Fünfte Challenge

Die erste Schreibaufgabe ist da! Mensch, ich bin gespannt, was ihr hiervon haltet... immerhin ist das die erste Challenge, in der der Schreibstil so richtig zu erkennen ist. Also immer her mit konstruktiver Kritik!
Die Challenge besteht darin, alltägliche Szenen aus dem Leben eines Nebencharakters zu zeigen. Ich musste dafür natürlich Kostyas Sicht wählen, den Vìn zwar abgrundtief hasst, der im Grunde aber auf derselben Seite steht wie sie. Also dann, viel Spaß beim Lesen!
Spoiler-Alert: Spoiler im Mittelteil der Challenge (Treffen mit dem General)

Ein Tag konnte kaum schlechter beginnen als mit einem Stapel Berichte, die darauf warteten, gelesen und sortiert zu werden.
Ríann Kostya, jüngster Colonel in der Geschichte von Castrhys und ranghöchster Offizier der Siebzehnten Legion, starrte mit missmutiger Miene auf seinen Schreibtisch. Kämpfe mit dem Schwert, sogar Kämpfe mit Worten, waren ihm lieber als das ewige Kratzen von Federn auf Pergament, wenn er seine Unterschrift unter Inventarlisten setzen musste. Die stumpfe Büroarbeit war nichts für ihn. Mit einem verächtlichen Blick auf den prunkvollen dunklen Tisch wandte er sich dem Kamin auf der anderen Seite des holzvertäfelten Raumes zu, um einige Scheite in die ersterbenden Flammen zu werfen. Er hatte zwar nicht vor, länger als nötig hier drin zu bleiben, doch der Winter nahte, und da heizte man auf den Eisinseln besser im Dauerzustand. Im flackernden Halblicht wirkte der verhasste Schreibtisch beinahe wie ein lebendiges, lauerndes Monster, und die eisernen Klauenfüße schienen sich nach ihm auszustrecken.

Kostya hielt inne und richtete sich auf.
»Jetzt wirst du dramatisch«, spottete er zu sich selbst. Mit sicheren Schritten durchquerte er den Raum und griff die Lederweste, die über der Armlehne seines Polstersessels hing. Die Flure des Haupthauses waren kaum beheizt, und seine dunkelrote Tunika tat nicht viel, um die Kälte abzuhalten.
Dunkelrot war schon immer Kostyas Farbe gewesen. Es zeigte sich nicht nur in seiner Kleidung, sondern auch in seinen Haaren, die die militärische Kürze längst überwunden hatten und ihm in die Stirn fielen. Es war eine königliche Farbe. Auch wenn Kostya hasste, wofür sie stand, hatte er sich über die Jahre viel zu sehr daran gewöhnt, um seine Garderobe jetzt noch zu ändern. Außerdem stand ihm Dunkelrot ganz vorzüglich.

Sein Weg führte ihn zielstrebig in den Ostflügel des Haupthauses, wo eine einzige Wache platziert war. Er schenkte dem Soldaten keinen zweiten Blick. Die Besetzung dieses Postens wechselte ständig, doch keiner von ihnen war bisher in Versuchung gekommen, sein Schwert zu ziehen. Niemand war dumm genug, im Herzen seines Territoriums einen Angriff zu wagen. Ein Lächeln zuckte um Kostyas Mundwinkel und sein Atem wurde automatisch tiefer. Die hohe Tür im hinteren Teil des Korridors war massiv, aber gut geölt, und als Kostya sie ohne zu zögern aufzog, machte sie ihm lautlos Platz.

Er hatte nie Fremde in diesem Raum erlaubt, doch wenn ein unwissentlicher Besucher eingetreten wäre, wäre sein Blick zuerst auf dem riesigen Kamin gelandet, der beinahe die gesamte Stirnseite einnahm. Das Feuer darin knisterte in einer ewigen Melodie, die sie umhüllte und in eine ruhige, gemütliche Atmosphäre zog. Nun, beinahe alle Zimmer hier hatten einen Kamin, doch das war bereits, wo die Ähnlichkeit aufhörte. Die steinernen Wände des Gemeinschaftsraumes waren mit Wandteppichen behängt, die Landschaften und Wappen zeigten – Szenen, die an ein fernes Zuhause erinnerten. Vor dem Kamin hatten sie hufeisenförmig eine Sofalandschaft aufgebaut, und es kümmerte niemanden, dass einige Polster zerschlissen waren und die Möbelstücke nicht zusammenpassten. Das hier war ein Ort, an dem keine Urteile getroffen wurden.

