Weihnachtliche Schreibchallenge: Gut geheult, Wölfin
Es ist eine ganze Weile her, dass ich etwas auf Wattpad hochgeladen habe... Da kam die Weihnachtliche Schreibchallenge der zehnbrieffreunde genau richtig! Diese Challenge war im Vorjahr meine erste Kurzgeschichte und ich habe seitdem viel Spaß mit den Challenges gehabt. Dieses Mal schreibe ich zum ersten Mal auf der Grundlage eines Bildes, und hier kommt schon das erste Hindernis: ich habe keine Ahnung, wie ich das hier in diesem Kapitel einfüge.
(Es ist eine Winterlandschaft mit Fluss, auf den eine Blutspur zuführt. Hilft das?😅)
Without further ado: Viel Spaß beim Lesen!
☾❆☽
Auf der Lichtung inmitten der kanadischen Wildnis zeichneten sich Fußspuren im Schnee ab. Es waren nur wenige Dutzend Abdrücke, die sich in die weiße Masse gruben. Die Spuren am Rand der Lichtung füllten sich bereits mit frischem Schnee. Massive Stiefel brachen durch die dünne Eisschicht.
Jackson wischte sich über die Nase. Die Kälte färbte seine Finger in einem wütenden Rot. Er grunzte und stapfte auf die Baumgrenze zu. Für eine der Tannen wurde die Schneelast zu viel. Frostige Flocken rieselten in Jacksons Nacken herab. Schaudernd trat er unter den sich gefährlich biegenden Ästen weg. Rings um ihn herum hoben sich dunkle Stämme in die Höhe. Sie waren der einzige Schatten in all dem verdammten Weiß. Nadeln waren keine zu erkennen. Auf dem Boden reichte der Schnee bis zu Jacksons Waden, die Kronen der Bäume ummantelte er vollständig. Jackson stopfte die Hände in die Taschen seiner Militäruniform.
Im Schatten des Waldes auf der anderen Seite der Lichtung blühte ein Lichtschein auf. Wäre Jackson näher gewesen, hätte er das Quietschen der Tür gehört. Natürlich hatten sie kein Öl, um die Angeln einzureiben.
„Komm' zurück ins Warme!", brüllte Thomas gegen den Wind an. Seine raue Stimme übertönte sogar das ständige Pfeifen des Nordens.
„Ich sag's dir, ich hab' sie gesehen!", warf Jackson über seine Schulter zurück. „Diesmal lass' ich sie nicht davonkommen!"
Im hellen Rechteck, das ihm den Weg zu der Hütte am Waldrand wies, lehnte sich Thomas' Umriss gegen den Türrahmen. Ruckartig wandte Jackson sich um und schlug sich zwischen die Tannen. Schnee regnete auf ihn herab. Er duckte sich tief über den Boden. Im Schutz der Bäume war der Schneefall weniger stark. Spuren von Tieren wanden sich zwischen den Stämmen entlang. Eine Gruppe Rehe war kürzlich hier gewesen, eine Handvoll Kaninchen, und... da. Wolfsspuren.
Tief in seiner Kehle knurrte Jackson. Natürlich war sie hier gewesen. Immerhin hatte sie sein Steak gestohlen. Zum vierten Mal diese Woche. Die Wölfin mit den weißen Pfoten war zu schlau für ihre eigene Sicherheit.
Ein Wimmern drang an Jacksons Ohren. Er beschleunigte seine Schritte. Hinter ihm knackte ein Ast. In einer Bewegung legte er sein Gewehr an die Schulter. Ein Schatten bewegte sich auf ihn zu, zu groß für einen Wolf...
Jackson ließ sein Gewehr senken. Thomas trat hinter dem Baumstamm hervor.
„Das ist mein Ernst, Mann. Gehen wir nach drinnen. Hier draußen wirst du erfrieren."
„Ich lasse dieses Biest nicht ungeschoren davonkommen."
„Nächste Woche bekommen wir frische Rekruten ins Lager. An denen kannst du deinen Frust auslassen."
Jackson verdrehte die Augen bei dem Gedanken an die Frischlinge. Der aufmüpfigste Nachwuchs der Army wurde in ihre Basis geschickt, umgeben von nichts als Frost und Wildnis. Unter seiner und Thomas' Hand wurden selbst die frechsten Burschen zahm. Keiner von ihnen war so zäh, wie ihre großen Klappen vermuten ließen. Garantiert keine passenden Spielkameraden für die Wut in Jacksons Adern.
