Richtungen auf und es war Steve, der Buckys eigene Gedanken in diesem Moment laut aussprach.

„Wir müssen uns aufteilen."

Die Rothaarige nickte ihm unter heftigen Atemstößen zu und ein kurzer Blick auf den Bogenschützen genügte Bucky, um zu verstehen, dass dieser ebenfalls mit dem enormen Tempo zu kämpfen hatte, dass Steve und er selbst an den Tag legten. Aber sie hatten keine Zeit für eine Verschnaufpause und um nicht noch weitere wertvolle Minuten zu verlieren, stürmte Bucky auf eigene Faust ohne Ankündigung in den linken Gang weiter. Er wartete noch nicht einmal auf eine Ansage von diesem Wilson. Jede Sekunde, die sie hier vergeudeten, konnte Hydra nutzen, um ihre Kräfte zu bündeln oder Rebecca womöglich an einen für sie unzugänglichen Ort zu bringen. Sicherlich war der Weg, den sie in die Bunkeranlage gewählt hatten, nicht die einzige mögliche Route, um aus der Basis im Notfall herauszukommen, selbst wenn die Baupläne darüber keine Auskunft gegeben hatten.

Schnelle Schritte hinter seinem Rücken sagten ihm, dass Steve ihm bereits wieder auf den Fersen war.

Aus einem Seitengang eröffnete plötzlich eine weitere Hydra-Einheit das Feuer auf sie. Eine Kugel streifte Bucky an seinem Oberschenkel und wahrscheinlich hätte er ernsthafte Treffer kassiert, wenn da nicht Steve und sein Schild gewesen wären, die eine undurchdringliche Barriere zwischen ihnen und dem Kugelhagel bildeten. Bucky nutzte die Gelegenheit, hielt seinen Metallarm über diesen Schutzwall, um blindes Sperrfeuer auf ihre Angreifer zu eröffnen. Während er ihm Feuerschutz gab, rollte Steve sich in Richtung des Gegners nach vorne ab und holte dann mit einem einzigen Schwung seines Schildes die verbliebenen Männer von den Beinen. Die am Boden Liegenden schaltete er nacheinander schnell und mühelos aus.

Dann waren sie schon wieder in Bewegung.

Das Heulen der Sirenen lieferte die treibende Hintergrundmusik zu ihrer wilden Jagd durch immer neue Gänge, die sich in immer weitere Richtungen wie in einem Kaninchenbau verzweigten und sie noch tiefer unter die Erde zu führen schienen. Wieder und wieder mussten sie sich durch die Reihen neuer Angreifer schießen und schlagen. Selbst das zweite Magazin seiner Maschinenpistole war mittlerweile aufgebraucht und Bucky feuerte stattdessen mit seiner Pistole weiter.

Durch das Headset drang auf einmal Romanoffs Stimme zu ihnen: „Wir sind in einer Sackgasse. Clint und ich stoßen so schnell es geht wieder zu euch."

Als Bucky gerade in einen anderen Gang einbog, bemerkte er an dessen Ende im letzten Augenblick, wie jemand durch eine Tür verschwand. Für den Bruchteil einer Sekunde konnte er etwas Helles auf dem Rücken der dunklen Gestalt ausmachen, ein vertrauter Glanz wie von goldblondem Haar.

Und das war der Moment, als bei ihm alle Sicherungen durchbrannten.

Hinter sich hörte er Steve einen erstaunten Laut ausstoßen, als Bucky mit einem Mal wie vom Teufel besessen und mit solcher Schnelligkeit, dass er selbst seinen Begleiter hinter sich ließ, zu der sich schließenden Tür spurtete. In seinen Oberschenkeln brannte es wie Feuer. Er hatte das Gefühl, dass sein Brustkorb bei jedem weiteren Atemzug explodieren würde, doch das alles rückte in den Hintergrund, als Bucky durch die Tür stürzte. Dahinter befand sich ein überraschend großer Raum mit einer hohen Decke, der scheinbar als eine Art Lager genutzt wurde. Unzählige Container und Gerätschaften teilten die Halle in mehrere Gassen auf. Mit einem beherzten Sprung landete er kurzerhand auf einem der stählernen Behälter, setzte danach auf einen noch höheren Container über, um sich von dort aus einen besseren Überblick zu verschaffen. Unter ihm platzte Steve durch den Eingang und schien sich ebenfalls kurz orientieren zu müssen.

Buckys Augen scannten den Raum. Tatsächlich konnte er in einer Gasse zwischen den Containern einen Mann auf den Ausgang zueilen sehen. Über der Schulter des Flüchtenden hing der leblose Körper einer Frau mit langen blonden Haaren.

