Kapitel 29: Raubtiere

„Maslobojtschik [Anm. d. A.: russ. Wichser]", murmelte der Mann mit den kinnlangen dunklen Haaren, während er zielstrebig auf eine doppelflügelige Tür zusteuerte, vor der zwei Hydra-Agenten postiert waren. Ein feuriger Blick gepaart mit einem erneuten unschönen Fluch auf Russisch und die Beiden ließen ihn ohne Umschweife passieren. Dämliche Yankees! War das alles, was Rumlow zu bieten hatte? Eine in die Jahre gekommene Hydra-Basis, irgendwo in den Wäldern Virginias mit den bemitleidenswerten Überresten einer Terrororganisation, die nach eigenen Bekundungen immer noch die Weltherrschaft anstrebte?

Vielleicht hätte er sich zuerst ein genaueres Bild von der aktuellen Situation im amerikanischen Hydra-Ableger verschaffen sollen, bevor er sich von Rumlow für diese Mission hatte anheuern lassen? Immerhin hatte er dafür seine hervorragende Tarnung in New York aufgegeben, nur um sich jetzt mit der geballten Inkompetenz von Sesselfurzern wie diesem Agent Jones konfrontiert zu sehen. Und wenn er etwas noch mehr hasste als Dummheit, dann war das Unfähigkeit und davon schien es in dieser Hydra-Basis mehr als genug zu geben. Er hatte Rumlow einen Gefallen getan, als er den beiden Agenten das Hirn weggeblasen hatte. Die zwei Volltrottel hatten sich doch tatsächlich ohne Helme der Telepathin genähert, anders war es nicht zu erklären, dass der Gefangenen mit deren unfreiwilliger Hilfe beinahe die Flucht gelungen wäre.

So viel Leichtsinn trieb Seizew die Zornesröte ins Gesicht. Er flog einmal um den halben Globus, um den Aufenthaltsort dieser Rebecca in Erfahrung zu bringen, schaffte es dann diese lebendig gefangen zu nehmen und diese beschissenen Penner waren noch nicht einmal in die Lage die junge Frau in einer Zelle in Schach zu halten, während er sich ein paar wohlverdiente Stündchen Schlaf genehmigte? Wahrscheinlich wäre sie zwischenzeitlich aus diesem Stützpunkt raus spaziert und erneut untergetaucht, nur weil diese Deppen nicht dazu fähig waren, einen einzigen einfachen Befehl zu befolgen. Und mit solchen Leuten wollte Rumlow allen Ernstes Hydra in den Staaten wieder aufbauen? Seizew musste ein Lachen unterdrücken, während er die Tür hinter sich schloss.

Brock Rumlows Rückenansicht begrüßte ihn, als er sich in dem spärlich eingerichteten Zimmer umsah. Der Kommandant stand vor einem großen Bildschirm, der an einer Wand etwas oberhalb eines Tisches angebracht war, auf dem allerlei technische Gerätschaften einen chaotischen Pulk bildeten. Seizew hatte den Mann auf dem Monitor bisher nur einmal kurz bei einem Einsatz in Osteuropa getroffen. Das seltsame Hightech-Monokel war jedoch unverwechselbar. Baron Wolfgang von Strucker, eines der letzten verbliebenen hochrangigen Hydra-Mitglieder. Wenn er richtig informiert war, befehligte der Baron schon seit einiger Zeit eine geheime Hydra-Basis in dem vom Bürgerkrieg zerrütteten Staat Sokovia. Ein äußerst günstiger Umstand, wenn man bedachte, dass durch die Intervention von Captain America im Prinzip die komplette Hydra-Führungsetage weltweit ausgeschaltet oder zumindest handlungsunfähig geworden war.

„Ich erwarte zeitnahe Ergebnisse, Rumlow! Dr. List brennt schon darauf die neue Waffe persönlich in Augenschein zu nehmen und ich brauche wohl nicht zu betonen, dass keine weiteren Fehlschläge geduldet werden."

„Ich werde Sie nicht enttäuschen", antwortete der Angesprochene mit gedämpfter Stimme.

„Das will ich auch hoffen, Kommandant', entgegnete von Strucker.

