38. Tag und Nacht
" We are all in the same games, just different levels.
Dealing with the same hell, just different devils."
------
Unbekannte POV
Ein Schrei.
Ein Schrei hallte durch die nächtliche Stille. Obwohl ich in der Masse des Ballsaales war, übertönte dieser Schrei die laute Musik. Schnell machte ich mir einen Überblick über den Saal, der voller Vampire war, die Spaß hatten. Jedoch konnte ich nicht die Quelle dieses Geräusches finden. Ich bemerkte auch, dass niemand sonst auf diesen Schrei reagierte. Vielleicht hörten sie ihn nicht.
Meine Augen verengten sich zu Schlitzen, als ich mich stärker konzentrierte. Ich realisierte, dass diese Geräusche von Draußen kamen.
Von der Terrasse.
Ich schloss meine Augen und teleportierte mich auf die höchste Stelle des Schlosses, um herauszufinden, was hier vor sich ging.
Als ich meine Augen wieder öffnete, ließ mich die dargebotene Szene erschaudern, während ich verwirrt nach unten blickte. Ein Mann stand am Rand der Terrasse, welcher nach unten sah. Er trug einen schwarzen Anzug und stand wie versteinert da. Doch bevor ich sehen konnte, wer es war, lenkte der schreckliche Schrei meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. Dieses Mal kam er von weiter unten.
Warte, ich kannte diese Stimme.
Alexis.
Ohne eine weitere Sekunde zu verschwenden, rannte ich schneller als der Wind zum Rand des Gebäudes. Meine Füße hörten nicht auf zu laufen, als sie das Ende der Terrasse erreichten und mein Körper zu Boden fiel. Meine Flügel entfalteten sich als hätten sie ihren eigenen Willen.
Es passierte so viel, in so kurzer Zeit. Mein Verstand konnte kaum begreifen, was gerade passierte. Doch ein Gedanke stellte alles andere in den Hintergrund. Er war unmissverständlich.
Ich musste sie retten.
Mein Blick legte sich auf ihr entspanntes Gesicht, welches mir Sorgen bereitet. Ihr Haar flog um sie herum und sie kam dem Boden immer näher und näher. Doch unglücklicherweise flog er nicht, sondern fiel, leblos. Ich war meinen Flügeln dankbar, denn sie gaben mir den letzten leichten Stoß, um vor ihr auf dem Boden aufzukommen.
Schmerz durchfuhr mich, als ich auf einem Fuß und einem Knie auf dem Boden aufkam. Jedoch verflüchtigte sich dieser wieder, als Alexis in meine ausgestreckten Arme fiel.
„ Alexis!", fand ich meine Stimme schließlich wieder.
„ Alexis, wach auf! Öffne deine Augen! Schau mich an! Ich befehle dir, aufzuwachen. Verdammt noch mal!"
Ich rüttelte an ihr, schrie sie an. Ich versuchte alles, aber sie reagierte auf nichts, bewegte sich nicht. Sie öffnete ihre Augen nicht. Und zum ersten Mal war etwas in meinem leeren Herz. Ich fühlte etwas, von dem ich dachte, ich könnte es nicht fühlen.
Angst.
Der Geruch von Blut wurde immer stärker und ich suchte sie nach Wunden ab. Ich hob meine Hand hoch, die auf ihrem Körper gelegen war, und sofort stach mir meine blutrote Hand ins Auge. Der Vorderteil ihres Kleides war dunkler als der Rest und feucht.
Jemand hatte ihr in den Bauch gestochen.
Meine Wut erreichte ihren Höhepunkt und ich sah nur noch rot. Ich war durstig, durstig nach dem Blut, welches der Person gehörte, die ihr das angetan hatte. Schnell teilte ich meiner Wache, die am schnellsten Rennen konnte, mit, den Mann auf der Terrasse zu fangen und das Areal um das Schloss abzuriegeln, damit keiner einfach so verschwinden konnte. Ich ordnete zusätzlich an, um das Schloss Blockierpuder zu verstreuen, welches Vampire vom Teleportieren hinaus und hinein hinderte.
Als ich aufstand, hob Alexis im Brautstil hoch. Ich gab Eric über Gedankenübertragung den Auftrag, den besten Menschendoktor in mein Zimmer bringen zu lassen.