Über Kostyas Lippen wich ein lautloses Seufzen, und wie immer, wenn er den Gemeinschaftsraum betrat, war es ihm, als würde eine Last von seinen Schultern fallen. Hier konnte er sich, frei von jeglichen Masken, völlig unzeremoniell auf einen Sessel fallen lassen. Die wenigen Männer, die sich bereits vor ihm hier eingefunden hatten, ließen sich von ihm nicht unterbrechen. Sie alle waren Teil seiner Siebzehnten Legion, von Hand ausgewählte Krieger, die einander völlig loyal waren. Sie waren seine Familie.

Vier von ihnen hatten sich über ein Stück Pergament gebeugt, das von Zahlen und Pfeilen übersäht war. Sie diskutierten leise über eine Schlachtaufstellung, aber Kostya versuchte nicht einmal, dem Gespräch zu folgen. Es war noch zu früh, sich über kriegerische Akte Gedanken zu machen. Doch der fünfte von ihnen fing seinen Blick mit stechend grauen Augen auf. Sein blondes Haar war gerade so lang, dass es sich zu einem strengen Zopf binden ließ, und sein grauer Mantel saß tadellos. Der Legionär musste seine schmalen Lippen nicht öffnen, um eine deutliche Botschaft zu verkünden.
Kostya stöhnte leise auf. »Schau' nicht so.«
»Wie schaue ich denn?« Der Ausdruck seines besten Taktikers erhellte sich mit einem nur schlecht unterdrückten Lächeln. »Irgendjemand muss dich an deine Pflichten erinnern.«
Und Sián war offensichtlich der Meinung, dass er derjenige war.
»Wenn du wünschst, dass die Berichte bearbeitet werden, musst du es schon selbst machen.«
»So wie in den letzten drei Wochen?«
»Komm schon, Sián... nur noch dieses eine Mal.«
»Das sagst du seit nahezu zehn Jahren.«

Kostya schenkte seinem Legionär ein faules Grinsen und schlug entspannt seine Beine übereinander. Insgeheim ließ Sián sich gern dazu überreden, den Papierkram zu erledigen. Der Legionär ging völlig darin auf, von seinen Freunden gebraucht zu werden. Und Kostya war dankbar für die Hilfe bei der lästigen Aufgabe.
Er war keineswegs ein nachlässiger Mann. Das Militärcamp führte sich nicht von selbst, denn auch wenn er in der Theorie nur das Sprachrohr des Generals darstellte, so wusste doch jeder Soldat, dass er in Wahrheit ihr Anführer war. Er hatte schon stundenlang über Briefen von Bündnispartnern gebrütet oder in aller Eile einen Vertrag aufgesetzt – selbst wenn er sich über derartige Pflichten beschwerte, er war gut darin. Und er musste zugeben, dass er an Schlachten des Geistes Spaß hatte, wenn der Gegner mit den richtigen Fähigkeiten ausgestattet war. Aber ab und zu schienen die Berichte ihn geradewegs zu verspotten, dann erzählten sie Geschichten von seinem Versagen seiner Schuld. Denn auch wenn die Toten nur noch Zahlen auf Pergament waren, so lastete jedes dieser verlorenen Leben doch auf seinen Schultern.