Er musterte Rumlow in dem Wissen, das seine Drohung gefruchtet hatte. Dabei verschränkte er die Arme hinter seinem Rücken und neigte sich leicht nach vorne, so als könne er sich dadurch über die räumliche Distanz hinwegsetzen und aus dem Bildschirm in Richtung seines Untergebenen heraus lehnen.

„In Ihrem Interesse", fügte der Baron schließlich hinzu und Seizew verkniff sich dabei ein amüsiertes Grinsen.

Da steckte wohl jemand bis zum Hals gehörig in der Scheiße.

Rumlow antwortete daraufhin nichts und von Strucker wandte sich langsam mit beinahe gelangweiltem Gesichtsausdruck ab, um anscheinend zu signalisieren, dass das Gespräch für ihn beendet war.

'Heil Hydra!', schloss er die Unterhaltung mit der üblichen Floskel ab.

'Heil Hydra!', echote Rumlow, als die Übertragung längst beendet war.

Es war schwer zu sagen, was in dem Kopf des Mannes vor sich ging, als er sich zu Seizew umdrehte. Seine Miene lieferte keinerlei Anhaltspunkte für eventuelle Gedankengänge oder Emotionen. Seizew blickte in eine so hässliche Fratze, dass es ihm schwerfiel sein Gegenüber nicht wie die Hauptattraktion in einem Kuriositätenkabinett anzugaffen. Er hatte sich immer noch nicht an die Ruine gewöhnt, die das ehemalige Gesicht von Brock Rumlow nun bildete. Seine Gesichtszüge waren entstellt, würden für immer entstellt bleiben. Die eine Gesichtshälfte machte den Eindruck, als sei sie unter enormer Hitzeeinwirkung weggeschmolzen wie Butter, die zu lange in der Sonne gelegen hatte. Sein linker Mundwinkel war zu einem grotesken halbseitigen Dauergrinsen verzerrt, sein linkes Ohr war quasi nicht mehr existent, genauso wie ein Teil seines ehemals akkurat sitzenden Haares.

Was für ein beschissener Anblick!

Als wäre ein Güterzug einmal quer über seine Visage gedonnert. Mit dieser Borschtsch-Fresse würde Rumlow künftig tief in die Tasche greifen müssen, wenn er jemals wieder eine Frau flachlegen wollte. Agent Jones, dieses dämliche Plappermaul, hatte ihm zudem erzählt, dass sich Rumlows Haut nicht nur in seinem Gesicht, sondern an seinem gesamten Körper teilweise bis aufs Fleisch abgelöst hatte. Mehrfache Hauttransplantationen waren notwendig gewesen, um zumindest etwas Schadensbegrenzung zu betreiben, wobei das Endergebnis nicht wirklich als Verbesserung einzustufen war. Zumindest aus optischer Sicht, wie Seizew gedanklich feststellte. Aber was sollte man auch anderes erwarten, wenn ein havarierter, brennender Helicarrier in ein Gebäude stürzte und einen mit sich in die Tiefe riss? Der Mann hatte genau genommen mehr Glück als Verstand gehabt dieses Inferno zu überleben, wenngleich mit schwersten Verbrennungen und einem derart schwer beschädigten Nervensystem, das ihn fast schon immun gegen Schmerzen machte.

Innerhalb kürzester Zeit hatte Rumlow es trotzdem geschafft, nicht nur halbwegs zu genesen, sondern sich darüber hinaus unbescholten aus dem Krankenhaus abzusetzen und somit einer Verhaftung zu entgehen. Ein verdammt zäher Mistkerl, so viel musste man dem Mann zugestehen. Die verbliebenen Kräfte von Hydra hatte er schließlich hier in diesem alten Stützpunkt gebündelt und es war Rumlow persönlich gewesen, der ihn in seiner Schläferzelle in New York aktiviert und nach Washington beordert hatte. Er kannte den ehemaligen S.T.R.I.K.E.-Teamleiter gut von früheren gemeinsamen Einsätzen, wenn er einmal mehr für den unsteten Winter Soldier eingesprungen war.

