Kapitel 53: Stimme der Vernunft

Als ich aufwachte, war mir angenehm warm und ein mittlerweile vertrauter, süßlicher Duft lag mir in der Nase. Ich konnte nicht anders und atmete tief ein. Erstaunlich, wie sehr ich ihm verfallen war, ohne dass er es wusste.

Féamo schlief noch und sein Atem ging gleichmäßig. Ich legte meinen Kopf zurück an seine Brust und lauschte seinem Herzschlag. Es war ein beruhigendes Geräusch und ich spürte, wie erleichtert ich war, wenn ich es hörte. Zu sehr hatte ich ihn ohne schlagendes Herz in Erinnerung.

Ich hob meinen Blick erneut und betrachtete seine Gesichtszüge. Jetzt wo er schlief, musste ich nicht aufpassen, dass er mich bemerkte, wenn ich ihn musterte. Und das nutzte ich aus. Meine Augen glitten über seine blassen Augenlider, unter denen feine Adern schimmerten, seine unendlich langen Wimpern, die vollen Lippen und das schmale Gesicht mit den hohen Wangenknochen.

Ich widerstand dem Drang, mit den Fingerspitzen sein Gesicht zu berühren und legte mich wieder hin. Diesen Moment wollte ich noch ein kleines Bisschen auskosten...

Im Schlaf hatte ich mich herumgedreht, sodass wir Angesicht zu Angesicht lagen. Seine Hand lag locker auf meiner Taille und seine Knie berührten die meinen. Ich schloss die Augen.

Kurz danach spürte ich, wie er sich bewegte, doch ich hielt die Augen geschlossen und tat so, als ob ich schlafen würde. Ich merkte, wie er seine Hand wegnahm und sich über die Augen rieb, dann hielt er inne, und fast hätte ich den Atem angehalten. Ich wusste, dass er mich ansah, konnte seine Blicke förmlich auf mir spüren. Mein Kopf ruhte immer noch an seiner Brust, meine Nase nahe an seinem Hals.

Beinahe dachte ich, dass er mich wegschieben würde und ich bereitete mich innerlich darauf vor, als ich seine Hand an meiner Schulter fühlte. Doch er strich nur eine Strähne beiseite und legte seine Finger zurück an meine Taille. Sein Kopf lehnte beruhigend an meinem und ich konnte nicht anders, als innerlich zu triumphieren. Zwar konnte ich diesen Zustand nicht unendlich vortäuschen, aber ein bisschen Zeit blieb mir noch. Nur noch ein bisschen...

Nach knapp einer Viertelstunde begann ich, mich in seinen Armen zu regen. Sofort ließ seine Hand von mir ab und er nahm den Kopf weg. Leise Enttäuschung meldete sich bei mir, doch ich verdrängte sie und streckte mich.

Als ich die Augen öffnete, blickte ich ihm geradewegs ins Gesicht.

„Guten Morgen", sagte er und seine Augen funkelten.

Ich lächelte leicht, als wäre ich noch nicht ganz wach und gähnte. Das war nicht einmal vorgetäuscht.

„Morgen", nuschelte ich. Ich rieb mir über die Augen und sah Féamo unauffällig an. Er war so weit von mir abgerückt, dass es aussah, als hätten wir uns im Schlaf voneinander abgewandt und kurz fragte ich mich, ob ich mir die Momente zuvor nur eingebildet hatte. Aber das konnte nicht sein, zu real waren meine Erinnerungen.

„Zum Glück sind wir wieder trocken", sagte mein Begleiter. „Dann können wir jetzt gleich los."

Ich nickte nur. Tatsächlich hatten die Stunden Schlaf mir sehr gut getan, und meine Kraftreserven hatten sich um einiges aufgefüllt. Dennoch wühlte der Hunger in mir und erinnerte mich daran, dass diese Kraft nicht von Dauer war. Wir mussten unbedingt etwas zu essen finden, und wenn es nur ein paar Beeren waren.

Genau diese Gedanken äußerte ich auch und Féamo stimmte mir zu. Unser Verhalten war wie immer, aber jetzt wurde mir bewusst, dass wir immer Distanz gewahrt hatten, auch wenn es auf freundschaftlicher Basis war. Vielleicht war ich ja wirklich die Einzige von uns beiden, die so empfand.

Ich blinzelte, um wieder zu klaren Gedanken zu kommen. Dabei fiel mir mein Bein ein, und meine Laune sank beträchtlich. Wenn es immer noch so schmerzte, wie gestern, dann konnten wir unmöglich weitergehen. Damit, und dem Mangel an Nahrung, würde ich es nicht sehr weit schaffen.

Innerlich fluchte ich. Langsam zog ich das Bein an und biss die Zähne zusammen, als feiner Schmerz durch die Wunden zog, die die unzähligen Zähne dieses bestialischen Wesens hinterlassen hatten. Langsam wickelte ich das Stück Stoff ab, das Féamo um mein Bein gewickelte hatte, und als das Blut in mein Bein floss, begannen die Wunden zu pochen.

Fast noch schlimmer als der Schmerz, war die Art, wie meine Verletzung aussah. Die acht unförmigen und ungleichmäßigen Einstiche waren rot gerändert und offensichtlich entzündet, aber immerhin floss kein Blut mehr. Trotzdem, ich konnte nicht weitergehen. Mein Zustand machte das unmöglich.

Ich fluchte erneut, dieses Mal laut. Féamo, der aufgestanden war und nach draußen spähte, drehte sich zu mir um und hockte sich neben mich. Eingehend betrachtete er mein Bein, dann sagte er: „Das sieht schlecht aus. So gehen wir auf keinen Fall weiter. Du würdest dir den Tod holen."