Nachdem Sián sich mit einer gemurmelten Entschuldigung verabschiedet hatte, lehnte Kostya sich zurück und beobachtete aus halb geschlossenen Augen, wie der Raum sich nach und nach füllte. Nicht alle Legionäre kamen regelmäßig hierher, dafür waren sie viel zu zahlreich, aber die ranghöheren Krieger schätzten den Austausch mit ihren Waffenbrüdern. Kostya ließ sich vom Strom ihrer Stimmen einlullen und döste in der warmen Umarmung des Sessels beinahe weg. Hier fühlte er sich sicher, hier war ihm jede Gestalt vertraut und keine Bewegung triggerte seine Verteidigungsreflexe.
Als plötzlich eine Hand hart auf seiner Schulter landete, zuckten nur seine Mundwinkel.
»Eines Tages bringst du mich noch um«, scherzte er und rieb sich spielerisch die Stelle, wo Veigal ihn getroffen hatte.
»Dafür muss ich dich erst im Ring besiegen... wie sieht's aus, heute Abend eine Runde?«
Er legte seinen Kopf in den Nacken und betrachtete amüsiert den Legionär, der seinen Oberkörper halb über die Rückenlehne des Sessels gelegt hatte. Halblange dunkle Strähnen umspielten Veigals kantigen Kiefer, und in seinem Blick funkelte das Selbstbewusstsein eines fähigen Kriegers. Kostya war hochgewachsen und hatte nach jahrelangem Kampftraining fein definierte Muskeln, doch an Veigals schiere Größe kam er nicht heran. Aber was ihm an Körperkraft fehlte, machte er durch rasches Taktieren wieder wett. Es war lange Zeit niemandem mehr gelungen, ihn im Zweikampf zu besiegen.
»Wenn du dich so sehr nach einer Niederlage sehnst, bin ich dabei.«

Veigals breites Grinsen offenbarte das fehlende Stück seines Eckzahns, das ihm bei einer Prügelei ausgeschlagen worden war. Er klopfte Kostya noch einmal auf die Schulter und warf sich dann auf ein Sofa, das gefährlich knarzte. Seine riesenhafte Gestalt nahm die gesamte Sitzfläche ein.

»Oi, Kostya, das hier braucht Aufmerksamkeit einer höheren Gewalt.« Von der Chaiselongue gegenüber von Veigal wedelte ein breitschultriger Krieger in vertrauter Lederrüstung eine Pergamentrolle in seine Richtung. Bardon fuhr sich mit einer Hand durch die kurz geschnittenen rotbraunen Haare und fing seinen Blick auf. Der ältere Legionär hatte dieselbe prahlerische Haltung wie die meisten seiner Waffenbrüder, doch in seinen blauen Augen funkelte kühle Intelligenz. So wie die meisten Stimmen einen Unterton hatten, lag unter Bardons Ausdruck eine versteckte Ebene, die er nur ab und zu hervorblitzen ließ. Ein Zucken in seinem Augenlid und der rasche Seitenblick zeigten Kostya, dass Bardon ernste Neuigkeiten hatte.
»Die beiden Männer, die Offizier Putnam zur Oxonschlucht geschickt hat, sind zurückgekehrt.«

Kostyas Kopf schoss hoch und er setzte sich aufrechter hin. Innerhalb eines Wimpernschlags hatte er das Pergament geglättet und die knappen Sätze überflogen. Keine Spuren der Herbstkolonne auffindbar.
Es war nichts Ungewöhnliches, dass Menschen auf Zaarlos verlorengingen. Im Norden der Insel thronte ein gewaltiges Gebirge, doch der König war überzeugt, sich von derartigen Barrieren nicht in seinem Machthunger einschränken zu lassen. Auf seinen Befehl hin schickten sie immer wieder Männer in die Berge aus, doch bisher war es niemandem gelungen, sie zu überwinden. Das Drängen des Königs wurde von Jahr zu Jahr forscher, und zum Herbstanfang hatten die Offiziere genug gehabt. Sie hatten drei Dutzend Männer ins Gebirge geschickt, in der Hoffnung, endlich Erfolge verzeichnen zu können. Doch jetzt brach bereits der Winter an und es gab kein Lebenszeichen von den Soldaten.
Wenige Tagesmärsche vom Lager entfernt befand sich eine schmale, aber lange Felsspalte, Oxonschlucht genannt, die den letzten bekannten Orientierungspunkt nach Norden darstellte. Die jüngste Mission hatte zur Aufgabe gehabt, bis zur Schlucht vorzudringen und nach Spuren der vermissten Söldner zu suchen, doch der Bericht in Kostyas Händen sprach von deren Scheitern. Ihm war klar, was das bedeutete. Das Verschwinden von mehr als dreißig Männern konnte nicht einfach unter den Teppich gekehrt werden.