Der Winter Soldier, Barnes, er war der wirkliche Grund, warum Seizew so bereitwillig diese Mission angetreten hatte. Er war schließlich immer Opportunist gewesen und in den Wirren nach Hydras Zerschlagung durch Captain America und Konsorten, wäre es für ihn ein Leichtes gewesen sich von der Organisation zu distanzieren und seine eigenen Pläne zu verfolgen. Ein Mann mit seinen Fähigkeiten war stets gefragt und es gab genug Geheimdienste, die nicht danach fragten, bei wem man zuvor auf der Gehaltsliste gestanden hatte. Doch die Aussicht seinen alten verhassten Konkurrenten ein für alle Mal höchstpersönlich über den Jordan zu schicken, war einfach zu verführerisch gewesen und das hatte Rumlow, dieser berechnende Hurensohn, auch ganz genau gewusst.

„Herzlichen Glückwunsch zur Beförderung, Kommandant", verkündete Seizew.

Mit einem Augenzwinkern schlenderte er auf Rumlow zu und sie reichten sich kurz die Hand.

„Mir wurde zugetragen, dass du zwei unserer Agenten erschossen hast, Seizew."

Er überging den Tadel gelassen und zuckte als Antwort nur mit der Schulter. Der Mann kannte ihn gut genug, um nichts auf Jones' Geschwätz zu geben, der offensichtlich bei jeder kleinen Komplikation nichts Besseres zu tun hatte, als wie ein kleines Schulmädchen zu seinem Vorgesetzten zu rennen und sich dort auszuheulen. Einfach erbärmlich! Sein Gesprächspartner schritt auf einen Tisch zu, auf dem Gläser und eine Flasche Wodka standen. Nach kurzer Zeit kam er mit zwei gefüllten Gläsern zurück und reichte ihm eines. Mit einem Klirren trafen die Drinks aufeinander und er genoss das Brennen der scharfen Flüssigkeit in seiner Kehle. Rumlow hatte schon immer ein Gespür für guten Wodka gehabt.

„Ich hab Jones gesagt, er kann sich bei dir bedanken, dass ich ihn nicht mit seinen eigenen Eiern gefüttert habe, weil unter seinem Kommando beinahe unsere Gefangene entkommen wäre."

Nun bedachte ihn Rumlow mit einem bösen Grinsen, das tatsächlich dazu im Stande war, sein zerstörtes Gesicht noch mehr zu deformieren. Seizews einzige Antwort war ein verächtliches Schnauben. Er leerte seinen Wodka mit einem weiteren Zug.

„Wie auch immer, Baron von Strucker verspricht sich Großes von unserem neuen Gast. Sobald Red Star stabil ist, sollen wir sie nach Sokovia bringen."

„Und diese Maschine soll dabei helfen?", erlaubte Seizew sich eine kritische Nachfrage. „Beim Winter Soldier waren die Ergebnisse gegen Ende wohl eher mittelprächtig. Warum sollte es ausgerechnet bei ihr besser funktionieren?"

„Dr. Schedler ist recht zuversichtlich. Vielleicht braucht es etwas zusätzliche Überzeugungsarbeit. Ich hab mir sagen lassen, dass du für sowas Talent hast, White Death."

Nun war es an ihm zu grinsen und er wollte gerade erklären, dass er kein Problem damit hatte, sich die Hände ein Wenig schmutzig zu machen, als Agent Jones durch die Tür herein platzte. Der Mann war völlig außer Atem und Seizew verdrehte beim erneuten Anblick des Speichelleckers die Augen.

„Sie ist wach, Kommandant."

„Endlich."

Rumlow rauschte an Jones vorbei und Seizew folgte ihm unmittelbar nach. Der Agent trottete ihnen wie ein höriges Hündchen hinterher, als sie schweigend durch schlecht ausgeleuchtete Korridore marschierten, um schließlich in Dr. Schedlers provisorischem Labor anzukommen. Das Einzige, was Jones dann noch sah, war die Tür, die Seizew vor seiner Nase zuschlug. Dann lehnte er sich an eine Seitenwand, um im Hintergrund das nachfolgende Schauspiel in aller Ruhe verfolgen zu können. Rumlow steuerte indes auf die Gefangene zu und breitete in einer übertriebenen Geste beide Arme aus.

„Willkommen zurück, Red Star!"

