Frühlingschallenge: Des Frühlings Geister

Um wieder ins Schreiben zurückzukommen, nehme ich an der diesjährigen Kathiistischen Frühlingschallege teil, die, selbstverständlich, die KuhleKathiisten ins Leben gerufen haben. Mein Prompt lautet "März, April oder Mai als Person". Gebt gern euren Senf dazu, was ihr davon haltet!
(Der Oneshot kommt auf ca. 2700 Worte.)
Eine letzte Info für all die glücklichen Menschen, die in der Schule kein Latein hatten: Animi veris exorcizo bedeutet "Ich beschwöre des Frühlings Geister". Zumindest, wenn man meinem besten Freund, dem Navigium-Latein-Wörterbuch glauben kann (was ich tue. Es hat mir acht Jahre lang die Lateinnote gerettet).
Viel Spaß beim Lesen!

❃❃❃

Alea iacta est.
Die Würfel waren gefallen. Das Schicksal hatte entschieden. Und seine Entscheidung war nicht zu Tobias' Gunsten ausgefallen. Er war zu einem Leben im Schatten verdammt. Einem Dasein in der Dunkelheit. Einem Ende im Verderben.

Gut, vielleicht war er ein kleines bisschen selbst daran schuld. Schließlich hatte er damals selbst wählen können, vor fünf Jahren. Doch wie hatte er als zehnjähriger Junge – unschuldig, arglos – ahnen sollen, welche Tragweite seine Entscheidung haben würde?
Latein, Russisch oder Französisch. Das waren die Optionen auf dem Brief gewesen, den er von der Schule bekommen hatte. Und, verdammt noch mal, er hatte den Haken bei Latein gesetzt. Jetzt brütete er seit zwanzig Minuten über den Hausaufgaben. Niemals würde er die schaffen. Tobias biss auf seinen Kuli. Eigentlich half ihm das beim Nachdenken. Jetzt war es eher ein Ventil für seinen Frust. Er wandte sich dem nächsten Sprichwort zu.

Veni, vidi, vici.
„Wohl eher veni, vidi, violini", murmelte Tobias. „Ich kam, sah und vergeigte."
Übersetzungen von Latein zu Deutsch waren ja noch erträglich. Gerade so. Aber Deutsch-Latein? Wer tat so etwas? Tobias hatte im Lehrplan nachgeschlagen. Nicht einmal dort war dieses Teufelszeug verzeichnet. Er hatte immer schon gewusst, dass in seiner Lehrerin eine Dämonin steckte. Jede Lateinstunde beschwerte sie sich, wie wenig Zeit sie doch hatte. Das lag garantiert daran, dass sie jede freie Minute verwendete, um sich Foltermethoden für ihre Schüler auszudenken.

Seufzend streckte Tobias die Füße von sich. Er hob sein Handy an, um die Nachrichten im Latein-Chat zu kontrollieren. Bisher hatte niemand die Übersetzungen geschickt. Morgen waren sie fällig. Frustriert ließ Tobias das Smartphone wieder fallen. Mit einem Klonk kam es auf den Ziegeln auf und rutschte nach unten. Fluchend angelte er nach dem Handy. Beinahe wäre es vom Dach hinuntergefallen. Sicherheitshalber warf Tobias es durch das Fenster auf sein Bett. Zum Lernen hatte er sich, das erste Mal dieses Jahr, auf das Vordach verzogen. Ein sanfter Wind strich ihm eine hellbraune Strähne aus der Stirn und blätterte die Seiten in seinem Heft um. Im Pflaumenbaum gegenüber zwitscherten die Vögel. Die Äste waren noch kahl und gaben den Blick auf zwei sich zankende Kohlmeisen frei. An der frischen Luft konnte Tobias sich besser konzentrieren. Am Morgen des ersten März war er zu warmen Temperaturen und kräftigem Sonnenschein aufgewacht, pünktlich zu Frühjahrsbeginn – zumindest, wenn man der Zeitrechnung der Meteorologen folgte. Und das tat Tobias. Er konnte sich nie merken, ob der kalendarische Frühlingsbeginn am 20. oder 21. März war. Unnötige Komplikationen brauchte er nicht in seinem Leben. Die Lateinhausaufgaben waren schon schlimm genug.

Ich schwöre auf den Verstand der Wahrheit. Das war der Satz, den er übersetzen musste. Tobias zog den Kuli zwischen seinen Lippen hervor. Seine Zähne hatten Spuren auf dem Plastik hinterlassen. Vor der Lateinklausur letzte Woche hatte er zwei Stifte kaputtgebissen. Den Geschmack von Tinte konnte er wirklich nicht empfehlen.