Dank meiner Vampirgeschwindigkeit gelangte ich schnell zu meinem Zimmer. Ich war stolz auf meine Angestellten, als ich sah, dass der Arzt bereits wartend in meinem Zimmer stand. Ich legte Alexis beinahe leblosen Körper auf das Bett und der Arzt begann den Krankenschwestern Anweisungen zu geben.
Ich bemerkte, dass Emma und Eric ihre Fragen zurückhielten, wofür ich ihnen immens dankbar war. Der Gedanke, dass ich die Antworten selbst nicht wusste, verärgerte mich. Ich konnte nichts weiter tun, als neben Alexis zu stehen, welche mit geschlossenen Augen neben mir lag. Sie wirkte friedlich, aber ich wusste, dass ihr Körper innerlich um das Überleben kämpfte. Ihre Seele schwankte zwischen Leben und Tod.
„ Was ist mit ihr passiert?!", fragte Emma schließlich.
Mein Verstand ignorierte sie komplett. Mein Fokus lag einzig und allein auf Alexis. Ich fühlte, wie sich meine Augen golden verfärbten. Ich wandte mich an den Doktor. „ Rette sie. Wenn ihr irgendetwas passieren sollte, dann werde ich das Leben aus dir holen und sie es trinken lassen."
Das Verlangen, denjenigen zu finden, der das Alexis angetan hatte, ließ mich überlegen, ob ich Alexis alleine lassen sollte, um Antworten zu finden. Ich öffnete meine Gedanken, damit Eric und Emma wussten, was passiert war.
„ Lass uns gehen, Damien. Der Bastard kann noch nicht weit weg sein.", fauchte Eric schon fast und brachte mich zurück in die Realität. Mein Körper wusste nicht, was er fühlen sollte. Anscheinend war er immer noch im Schockzustand. Jede Pore meines Körpers wollte an ihrer Seite bleiben. Ich nickte, ließ meinen Blick ein letztes Mal über sie gleiten und dann teleportieren sich Eric und ich in den Ballsaal.
**
**
**
**
**
**
**
„ Was soll das heißen, ihr habt den Eindringling nicht gefunden?!" Die Wache schreckte bei meiner wütenden Stimme zurück. Wütend? Ich war mehr als wütend. Ich hatte dieselbe Antwort die letzten Stunden gehört, wieder und wieder. Und wie sie mich nach dem Überbringen dieser Antwort feige ansahen, streute nur noch Salz in die offene Wunde.
Mir wurde gesagt, dass niemand nach Draußen gegangen war, nachdem auf Alexis eingestochen worden war. Und das war vor zwei Stunden. Ich habe meine Wache in Gruppen zu verschiedenen Stellen des Schlosses geschickt, um nach einer Person zu suchen, die genau dasselbe wie ich trug. Der Drang Alexis zu retten, hatte mich daran gehindert, mir sein Gesicht anzusehen. Ich erinnerte mich nur daran, dass er dasselbe anhatte wie ich. Ich hatte die rote Fliege und das rote Gilet aus dem Augenwinkel gesehen, als ich vom Gebäude gesprungen war.
Sein Geruch war mit einem Spray versteckt, welches Vampirjäger erfunden hatten. Es brauchte ungefähr einen Tag, bis das Spray seine Wirkung verlor und somit der Geruch wiederauftauchte. Alle Gäste, die im Ballsaal waren, hatten ihren Geruch nicht versteckt, was bedeutete, dass es keiner von ihnen war.
„ Findet den Dolch. Es ist mir egal, wenn ihr dafür das ganze Schloss auf den Kopf stellen müsst. Wenn ihr den morgigen Tag noch erleben wollt, dann solltet ihr den Dolch besser finden." Ich sah zu den nickenden Wachen, die links von mir standen, und dann verschwanden.
Ich hörte Gemurmel in der Menge. Ihnen wurde die ganze Situation berichtet, aber dennoch sehe ich keinen Grund, warum sie das nun miteinander diskutieren mussten.
„ Ruhe!", befahl Eric. Schnell gehorchten alle, denn nur Bürgerliche waren hier, keine Adeligen.
Keine Adeligen.
Es gab hier keine Adeligen außer Emma und mich.
Was war dann der starke Geruch, den ich seit einiger Zeit wahrnahm? Ich hatte ihn zuvor schon auf Alexis gerochen. Diese Männer wussten anscheinend nicht, dass der Geruch von Adeligen zwar versteckt werden konnte, aber nicht ganz. Da ich ein Adeliger war, hatte ich einen Vorteil gegenüber meinen Wachen, denn meine Sinne waren besser ausgeprägt.