Erneut wand sich das Wimmern durch den Wald. Jackson zwängte sich zwischen zwei Büschen hindurch, von deren Ästen winzige Eiszapfen hinunterhingen. Vor seinen Stiefelspitzen war der Schnee rot verfärbt. Und dort, zwischen den Wurzeln einer riesigen Tanne, lag der Wolf.
Tot. Die verdammte Wölfin war tot, Jacksons Steak vermutlich unverdaut in ihrem Magen. Ihre Beine ragten starr von ihrem Körper weg. Jackson trat gegen eine weiße Pfote. Das Fell der Wölfin bebte.
Thomas keuchte auf. „Ein Junges."
Der Welpe kroch hinter seiner Mutter hervor, die Augen geschlossen. Blindlings taumelte er gegen den Bauch der Wölfin. Mit seiner winzigen Nase stieß er gegen Zitzen, aus denen niemals Milch fließen würde.
„Wir müssen es ans Feuer bringen", stammelte Thomas.
„Hineinwerfen", korrigierte Jackson ihn mit einem Augenverdrehen.
Entsetzt drehte Thomas sich zu ihm um. „Das ist ein Baby. Wir können es nicht dem Tod überlassen!"
Jackson murmelte etwas in seinen Bart, das nicht einmal er selbst verstand. Der Welpe gab seine Suche nach Mahlzeit auf und tapste von seiner Mutter weg. Im Schnee versank er beinahe vollkommen. Er stolperte über seine eigenen Beinchen und stieß gegen Jacksons Stiefel. Jackson schob seinen Fuß unter das Wölfchen. Er wollte es davontreten, doch der Welpe schnappte zu und verbiss sich in Jacksons Schnürsenkel. Ein Kämpfer.
Erneut verdrehte Jackson die Augen. „Meinetwegen bringen wir es in die Hütte. Aber wenn es mein Steak frisst, breche ich sein Genick."
Thomas schlug ihm auf die Schulter. Sein Lächeln ließ tiefe Falten an den Rändern seiner Augen erscheinen. „Danke, Jackson. Immerhin ist heute Weihnachten. Da erweichen sogar die härtesten Herzen."
Stumm schüttelte Jackson den Kopf. Seines nicht. Niemals. In der Wildnis Kanadas überlebten nur die härtesten Herzen.
Jackson behielt recht. Bevor der Winter in den Frühling überging, verabschiedete er sich von der Militärbasis mit dem schlimmsten Schneesturm, den Jackson jemals erlebt hatte. Der Strom fiel aus, die Wasserleitungen froren ein. Keiner der neuen Rekruten überlebte den Kältesturz. Thomas auch nicht. Jacksons hartes Herz war das Einzige, das in diesem Teil des Waldes noch schlug.
Seines, und das der Wölfin, die die weißen Pfoten ihrer Mutter geerbt hatte.
Jackson vergrub seine Finger in ihrem Fell. „Thomas war ein guter Mann", wisperte er.
Die Wölfin heulte ihre Trauer um den gemeinsamen Freund dem Mond entgegen.
☾❆☽
Hunger. Jagd. Beute.
Die Worte kräuselten durch das Wolfsrudel. Gefletschte Zähne, angelegte Ohren, gebeugte Hinterläufe. Ein gewaltiger Timberwolf löste sich aus der Masse. Geifer tropfte von seinen Fangzähnen. Auf seinem dunkelbraunen Fell schimmerte das Mondlicht. Der silbrige Schein lockte den Wolf, sein Heulen durch die Nacht schallen zu lassen. Seine Brüder und Schwestern zur Jagd zu rufen. Doch es war nicht an ihm, diese Entscheidung zu treffen. Er duckte sich so tief in den Schnee, dass sein Bauchfell durch die kalte Masse schleifte. Vor seiner Alphawölfin neigte er den Kopf.
Sein Blick schnellte zu dem Rudel zurück, seine Rute peitschte durch die Nachtluft. Hunger. Jagd. Beute.
Die Alphawölfin saß im Schnee, still wie eine Statue. Das schwarze Fell schmiegte sich glatt an ihre sehnigen Muskeln. Ihr schien die Kälte nichts anhaben zu können. Ihre Lefzen zuckten in Richtung ihres Betas. Lauf. Bring' dem Rudel Nahrung.
Der große Wolf erstarrte. Nur seine Ohren drehten sich, filterten die Geräusche des Waldes. Sein Atem färbte die Luft weiß. Hinter ihm hechelten seine Brüder und Schwester. Er hörte das kräftige Herz seiner Anführerin. Kein weiteres Lebenszeichen regte sich in der Wildnis.