Ich schwöre... was zur Hölle hieß schwören? Tobias bereute, sein Handy in sein Zimmer verfrachtet zu haben. Dass Google Übersetzer bei Latein nichts half, hatte er schon schmerzhaft erfahren müssen. Doch wenigstens ein paar Vokabeln würden seine Klassenkameraden ihm vielleicht übersetzen können. Dumm nur, dass er aufstehen müsste, um mit ihnen zu chatten. Das war es ihm nicht wert.
War schwören nicht erst im letzten Lektionstext vorgekommen? Da war es um Priester gegangen, die verbotene Götter anbeteten. Exorcizare, das hatte doch bestimmt schwören als Nebenbedeutung. Und selbst wenn nicht, Hauptsache, Tobias hatte irgendetwas dastehen.

Verstand der Wahrheit, das klang schon auf Deutsch blödsinnig. Tobias zog die Augenbrauen zusammen. Die Meisen im Pflaumenbaum kreischten und schienen ihn auszulachen. Eilig schmierte Tobias einige Worte auf sein Blatt. Animi veris. Das musste es sein. Für mehr reichten Tobias' Hirnzellen nicht mehr.
„Animi veris exorcizo", las Tobias laut vor. Und dann mit Betonung, so wie seine Lehrerin das verlangte. „Aaanimii veeeris exorcizoo. Klingt gar nicht so schlecht. Animi veris exorcizo."

Der Wind frischte auf. Pollen tanzten in der Brise und trieben um Tobias' Schultern herum. Nur gut, dass er nicht allergisch war. Der Luftstoß fuhr durch sein Heft und brachte die Blätter durcheinander. Hastig raffte Tobias seine Hausaufgaben zusammen und warf sie seinem Handy hinterher. Bei der Drehung kam er aus dem Gleichgewicht. Mit einem Mal glich der Wind eher einem Sturm. Tobias strauchelte und griff nach den Ziegeln. Auf dem glatten Material fand er keinen Halt. Mit einem Schrei fiel Tobias vom Vordach.

❃❃❃

Tobias hörte Stimmen. Das kam vor, wenn ihm langweilig war oder die Müdigkeit ihn einholte. Normalerweise klangen die Stimmen in seinem Kopf allerdings weniger... uralt.

„Wo ist der Beschwörer?"
„Zwei Komma drei Meter vor deinen Füßen, Bruder."
„Bitte? Der Junge doch nicht. Du scherzt, Schwester."
„Sehe ich aus, als würde ich scherzen?"
„Du siehst aus, als wärst du mit dem Gesicht voran in Matsch gefallen", meldete sich eine dritte Stimme zu Wort. „Aber das ist nichts Neues."
„Vielen Dank auch."
„Locker bleiben, ihr beide. Was machen wir jetzt mit ihm?"
„Fressen."
„Nein!", kam es zweistimmig.
„Wir nehmen ihn mit in Das Blühende."
„Schwester, das ist die dümmste Idee, die ich während dieses Sonnenkreises gehört habe."
„Das kann nicht sein, wir hatten im letzten Mond ein Familientreffen."
„Auch wieder wahr."
„Also? Der Junge?"
„Meinetwegen, nehmen wir ihn mit. Aber du bist für ihn zuständig."
„Genau. Und wenn er sich nicht benimmt, fresse ich ihn."

Tobias spürte keine Berührung, und doch hob sich sein Körper an. Er kämpfte mit seinem eigenen Körper und versuchte, die Augen zu öffnen. Er verlor. Erneut versank er in Dunkelheit.

