Kapitel 15

Ich konnte seinen Blick nicht deuten, als ich sich mir im Schatten der Bäume nährte.

Kurz bevor er diesen Schatten verließ, zögerte er. Doch machte dann einen großen Schritt und stand nun im Licht des Vollmondes.

Erschrocken keuchte ich auf und wich zurück. Sein Fell fiel auf einmal einfach von ihm ab. Zudem veränderten sich seine Proportionen mit einem Mal, dass er auf einmal nur noch auf zwei Beinen stand. Entsetzt starrte ich ihn an, als sich aus dem Tigergesicht ein 'menschliches' bildete. Seine Ohren wurden länger und länger und auch die Haare auf seinem Kopf, bis sie eine mittellange Länge erreicht hatten. Das einzige was sich nicht wirklich veränderte waren seine Augen.

Wie eingefroren starrte ich das Wesen vor mir an, das ich jetzt als Kobold erkannte.

Ich hatte mit diesem Volk noch nicht zu viel zu tun gehabt, war aber bisher ganz froh darüber, da sie misslaunig anderen Völkern gegenüber waren und lieber unter sich blieben. Aber was war mit dem Tiger? War dieser Kobold schon die ganze Zeit mein tierischer Begleiter gewesen?

Der Kobold stand einige Meter von mir entfernt und beobachtete mich nur mit undefinierbaren Blick.

"Was bist du?", flüsterte ich angsterfüllt.

Kurz blieb er still, bevor er den Blick abwandte und auf das Wasser starrte.

"Ich bin ein Kobold, der von der Fernkönigin als Tiger verflucht wurde.", antwortete er mir nach einer kurzen Weile.

"Sie hatte gehofft so meinen Willen zu brechen und zu einem wilden Tier zu machen, welches ihre Widersacher endgültig aus dem Weg räumt. Doch weder das hat sie geschafft, noch mich auf ewig in die Tiergestalt zu bannen.", erklärte er und schüttelte selbst ungläubig den Kopf.

"Das Vollmondlicht gibt mir wieder meine wahre Gestalt..."

Er betrachtete seine Hand und streckte sie dem Mond entgegen.

Ich hatte Gänsehaut. Ich wusste nicht was ich denken, oder gar fühlen sollte.
Er nahm seine Hand wieder herunter.

"Aber ich bin jetzt gar nicht wichtig...", murmelte er und sah wieder zu mir.

Vorsichtig kam er auf mich zu und kniete sich neben mir nieder. Ich war nicht einmal in der Lage vor ihm zurück zu weichen. Er hatte immer noch diesen undefinierbaren Gesichtsausdruck.

"Wer... Wer hat dir das angetan?", seine wundervolle Stimme zitterte, als er vorsichtig mich an der Schulter berührte, als wäre ich zerbrechliches Porzellan und meinen Rücken zu sich drehte.

Ich spürte, wie er mit zittrigen Fingern über meine wulstigen Narben am Rücken strich.

Als er mir diese Frage stellte, zerbrach etwas in mir. Es wurde mir zu viel und ich begann zu weinen.

"Ssh... Ssh...", als er bemerkte wie ich mich verkrampfte und schluchzte, drehte er mich sofort um zu sich und nahm mich fest in die Arme.

Ich wusste nicht wie mir geschah. Wann hatte mich jemand das letzte Mal wirklich umarmt? Ich konnte nicht anders als den Tränen freien Lauf zu lassen.

Beruhigend strich er mir über den Rücken. Vorsichtig, um die vernarbten Striemen nicht zu sehr zu reizen.

"Alles gut. Lass alles raus...", murmelte er leise.

Ich hatte keine Ahnung, was dieser fremde Kobold mit mir tat, dass ich mich in seinen Armen so geborgen fühlte. Er war so schön warm, seine Umarmung so fest.

Auch wenn ich ihn überhaupt nicht kannte, gab er mir die Sicherheit mich fallen lassen zu können und den ganzen Frust, der sich die letzten Jahre aufgebaut hatte einfach loszulassen. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten hatte ich das Gefühl nicht alleine gelassen zu sein.

Nach einer gefühlten Ewigkeit versiegten allmählich meine Tränen. Die ganze Zeit hatte der Kobold mich in seinen starken Armen gehalten und nicht losgelassen.

"Geht es wieder?", fragte er mich sanft, als er merkte wie ich ruhiger wurde.

Zaghaft nickte ich. Langsam löste er die Umarmung, aber nur um etwas hinter sich zu greifen und mein Hemd mir zu reichen.

"Zieh dich lieber wieder an. Du bist noch nicht wieder ganz fit."

"Danke.", schniefte ich und machte mich daran mich wieder anzuziehen.

Als ich mich wieder ihm zuwandte, schüttelte er stumm den Kopf. Fragend sah ich ihn an.

"Ich hab das letzte Nacht echt nicht gesehen...", murmelte er eher zu sich selber.

Ich sah nach unten, nicht wissend was ich sagen sollte. Wir schwiegen erstmal beide ein paar Minuten.

"Dann... Dann warst du wirklich die ganze Zeit der Tiger?", fragte ich leise.

