Kapitel 47: Geheilt
Nur wenige Stunden, nachdem Féamo auf unerklärliche Weise wieder ins Leben gekommen war, wachten Benau und Terimano auf. Auch sie mussten dutzende Umarmungen ertragen, die sie mehr oder weniger gezwungenermaßen über sich ergehen ließen.
Nachdem ich mich wieder gefangen hatte, besahen Venelia und ich die Verletzungen unserer Reisegefährten. Der Schnitt an Terimanos Bein hatte vollends aufgehört, zu bluten, und so konnten wir mehr schlecht als recht die Wunde reinigen. Terimano, der immer noch ein wenig blass war, musste dabei die Zähne zusammenbeißen, denn zweifelsohne tat es bestialisch weh. Weil uns nichts besseres einfiel, nahmen wir die Federn, die am saubersten waren und bedeckten den tiefen Schnitt damit. Dabei betete ich, dass keine Infektion deswegen auftrat, sondern das passierte, was ich hoffte. Nämlich, dass die Wunde verheilte, genauso, wie die Federn Féamo geheilt hatten.
Doch es passierte gar nichts. Enttäuscht runzelte ich die Stirn. Terimano sah auf sein Bein hinab und seine graublauen Augen verdunkelten sich vor Schmerz. Das konnte ich gut verstehen, denn der Knochen blitzte zwischen dem Fleisch auf. Ich schauderte und musste kurz wegsehen. Stöhnend ließ Terimano sich zurücksinken.
„Vielleicht schlafe ich besser noch. Da hat das nicht so wehgetan", murmelte er.
Tröstend legte ich ihm eine Hand auf den Unterarm. Es dauerte nicht lange, und er schlief wieder ein, entfloh dem Schmerz.
Müde rieb ich mir über die Augen und versuchte dabei, meine verletzte Hand zu ignorieren. Auch ich brauchte dringend etwas Schlaf. Mein Körper war beinahe am Ende seiner Kräfte. Doch zuerst musste ich noch nach Benau schauen, der mit zusammengepresstem Kiefer und Schweißperlen auf der Stirn in den weißen Federn lag, und sich von Venelia den kleinen Schnitt im Gesicht säubern ließ.
Ich ging zu ihnen und setzte mich neben sie.
„Wie geht es dir?", fragte ich den Walianer und musterte ihn.
Er schloss kurz die Augen, dann sagte er: „Es geht schon. Irgendwie. Ich hätte nicht gedacht, dass ich noch lebe also... ist das hier zu ertragen."
Bevor ich etwas erwidern konnte, erfüllte ein tiefes, brummendes Geräusch die Höhle und ich blickte auf. Die Vogelkönigin sah in unsere Richtung, den Schnabel leicht geöffnet. Wieder einmal umgab sie ein sanftes, blaues Schimmern, das alles in mystisches Licht tauchte.
„Was hat sie?", fragte ich an Venelia gewandt, ließ den majestätischen Vogel dabei aber nicht aus den Augen.
„Keine Ahnung", sagte Venelia und zuckte mit den Achseln. „Woher soll ich das auch wissen?"
„Immerhin wurdest du zu ihrem persönlichen Menschenliebling auserkoren", erwiderte ich und zog meine Augenbrauen hoch.
Venelia sagte nichts und wandte sich wieder Benaus Gesicht zu. Ich dagegen beobachtete, wie die Vogelkönigin sich erhob und das blaue Licht intensiver wurde. Obwohl ich nicht glaubte, dass sie etwas Böses wollte, beunruhigte der Anblick mich. Was hatte das Tier vor?
Der Vogel machte einen Schritt vor und ließ sich dann in unmittelbarer Nähe von uns nieder. Unverwandt starrten die großen, bernsteinfarbenen Augen mich an. Das Leuchten wurde immer stärker, bis es jedes Bisschen Dunkelheit aus dem unterirdischen Nest vertrieb. Als würde es die Federn zum Leben erwecken, flackerte das reine Weiß auf und begann, ebenfalls blau zu schimmern. Fasziniert sah ich dabei zu.
Auch die Federn, die Terimanos Bein bedeckten, bekamen einen fahlen, blauen Glanz. Eine hektische Bewegung Venelias riss mich aus meinen verträumten Gedanken und etwas verwirrt sah ich ihr dabei zu, wie sie fahrig die nun blauen Federn auf Benaus gebrochenen Arm und seine Wange legte.
„Was soll das werden?", grummelte der Muskelprotz, aber er war zu schwach um wirklich bedrohlich zu klingen.
„Sei still", zischte Venelia und fuhr mit ihrer Arbeit fort. „Wenn das klappt, musst du später nicht mit einer Fehlstellung im Arm leben."
