Kapitel 43: Ohrenbetäubendes Kreischen

Ich lag zusammengekrümmt neben Terimano auf dem Boden. Meine Augen waren geschlossen, das Blut pochte in meinem Kopf und ich umfing schützend mit meiner unverletzten Hand die verletzte. Der Schmerz darin war beinahe unerträglich und mittlerweile konnte ich die drei mittleren Finger auch nicht mehr bewegen. Ich versuchte, den Schmerz weg zu atmen, doch vergeblich. Deshalb lag ich dort und wartete, bis er verklungen war.

Es war eine einzige Qual gewesen, Terimano zu verbinden. Ich hatte viel zu lange gebraucht, bis ich endlich alle Schnüre miteinander verbunden hatte, und dann nochmal zu viel, als es hieß, den Stoff an der Wunde zu befestigen. Doch jetzt war es geschafft. Eine dicke Stofflage bedeckte den tiefen Schnitt und stoppte hoffentlich den steten Blutfluss. Noch hatte sich nicht alles vollgetränkt. Vielleicht war das ja ein gutes Zeichen.

Als die Schmerzwellen langsam abebbten, richtete ich mich auf, penibel darauf bedacht, meine Finger der linken Hand nicht zu bewegen. Langsam stand ich auf und suchte meine Umgebung ab. Ich hatte noch nicht nach allen meinen Freunden gesehen. Ich musste mich über ihren Zustand vergewissern.

Die letzte Gestalt gehörte zweifelsohne Benau. Seine breiten Schultern und die muskulöse Statur hoben sich deutlich von den anderen ab. Ich ging auf ihn zu und ließ mich neben ihm nieder. Die Chancen, dass er auch überlebt hatte, waren gering. Er war als erster gefallen, wir alle auf ihn drauf. Dass Terimano es geschafft hatte, grenzte beinahe an ein Wunder.

Bei meinem Freund aus Walia war es um einiges anstrengender, ihn auf den Rücken zu drehen, als bei Féamo. Ich atmete tief durch, damit ich sein Gesicht aus meinem Kopf verbannen konnte. Als ich es hingekriegt hatte, Benau auf den Rücken zu drehen, sackte ich erschöpft zusammen. Das alles zerrte unglaublich an meinen Kräften.

Mein Blick fiel auf Benaus Arm. Ich verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Der war auf jeden Fall gebrochen. Vorsichtig brachte ich seinen Arm irgendwie einhändig so in Position, dass der Knochen hoffentlich gerade lag und wandte mich dann seinem Gesicht zu. Benau hatte auf der Wange eine Schnittwunde, die sich von seinem linken äußeren Augenwinkel bis hin zu seinem Kinn zog, doch die Kanten waren glatt und es blutete kaum, fast so, als hätte jemand mit einem sehr scharfen Dolch die Kontur seines Gesichts nachgefahren.

Blieb jetzt nur noch die Frage, ob er noch atmete.

Ich beugte mich vor und lauschte. Und hätte fast aufgeschluchzt. Wie konnte das sein? Er lebte. Er lebte wirklich! Sein Atem ging kräftig, viel stärker, als der von Terimano, und wären seine Verletzungen nicht gewesen, hätte man meinen können, er würde nur schlafen.

Eine Weile blieb ich neben ihm sitzen, unfähig, etwas anderes zu tun, als ihn dankbar anzusehen. Ich wusste nicht, was ich getan hätte, wenn er nicht geatmet hätte.

Ich ließ von dem breitschultrigen Jungen ab. Auch wenn er lebte, ich hatte mich noch nicht um alle meine Freunde gekümmert. Venelia musste hier irgendwo liegen. Und ich musste sie einfach sehen, selbst wenn ich wusste, dass sie tot war.

Also stand ich wieder auf, suchte nach dem Leichnam meiner Freundin. Doch ich konnte ihn nicht entdecken.

Erst jetzt viel mir auf, wie riesig das war, wo wir gelandet waren. Es glich einer großen, sehr weitläufigen Höhle und der Untergrund bestand tatsächlich aus weichen, weißen Federn. Nur, dass sie riesig waren, nicht im Vergleich zu denen, die die heimischen Vögel trugen. Ich runzelte die Stirn, was direkt eine weitere Schmerzwelle aussandte. Wo waren wir nur gelandet?

Schritt für Schritt trat ich nach vorne und hielt nach Venelia Ausschau. Diffuses Zwielicht erfüllte die Höhle und ließ das Weiß der Federn leuchten. Ich ging auf die Mitte der unterirdischen Höhle zu und spürte, wie meine Beine immer mehr in den flaumigen Federn versanken. Der Boden neigte sich also der Mitte entgegen. Je weiter ich dorthin ging, desto öfter konnte ich auch die scharfkantigen, weißrosa gefärbten, schalenähnlichen Dinger erkennen, die drohend aus den unschuldig wirkenden Federn lugten.

Moment. Ich blieb stehen. Federn? Schalen?

War das hier etwa ein Nest?!

Das war ganz schlecht. Denn wo ein Nest war, waren auch die Bewohner. Und die mussten riesig sein, wie ich mit einem weiteren Blick auf die Schalen feststellte. Und das waren nur die Babys.

Ich biss mir auf die Unterlippe. Ich konnte nicht ändern, wo wir gelandet waren, deshalb war es sinnlos, darüber nachzudenken. Ich ging weiter. Bald schon reichten die Federn bis zu meinen Knien, und ich merkte, wie ich langsamer wurde.

Und dann entdeckte ich sie. Sie lag inmitten der Federn, weich gebettet und friedlich aussehend. Es wirkte, als würde sie nur ruhig schlafen und der Anblick hätte mir die Tränen in die Augen getrieben, wenn ich welche gehabt hätte.

Venelias braune Haare fächerten sich auf den weißen Federn und umrahmten ihr hübsches Gesicht. Sie wirkte wie eine Prinzessin aus uralten Märchen. Doch das wichtigste und gleichzeitig unglaublichste war- ihr Brustkorb bewegte sich. Er hob und senkte sich gleichmäßig, als wäre sie niemals durch ein metertiefes Loch gefallen, und mit voller Wucht auf den Boden aufgeschlagen.

Meine Knie gaben nach und ich sank zusammen. Ich verstand nicht, was los war. Terimano lebte. Benau lebte. Venelia lebte. Ich lebte. Wie war das möglich? Es war unser sicheres Todesurteil gewesen. Und auch wenn die Federn weich waren, einen Sturz mit unserer Geschwindigkeit hätten sie niemals abfangen können. Was war hier passiert?

Ich kroch zu Venelia und versuchte, meinen Kopf über den verführerisch weichen Federn zu halten. Als ich bei ihr angelangt war, betrachtete ich sie. Im süßen Schlaf gewiegt, atmete sie sachte ein und aus, sodass die Federn vor ihrer Nase erzitterten. Mein Blick schweifte über ihren Körper, doch ich konnte keine einzige Verletzung erkennen. Das war unmöglich.

Ich streckte meine rechte Hand aus. Ich musste sie einfach berühren, musste sichergehen, dass das hier kein Traum war.

Immer weiter überbrückte ich den Abstand zwischen uns- und berührte ihre Wange.

Und dann zerriss ein ohrenbetäubendes Kreischen die Luft und zerfetzte fast mein Trommelfell.

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