Das ohnehin bleiche Gesicht der Frau wurde beim Anblick von Rumlows zerstörtem Gesicht noch ein paar Nuancen heller. Seizew konnte es ihr nicht verübeln. Es war sicherlich kein schönes Erlebnis, wenn man sich an einen Metallstuhl gefesselt vorfand und einer der ersten Menschen, der einem begegnete, sah aus als sei er einem Horrorfilm entsprungen. Ihren ersten Schock verdaute die Frau allerdings recht schnell. Herausfordernd reckte sie ihr Kinn nach vorne und Seizew schmunzelte bei dieser kleinen Demonstration von verzweifeltem Mut.

„Ihr Hydra-Arschlöcher werdet auch immer hässlicher", spukte sie dem Kommandanten entgegen.

Mutig, aber dumm. Als Antwort kollidierte Rumlows Handfläche lautstark mit ihrem Gesicht. Ihr Kopf, auf dem sie mittlerweile eine der Hadeskappen trug, knallte mit einem dumpfen Schlag gegen die metallische Rückenlehne und es dauerte einen Moment, bis sie sich wieder einigermaßen gesammelt hatte. Ein hässlicher roter Abdruck blieb auf ihrer Wange zurück.

„Frauen schlagt ihr also immer noch gern, ihr Scheiß -"

Eine erneute Ohrfeige ließ sie endgültig verstummen. Scheinbar kannte die Frau Rumlow nicht. Dem Dreckskerl war nichts heilig und in seiner momentanen Verfassung traute Seizew ihm zu, die Kleine bei weiteren Frechheiten besinnungslos zu prügeln. Er selbst hatte kein Problem mit Brutalitäten, allerdings bevorzugte er, wo es ihm möglich war, ein subtileres Vorgehen und es wäre eine Schande gerade das Gesichtchen dieses hübschen Exemplars durch Faustschläge unansehnlich zu machen. Wütend bewegte sich ihr Brustkorb auf und ab, während sie Rumlow mit hasserfüllten Augen fixierte.

„Dein freches Mundwerk werden wir dir noch abgewöhnen", verkündete Rumlow mit einem kalten Lachen und er beugte sich bedrohlich über die Gefangene, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. „Wir werden dir hier so einiges abgewöhnen, Red Star. Das kann ich dir versichern. Und wir fangen auch direkt damit an."

Er wandte sich an den ergrauten Wissenschaftler, der mit leicht entsetztem Gesichtsausdruck das Geschehen durch die dicken Gläser seiner herunter gerutschten Brille verfolgt hatte.

„Ist Chimäre einsatzbereit?"

Rumlows Stimme glich einem dunklen Grollen. Offenbar hatte die Kleine mit ihren Worten ins Schwarze getroffen, denn es sah ihm normalerweise gar nicht ähnlich, sich so einfach provozieren zu lassen. Vielleicht hatte der Umstand, dass ihm sein abstoßendes Äußeres nun auch von einer jungen und zudem ansehnlichen Vertreterin des weiblichen Geschlechts attestiert worden war, zu diesem kleinen Gewaltausbruch geführt. Oder der Kommandant war seit seinem Unfall noch mehr verroht. Seizew jedenfalls fühlte sich geradezu köstlich unterhalten und er hätte gerne noch die eine oder andere kreative Beschimpfung aus dem Mund der kleinen Wildkatze gehört. Leider schien der Hydra-Kommandant keinen Sinn für die Komik dieser Situation zu haben. Insgesamt machte es den Anschein, dass Rumlow seinen früheren bissigen Humor unter den Trümmern des Helicarriers verloren hatte.

„Die Maschine ist einsatzfähig. Allerdings können wir sie nicht anwenden, wenn die Probandin den Helm aufbehält", erklärte der Wissenschaftler und duckte sich unter Rumlows zornigem Blick weg.

„Wir-wir könnten ihr wie besprochen die Substanz verabreichen, Sir."

„Dann tun Sie das, Doktor", erwiderte Rumlow und sah dann mit einem diabolischen Grinsen zurück zu der Frau.

Während Schedler eine Spritze mit einer rötlichen Flüssigkeit aufzog, umgriff Rumlow mit beiden Händen die Armlehnen, an welche die schmalen Handgelenke der Telepathin festgeschnallt waren, und stierte intensiv in das ihm zugewandte Gesicht.

„Es war gar nicht so einfach, dich hierher zu bringen, Red Star. Aber ist es nicht eine Ironie, dass du in eben jener Hydra-Basis gelandet bist, aus der du vor ein paar Jahren geflohen bist?"