Es gibt keine Beute hier.
Ihre bernsteinfarbenen Augen richteten sich auf ihn. Wie von selbst knickten seine Vorderläufe ein. Seine Muskeln zuckten, drängten ihn, ihren unausgesprochenen Befehl zu erfüllen. Es kostete ihn jede Stärke, die ihm der Wald in die Wiege gelegt hatte, um den Kopf zu heben.
Norden. Hütte. Fleisch.
Ihre Zähne schlugen nur eine Haaresbreite vor seinem Gesicht aufeinander. Der Mond blitzte auf den Spitzen.
Wage es dir, die Menschen anzugreifen, und ich zerreiße dich.
Er konnte sich nicht bewegen. Angst und Frost froren seine Muskeln ein. Sein Herz wollte seinen Rippen entkommen. Er musste stark bleiben, für sein Rudel... Sie haben einen der Unseren getötet. Warum töten wir nicht sie? Das Blut rinnt warm durch ihre Adern. Ihr Fleisch könnte das Rudel mondelang versorgen.
Warum töten wir nicht dich? Die Alphawölfin kam auf die Pfoten. Das gesträubte Fell ließ sie riesiger wirken, als sie eigentlich war. Ihre Muskeln zitterten von mühevoller Zurückhaltung. Sie schob die weißen Pfoten auseinander, bereit, vorzuspringen. Warum töten wir nicht die Wölfe, die ihrer Alpha nicht gehorchen? Euer Fleisch könnte das Rudel mondelang versorgen.
Der Timberwolf wimmerte.
Lauf. Jage, knurrte sie. Wenn du wiederkehrst, will ich das Blut von Kaninchen an dir riechen.
Schnee stieb auf, und er rannte.
☾❆☽
Jacksons Finger waren an seinem Gewehr festgefroren. Er war nicht dumm genug, zu versuchen, sie von dem Metall zu lösen. Kupfergeschmack brach in seinem Mund aus.
„Beweg' dich", raunzte er seinen Lehrling an. Der Bursche kämpfte sich durch den Schnee an Jacksons Seite. Was auch immer er getan hatte, um hierher versetzt zu werden, Jackson hatte kein Mitleid für ihn übrig. Er war der vierte Soldat, der als Ersatz für Thomas geschickt worden war. Zwei seiner Vorgänger hatten eine hohe Summe bezahlt, um zurück in den Süden reisen zu dürfen. Der dritte hatte seinen ersten Sturm nicht überlebt. Jackson musste zugeben, dass dieser hier mehr Ehrgeiz hatte als seine Vorgänger, Zweiter Offizier der Verbitterten und Erbärmlichen Soldaten der Nördlichen Wildnis zu werden. Jackson trug seinen eigenen Titel mit Stolz. Er nickte in Richtung des Flusslaufes.
Eisschollen bedeckten beinahe den gesamten Strom. Nur ein leises Gluckern verriet, dass unter den Platten noch Wasser floss.
„Fülle die Schläuche."
Die blauen Lippen des Burschen zitterten. „A- alle vier?"
„Meinetwegen kannst du zwei für die Wölfe hierlassen." Jackson zuckte die Schultern. „Nicht mein Problem, wenn du verdurstest."
Wortlos machte sich der Soldat an die Arbeit. Jackson selbst hatte wenig Lust, das eiskalte Wasser an seine Haut heranzulassen. Sollte der Bursche die ersten zehn Jahre in der Wildnis überleben, würde auch er einen Stand erreichen, der ihm erlaubte, andere für diese Aufgaben abzukommandieren. Jackson bezweifelte, dass er so lang durchhalten würde.
Jackson zuckte zusammen. Die Schatten zwischen den Bäumen bewegten sich. Wie von selbst glitt das Gewehr in die Position an seiner Schulter.
„Keine Bewegung", raunte er seinem Lehrling zu. Der Junge erstarrte. Im nächsten Moment entkam ein Schrei aus seiner Kehle. Goldene Augen blitzten im Morgenlicht auf. Wolf. Das Untier schob eine Pfote aus dem Dickicht hervor. Braun, nicht weiß. Der Schuss von Jacksons Gewehr zerfetzte die Luft. Zerfetzte Fell und Muskeln.