»Ich kümmere mich darum«, nickte er Bardon knapp zu. Heute stand ohnehin sein Besuch beim General an. Der Legionär hielt den Blickkontakt noch für einen Moment und seine Züge schienen weicher zu werden, dann riss Kostya sich los. Auch wenn es verlockend war, die Angelegenheit so lang rauszuzögern wie irgend möglich, so würde sie sich doch nicht von selbst regeln. Er atmete einige Male tief durch, um eine ausdruckslose Miene bemüht, und erhob sich dann.

Der Unterschied zwischen der warmen, vertrauten Atmosphäre des Gemeinschaftsraumes und des kalten Flures traf ihn wie ein Schlag. Unbewusst beschleunigten sich seine Schritte und seine Miene wurde düsterer, je dichter er seinem Ziel kam. Sein Weg führte ihn in den zweiten Stock des Haupthauses, in den sich selten eine Menschenseele verirrte. Das war teilweise dem halben Dutzend Wachen zu verdanken, das in voller Rüstung am Fuß der Treppe Stellung bezogen hatte. Sie ließen ihn passieren, ohne ihre steife Haltung aufzugeben, und erst, als er aus ihrem Sichtfeld verschwunden war, erlaubte er es sich, kurz innezuhalten. In dem Korridor war es fast vollkommen still, und hätte er es nicht besser gewusst, hätte er sich für den einzigen Mann hier oben gehalten. Aber er wusste es besser.
General Sírnir grenzte in den Augen der meisten Soldaten an eine Sagengestalt, die verwendet wurde, um Neuankömmlingen Angst einzujagen. Er hatte im letzten Jahr seine Gemächer nicht einmal verlassen. Einige der Söldner hatten gar begonnen, seine Existenz anzuzweifeln. Doch Kostya fehlte das Glück derartiger Naivität. General Sírnir existierte. Und er war ein Arschloch.

Die Tür zu seinen Gemächern war hölzern wie alle anderen in diesem Gebäude und von außen unscheinbar, doch auf der anderen Seite war sie mit Gold ausgekleidet. Kostyas Blick wanderte kurz über die verhassten Ornamente, die ihm aus seiner Kindheit im Palast vertraut waren, dann richtete sich seine volle Aufmerksamkeit auf den Raum, den er soeben betreten hatte. Der Boden war mit dunkelroten Teppichen ausgelegt und an der Wand rechts von ihm stand ein zierliches Tischchen, doch abgesehen davon war das Zimmer wie ausgestorben. Im Kamin gegenüber von ihm hatte schon lang kein Feuer mehr geknistert.

Auch wenn er den General hier nicht erwartet hatte, sackten seine Schultern erleichtert ab. Mit raschen Schritten, deren Laute von den Teppichen gedämpft wurden, steuerte er das Teeservice auf dem Seitentisch an. Eine Wache musste es unter Aufbietung allen Mutes hierhergebracht haben. Mit routinierten Griffen zog Kostya ein Fläschchen aus der Innentasche seiner Lederweste hervor, das mit seinem braunen Glas auch Medizin hätte sein können. Die Flüssigkeit darin bedeckte kaum noch den Boden der Flasche – Bardon würde dringend mehr brauen müssen. Doch für die zwanzig Tropfen, die Kostya in den Tee des Generals mischte, reichte sie aus.

Seine Hände zitterten leicht, als er das Teeservice aufnahm. Die Tasse, deren weißes Porzellan bereits grau anlief, klapperte leise gegen das geschliffene Brett, auf sie platziert worden war. Mit seinen langen Fingern balancierte er die Ladung auf einer Hand aus, um gegen eine der Türen zu klopfen, die links und rechts des Kamins abgingen. Als Antwort bekam er nach einigen Atemzügen nur ein barsches Grunzen.