Der Geruch war sehr schwach, dennoch hing er immer noch in der Luft. Er roch irgendwie vertraut, aber ich konnte ihn niemanden zuordnen. Wer auch immer es gewesen war, hatte ich lange nicht mehr getroffen, sehr lange. Ich folgte dem Geruch und endete bei der „Neid" Station.
Ab hier verlor ich die Spur. Der Geruch verschwand an dieser Stelle.
Obwohl tausende von Fragen durch meinen Kopf schwirrten, traute ich nur einer Person zu, Alexis zu verletzt. Ich kannte nur eine Person, die dies wagen würde. Sie hatte schon einmal jemanden mir nahestehenden getötet. Warum würde sie es also nicht wieder tun? Aber dieses Mal war ich mir sicher, dass sie es nicht alleine getan hatte. Sie müsste einen Adeligen an ihrer Seite gehabt haben.
„ Holt mir Katrina.", wandte ich mich an die letzte verbliebende Wache, welche auf meinen Befehl wartete, „ jetzt."
„ Und wenn du es nicht schaffst, sie lebendig dem König zu bringen, wirst du deine Stelle verlieren.", fügte Eric noch hinzu.
Mein Mann setzte sich schnell in Bewegung und das war der Punkt, an dem ich mich nicht mehr aufhalten konnte. Ich musste sehen, wie es Alexis ging. Nicht zu wissen, ob sie es schaffen wird oder nicht, brachte mich zum Verzweifeln. Ich erklärte Eric noch die nächsten Schritte der Ermittlungen, bevor ich ihm das Kommando überließ und mich zu meinem Schlafzimmer teleportierte.
Ich näherte mich dem Bett und sah Alexis. Wenn man nicht auf ihren Bauch herabsah und einen neuen Verband auf ihrer Wunde sehen würde, könnte man meinen, dass sie nur schlafen würde. Ihre braunen Haare lagen ausgebreitet auf dem Polster und ihr wunderschönes Gesicht wurde dadurch noch mehr hervorgehoben.
Es war ein Wunder, dass sie trotz des verschmierten Make-Ups so schön wie immer aussah. Ihr langes, rotes Kleid sollte sie wie eine Prinzessin aussehen lassen.
Doch nun sah sie nur wie eine sterbende Prinzessin aus.
Hoffnung und alle positiven Gefühle, die man immer auf ihrem Gesicht ablesen konnte, waren nicht mehr da. Meine Augen flehten, ihr Lächeln wieder zu sehen, welches auch mich lächeln ließ. Die Art zu sehen, wie sie immer ihre Stirn runzelte, wenn ich sie anschrie. Sogar die Weise, wie sie mich wütend anblickte. Ich möchte alles wiedersehen. Es wurde noch schwerer für mich zu atmen, als ich die Spuren der getrockneten Wimperntusche bemerkte, die sich über ihre Wangen zog. Sie hatte eindeutig vor und während auf sie eingestochen wurde geweint. Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Dieser Bastard hatte sie zum Weinen gebracht.
„ Wie geht es ihr?", ich schauderte, als ich hörte, wie schwach meine Stimme klang. Ich räusperte mich.
„ Eure Majestät," der Doktor versuchte die richtigen Worte zu finden, aber sobald ich ihm befahl, es auszuspucken, begann er zu sprechen, „ Ihr wurde in den Bauch gestochen. Glücklicherweise wurden keine lebenswichtigen Organe mit dem Dolch verletzt. Sie muss einen guten Schutzengel gehabt haben."
„ Also schwebt sie nicht mehr in Lebensgefahr?", ich musste mich erneut versichern, dass es meiner Prinzessin wieder gut gehen würde.
„ Nein, das nicht. Aber..."
Ich funkelte den vierzigjährigen Mann wütend an. Wie konnte er es wagen, mir Hoffnung zu machen, wenn es ein dickes, fettes „aber" in seinem Satz gab?
„ Aber sie hat zu viel Blut verloren. Machen Sie sich keine Sorgen, ich habe bereits eurem menschlichen Dienstmädchen aufgetragen, einen Beutel mit ihrer Blutgruppe zu holen, damit wir ihr das Blut spenden können. Momentan wird eine Bluttransfusion bei der Patientin durchgeführt.", informierte mich der Arzt. Dennoch konnte ich sagen, dass er noch nicht fertig war.