Rumlow hielt kurz inne, so als würde er die hasserfüllten Blicke genießen, mit denen ihn die Frau in diesem Moment durchbohrte. Es war ein gefährliches Spielchen, das der Mann da mit der Telepathin trieb. Als würde man ein gefährliches Raubtier hinter den Gitterstäben seines Gefängnisses wieder und wieder reizen, alles im Wissen, dass die tödlichen Reißzähne und messerscharfen Krallen dem Peiniger nichts anhaben konnten, weil die Bestie sicher in ihrem Käfig verwahrt war. Aus den hellen Augen der Frau sprachen Abscheu und unbändige Wut. Seizew war sich sicher, dass sie Rumlow ohne zu zögern umbringen würde, wenn sich ihr jemals eine entsprechende Möglichkeit bieten würde.

„Aber wo bleiben meine Manieren in Anwesenheit einer Lady? Ich habe mich noch gar nicht bei dir vorgestellt. Mein Name ist Brock Rumlow. Der nette Herr zu meiner Linken ist Dr. Albrecht Schedler, ein wirklich begnadeter Wissenschaftler. Ich glaube, du kanntest seinen Mentor recht gut, Dr. Zola."

Bei der Erwähnung von Zola legte sich ein Schatten über das Gesicht der Gefangenen und Rumlow verfiel in ein grunzendes Lachen, als er bemerkte, dass allein der Name des längst verstorbenen Hydra-Wissenschaftlers genügte, sie in Angst und Schrecken zu versetzen. Mit einer Kopfbewegung verwies er auf Seizew, der immer noch mit verschränkten Armen an der Wand zu ihrer Rechten lehnte.

„Meinen russischen Freund Nicolaj Seizew hast du ja bereits kennen gelernt. Er hat frappierende Ähnlichkeit mit einem gemeinsamen Bekannten, nicht wahr? Allerdings ist mir sein Alter Ego White Death schon immer lieber gewesen als der ursprüngliche Winter Soldier."

Die Augen der Telepathin weiteten sich bei seinen Worten und ihr Blick huschte kurzzeitig zu Seizew. Erneut brachte Rumlow ein Lachen hervor.

„Seizew, vielleicht solltest du nochmal den fotostatischen Gesichtsschleier aktivieren? Ich glaube unser kleiner Wildfang ist in Gegenwart des Soldiers viel handzahmer, nicht wahr, meine Kleine?"

„Was habt ihr mit Bucky gemacht?"

Ihre Stimme zitterte und die Panik stand ihr ins Gesicht geschrieben.

„Bucky?" kopierte Rumlow ihren beinahe flehenden Tonfall und sah sich dann lachend zu Seizew um. „Dir scheint ja viel an unserem vergesslichen Tiefkühlkiller zu liegen. Hast du ihm denn auch erzählt, dass er es allein dir zu verdanken hat, dass wir ihn über Jahrzehnte immer wieder einer Gehirnwäsche unterziehen konnten, dass wir ihn nur dank deiner Hilfe zu einer willenlosen Tötungsmaschine machen konnten? Oder hast du etwa nicht gewusst, wofür Zola dich jahrelang missbraucht hat?"

Zum ersten Mal bröckelte die tapfere Fassade der Telepathin, als sie Rumlow mit bebenden Lippen anstarrte.

„Hab ich's mir doch gedacht", schmunzelte der Kommandant und tätschelte ihr grob auf die Wange, die er kurz zuvor zweimal geohrfeigt hatte. „Ohne dich hätte Zola „Projekt Chimäre" nie realisieren können. Ohne dich gäbe es die Gedächtnisunterdrückungsmaschine nicht. Ohne dich hätte es kein Winter Soldier-Programm gegeben. Ob Barnes dich immer noch in seiner Nähe haben wollte, wenn er wüsste, dass er all das Leid, all die Misshandlungen und Schmerzen im Grunde dir zu verdanken hat?"