❃❃❃

Als Tobias aufwachte, war sein erster Gedanke, das war ein Traum. Er war nicht von Stimmen entführt worden, die ihn fressen wollten. Nope. Garantiert nicht. Das war ein Traum. Sein zweiter Gedanke war – das ist nicht mein Bett.
Die Matratze war zu weich. Da befanden sich zu viele Kissen unter seinen Schultern. Der Stoff unter seinen Fingern fühlte sich zu seidig an. Tobias riss die Augen auf. Die Decke hoch, hoch über ihm gehörte ganz sicher nicht zu seinem Zimmer. Sie hatte nicht das schmutzige Weiß mit den Kleberesten von Leuchtsternen, sondern schien gänzlich aus Stein gemacht zu sein. Einem halb durchlässigen, türkisblauen Stein. Der Aquamarin war nicht glatt, sondern aufgeblasen wie die Haut eines Buckelwals. Die Decke wölbte sich schier endlos aus. Tobias' Elternhaus hätte darunter dreimal Platz gefunden. Er schlug die Decke zurück und setzte sich auf. Das Bett war aus hellem Holz geschnitzt. An allen vier Ecken ragten schlanke Pfosten in die Höhe. Gesichter von Eulen, Schlangen und Wölfen waren hineingeschnitzt. Tobias griff nach einem Pfosten und zog sich in einen aufrechten Stand. Zu seinem Erstaunen gehorchte sein Körper, ohne zu murren. Nach dem Sturz vom Vordach hätte ihm jeder Knochen wehtun müssen. Dann musste er sich noch in diesem merkwürdigen Traum befinden.

Im nächsten Atemzug vergaß Tobias den fehlenden Schmerz. Sein Blick fiel auf den Saal, in dem er sich befand. Der Aquamarin der Decke setzte sich in den Wänden fort. Die Blautöne waren hier dunkler und dichter gepackt. Ein bisschen fühlte Tobias sich, als sei er unter Wasser. Aus den Wänden wölbten sich Säulen hervor, die ihre Arme bis weit in den Raum hinein ausstreckten und die Decke trugen. Bis auf das Bett gab es nur ein einziges Möbelstück in dem Saal. In der Mitte, auf einem Blütenmosaik, stand ein Thron. Und darauf saß eine riesenhafte Gestalt.
Wie gebannt stolperte Tobias auf den Thron zu. Die Lehne warf einen Schatten, der Tobias wie ein See aus Dunkelheit vorkam. Nicht einmal die leuchtenden Augen des Riesen konnten ihn durchdringen. Oder eher, der Riesin. Als sie den Kopf neigte, erkannte Tobias weibliche Züge. Ihr schulterlanges Haar schimmerte rötlich. Auch in ihrer dunklen Haut blitzten an einigen Stellen rote Schlieren hervor. Gegen ihre türkisfarbenen Augen wirkte sogar das Deckengewölbe farblos. Tobias schluckte.
„Warum haben Sie ein Bett in Ihrem Thronsaal?"

Eine rote Braue wanderte in die Höhe. „Das ist die erste Frage, die dir aufkommt?"
Nein. Sie war nur einfacher als die anderen Fragen. Wo bin ich? Wie bin ich hierhergekommen? Wird mich jemand fressen? Tobias war sich nicht sicher, ob er die Antworten wissen wollte.
Immerhin erkannte er die Stimme der Riesin. Sie war die, die vorgeschlagen hatte, ihn in Das Blühende zu bringen. Was auch immer das war.
Die Riesin verdrehte die Augen. Das winzige Spiel der Mimik sah aus wie das Blitzen von Sonnenlicht auf dem Ozean. „Das Blühende ist die Dimension, in der wir uns befinden. Mein Heiligtum. Und das meiner Geschwister."
Sie hätte genauso gut Latein sprechen können. Tobias verstand kein Wort. Bevor er nachfragen konnte, öffnete sich eine Tür. Wie von Zauberhand tat sich die Öffnung in der Wand auf. Herein kam ein Wolf. Zumindest nahm Tobias an, dass es sich um einen Wolf handelte. Das Tier trug Pumps und einen schwarzen Hosenanzug. Unwillkürlich machte Tobias einen Schritt zur Seite. Genau so etwas würde auch seine Lateinlehrerin tragen. Warum konnte die ihn nicht einmal in seinen Träumen in Ruhe lassen?

Der Wolf öffnete sein Maul. „Herrin, ich habe gefunden, wonach Ihr mich ausschicktet."
Die Riesin lächelte. Ihre Zähne waren rot. Die hellen Schlieren in ihrer Haut schienen sich vor dem schwarzgrauen Hintergrund zu kräuseln, als sie sich nach vorn lehnte. „Bring ihn herein."
Die sprechende Lateinlehrer-Wölfin brachte einen Mann vor den Thron und verschwand dann wieder. Der Mann stolperte auf den Thron zu. Tobias hätte heulen können. Das war das erste normale Gesicht, das er bisher in diesem Traum zu sehen bekommen hatte. Und er sah genauso verwirrt aus wie Tobias.