Jackson wirbelte herum und gab zwei weitere Schüsse ab. Die Wölfe kamen aus allen Richtungen. Zwei von ihnen setzten über den Fluss. Vor Jacksons Körper zitterte der Gewehrlauf. Diesen Winter hatte er erst einmal einen Wolf gesehen. Jackson schauderte bei der Erinnerung an den Schaum vor seinen Lippen. Tollwut. Er hatte dem Tier den Gnadenschuss gesehen. Davor und danach hatte sich kein Wolf in die Nähe der Militärbasis gewagt. In seinen schwächsten Stunden war Jackson versucht gewesen, durch die Wälder zu streifen und auf die Suche zu gehen nach einer Wölfin mit dunklem Fell und weißen Pfoten. Auch jetzt huschte sein Blick zwischen den Bestien hin und her. Grau, schwarz, braun, silbern. Jacksons Finger am Trigger zuckte.
In diesem Moment sprang der Lehrling auf. Seine Füße glitten auf dem Schnee aus. Seine Hand schrappte über Eis. Er fing sich und rannte. Eine Blutspur hob sich rot gegen den Schnee ab.
In einer Bewegung fuhren die Wölfe herum. Der Lehrling ignorierte Jacksons Warnschrei. Pfoten trommelten auf dem Eis. Gegen die Wölfe hatte der Bursche keine Chance.
☾❆☽
Ihr Körper zitterte. Nicht wegen der Kälte - der Frost und die Nacht hatten sie erschaffen. Ihr eigenes Blut rauschte in ihren Ohren. Die Wölfin wanderte um ihren Lagerplatz herum, auf einem Pfad, den ihre Pfoten in den Schnee gepflügt hatten.
Ein Wolf, dessen Schnauze sich bereits grau färbte, wagte sich in ihre Richtung vor. Sie werden wiederkommen, versprachen seine gesenkte Rute, die zur Seite gerichteten Ohren.
Ein Knurren schlich sich aus ihrer Kehle. Sie sind schon zu lang weg.
Ihre Augen wanderten in das Dickicht. Nicht einmal sie konnte durch die Schatten sehen. Doch ihre Nase witterte das Moos und die Wurzeln und die tief vergrabene Erde.
Der alte Wolf trat in ihren Weg. Seine Schnauze wanderte zu den kranken und jungen Wölfen, die zu schwach waren, um mit ihrem Beta zu jagen. Geh' nicht. Sie brauchen dich.
In diesem Moment hallte ein Schuss durch den Wald. Die Wölfin sprang nach vorn. Über die Schulter warf sie zu ihrem Rudelbruder zurück: Beschütze sie für mich.
Er heulte in Protest, doch durch den verzweifelten Laut drangen zwei weitere Schüsse an das Ohr der Wölfin. Sie kannte dieses Geräusch. Sie kannte das Gewehr, das sie verursachte, und die Finger, die den Trigger zogen. Ihre Muskeln zogen sich zusammen, und sie schnellte los. Blindlings wich sie Bäumen und Büschen aus. Sie war ein Pfeil, der durch den Wald schoss. Blitze jagten durch ihre Venen, trieben sie voran, voran, voran...
Die kalte Luft schmerzte in ihren Lungen. Immer weiter trugen sie ihre Pfoten. Und doch war sie zu langsam. Der Schnee klebte zwischen ihren Krallen fest, versuchte, sie zu halten. Ranken und Dornen streckten sich nach ihr aus. Die Wölfin zerriss sie allesamt. Es kümmerte sie nicht, dass ihr Fell an Stämmen hängenblieb, dass Zweige ihre Haut aufrissen. Einzig das Trommeln ihrer Schritte war wichtig. Die Schüsse waren verstummt. Da war kein Geräusch abgesehen von ihrem keuchenden Atem und ihren Klauen im Schnee. Bis sich ein Gluckern darunter mischte.
Schlitternd kam die Wölfin zum Stehen. Wie ein silbernes Band wand sich der Fluss durch den Wald. Die Sonne kroch über die Baumwipfel und funkelte auf den Eisschollen.
Die Bäume wichen vor dem Ufer zurück. Sie gaben den Blick frei auf den aufgewühlten Schnee und den vergessenen Trinkschlauch, der im Wasser dümpelte. Die Wölfin verfolgte die Spuren ihrer Rudelgefährten und sprang über den Fluss hinweg. Ihre Pfote sackte in eine Vertiefung. Auf dieser Seite des Ufers hatten sich Menschenstiefel in den Schnee gegraben. Und eine Blutspur zog sich durch den Schnee.