Rumlow trat mit einem zufriedenen Grinsen zurück und machte Platz für Dr. Schedler, der die Spritze an der Armbeuge der Frau positionierte und nur noch auf den Befehl des Kommandanten wartete. Tränen hatten sich in den Augen der Gefangenen gesammelt, doch an diesem Ort war niemand, den dieser traurig-süße Anblick in irgendeiner Weise rühren würde. Wahrscheinlich wurde ihr in diesem Moment die Ausweglosigkeit ihrer Lage bewusst. Niemand würde kommen, um sie zu retten. Sie war allein, war ihnen schutzlos ausgeliefert. Seizew hatte dieses Gefühl einmal sehr gut gekannt, aber seine eigene traumatische Kindheit mit einem Alkoholikervater hatte er schon lange hinter sich gelassen. Angst war etwas für Schwächlinge.

„Leider musste dich Zola auf Eis legen, bevor er die Maschine zum ersten Mal erfolgreich anwenden konnte. Das Kriegsende hat so einige Forschungsbemühungen zunichte gemacht. Wirklich schade, so müssen wir jetzt herausfinden, wer stärker ist, die Telepathin oder die Maschine."

Rumlow nickte Schedler zu und dieser injizierte die Flüssigkeit in ihren Arm, wenngleich die Frau sich dabei ungestüm wand wie ein Aal. Alsbald ließ ihre Gegenwehr nach. Verzweiflung und Angst sprachen aus ihren weit aufgerissenen Augen und seltsamerweise blieb ihr Blick ausgerechnet an Seizew hängen. Er beobachtete fasziniert, wie ihr stechender Blick nach einiger Zeit brach, wie ihre Augen immer glasiger wurden und der Doktor schließlich zögerlich den Helm von ihrem Kopf nahm. Ihr Kinn war auf ihre Brust gesunken, ihr gesamter Körper hing schlaff auf dem Stuhl, aber sie war immer noch bei Bewusstsein.

„Was haben Sie ihr da gespritzt, Doktor?", wollte Seizew nun wissen, denn es musste eine bemerkenswerte Substanz sein, wenn sie innerhalb kürzester Zeit einen derartigen Effekt auf die junge Frau haben konnte.

„Oh, eine neuartige synthetische Droge", erklärte der Wissenschaftler und lächelte beinahe schüchtern, als er sich an einen Rechner begab und mit flinken Fingern auf dem Bildschirm herum tippte. „Die sensorischen Wahrnehmungen sind vergleichbar mit LSD, aber dieses Derivat verfügt in einer solch hohen Dosierung über die interessante Eigenschaft unsere Probandin in einen Zustand zu versetzen, der die Kontrolle über ihre eigenen Handlungen stark vermindert, so dass sie ihre telepathischen Kräfte nicht mehr einsetzen kann."

Auf einmal kam Leben in den Apparat und mit einem mechanischen Surren justierten sich die beiden halbkreisförmigen Metallarme über dem Kopf der Frau. Dann senkten sich die abgeflachten Enden der Maschine über ihr Gesicht, bedeckten ihr linkes Auge und hielten ihren Kopf in einer schraubzwingenartigen Umklammerung. Erneut tippte Schedler etwas in den Computer ein und nun nahm die Maschine ihre Arbeit auf. Seizew konnte nicht erklären, was genau in diesem Moment passierte, aber plötzlich spannte sich der schmale Körper der Frau an, als würde sie auf einem elektrischen Stuhl sitzen. Die gesamte Anspannung entlud sich plötzlich in mehreren beinahe spastischen Zuckungen.

Und dann fing sie an zu schreien. Es waren keine menschlichen Laute, die den Mund der Frau verließen. Vielmehr glichen sie den Geräuschen, die Tiere machten, wenn man ihnen lebendig das Fell über die Ohren zog und Seizew wusste ganz genau, zu welchen Schreien derart gequälte Kreaturen fähig waren. Trotzdem hatte er etwas Derartiges noch nie zuvor gehört. Es war faszinierend, ihr dabei zu zusehen, wie sie immer noch verzweifelt versuchte sich gegen das zu wehren, was die Maschine offensichtlich gerade mit ihrem Gehirn anstellte.

Das Prozedere dauerte nun schon mehrere Minuten an. Die Schreie der Telepathin waren zu einer Art Hintergrundgeräusch geworden. Schedler starrte auf seinen Bildschirm, die Stirn in tiefe Falten gelegt.

„Gibt es ein Problem, Doktor?", wollte Rumlow nach einer Weile wissen und positionierte sich hinter dem Wissenschaftler, um prüfend über dessen Schulter zu blicken.