„Wer sind Sie?", fragte er der Mann die Riesin. Genau das würde Tobias auch gern wissen. Sie schenkte Tobias ein halbes Lächeln, das ihn schaudern ließ.
„Das wirst du bald erkennen." Ohne eine Regung abzuwarten, wandte sie sich dem fremden Mann zu. „Wer du bist, weiß ich ganz genau. Du bist der Narr, der auf meinem Lieblingsberg in den Alpen die Verwendung von Schneekanonen beworben hat."
Tobias runzelte die Stirn. Dem Mann entkam ein „Hä?"
Mitleidig schüttelte die Riesin die Stirn. „Lass' mich dich erleuchten."
Ihre Augen blitzten auf. Mit jeder Sekunde wurden sie heller, gefährlicher. Sie überschatteten jede andere Farbe. Das Rot in den Haaren der Riesin, das Dunkelgrau ihrer Haut, alles schien vor dem Leuchten zurückzuschrecken. In den Augen des fremden Mannes erblühte ein Spiegelbild des Lichtes. Er schrie.

Nur wenige Meter vor Tobias' Nase löste sich der Mann auf. Von ihm blieb nichts als Asche übrig. Nach und nach kehrte die Farbe in die Riesin zurück. Die Asche färbte sich türkisblau. Als die Riesin in die Luft hauchte, taumelte Tobias von einem Windstoß zurück. Die Brise ergriff die Asche und trug sie hoch, hoch – bis zu der Decke. Der Mann, der gerade noch neben Tobias gestanden hatte, wurde zu einem weiteren Buckel in der Decke des Thronsaals. Tobias wimmerte.

„Weißt du jetzt, was ich bin?", lächelte die Riesin.
Manchmal sagte Tobias Dinge, über die er erst hinterher nachdachte. Jetzt war einer dieser Momente. „Der Bösewicht im nächsten Marvel-Film?"
Mit einem Mal wirkte ihr Lächeln gefährlicher. „Ich bin das Licht nach der Dunkelheit. Ich bin die Erfrischung nach der Öde, die Wärme nach der Kälte, die Blüte nach dem Tod. Ich bin der Frühlingsanfang nach dem Winter. Ich bin März."
Ein Monat? Aus welcher Ecke seines Hirns war denn diese Idee gekommen?

Sag' es nicht, sag' es nicht, sag' es nicht. Tobias hätte sich selbst schlagen können. Scheiß drauf. Das hier war immer noch nur ein Traum. „Hätte ich nicht wenigstens einen netten Monat bekommen können? Juni oder so?"
März schnaubte. „Wir sprechen nicht mit den Geistern des Sommers. Und bevor du fragst, mit Herbst und Winter ebenso wenig."
„Aber Juni ist so sonnig und freundlich und warm..."
„Vergiss es."
„Mai?", wagte Tobias einen zweiten Versuch. Wie auf ein geheimes Kommando flog eine Flügeltür auf. Hinter dem Thron diesmal, und fünfmal so hoch wie die Tür, durch die die Wölfin gekommen war. Im Rahmen, die Arme ausgebreitet, stand ein zweiter Riese. Er sah heller aus als März, freundlicher. Seine Haut schimmerte in Schattierungen von Gelb und Grün. Seine Augen blitzten wie Smaragde. Und seine rubinroten Haare waren in einen Man-Bun gefasst.
„Ihr habt mich gerufen."
März verdrehte die Augen. „Du hast gelauscht."

Der zweite Riese konnte nur Mai sein. Sein Lächeln erhellte den gesamten Raum. Das Blau des Aquamarins wirkte nun mehr wie der Frühlingshimmel als wie ein endloser Ozean.
„Lasse dich nicht täuschen", warnte März, „Mein Bruder ist tödlicher als ich. Bei mir weißt du, woran du bist. Mais Launen erwischen dich eiskalt."
Mai lachte lauthals los. Wie Donnerschläge hallte das Lachen durch den Raum. Tobias duckte sich. Die erwarteten herabregnenden Felsbrocken blieben aus. Er schielte nach oben zur Decke. Nicht ein Riss war zu erkennen.

„Immer musst du die Aufmerksamkeit an dich reißen", murrte März. „Ich weiß schon, warum ich April lieber mag als dich."
Mai verschränkte die Arme. Die Muskeln unter der grüngelben Haut spannten sich an. „April ist schlimmer als ich. Was meinst du, wer auf deinem Balkon sitzt und mit gespitzten Ohren zuhört?"
März wirbelte herum. Die rostroten Haare flogen ihr um das Kinn. „APRIL?"
„April, April", echote eine Stimme. Diesmal öffnete sich keine Tür. April schien durch die Decke hindurch in den Saal zu kommen. Ein Bein angewinkelt, das andere gestreckt, schwebte April nach unten. Braune Augen funkelten Tobias entgegen. Aprils Haare waren dunkelblau und in einem modernen Undercut frisiert. Das waren die einzigen Farben am Körper des Monatsgeistes. Der Rest von April war wie aus Glas gemacht. An den Stellen, an denen Körperteile zusammenliefen, pulsierte ein blendendes Licht.