So leer der Vorraum gewesen war, so wurde diese Kammer von einem gewaltigen Bett eingenommen, das von einem hohen Baldachin aus schweren schwarzen Stoffen überspannt wurde. Die Vorhänge waren zur Seite aufgezogen und offenbarten eine Landschaft aus Decken und Zierkissen, die in einem Militärlager völlig fehl am Platz wirkten. Der Raum war fensterlos, aber zwei Kamine an den Stirnseiten des Raumes spendeten genug Licht, um zu zeigen, dass das Bett verlassen war. Nachdem sein Herz einen Schlag ausgesetzt hatte, heftete sich Kostyas Blick auf den massiven Lehnstuhl, der auf das Feuer zur Linken des Bettes ausgerichtet war. Als er vorsichtig um das prunkvolle Möbelstück herumging, offenbarte der goldene Schein der Flammen eine breitschultrige Gestalt. Im Halblicht waren die Furchen auf dem Gesicht des Generals kaum erkennbar, und das graue Haar, das eigentlich seine Schläfen zierte, wirkte wieder voll und dunkel. Nur die hellen Augen funkelten inmitten der vertrauten harten Züge so bösartig wie immer. Sírnir schien jünger und weniger kränklich, als es Kostya lieb war. Den Blick gesenkt, stellte er seine wertvolle Fracht behutsam auf dem Kaminsims ab.

»Du hast dir Zeit gelassen mit deinem Besuch, Junge.«
Er hielt inne. Die Stimme war ein raues Fauchen, als schabte Stein auf Metall, und Sírnir tat nichts, um die Abfälligkeit seines Tons zu unterdrücken. Er murmelte eine Entschuldigung und streckte dann seinen Rücken durch.
»Ich habe auf einen Bericht gewartet, bevor ich dich störte. Die Herbstkolonne gilt als aufgegeben und die Mission als erfolglos.«
Das leise Lachen, das durch den Raum rumpelte, ließ einen kalten Schauer Kostyas Rücken hinunterrinnen.
»Du schaffst es immer wieder auf bemerkenswerte Art und Weise, dein Vaterland zu enttäuschen.«

Der General in seinem thronartigen Stuhl regte sich kaum. Seine Mundwinkel kräuselten sich auf grausame Art und Weise, doch die kalten Augen blieben von dem perfiden Lächeln unberührt. Seinem Körper sah man auch noch nach Jahren der Bettlägerigkeit das Kriegerdasein an. Kostya musste irgendwann in den letzten zehn Jahren größer gewachsen sein als Sírnir – doch der ältere Mann sorgte auch jetzt noch dafür, dass er sich fühlte wie ein kleines Kind.
»Wie viele Männer sind tot?«
»Drei Dutzend. Dazu fünf, die der Kälte zum Opfer fielen.«
»Vierzig Soldaten.« Nach diesen Worten, die der General ausgespuckt hatte wie Gift, breitete sich eine gefährliche Stille zwischen ihnen aus. Jegliches gespielte Amüsement war aus Sírnirs Miene verschwunden. Die bösen kleinen Augen funkelten Kostya unerbittlich entgegen, und seine blutleeren Lippen zuckten, bevor er den Mund wieder öffnete. »Schicke einen Boten zu mir. Ich schreibe dem König.«

Kostya schluckte hart. Sein Blick wanderte zur Brust seines Gegenübers, wo auf der schwarzen Tunika das goldgestickte Siegel des Königs prangte – ein Schwert auf der linken Seite und ein Stern auf der rechten, über einer Klippe, aus der Flammen emporloderten. Das Symbol des Siegs nach dem Hundertjährigen Krieg, in dem König Ruaidhrí das Land spaltete.
»Wie du wünschst, General.«
»Jetzt lass mich allein, Junge. Lass dich erst wieder hier blicken, wenn du einen Funken Ehre zurückgewonnen hast.«

Kostya nickte steif und hielt den Bogen, den er um Sírnirs Stuhl machte, so groß wie möglich. An der Tür hielt er für einige Wimpernschlage inne, gerade so viel, bis das Klappern der Teetasse verriet, dass der General das Gift getrunken hatte. Dann floh er förmlich aus den Gemächern, endlich wieder frei atmen könnend. Sírnir würde wenigstens die kommende Woche ans Bett gefesselt sein.