„Ihr Bewusstsein arbeitet ganz anders als erwartet", murmelte Schedler und begann hektisch neue Befehle in sein Gerät zu hämmern. „Man kann sich das vorstellen wie eine Art Firewall, die sie in ihrem Innersten errichtet hat. Äußerst schwer zu überwinden."

Aus den Schreien war mittlerweile ein Wimmern geworden. Immer noch zuckte die Frau unkontrolliert zusammen, doch ihr Körper schien mit jedem Augenblick schwächer zu werden.

„Mein Gott, wir bringen sie um, wenn wir so weitermachen", stieß der Wissenschaftler auf einmal aus und wollte das System bereits herunterfahren, doch Rumlow ergriff ihn beim Handgelenk.

„Abbruch ist keine Option, Doktor", zischte der Kommandant dem Mann ins Gesicht. „Lassen Sie sich etwas einfallen!"

„Aber Sir, ihr Gehirn könnte irreparabel beschädigt werden, wenn wir die Prozedur fortsetzen."

„Dann machen Sie eine Pause und fangen danach von vorne an!", brüllte Rumlow in einem Anfall von Raserei.

Der Doktor zog bereits wie eine verschreckte Schildkröte seinen Kopf ein, da er offenbar damit rechnete, jeden Moment Bekanntschaft mit Rumlows harter Rechter zu machen.

„Wir können nicht so einfach eine mentale Barriere überbrücken, Herr Kommandant. Damit habe ich keine Erfahrung und es gibt dazu auch keinerlei Studien", versuchte der Wissenschaftler zu erklären und rang dabei verzweifelt mit den Händen. „Bevor wir weitermachen, müssen wir die Testperson irgendwie dazu bringen ihren Schutzschild auszuschalten."

„Und warum sollte sie das tun, Sie Genie?", blaffte Rumlow und baute sich bedrohlich vor dem kleineren Mann auf.

Seine geröteten Augen waren mittlerweile so weit hervorgetreten, dass Seizew nicht erstaunt wäre, wenn sie jeden Moment aus den Augenhöhlen fallen würden. Es fehlte nur noch der Schaum vor dem Mund und Rumlow würde als Tollwutpatient durchgehen.

„Ich-ich weiß es nicht, Sir!", stammelte Schedler, den sein jähzorniger Vorgesetzter bereits am Kragen seines weißen Laborkittels ergriffen hatte. „Wir-wir müssen sie irgendwie davon überzeugen, sich nicht mehr dagegen zu wehren."

Bevor Rumlow den Wissenschaftler erwürgen konnte, mischte sich Seizew ein. Er löste sich langsam von der Wand.

„Es ist wie bei einem guten Jagdhund!"

Rumlows hässliche Fratze schoss in seine Richtung. Der Kommandant ließ augenblicklich von seinem Opfer ab.

„Seizew, das hier ist nicht der richtige Zeitpunkt für eine deiner Anekdoten über die Jagd in Sibirien."

„Es ist genau der richtige Zeitpunkt, wenn du dieses Problem lösen willst", verkündete er mit einem Schmunzeln und verschränkte seine Arme vor der Brust. „Mein Vater hatte mal einen Jagdhund. Eine russische Laika, schönes Tier, wirklich außergewöhnlich, aber stolz, dickköpfig und immer noch auf ihren früheren Besitzer geprägt."

„Ich hoffe, du kommst bald auf den Punkt, mein Freund", unterbrach ihn Rumlow ungeduldig.

„Mein Vater hat ihn dazu gebracht, nur noch ihn zu lieben und alle anderen Menschen zu fürchten, ja regelrecht zu hassen. Wem würdest du dich anvertrauen, der Hand, die dich füttert und streichelt oder jener, die dich schlägt und misshandelt?"

Allmählich wich die Wut aus dem Gesicht seines Gegenübers. Offensichtlich waren seine Worte auf fruchtbaren Boden getroffen.

„Was schlägst du vor, Seizew?"

Er warf einen letzten prüfenden Blick auf die Frau, die erneut ihr Bewusstsein verloren hatte. Seizew liebte Herausforderungen.

„Gib mir eine Woche, dann frisst mir die Kleine aus der Hand."

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top