„Musstest du mich verraten, Bruder?", schmollte April.
„Ich musste meine Ehre als März' Lieblingsbruder verteidigen!"
„Du bist März' einziger Bruder." Das letzte Wort hallte noch in der Luft nach, da wirbelte April bereits zu Tobias herum. „Darf ich jetzt mit ihm spielen?"
Warum stieg in Tobias die Ahnung herauf, dass spielen in diesem Fall fressen bedeutete? Eilig trat er einige Schritte zurück. „Ich glaube, zum Spielen brauchst du-... äh, brauchen Sie jemanden in Ihrer Größe."
Aprils Körper füllte dich mit dunkelgrauem Rauch. „Wie kannst du es wagen-"
„Entspaaannung." Mitten im Wort gähnte Mai. Er zwinkerte Tobias zu. Die Wolken verzogen sich aus April. „Aprilschatz, manchmal glaube ich tatsächlich, dass wir Geister von unserem Kaliber als Partner benötigen. Der Junge hat recht. Juni ist nicht schlecht."
„Juni ist eine aufmerksamkeitsgeile Aufschneiderin!", fauchte April. „Und nenne mich niemals wieder Aprilschatz! Höchstens Aprilscherz, wenn ich bitten darf."

Die Geister des Frühlings brachen in geschwisterliches Gezeter auf. Unauffällig schlich Tobias in Richtung Bett zurück. Bevor er kalte Füße bekommen konnte, sprang er auf die Matratze und zog sich die Bettdecke über den Kopf. Sehe ich dich nicht, siehst du mich nicht hatte schon immer funktioniert.
Waren März, April und Mai das Interessanteste, was Tobias seit Monaten passiert war? Klar. Wollte er trotzdem, dass dieser irre Traum endete? Absolut.
In der Dunkelheit unter dem Seidenbezug drangen Stimmen an sein Ohr.
„Wir haben lang genug in Langeweile gelebt. Lasst uns beim nächsten Familientreffen einfach Juni einladen."
„Ich muss dir zustimmen, Bruder. Mit November habe ich mich auch immer gut verstanden."
„November? Also bitte, das geht jetzt wirklich zu weit."
„Ihr habt beide nicht mehr alle Blüten auf dem Stängel. Wenn wir jemanden einladen müssen, dann höchstens Februar."
„Februar?", echote es zweistimming.
„Immerhin hat er August einen Tag abgegeben, als er sich geweigert hat, Dreißiger zu bleiben. Damit hat er einen Krieg verhindert."
„Das waren noch Zeiten... Streitereien zu zwölft..."
„Eigentlich war es immer recht unterhaltsam."
„Wisst ihr was? Wir laden sie einfach alle ein."

❃❃❃

Tobias blinzelte in die Sonne. Die Ziegel des Vordaches stachen unangenehm in seinen Rücken. Grummelnd zog er seinen Hoodie zurecht. Noch war es nicht warm genug, um nur im T-Shirt draußen zu sitzen. Doch das würde sich bald ändern - mit jedem Tag gewann die Sonne mehr Kraft. Die Ankunft des Frühlings war in der Natur bereits spürbar. Von seinem Platz aus konnte Tobias den gesamten Garten erkennen. Dort unten, auf dem Hügel, den sein Großvater so sorgfältig bepflanzte, reckten die ersten Tulpen ihre Blätter in den Frühlingswind. Es sah schön aus. Friedlich.
Mit einem tiefen Seufzen wandte Tobias sich seinen Lateinhausaufgaben zu. Unendlich lang aufschieben konnte er sie ja doch nicht... Er stockte. Alle Übersetzungen waren fein säuberlich auf seinem Papier notiert. Hatte er das gemacht? Mensch, er war schlauer, als er gedacht hatte. Tobias grinste. Doch dann bemerkte er eine Zeichnung in der Ecke des Blattes. Im Delirium kurz vor dem Einschlafen musste er einen Wolf skizziert haben. Und - wie albern. Der Wolf trug die Pumps und den Hosenanzug von Tobias' Lateinlehrerin.

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