Kapitel 7: Die fünf Seelensucher

Es klopfte an der Tür.

„Limeana? Ich bin es, Sali. Bist du fertig?"

Ich stand von dem Sofa auf, auf dem ich es mir bequem gemacht hatte und stöckelte auf die Tür zu. Es klappte erstaunlich gut.

„Ja, ich bin fertig", rief ich durch die Tür.

„Darf ich kurz reinkommen?", fragte Sali.

„Klar."

Ich öffnete die Tür und Sali schlüpfte zu mir ins Zimmer. Lärm schlug mir entgegen. Hunderte von Stimmen erfüllten die Gänge und Räume außerhalb meines Zimmers. Überrascht schlug ich die Tür zu. Die Geräusche verstummten.

„In drei Minuten beginnt die Vorstellung. Die anderen Auserwählten stehen schon draußen auf dem Flur." Sali reichte mir etwas, das ich zuvor gar nicht bemerkt hatte. Es war ein bodenlanger Umhang in einem sanften Sandgelb. Der Farbe von Belvêo.

„Am besten du ziehst ihn jetzt gleich über", sagte sie und half mir dabei, den Umhang anzulegen. „Du siehst übrigens wundervoll aus. Gefällt dir das Kleid?"

Ich nickte. „Ja, sehr. Danke."

„So..." Sali legte mir die Kapuze über den Kopf. „Weil wir die Gastgeber sind, musst du als Erste auf den Balkon treten. Dort wird Ranajea zusammen mit den fünf vorherigen Seelensuchern stehen. Wenn es soweit ist, ertönt ein Signal und du gehst zu dem Seelensucher von Belvêo und stellst dich rechts neben ihn." Sie sah mir prüfend ins Gesicht „Hast du alles verstanden?"

Ich nickte zustimmend.

„Super. Was danach passiert, könnt ihr aus Ranajeas Worten hervor nehmen."

Als ich ein weiteres Mal nickte, klatschte sie in die Hände. „Sehr schön. Folge mir bitte."

Sie öffnete die Tür und trat hinaus. Ich straffte die Schultern und senkte dann den Kopf, damit die Kapuze mein Gesicht in Schatten hüllte.

Im Flur standen bereits die anderen Seelensucher. Ich sah den blauen Umhang aus Surreika, den roten aus Walia, den grünen aus Pravena und den grauen aus Kraveen. Ich spürte, dass die Auserwählten mich bemerkt hatten, doch sie zeigten nicht die geringste Reaktion. Es kam mir vor, als wären sie hölzerne Marionetten.

Ich schritt an ihnen vorbei und setzte mich an die Spitze. Kurz darauf ertönte Ranajeas Stimme, ein fröhlicher Singsang in dem dunklen Raunen der Masse.

„Willkommen!" Nur dieses eine Wort brachte alle zum Verstummen. „Willkommen zu der diesjährigen Seelensuche!" Tosender Applaus brandete auf.

„Es ist mir und meinen Mitregierenden eine Ehre, die neuen Seelensucher mit euch willkommen zu heißen. Und es wird mir und den neuen Auserwählten eine Ehre sein, meine geschätzten Kollegen von hier zu verabschieden." Noch mehr Applaus ertönte.

„Wie jedes Jahr haben die fünf Teile des Landes eine Person auserwählt, die auf die Seelensuche gehen darf. Und die möchten wir euch jetzt vorstellen." Die Menge jubelte und eine Melodie ertönte.

Ich atmete tief durch. Jetzt kam mein Auftritt.
„Begrüßen wir nun aus Belvêo die diesjährige Auserwählte!" Die Menge tobte.

Mit bedächtigen Schritten ging ich nach vorne und betrat den Balkon. Ich hörte hunderte von Stimmen, die riefen: Da ist sie! Da!

Ich stellte mich rechts neben den letzten Auserwählten von Belvéo.

Es war ein merkwürdiges Gefühl, hier oben zu stehen, bejubelte zu werden. Ich erinnerte mich noch deutlich daran, wie Gervo, der alte Auserwählte von Belvêo, der neben mir stand, vorgestellt wurde und wie die Leute, unter anderem ich, ihm zugejubelt hatten. Und als er zurückgekommen war, dreckig und mit zerschlissenen Klamotten und nur mit der Hälfte seines ursprünglichen Gewichts, hatte ich ihn für das gefeiert, was er vollbracht hatte.

Und nun stand ich an genau der gleichen Stelle.

Nach und nach wurden alle Erwählten aufgerufen, dann senkte sich gespannte Stille über den riesigen Raum.

„Jetzt sind sie hier alle versammelt... unsere Erwählten."

Ich konnte die Spannung der Menschen förmlich spüren, es war, als könnte man sie mit einem scharfen Messer zerschneiden. Mein Herzschlag beschleunigte sich.

„Sie stehen hier... und doch wissen wir nicht, wer sie sind. Fünf Umhänge... fünf auserwählte Seelensucher..."

Ich merkte, wie Gervo, Belvêos alter Auserwählter, zurücktrat, genauso, wie die anderen alten Seelensucher. Wobei alt nicht ganz auf sie zutraf, unsere Vorgänger waren vielleicht 17 oder 18 Jahre alt, kaum älter, als ich.

„Beginnen wir mit Belvêos Kandidatin..." Ranajeas Stimme hatte einen tiefen Ton angenommen, die Spannung stieg weiter.

Ich wusste, dass alle Blicke auf mir lagen, ich konnte spüren, wie sie sich durch meinen Umhang und auf meine Haut brannten. Das Zeichen des Venérs schien unter meinem Schlüsselbein zu glühen.

„Zehn, neun, acht..."
Die Menge begann, runter zu zählen. Ich öffnete meinen Umhang.
„Sechs, fünf, vier..."
Gervo trat vor, seine Hände griffen nach den Ränder meiner Kapuze.
„Drei, Zwei, Eins..."

Atemlose Stille erfüllte den ganzen Raum. Gervo nahm meine Kapuze ab, dann griff er nach dem Umhang und zog ihn von mir fort. Beinahe hätte ich gelacht, denn ich wusste, wie spektakulär es aussah, aber jetzt, wo ich wusste, was passierte, fühlte es sich nur noch halb so aufregend an.

Dann brach das Geschrei los. Die Menge schrie, jubelte, applaudierte, manche pfiffen mir zu. Ich musste zugeben, dass es berauschend war.

„Begrüßt die neue Seelensucherin von Belvêo... Limeana, die, die die Wahrheit erkennt!"
Die Leute jubelten lauter. Ich entdeckte meinen Vater, Mena und Wenarius und auch Kalorius und Namagara. Sie standen ganz vorne und ich schenkte ihnen ein strahlendes Lächeln.

Der Reihe nach wurden die anderen Seelensucher vorgestellt und die Menschen konnten sich gar nicht mehr einkriegen.

Wie es aussah gab es ein weiteres Mädchen, die Seelensucherin aus Surreika und drei Jungs aus Walia, Kraveen und Pravena. Wir standen nebeneinander, lächelten und winkten der Menge zu.

Dann stiegen wir die Treppen hinab und waren im Festsaal. Wir traten durch eine Doppeltür unter der Empore und landeten im Vorraum. Jetzt sollten wir den restlichen Volk vorgestellt werden. Als wir durch die kunstvoll verzierte Glastür gingen, empfing uns von Neuem Applaus und Gejubel.

Eine Art von Vorfreude stieg in mir auf. Ich hatte das Gefühl, dass die Sache gut für mich laufen würde. Ich lächelte wieder und dachte an meine kleine Schwester. Ich glaubte, dass sie stolz auf mich wäre.

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