Ihre knappen Worte sorgten dafür, dass Benau den Mund hielt und Venelia machen ließ. Ich sah ihr dabei zu und langsam formte sich ein Gedanke in meinem Kopf, den auch meine Freundin gehabt haben musste.
„Meinst du, dass dieses blaue Leuchten für die Heilung zuständig ist?", fragte ich.
Venelia kniff konzentriert die Augen zusammen. „Ich bin mir nicht sicher, aber einen Versuch ist es wert. Und jetzt leise, ich muss mich beeilen."
Ich grinste leicht, angesichts ihres kratzigen Tonfalls. Die Venelia, die ich zu Beginn kennengelernt hatte, schimmerte jetzt deutlich hervor. Wenn ich meine Haare behalten wollte, blieb ich jetzt besser wirklich leise.
Kurz darauf war sie fertig und stand auf. Sie strich sich ein paar verschwitzte Haarsträhnen aus dem Gesicht.
„Jetzt müssen wir nur noch ein bisschen warten", murmelte sie mehr zu sich selbst.
Ich sah sie von der Seite an. Ihr Gesicht wirkte verkniffen. Ich folgte ihrem Blick und beobachtete, was passierte.
Es geschah enttäuschend wenig. Die Federn glommen beständig blau auf und die Vogelkönigin behielt alles in ihrem kristallklaren Blick. Nach mehreren Minuten streckte ich mich und gähnte. Venelia warf mir einen kurzen Blick zu.
„Schlaf ruhig etwas. Ich passe hier schon auf."
Ich lächelte ihr dankbar zu und drehte mich dann um, um nach einem geeigneten Platz zum Schlafen zu suchen. Dabei fiel mein Blick auf Féamo und wie von selbst trugen mich meine Füße zu ihm. Er schlief und auf seinem Gesicht lag ein friedlicher Ausdruck. Seine Brust hob und senkte sich gleichmäßig und ich konnte nicht verhindern, dass sich Erleichterung in mir ausbreitete.
Ich widerstand dem Drang, nach seinem Herzschlag zu lauschen und legte mich, einige Schritte von ihm entfernt, in die blaue leuchtenden Federn. Ein Seufzen kam über meine Lippen und ich schmiegte mich in den flauschigen Untergrund.
Ein bisschen schlafen. Das kam mir so verlockend vor, dass ich gleich darauf die Augen schloss und mein meinem Wunsch hingab.
•••
Als ich wieder aufwachte, fühlte ich mich erholt, gerade so, als ob ich gar nicht mehr auf dieser Reise war. Als ob ich immer noch in Belvêo wäre, in meinem Bett.
Doch dieser Moment währte nur sehr kurz. Sobald meine Lider sich widerwillig gehoben hatten, und die Dunkelheit der Höhle mich umfing, wusste ich wieder, wo ich war. Ich verkniff mir einen wehmütigen Gesichtsausdruck und streckte mich, reckte meine Fingerspitzen über den Kopf. Zu spät fiel mir ein, dass meine Hand ja verletzt war, und ich biss die Zähne zusammen, in Erwartung des Schmerzes.
Doch er blieb aus. Langsam hob ich meine Linke vor meine Gesicht. Sie wirkte normal. Vorsichtig krümmte ich die Finger, bis ich sie zu einer Faust geballt hatte und ein begeisterteres Lachen kletterte meine Kehle hinauf, als ich feststellte, dass ich sie wieder normal bewegen konnte. Was für ein Wunder die menschliche Hand doch war.
Ich rollte mich auf den Bauch und betastete meinen Hinterkopf, aber auch dort konnte ich keine Wunde erfühlen. Zufrieden verzog ich mein Gesicht zu einem Lächeln. Mir war zuvor gar nicht bewusst gewesen, wie viel es bedeutete, gesund zu sein.
Ich hob den Kopf und mein Lächeln wurde sanft, als ich meine Freunde entdeckte, die tief schlafend in den Federn lagen. Die Vogelkönigin hatte sich an den Rand des Nests zurückgezogen und behielt alles im Auge. Als ich mich aufrichtete, wanderte ihr Blick sofort zu mir.
Sie hatte mich, ach nein, uns alle geheilt und unser Leben gerettet. Die Tatsache, dass sie uns zuvor hatte fressen wollen, schob ich beiseite. Sie war auf etwas eingegangen, das sie nicht kannte und hatte sich dazu entschieden, es nicht zu tun. Wie passte sie dann in diesen Dschungel, der doch als Dschungel der Ungeheuer bekannt war? Ich wusste es nicht, doch letztendlich war es egal. Ich würde ihr immer dankbar sein.
Einer Verbeugung gleich, neigte ich den Kopf.
„Danke, meine Königin", sagte ich leise und mir war, als würde sie mir mit ihren schönen Augen zuzwinkern.
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