Die Wölfin schob sich durch das aufgewühlte Weiß. Hier hatte ein Kampf stattgefunden. Die Luft schmeckte bitter und metallisch. Ein toter Körper war durch den Schnee gezogen worden, noch während sein Herz ausblutete. Jemand hatte ihn in den Fluss gestoßen, und er war gesunken... Die weißen Pfoten der Wölfin färbten sich rot. Mit geöffnetem Maul sog sie den Duft ein. Menschenblut. Und da war ein anderer Geruch, fast völlig überlagert von den Spuren aus Angst und Tod, die in der Luft hingen. Hätte sie ihn nicht so inniglich gekannt, wäre er ihr nicht aufgefallen.
Jackson. Jackson war hier gewesen, und dort, auf dem Grund des Flusses, lag die Leiche eines Menschen.
Die Wölfin heulte. Winzige Wellen schlugen an das Ufer und durchtränkten ihre Pfoten. Schauder liefen über ihren Rücken. Sie schrie ihre Trauer in den Wald hinein, und ihr Echo war die einzige Antwort. Nicht einmal ihr alter Freund, der Mond, war ihr Zeuge. Abrupt brach das Heulen ab.
Die Wölfin kauerte sich an das Ufer, sah an ihrem eigenen Spiegelbild vorbei zu den Umrissen des menschlichen Körpers. Sie könnte hinabtauchen. Sie könnte die Leiche nach oben ziehen. Vielleicht würde der Fluss sie stattdessen ertränken. Auch das war kein Gedanke, der ihr noch Angst machen konnte.
Sie schob ihre Nase durch den Schnee. Und nahm einen weiteren vertrauten Geruch auf. Wölfe. Ihre Wölfe. Am stärksten, ihr Beta. Seine Spur führte nach Norden.
Die Gelenke der Wölfin knackten. Sie grub die Klauen in den Schnee. Es war so verlockend, sich fallen zu lassen, zu warten, bis Wasser oder Frost ihr Leben einforderten. Sie riss das Maul auf. Ein weiteres Heulen schaffte sie nicht. Doch ihr Knurren war eine ganz andere Form des Rufes. Ein Versprechen. Sie kämpfte sich auf die Beine und begann ihre Jagd.
☾❆☽
Der Wind fetzte durch den Wald. Er peitschte Eiskristalle in Jacksons Gesicht. Mit verengten Augen suchte er den Boden ab. Dort drüben - da lag sein Gewehr, bereits halb verdeckt von Schneeverwehungen. Er stolperte darauf zu. Doch der Wolf war schneller. Mit einem Sprung brachte das Untier sich zwischen Jackson und seine Waffe. Die gelben Zähne hoben sich stark gegen sein dunkles Fell ab. Sein viel zu intelligenter Blick huschte von Jackson zu seinem Gewehr, schien ihn herausfordern, locken zu wollen. Ein Knurren vibrierte durch die Luft. Jackson ballte die Hände zu Fäusten.
Das Wolfsrudel hatte ihn durch den gesamten Wald gehetzt. Zwei von ihnen hatte er mit seinen Kugeln erwischt. Aus Angst waren die meisten zurückgefallen, und Jackson hatte sich bereits in Sicherheit gewogen. Dann war aus dem nichts der braune Timberwolf aufgetaucht. Von hinten hatte er Jackson angesprungen, und sein Gewehr war davongeflogen. Die gelben Augen flüsterten Jackson das Versprechen von Tod zu.
Er antwortete mit demselben grimmigen Blick, den nur der Norden über Jahre hinweg aus einer Person herauslocken konnte. „Wenn du mein Leben willst, komm' und hole es dir."
Der Wolf ließ sich nicht zweimal bitten. Der struppige Rücken wölbte sich. Die Klauen gruben sich in den Boden. Diese Bewegungen waren Jackson vertraut. Einen Wimpernschlag, bevor der Wolf absprang, drehte Jackson sich zur Seite. Die Bestie verfehlte ihn.
„Ich habe schon mit Wölfen gekämpft, die wesentlich gefährlicher waren als du", höhnte Jackson. Der Wolf wirbelte herum. Jackson ließ seinen Fuß vorschnellen und wollte dem Untier die Beine wegtreten. Stattdessen schnappte es zu und verbiss sich in seinem Stiefel. Ohne das dicke Leder hätte Jackson sich von seinen Zehen verabschieden können. Er riss sein Bein zurück und der Wolf wurde davongeschleudert. Nach einem schnellen Blick schob Jackson sich auf sein Gewehr zu. Die Bestie sprang erneut los, und diesmal hörte Jackson das Zuschnappen ihrer Kiefer viel zu nah an seinem Gesicht.