„Rebecca!"

Ein markterschütternder Schrei hallte durch den Raum, ließ den Mann innehalten und sich umdrehen. Sein eigener Schrei.

Die folgenden Ereignisse nahm Bucky wie durch einen Tunnel wahr. Er setzte sich wieder in Bewegung, sprang mit unfassbarer Schnelligkeit von Container zu Container auf Rebeccas Entführer zu. Er hatte nur noch Augen für die Frau, für Rebecca. Alle seine Sinne waren auf sie ausgerichtet. Sie war es! Sie war hier! Er musste zu ihr, er musste sie beschützen, er durfte sie nicht noch einmal verlieren, er durfte nicht schon wieder versagen.

Er sah rot, ignorierte die Gefahr, vor der ihn eine Stimme tief in seinem Innersten in diesem Moment warnen wollte. In seiner jetzigen exponierten Position gab er eine perfekte Zielscheibe ab und es war leichtsinnig, ja geradezu lebensmüde ohne Deckung auf einen bewaffneten Gegner loszustürmen. So wunderte es ihn kaum, dass der dunkelhaarige Mann eilig Becca von seiner Schulter gleiten ließ, um ihn mit seinem Gewehr anzuvisieren und kurz darauf das Feuer zu eröffnen. Mit seinem kybernetischen Arm konnte er eine Kugel gerade noch rechtzeitig abwehren, bevor sie ihn am Kopf erwischen konnte, dann duckte er sich unter weiteren Schüssen hindurch, kassierte jedoch einen Streifschuss an seiner Hüfte. Bucky biss die Zähne zusammen. Er selbst konnte nicht zurückschießen, die Reichweite seiner Pistole war nicht ausreichend. Außerdem bestand die Gefahr, dass er mit einem möglichen Querschläger Becca verletzen würde.

Der Typ war gut. Verdammt gut.

Er hatte noch nie erlebt, dass jemand mit solcher Präzession auf ein schnelles bewegliches Ziel in einer derartigen Entfernung schoss und wahrscheinlich hätte der Hydra-Agent ihm im nächsten Moment tatsächlich eine Kugel in den Kopf gejagt, wenn nicht auf einmal Steves Schild den Schützen unerwartet mit voller Wucht am Oberkörper getroffen hätte. Der Mann verzog seine Waffe, wurde mehrere Meter entfernt zu Boden geschleudert. Einen Wimpernschlag später kam Bucky auf beiden Beinen neben Steve zwischen den Containern auf. Gemeinsam stürmten sie auf Rebecca und ihren Entführer zu. Er konnte es kaum glauben, als der Typ sich tatsächlich wieder vom Boden aufraffte und plötzlich kam Steves Schild mit unwahrscheinlicher Schnelligkeit auf sie zugeschossen. Der Blonde konnte ihn mit einiger Mühe auffangen.

„Der gehört mir!", rief Bucky seinem Kampfgefährten zu, der sich daraufhin geistesgegenwärtig vor Rebecca niederkniete, um die scheinbar bewusstlose Frau mit seinem Schild zu schützen.

Bucky feuerte die letzten Schüssen aus seiner Pistole ab. Verpasste seinem Gegner jedoch nur einen Streifschuss am Oberarm und warf sich ihm dann mit allem was er hatte entgegen. Er kollidierte hart mit dem Oberkörper seines Gegners. Sie gingen beide zu Boden. Der Aufprall presste sämtliche Luft aus Buckys Lunge, doch er behielt die Oberhand, kniete über dem Anderen, während seine Metallfaust mit brutaler Macht in das ihm zugewandte Gesicht hämmerte. Einmal. Zweimal. Blut spritzte ihm entgegen. Sein Gegner verpasste ihm als Antwort einen so schmerzhaften Schlag in die Rippengegend, dass Bucky fast schwarz vor Augen wurde. Für einen kurzen Moment ließ er von ihm ab und sein Kontrahent schaffte es, ihn mit einem wütenden Fußtritt in den Magen von sich herunter zu befördern.

Das war kein normaler Hydra-Agent. Ganz sicher nicht!

Binnen eines Herzschlages waren er und sein Feind wieder auf den Beinen. Beide hielten ein Messer in ihren Händen und fast schien es Bucky so, als würde er in diesem Augenblick seinem fleischgewordenen Spiegelbild gegenüberstehen. Auf unheimliche Weise sahen sie einander ähnlich, wenngleich die Züge des Mannes durch das viele Blut, das ihm aus Nase und Mund lief, grotesk entstellt wurden. Blanker Hass schlug ihm aus grauen Augen entgegen, als der Fremde ihn mit gebleckten Zähnen fixierte, wie ein blutdurstiger Wolf, der sich mit einem ebenbürtigen Gegner ein Duell auf Leben und Tod um seine Beute lieferte.