Frustriert und wütend auf sich selbst stürmte Kostya die breite Treppe hinunter. Die Worte des Generals sollten ihn nicht so tief treffen. Er hatte schon so oft gedacht, es geschafft zu haben, die Vergangenheit hinter sich zu lassen... Doch ein Blick aus den gefürchteten hellgrünen Augen, ein einziges barsches »Junge«, und Sírnir hatte ihn wieder vollkommen unter Kontrolle. Die Augen blind gegenüber seiner Umgebung, ließ Kostya sich von seinen Füßen hinaus ins Lager tragen. Die kühle Luft traf ihn wie einen Schlag – er unterschätzte immer wieder, wie viel der tödlichen Kälte die Steinwände des Haupthauses abhalten konnten. Er sog die Luft tief ein, und der leichte Schmerz, als die Kälte seine Lungen biss, war ihm willkommen. Heute war der eisigste Tag des bisherigen Jahres, auch wenn der Winter noch nicht gänzlich angebrochen war. Die kalten Temperaturen halfen ihm, seinen Kopf zu klären. Als er die äußerste Hütte des Camps im Rücken hatte und sich allein mit seinen Gedanken wiederfand, verlangsamte sich sein Gang zu einem ruhigen Schlendern. Sein Blick hob sich und wanderte durch seine Umgebung, die ihn mit kühler Gleichgültigkeit empfing. Er war lang nicht auf der Westseite des Lagers gewesen, wo der Nadelwald begann, dessen dunkle Bäume jetzt vom ersten Schnee gezuckert waren. Eigentlich war es schön hier, mit den moosbewachsenen Baumstämmen und scharfkantigen Felsen, die im Unterholz verstreut lagen. Zaarlos hatte seine ganz eigene Schönheit, eine, die rau und wild war. Doch das hier war die Grenze von Kostyas Territorium – hier war nicht mehr er der Herrscher, sondern die Biester, die vor keinem Mann den Kopf beugten.
Eine Bewegung am Rand seines Blickfeldes machte ihm klar, dass eines dieser Biester kaum zehn Schritte von ihm entfernt war.

Sie fügte sich in ihre Umgebung ein wie ein fehlendes Puzzleteil. Ihre Haare hatten dieselbe Farbe wie der Schnee, der an einigen Stellen bereits liegengeblieben war. Ihre Tunika, die ein wenig so aussah, als wäre sie aus einer Decke zusammengenäht worden, hatte ein ähnliches Schlammbraun wie der festgetretene Boden. Und er wusste, dass ihre Augen im Graugrün eines nebelverhangenen Waldes funkelten. Doch im Moment war sie war vollauf darauf fixiert, einem Greifvogel eine Kette an den Fuß zu binden, und ihr Gesicht wurde von ihren wirren Strähnen verborgen. Mit schiefgelegtem Kopf verfolgte Kostya für einige Augenblicke ihre Bewegungen, die zielgerichtet und energisch wirkten. Er stützte seinen Arm beiläufig auf den gerade abgeschnittenen Baumstamm, der ähnlich dem war, auf dem ihr Falke saß. Die größeren Adlerhorste waren weiter in Richtung Waldrand aufgebaut worden. Die Greifer waren eigenwillige Vögel, und keiner der Soldaten mochte es, mit ihren scharfen Klauen um die blutigen Beutetiere zu kämpfen, die sie anschafften. Als sich das Bastard-Mädchen angeboten hatte, die Aufgabe zu übernehmen, hatte keiner der Männer protestiert.

Mit einem unhörbaren Schnauben wandte er sich ab. Seine Zeit war zu wertvoll, als dass er sie einem Bastard schenken könnte. Aber er war kaum zwei Schritte weit gekommen, da knackte unter seinem Stiefel ein Zweig. Der Bastard fuhr herum, den Kopf zwischen die Schultern gezogen und die Hände kampfbereit erhoben. Er zog eine Augenbraue in ihre Richtung hoch und verlagerte sein Gewicht gleichmäßig auf beide Beine.