„ Das ist doch gut, oder? Sie wird bald aufwachen?" Emma, die ich bis jetzt kaum bemerkt hatte, stand von ihrem Sessel auf und stellte sich neben mich. Ihre Augen waren verquollen als hätte sie die letzte Stunde damit verbracht zu weinen. Ich wandte meinen Blick schnell ab, denn ich hatte die Befürchtung, dass ich sonst auch zusammenbrechen würde.
„ Die Sache ist. Wir wissen nicht, ob sie aufwachen wird. Die nächsten Tage werden schwer für sie sein, sowohl psychisch als auch physisch. Ihr Körper muss sich erst von dem Angriff erholen. Wir haben sie vorher fast verloren, da ihr Herz kaum noch schlug. Sie ist stabil momentan, aber der Puls ist immer noch schwach. Je schneller sie aufwacht, desto besser. Aber das liegt nicht in unseren Händen, es liegt alleine an ihr. Wir können jede erdenkliche Behandlung an ihr durchführen, aber am Ende des Tages kommt es auf sie an, ob sie kämpft oder aufgibt. Das Hauptproblem, das hierbei der Fall ist, ist, dass die Patientin die Motivation verliert, wenn diese sie nicht schon verloren hat. Warum wachen wir jeden Morgen auf? Weil wir einen Grund zum Leben haben. Aber sie hat keinen. Wenn ich mir die geschehenen Dingen ansehe, schließe ich daraus, dass sie keinen Grund hat aufzuwachen. Sie will nicht mehr aufwachen."
Das letzte bisschen Beherrschung, welche ich noch hatte, löste sich in Luft auf und ich packte den Doktor am Kragen. „ Was weißt du schon über sie, hm? Sie ist eine Kämpferin, kein Feigling, der den einfachen Weg nimmt. Sie wird so schnell nicht aufgeben. Sie wird bis zu ihrem letzten Atemzug um ihr Leben kämpfen, hast du mich verstanden? Das ist Alexis, das weiß ich. Wenn meine Alexis stark genug ist, um einen Mann wie mich auszuhalten und es schafft bei dem brennenden Schmerz, den ich ihr zugefügt habe, noch zu lächeln, dann wird sie definitiv stark genug sein, um gegen den Tod zu kämpfen. Sie unterwirft sich keinem. Wer zum Teufel ist dann diese nach Aufmerksamkeit lechzende Schlampe namens Tod?"
„ Damien! Lass ihn los.", ich gab dem Arzt einen Stoß, denn ich konnte den schmerzhaften Gesichtsausdruck meiner Schwester nicht ertragen. Plötzlich schlang sie ihre Arme um meinen Bauch und schluchzte laut auf, was mir das Herz zerriss. „ Bitte sag mir, dass du sie zurückbringen wirst."
Ich nickte und versuchte sie zu beruhigen. Aber um ehrlich zu sein, war ich derjenige, der den Trost brauchte, den diese Umarmung spendete. Ich schloss meine Augen und wollte einfach nur, dass mir jemand sagte, dass alles wieder gut werden würde.
Aber das wird es nicht. Nicht, bis das Mädchen, welches friedlich vor sich hinschlummerte, aufwachte. Ich wagte es nicht, meine Gedanken zu durchforsten, warum es mich so beeinflusste, sie in diesem Zustand zu sehen. Ich hatte Angst vor den Antworten, die ich bekommen würde.
„ Rede mit ihr. Sag ihr, wie sehr du sie brauchst. Du bist die einzige Person, die sie zurückbringen kann, Bruder. Du bist die einzige Person, für die sie zurückkommen würde." Emma trat weg von mir, aber nicht bevor sie mir einen leichten Stoß in Richtung des Bettes gab.
Mein Verstand schaltete sich ein und wollte fragen, seit wann ich sie brauchte. Doch mein Herz wusste, das es stimmte. Ich brauchte sie wirklich.
Ich hätte niemals gedacht, dass ich das einmal zugeben werde, aber ich brauchte sie. Meine Augen brauchten ihre Schönheit, welche sie auf alles und jeden übertrug, sobald sie etwas berührte. Oder vielleicht brauchte ich ihre Fähigkeit in allem, egal wie klein es auch war, etwas Schönes zu finden. Meine Ohren brauchten den wundervollen Klang ihrer Stimme, um die Schreie der Gefangenen zu übertönen, welche mich in meinen Träumen verfolgen. Verdammt, sogar mein Kopf braucht das Kopfweh, welches sie verursacht. Denn dadurch weiß ich, dass ich immer noch verwundbar war. Ich wusste, dass es lächerlich klang. Wer wollte schon freiwillig Schmerz fühlen, um erinnert zu werden, dass man nicht nur eine leere Hülle war.