„An alle Einheiten, Selbstzerstörungsprogramm wurde initiiert. Verbleibende Zeit bis zur Eliminierung 20 Minuten."

Die Durchsage schallte über die Sirenen hinweg durch die Halle und ließ selbst sein Gegenüber für einen Augenblick in seiner Bewegung erstarren. Buckys Blick huschte kurz zu Rebecca, die neben ihm an einen Container gelehnt lag und über die sich Steve in eben diesem Moment beugte, um sie vom Boden aufzuheben. Als er sich wieder zu dem Mann umwandte, konnte er in seinen Augen ablesen, dass er sich liebend gern auf ihn stürzen wollte, doch gleichzeitig schien dem Hydra-Agenten derselbe Gedanke wie Bucky durch den Kopf zu gehen. 20 Minuten waren eine verflucht knappe Zeit, um es noch rechtzeitig aus dieser Basis zu schaffen!

Ein Schwall wütender russischer Flüche verließ den blutverschmierten Mund des Anderen, als er sich geschickt zur Seite abrollte und sich so wieder seine Pistole schnappte. Bevor er jedoch den Abzug drücken konnte, war Bucky zur Stelle. Der Hydra-Agent konnte gerade noch rechtzeitig Buckys Messer abblocken und statt in den anvisierten Brustkorb bohrte sich der Stahl so in seinen Oberarm. Mit einem Heulen ließ er die Waffe fallen und Bucky kickte sie erneut außer Reichweite. Das Knie des Mannes rammte sich daraufhin mit voller Wucht in Buckys Magengrube und er holte nun seinerseits mit seinem Kampfmesser aus, erwischte Bucky aber nur leicht an seiner Wange, weil dieser es schaffte, die Attacke noch einmal abzuwehren. Mit brachialer Gewalt traf seine Metallfaust gegen den Brustkorb des Angreifers, hebelte ihn aus und schleuderte ihn mehrere Meter zurück.

Bucky nutzte die kurze Verschnaufpause, um einen weiteren hastigen Blick auf Steve und Becca zu werfen. Der Blonde hatte sie gerade in seine Arme gehoben. Seinen Schild hatte er auf dem Rücken befestigt und für einen Herzschlag kreuzten sich ihre Blicke. Mit einem Mal kam jedoch Leben in Beccas Körper und sie begann auf einmal sich heftig in Steves Armen zu winden.

„Lass mich los, lass mich los", schrie sie wieder und wieder und Steve hatte seine liebe Mühe die hysterisch strampelnde und austretende Frau unter Kontrolle zu halten, ohne sie dabei zu verletzten.

Sie hatten keine Zeit für so etwas. Sie mussten hier weg. Sofort! In wenigen Minuten würde ihnen sonst die gesamte Bunkeranlage um die Ohren fliegen und Tonnen von Erdmasse würden sie unter sich begraben.

Auf einmal passierten zwei Dinge gleichzeitig. Steve ließ mit einem Schrei von der Frau ab und sie landete neben ihm auf dem Boden. Der Blonde presste seine Hände auf seine Schläfen, ging mit schmerzverzerrtem Gesicht in die Knie. Aber bevor Bucky reagieren konnte, stürzte sich der Hydra-Agent erneut auf ihn. Für einen Wimpernschlag hatte er seine Deckung aufgegeben, weil er abgelenkt gewesen war, hatte den Mann aus den Augen gelassen. Diese Nachlässigkeit kam ihn teuer zu stehen, als sich eine Klinge in sein Fleisch bohrte, genau an jene Stelle, an der die Armprothese in seine Schulter überging. Der Schmerz durchzuckte Bucky wie ein weißer Blitz, raubte ihm den Atem und mit einem animalischen Schrei schaffte er es gerade noch, dem Mann einen gezielten Kinnhaken zu verpassen, um im nächsten Augenblick das Messer unter unvorstellbaren Schmerzen herauszureißen.

Doch plötzlich rückte das heiße Pochen in seiner Brust in den Hintergrund, wurde durch etwas noch viel Grauenvolleres ersetzt, als würde eine unsichtbare Macht sein Gehirn langsam zerquetschen, als würde eine schwere Last mit einem Mal auf seinen Schädel drücken und diesen langsam, qualvoll zermalmen. Seine Beine gaben unter ihm nach, er schlug mit seinen Knien auf dem harten Beton auf. Vor seinen Augen tanzten grelle Lichter, zuckten weiße Blitze auf. Er wollte sich bewegen, er musste sich bewegen, aber es ging einfach nicht. Er wusste, was da gerade passierte. Rebecca war in seinem Kopf.