»Was habt Ihr hier zu suchen?«
Er hätte sie einfach ignorieren sollen. Doch das halbe Dutzend Worte reichte, um seine sowieso schon blank liegenden Nerven zum Zerreißen zu bringen. Er verengte die Augen und trat dichter an sie heran. Ihr Kiefer schob sich kaum merklich nach vorn, aber sie wich nicht vor ihm zurück. Er zwang seine Mundwinkel in ein faules Grinsen.
»Meine Ehre«, antwortete er in gedehntem Sarkasmus, »Ich muss sie verloren haben, hast du sie irgendwo gesehen?«
Das Funkeln in ihren gräulichen Augen ließ ihn den Frust des Tages vergessen. Ihre Reaktionen waren so offen, so impulsiv, dass sein Fokus keine Gelegenheit hatte, in die Vergangenheit zu wandern. Das hier war eine willkommene Pause zu den Problemen, die Stunde um Stunde auf ihn einstürmten.
»Ihr müsst Euch irren. Als Ihr auf Zaarlos angekommen seid, hattet Ihr bereits keine Ehre mehr.«

Er schloss die Distanz zwischen ihnen, da hatte sie den Satz nicht einmal beendet. Sie biss sich kurz auf die Unterlippe, dann reckte sie die Schultern zurück und fand ihren festen Stand wieder. Sie schien zu wissen, wie gefährlich ihre Worte waren, sich aber nicht darum zu scheren. Kostya neigte seinen Kopf einen Fingerbreit in ihre Richtung, äußerlich noch immer träge, doch insgeheim hellwach.
»Vorsicht. Ein ehrloser Mann zögert nicht, kleine Mädchen anzugreifen.«
»Nur gut, dass ich kein kleines Mädchen bin.« Sie bleckte ihre Zähne und hätte ihre Aussage nicht deutlicher beweisen können. Sie war ein Bastard durch und durch, den Wildtieren der Insel näher als den Soldaten. Das war Kostyas Verdienst – er hatte sie dazu verdammt, auf dem Boden unter seinen Stiefeln zu fristen, als er die Gesetze von Zaarlos änderte. Und der Hass in ihrem Ausdruck zeigte ihm ganz deutlich, dass sie ihm diese Tat nie vergessen würde. Ein bitterer Gedanke schoss durch seinen Kopf, und er konnte sich gerade noch davon abhalten, sein Gesicht zu verziehen. Hätte sie gewusst, dass er die Paragraphen verfasst hatte, um sie vor den Soldaten zu schützen, würde jetzt vielleicht Dankbarkeit in diesen blitzenden Augen stehen. Aber wenn es nach seinem Willen ging, würden die Bastarde nie davon erfahren – zu groß die Gefahr, dass es an Sírnirs Ohren gelang. Wer wusste schon, ob der General dann ihn oder Vìns Truppe härter bestrafen würde.

Vìn. Er kannte ihren Namen, auch wenn er ihn nicht verwenden würde. In der Alten Sprache bedeutete das gefangen, und er konnte das Wort nicht mit dem Bastard vor sich in Verbindung bringen. Ihr gesamter angespannter Körper zeigte, dass sie sich niemals würde einsperren lassen.
Sie war anders als er. Auch ohne Bastard-Gesetze.

Für einen Wimpernschlag ballte er seine Linke zur Faust, dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. Der Moment des Atemholens inmitten der Hürden, die das Colonelsein mit sich brachte, war so schnell wieder verschwunden, wie er gekommen war. Er musste hier weg, bevor die Situation eskalierte. Ohne noch einmal zurückzuschauen, ließ er den Bastard stehen und strebte den Hauptplatz des Lagers an. Jetzt würde ihm nur noch eines helfen, um seiner angestauter Emotionen Herr zu werden. Er hatte vor, sich mit seinen Legionären zu prügeln, bis der Schmerz in seinen Muskeln die rasenden Gedanken übertönte. Veigal würde ihm sicher freudenstrahlend dabei helfen.

(~3600 Worte)

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