In diesem Moment überwand ich den Abstand zwischen uns. Als ich ihren schnellen Herzschlag hörte, fühlte es sich so an als wäre es mein eigener. Ihre Berührungen und ihre Wärme ließen mich wieder menschlich fühlen. Die Weise, wie sie sich unbewusst um mich kümmert, ließen die verschwommenen Erinnerungen von meiner Mutter aufflackern.
Ich hatte nicht einmal mitbekommen, wann das Mädchen vor mir meinen Verstand geraubt hatte. Ich hatte nicht bemerkt, wann unsere Streite mein Ausweg aus der Realität wurden.
A/N Jetzt den Song spielen
Ich nahm auf dem Sessel neben dem Bett Platz und streckte meine Hand aus, um vorsichtig über ihre Wange zu streichen. Ich hatte Angst, dass ich sie noch mehr verletzen könnte.
„ Hey."
Wirklich, Damien? Sie war gerade durch die Hölle und wieder zurückgegangen, weil du sie nicht rechtzeitig gerettet hattest und alles, was du sagst, war hey?
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Emma den Arzt und die Krankenschwestern aus dem Raum schob, um draußen zu warten. Sie folgte ihnen und schloss hinter sich die Türe.
Gut, ich brauchte nämlich wirklich niemanden, der hörte, was ich nun sagen werde.
„ Es tut mir leid. Es ist alles meine Schuld. Ich rede jetzt nicht nur über den Angriff, sondern generell, weil du hier bist. Gäbe es da nicht meine Dummheit und meine falschen Entscheidungen, wärst du nicht hier. Du wärst zurück in der Menschenwelt mit deinen Eltern und würdest ein wunderbares Leben führen. Du würdest grübeln, was du an deinem Abschlussball anziehst und nicht, ob du den nächsten Tag noch überleben wirst. Das ist alles meine Schuld. Es war meine Schuld, dass ich mich so von der Prophezeiung habe blenden lassen, sodass ich nicht mehr wusste, was richtig und was falsch war. Ich weiß, dass du mir niemals verzeihen kannst, aber ich möchte nur noch eine einzige Sache von dir. Bitte, egal was passiert, hör wegen mir nicht auf, um dein Leben zu kämpfen." Ich konnte eine wasserähnliche Substanz nicht aufhalten, aus meinem Auge zu fließen.
Ich hätte nie erwartet, dass ich eines Tages zusammenbrechen würde. Doch der heutige Tag hatte mir gezeigt, wie falsch ich lag. Er mich gelehrt, dass ich falsch gedacht hatte, nichts fühlen zu können. Meine Hände griffen nach ihren und übten einen leichten Druck aus. Ich musste mich an ihr festhalten. Vielleicht, um nicht zu zittern oder vielleicht, um sie bei mir zu halten.
Was tat ich hier nur? Ich konnte mich vor ihr nicht so schwach verhalten. Ich musste ihr zeigen, dass ich stark war und nicht emotional!
„ Als ich dich das erste Mal gesehen habe, hielt ich dich für das wertvollste, kleinste Ding, welches ich auf der ganzen Welt je gesehen habe. Ich konnte in deinen Augen sehen, wie deine Eltern immer wieder und wieder starben. Ich hatte nie die Absicht, sie zu töten. Ich habe meinen Wachen nie befohlen, sie umzubringen. Das ist der Grund, weshalb sie immer noch im Kerker eingesperrt sind. Denn sie sind bei einem simplen Befehl des Königs gescheitert."
Ich hatte das Bedürfnis, ihr zu erzählen, dass ich nie wollte, dass ihren Eltern etwas zustoßt, dennoch machte es keinen Unterschied. Ich war trotzdem noch die Person, der man die Schuld gab.
„ Ich weiß, dass deine Eltern dich geliebt haben, Alexis. Ich weiß, wo auch immer sie nun sind, dass sie auf dich aufpassen. Dich so zu sehen, muss sie wieder umbringen. Wenn nicht für mich, dann komm bitte für sie zurück.
Keine Antwort.
Ich wischte meine Tränen weg und ärgerte mich selbst über meine Nutzlosigkeit.