Auch wenn ich wusste, dass er recht hatte und selber zu genau dem gleichen Schluss gekommen war, wollte ich protestieren. Doch die Stimme der Vernunft hielt mich davon ab. Meckern und Jammern half nicht. Lieber sollten wir etwas gegen unseren Zustand tun.

„Also", sagte ich entschlossen und Féamos Blick heftete sich auf mein Gesicht. „Wir können hier nicht die ganze Zeit rumsitzen. Ich brauche sauberes Wasser, damit ich diese Scheiße hier reinigen kann, und etwas, womit ich es verbinden kann. Etwas sauberes."

Féamo nickte zustimmend. „Ok, ich versuche, alles zu besorgen. Ich bleibe in der Nähe." Und schon war er aus unserem hölzernen Zelt verschwunden.

Ich seufzte und blickte mich etwas ratlos um. Unsere Rucksäcke hatten wir im Wasser verloren, was äußerst schlecht war. Immerhin war das hier erst das erste große Hindernis, was bedeutete, dass noch zwei weitere vor uns lagen. Bei dem Gedanken daran, stützte ich meinen Kopf entmutig auf das Knie meines gesunden Beines.

Wie um alles in der Welt sollten wir alle Hindernisse überstehen, ohne dabei draufzugehen? Natürlich, bisher waren die Seelensucher immer wiedergekommen, aber irgendwie erschien mir das momentan unmöglich. Zu oft waren Dinge passiert, die nur knapp am Tode vorbei gewesen waren.

Die allererste Bestie, die uns begegnet war und Venelia fast in Stücke gerissen hätte. Der Wassermangel. Dieses große, gepanzerte und gestachelte Ding, das Benau und mich überrascht hatte, die Venérs aber zum Glück eingegriffen hatten. Dann der Mangel an Nahrung. Dieses Biest, das ich abgefackelt hatte, dessen Babys uns aber verschont hatten. Dann Venelias Sturz. Benaus Sturz. Der Moment, als wir alle in dieses tiefe Loch gefallen waren. Als ich mit voller Wucht auf dem Boden aufgeschlagen war. Als Féamo... als er tatsächlich gestorben war.

Ich schloss die Augen und ließ mir all diese Bilder durch den Kopf wandern. Hatten die Seelensucher vor uns die gleichen Gefahren bestehen müssen? Waren sie genauso oft knapp dem Tode entronnen?

Plötzlich konnte ich verstehen, dass alle von ihnen so ernst waren, wenn sie von der Suche zurückkehrten. Es hatte sie gezeichnet. Für immer. Sie hatten Dinge erlebt, die normale Menschen sich nicht einmal in ihren kühnsten Träumen vorstellen konnten.

Auch mich hatte es verändert, und würde mich weiterhin verändern, das war mir von Anfang an klar gewesen. Aber das alles tat ich, weil ich es ohne Katie nicht mehr ertragen konnte. Was hätte ich gemacht, wenn ich nicht erwählt worden wäre? Wäre ich zugrunde gegangen?

Féamos Schritte rissen mich aus meinen Gedanken und ich hob den Kopf. In seiner Hand hielt er ein großes Blatt, in dessen Kuhle klares Regenwasser war. Mit einer Bewegung seines Kopfes wies er auf seinen Arm, an dem etwas baumelte. Ich runzelte die Stirn. Was war...

Ein breites Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, als ich meinen Rucksack wiedererkannte. Schnell nahm ich ihn Féamo ab und öffnete ihn. Im Inneren war alles durchnässt. Wirklich alles. Ich fluchte leise und holte alle Sachen heraus, um sie an der Luft trocknen zu lassen.

„Wo hast du den gefunden?", fragte ich, während ich eine der Decken nahm, die in meinem Rucksack gewesen waren. Ich prüfte ob sie sauber genug war, dann bedeutete ich meinem Begleiter, dass er sich mit dem Blatt neben mich setzen sollte.

„Der wurde an unser Ufer geschwemmt. Meinen habe ich auch gesehen, der wird grade von diesen Viechern auseinandergenommen." Féamo verzog das Gesicht. „Das heißt, dass auch ein Großteil meiner Waffen weg ist."

Waffen? Ich versuchte, nicht allzu beunruhigt zu wirken.

„Mein Messer habe ich aber noch, das trage ich immer bei mir." Er zog aus einer schmalen Tasche an seiner Hose das schlanke, silbrige Messer hervor.

Mein Magen drehte sich um. Auch wenn ich ihm vertraute, beschlich mich jedes Mal die Angst, wenn er eine Waffe in den Händen hielt, oder wütend war. Ich hatte nicht vergessen, was sein Auftrag war, und ich konnte mich noch sehr gut an den Moment erinnern, in dem er mit eben diesem Messer neben mir gesessen hatte. Diese Erinnerung lichtete den rosaroten Nebel in meinem Kopf ein wenig.

Ich senkte den Blick und besah meine Wunde. „Pack das Ding weg und halt lieber mal das Wasser für mich", sagte ich schroff.

Féamo verstaute das Messer wieder in der Hosentasche und nahm das Blatt zur Hand. Ich tunkte einen halbwegs trockenen und sauberen Zipfel der Decke hinein und begann, mit zusammengebissenen Zähne die Wunden zu säubern.

Es dauerte wirklich lange, bis ich fast jeden Dreck entfernt hatte, und als ich am Ende schließlich die Verletzung wieder mit einem Stück Stoff verband, war ich so erschöpft, dass ich mich hinlegte und die müden Augen schloss.

„Du solltest noch etwas schlafen", sagte Féamo fast schon sanft. Ich nickte leicht.

Auch wenn ich nicht sicher wusste, dass er mir nichts tun würde, fühlte ich mich sicher genug, um nahezu sofort wieder einzuschlafen.

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