„Braves Mädchen", ertönte eine heißere Stimme mit schwerem russischen Akzent.

Verschwommen nahm Bucky wahr, dass jemand über ihm stand. Dann konnte er den kalten Lauf einer Pistole auf seiner Stirn spüren.

„Was hältst du von unserer neuesten Waffe, Barnes?"

Russisch, der Mann sprach Russisch mit ihm. Die Pistole wanderte ruckartig unter Buckys Kinn, bohrte sich in seine Haut und ließ ihn hart schlucken.

„Sieh mich an, wenn ich mit dir rede, du beschissenes Arschloch!"

Buckys Augen zuckten hoch in das ihm zugewandte Gesicht, von dem er kaum etwas erkennen konnte, weil das schmerzhafte Dröhnen unter seiner Schädeldecke so übermächtig war, dass seine Sicht sich mehr und mehr trübte.

„Ein Jammer, dass es so schnell gehen muss, aber wir sind leider ein wenig unter Zeitdruck. Noch irgendwelche letzten Worte, bevor ich dir dein Hirn wegpuste, Soldier?"

Ein kaltes Lachen entfuhr dem Mann, während Bucky krampfhaft versuchte Rebecca aus seinem Kopf zu bekommen. Warum machte sie das? Warum griff sie ihn und Steve an?

„Dacht ich's mir. Keine Sorge, Rumlow und ich werden uns gut um dein kleines Betthäschen kümmern. Und deinen verfickten Superheldenfreund habe ich auch nicht vergessen, dem schneide ich die Kehle durch, sobald wir zwei miteinander fertig sind."

„Becca hör auf", schrie Bucky unter größten Anstrengungen in seinen Gedanken, ein erbärmlicher Versuch zu der Telepathin durchzudringen.

Er wusste, dass sie ihn hören konnte. Er spürte ihre Gegenwart in seinem Kopf, konnte fühlen, dass es sie unwahrscheinlich viel Kraft kostete in Steves und seine eigenen Gedanken einzudringen und doch hielt sie seinen Geist mit einem eisernen Willen gefangen.

„Becca, das bist nicht du! Du bist nicht du selbst", versuchte Bucky weiter gedanklich zu ihr zu sprechen. „Wir sind nicht deine Feinde. Sie sind es. Hydra. Sie haben Wallenstein umgebracht!"

Und für einen kurzen Moment ließ der Druck nach, zog Becca sich aus seinem Geist zurück und fast war er sich sicher, dass er ihre leise Stimme in seinem Innersten gehört hatte.

„Wallenstein?"

Ein lauter Knall. Ein Schuss. Ihre Stimme, ihre Gegenwart verschwand vollständig und schlagartig aus seinem Kopf. Der Mann vor ihm stieß zeitgleich einen hässlichen Fluch aus und plötzlich war die Waffe an seiner Kehle weg. Bucky schüttelte den tranceartigen Zustand ab, der sich seiner bemächtigt hatte und richtete sich mit leicht zitternden Beinen auf.

Sein Angreifer lag auf dem Boden. Niedergestreckt von einem Pfeil, der aus seiner Brust ragte. Er bewegte sich immer noch, wenn es auch eher einem Zucken glich. War dieses Arschloch denn gar nicht tot zu kriegen? Bucky wollte bereits einen Schritt auf ihn zu machen, es ein für alle Mal beenden, aber dann nahm er im Augenwinkel eine Bewegung wahr. Steve hatte sich ebenfalls erhoben. Und da waren auf einmal Natasha Romanoff und Clint Barton. Rebecca lag regungslos zu ihren Füßen. In Bucky machte sich eine ungekannte Panik breit, die ihn alles um sich herum vergessen ließ, die alles andere in den Hintergrund drängte.

Mit einem Mal war alles andere unwichtig, die Tatsache, dass er diesen Hydra-Agenten mit bloßen Händen umbringen wollte, dass er aus mehreren Wunden am ganzen Körper blutete, dass sein Schädel fast platzte und dass sie eigentlich ihre Beine in die Hände nehmen müssten, wenn sie es noch rechtzeitig aus dieser Todesfalle schaffen wollten.

Bucky sah nur noch Rebecca, wie sie leblos am Boden lag. Eine rote Blutlache bildete sich neben ihr und er war gelähmt, gelähmt von der Angst, dass er nie wieder in diese wunderschönen Augen blicken würde, dass er nie wieder ihr Lachen hören würde, dass er sie jetzt endgültig verloren hatte.

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