„ Sie müssen so stolz auf dich sein. Du bist zu einer starken und klugen Frau herangewachsen. Ich weiß, dass es schwer sein muss, das zu glauben, aber glaub mir, es ist die Wahrheit. Egal, wie heftig wir uns manchmal streiten und ich sage, dass ich dich hasse. Ich hätte dir das niemals gewünscht." Ich strich ihr eine Strähne hinters Ohr. „ Du bist eine Kämpferin, Kleine. Jemand, der mir zeigen kann, dass sich die Welt nicht nur um mich dreht. Es klingt komisch, aber ich liebe es, wenn du mir zeigst, dass ich falsch liege. Ich weiß, es verrückt klingt, oder?"
Bitte, zeig mir, dass du mir zuhörst.
Bitte, nicke nur mit deinem Kopf. Beweg deine Finger. Irgendetwas, bitte.
Egal, was. Ich werde nicht aufgeben.
„ Wir sind das komplette Gegenteil von einander. Du bist wie ein wundervoller, sonniger Tag. Du erleuchtest alles mit deinem Licht. Während ich der dunkelste Teil der Nacht bin, vor dem sich jeder fürchtet. Aber selbst Nacht und Tag treffen sich und formen etwas Atemberaubendes, den Sonnenaufgang und den Sonnenuntergang. Ohne dich gäbe es keine atemberaubenden Momente in meinem Leben."
Was tat ich hier nur? Ich spuckte alle Geheimnisse aus, von denen ich nicht einmal wusste, dass sie in meinem Kopf versteckt waren. Ich konnte noch nie mit jemanden über meine Gefühle reden, vielleicht weil es sonst auch keinen interessierte. Das letzte Mal, als das jemand tat, war alles nur eine Show. Von da an hatte ich mich von anderen abgeschottet. Ich hatte sie glauben lassen, dass mein Herz aus Stein bestünde. Doch hier war ich nun, mein Herz ausschüttend an jemanden, der ein paar Monate zuvor nichts weiter als eine Gefangene.
Ich beobachtete sie genau, jedoch konnte ich keine Bewegung wahrnehmen.
Nein, ich werde die Hoffnung nicht verlieren.
Ich realisierte, welche drastische Wendung die heutige Nacht genommen hatte. Zuvor hatte ich geplant, sie von mir freizulassen. Egal, wie sehr jede Pore meines Körpers dagegen protestiert hatte, sie nicht gehen zu lassen. Obwohl mein Wunsch in Erfüllung gegangen war und sie nun genau vor mir lag, war sie doch so weit entfernt.
Meine Augen weiteten sich, als mir ein Gedanke kam. Was wäre, wenn sie die nächste Person war, die ich für immer verlieren werde?
Meine Mutter.
Der Mann, der wie ein Vater für mich war.
Seine Frau, die mich großgezogen hatte.
Dann meine einzig wahre Liebe.
Ich hatte jeden verloren, der mir nahestand. Was wäre, wenn Alexis die nächste Person auf der Liste war?
Nein. Nicht sie.
Plötzlich kam meine adelige Seite zum Vorschein, welche es gewohnt war, das so etwas passierte.
„ Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas geschieht, hörst du mich? Selbs wenn der Tot an deine Türe klopft, wird er zuerst an mir vorbeimüssen, um zu dir zu gelangen. Ich werde diese Welt in Stücke reißen, wenn es jemand wagen sollte, dich mir wegzunehmen." Ich stand abrupt auf und blickte nach oben in Richtung der Decke.
„ Wer auch immer da oben ist und zuhört, hast du das gehört? Ich weiß nicht einmal, ob du existierst, aber ich werde daran glauben, denn Alexis Leben könnte in deinen Händen liegen. Bitte, sie hatte nie die Gelegenheit, richtig zu leben. Wenn du ihr noch eine Chance zu leben gibst, dann verspreche ich, dass ich das Beste daraus machen werde. Ich verspreche, dass ich ihr nie wieder wehgetan wird, nicht einmal von mir."
Mein Gesichtsausdruck wurde weicher, als ich sie wieder ansah. Sofort nahm ich ihre Hand wieder in meine und wisperte ihr immer wieder und wieder die Worte ins Ohr, die sie einst zu mir sagte:
„ Bitte, verlass mich nicht."
---
Sooo, das war das letzte Kapitel für heute. Ich hoffe, es hat euch gefallen. Würde mich über Feedback freuen.^^
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top