Jacksons Herz pumpte Hitze durch seine Adern. Er hatte Mühe, seine zitternden Arme zur Verteidigung zu heben. Der Wolf nutzte die Schwäche sofort aus. Brennender Schmerz fuhr durch Jacksons Handgelenk. Fluchend stolperte er rückwärts. Über seine Finger tropfte warmes Blut. Verdammt, er betete, dass dieses Tier nicht auch tollwütig war. So bösartig, wie es ihn anstarrte, musste Jackson sich um eine Krankheit keine Sorgen machen. Er hatte kaum Chancen, lebend hier herauszukommen. Es schien, als wäre die Wildnis Kanadas darauf aus, auch noch das härteste Herz zwischen ihren Zähnen zu zermalmen.
Der Wolf trieb Jackson gegen die Baumstämme zurück. Er grub seine Stiefel in den Schnee und beugte die Knie. Das Untier kam geduckt auf ihn zu. Als Jackson nicht zurückwich, hielt es inne.
„Ich fliehe nicht", knurrte Jackson, „Vor niemandem. Wie sieht's aus, Lupus? Ist dein Bellen schlimmer als dein Biss?"
Die Hinterläufe des Wolfs beugten sich. Jackson schnellte nach vorn. Sie prallten aufeinander, Fell und Finger und Krallen und Haut. Diesmal erwischte die Bestie Jacksons Oberschenkel. Und er spürte, wie schlimm ihr Biss tatsächlich war. Das Pochen in seinem Handgelenk rückte in den Hintergrund. Jackson presste die Hände auf die Wunde in seinem Bein. Er versuchte, sich aufzurappeln. Schwarze Flecken tanzten am Rand seines Blickfeldes. Er fiel in den Schnee zurück. Die Kälte war eine Erleichterung. Er presste sein Bein gegen das Eis, das sich sofort rot verfärbte. Die Wunde musste taub werden, und Jackson musste seine Sinne beisammen bekommen... Der Wolf schob sich in sein Blickfeld. Seine Lefzen zuckten. Jetzt schlich er ganz langsam auf Jackson zu. Er wusste, dass er gewonnen hatte.
Ein Schatten raste zwischen den Bäumen entlang. Jackson konnte nur den Kopf auf die Seite kippen. Er schaffte es nicht auf die Füße. Was hätte es genutzt? Gegen zwei Wölfe konnte nicht einmal er sich verteidigen. Der Timberwolf schien gar nicht zu bemerken, dass er Verstärkung bekam. Unaufhaltsam verkleinerte er den Abstand zwischen sich und Jackson. Doch Jackson hatte nur Augen für die Wölfin, die aus der Baumreihe brach. In einem gewaltigen Sprung setzte sie über ihn hinweg. Jetzt schloss Jackson doch die Augen. Und riss sie im nächsten Moment wieder auf.
Ein Schrei hallte durch den Wald. Blut spritzte auf Schnee. Zähne durchbrachen Haut, und die Wölfin richtete sich hoch über ihrer Beute auf. Winselnd presste sich der braune Timberwolf auf den Boden. Jacksons Herz raste beim Anblick ihrer gefletschten Zähne. Sie knurrte, und der größere Wolf trat die Flucht an. Auf drei Beinen humpelnd verschwand er ins Unterholz.
Und die Wölfin drehte sich zu Jackson um. Sie schob ihre blutüberströmten, erdverklebten, weißen Pfoten über den Boden.
Er zog ein Knie unter den Körper. Wuchtete sein Gewicht nach vorn. Und schlang die Arme um die Brust der Wölfin. Ihre Zunge fuhr über seine Schläfe.
Seine Hände wanderten durch ihr schwarzes Fell. Er konnte jede ihrer Rippen zählen.
„Komm' zurück in dein altes Territorium", wisperte er gegen ihren gewaltigen Kopf. „Ich bin nun allein in der Basis. Dort seid ihr sicher. Ich lege Fleisch für deine Wölfe aus."
Sie schmiegte ihre Stirn gegen seine.
„Danke. Dass du mich gerettet hast."
Bernsteinfarbene Augen gaben Jackson eine Antwort voller Liebe. Vielleicht hatte sie sein Herz doch erweicht, die Wölfin. Das war in Ordnung. Gemeinsam konnten sie selbst den dunkelsten Winter überstehen.
☾❆☽
~3295 Wörter
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