Der Kobold seufzte. "Ja war ich..." Er zögerte kurz.

"Aber ich muss zugeben, dass ich auch erst seit gestern weiß, dass ich noch in meiner wahren Gestalt umher laufen kann." Er sah zum Vollmond hoch.

"Davor war ich jahrelang nur in der Tigergestalt unterwegs."

Ich sah ihn mit großen Augen an.

"Jahre?", fragte ich geschockt.
Er seufzte wieder und nickte.

"Glaub ich es sind jetzt vier oder fünf Jahre, die ich da unter der Erde war.", sagte er und legte etwas Holz ins Feuer nach.
Meine Augen wurden noch größer.

"Wie bist du überhaupt da runter gekommen?" Es wollte nicht in meinen Kopf rein, dass er da unten so lange als Tiger verflucht gelebt haben musste.

Ein leises Lachen ertönte von ihm. Ich wurde leicht rot als ich dieses schöne warme Lachen von ihm hörte.

"Du bist der Erste, der von meiner Dummheit hört.", sagte er und seufzte leicht.

"Du hast ja bestimmt schon gehört, dass Kobolde tendenziell ein Hang dazu haben, andere Wesen von ihren Habseligkeiten zu erleichtern."

Ich nickte. Vor allem die Elfendörfer im Grenzgebiet liefen in die Gefahr Opfer von solchen Diebeszügen zu werden. Zwar kamen sie meist nachts und sobald sie entdeckt wurden türmten sie ohne jegliche Gewalt auszuüben, allerdings wer wollte schon um seinen Besitz erleichtert werden?

"Naja... Ich, jung und dumm wie ich war, hatte zu sehr Gefallen an dem Gedanken gefunden, der erste Kobold zu sein, der in das Feenreich einsteigt und etwas mitbringt. Und naja... Ich war zu gierig und hätte mit vielleicht nicht unbedingt die Krone der Königin aussuchen sollen.", zuckte er mit den Schultern, als wäre es das normalste der Welt.

Entgeistert starrte ich ihn an. "Echt jetzt?"

Der Kobold seufzte. "Ich sagte ja, jung und dumm. Natürlich wurde ich gefasst und der Königin vorgeführt. Und nachdem sie feststellen musste, das ich mich nicht dazu eignete, als ihr persönlicher Sklave neben ihr im Thronsaal zu existieren, hat sie mich wutentbrannt in die Bestie, die ich auch sei, verwandelt und in dieses Loch geschmissen. Den Rest kennst du ja quasi schon."

Ich konnte ihn nur mit großen Augen anschauen, doch er zuckte nur gleichgültig mit den Schultern.

"Das muss bestimmt schrecklich für dich gewesen sein...", murmelte ich betreten. Überrascht sah mich der Kobold an.

"Ich hab halt das ausgesessen, was ich selber verbockt habe. Ich bin an meiner Situation halt komplett selber schuld.", antwortete er. Dann begann er ungläubig den Kopf zu schütteln.

"Mal ehrlich, Jimin, du bist einfach zu gut für diese Welt. Ich weiß noch nicht zu hundert Prozent was für Scheiße dir alles passiert ist. Nur, dass es einiges gewesen sein muss und dass mein Dasein als Tiger nicht einmal ansatzweise damit vergleichbar ist.
Und trotzdem sorgst du dich so sehr um andere, auch um diejenigen, die es definitiv nicht verdient haben, wenn man das Verhalten von denen dir gegenüber anschaut."

Mit großen Augen sah ich ihn an. Er schüttelte wieder den Kopf.

"Du bist mit Abstand die beeindruckendste Persönlichkeit, die ich Kennenlernen durfte.", fuhr er fort.

"Und ich weiß, wie gesagt, nicht, was dir alles schon widerfahren ist, oder immer noch widerfährt. Das einzige was ich weiß, wenn wir diese dämliche Königin platt gemacht haben, werde ich dafür sorgen, dass du wegen niemanden mehr leiden musst! Ich will dich wirklich glücklich sehen. Denn auch wenn ich dich erst seit kurzem kenne, weiß ich, dass du das mehr als verdient hast!"

Ich spürte wie mir das Blut in die Wangen schoss. Ich war sprachlos. Sowas hatte noch niemand zu mir gesagt und ich hatte keine Ahnung, wie ich damit umgehen sollte.

"Aber jetzt schauen wir wieder, dass du erstmal fit wirst.", ergriff der Kobold wieder das Wort und schnappte sich aus dem Schatten schnell das Zeug, was er noch als Tiger hat fallen lassen.

Es war ein Büschel Kräuter und ein Stück hohler Ast. Er schöpfte mit letzterem Wasser aus dem See, schmiss die Kräuter hinein und stellte es neben das Feuer.

"Das wird gleich helfen.", zwinkerte er mir zu.

"Auch wenn ich kein Problem hätte, dich morgen wieder die ganze Zeit zu tragen. Ach ja und damit du auch weißt, mit wem du es eigentlich zu tun hast..."

Es schien mir etwas absurd, nachdem wir so viel schon miteinander zu tun hatten, dass er mir die Hand reichte.

"Ich heiße Min Yoongi."

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