Kapitel 4: Diese eine Chance
Vier Wochen waren vergangen. Meine Antwort an Ranajea hatte ich bereits einen Tag nach meinem Geburtstag geschickt. Ich würde an der Seelensuche teilnehmen und meine Schwester finden. Ich musste sie finden.
In einer halben Blütezeit, also einer Woche, würden die Vorbereitungen für die erste Runde der Seelensuche starten. Ab dann waren es nur noch drei Blütezeiten, bis die Suche selbst startete. Nur noch sieben Wochen. Es kam mir endlos vor.
Demurì, mein kleines Venérkitz, entwickelte sich prächtig. Er war zwei Fingerbreit gewachsen und sein Horn hatte seine Farbe gewechselt. Von einem schimmernden braun in einen rötlichen Ton, wie die Sonnenuntergänge über dem Land. Er war sehr zutraulich und verspielt, jedenfalls wenn er mit mir zusammen war. Bei anderen Personen war er vorsichtig, eher schüchtern und zurückhaltend, doch seine Augen verloren nie ihren neugierigen Glanz.
Auch sein Gehege war von uns fertig gebaut worden. Da wir einen großen Garten hatten, hatten wir viel Platz für den Kleinen. Wir hatten Bäume und andere Holzgewächse gepflanzt, wilde Kräuter angelegt, ein Steinbecken für Wasser eingelassen und ihm einen Unterstand gebaut.
Teilweise hielt ich mich in Demurìs Reich viel lieber auf, als in meinem Zimmer. Papa sagte immer, wenn er mich aus dem Gehege zum Essen rausholte, dass ich irgendwann noch selber zu einem Venér mutieren würde.
Die Tage verstrichen, der Beginn der Vorbereitungswochen rückte immer näher. Mena hatte angefangen, sich als Maßschneiderin ausbilden zu lassen und arbeitete unermüdlich und mit einem begeisterten Funkeln in ihrer neuen Stelle und blühte regelrecht auf. Ich freute mich für sie, dass sie eine Arbeit gefunden hatte, die ihr Spaß machte.
Wenarius hatte eine Stelle bei Kalorius begonnen. Der alte Herr hatte sich sehr darüber gefreut- nachdem seiner und Namagaras Sohn in einen anderen Teil des Landes gezogen war, hatten sie niemanden gehabt, der vielleicht irgendwann das Restaurant mitsamt dem Gasthaus übernehmen könnte. Wenarius war ein vielversprechender Kandidat und Mena war begeistert, dass ihr Freund bei dem besten Koch des Ortes lernen sollte.
Auch die anderen 16-jährigen, die ich kannte, hatten neue Stellen bekommen oder arbeiteten schon seit einiger Zeit dort. Eigentlich hätte ich mich jetzt auch nach einer Arbeit umsehen sollen, aber da ich an der Seelensuche teilnahm, würde das nichts bringen. Die Suche würde bald beginnen und dann würde ich auf unbestimmte Zeit weg sein. Man wusste nie ganz genau, wie lange die Seelensuche dauerte. Vielleicht kam ich auch gar nicht wieder zurück.
Aber wenn ich die Seelensuche überstehen sollte und mit einer mit mir verbundenen Seele zurückkommen würde, dann würde ich ungefähr ein Jahr lang, zusammen mit den anderen Seelensuchern, Ranajea bei der Regierung dieses Landes helfen. Und danach standen mir alle Wege offen: Niemand hatte je einem Seelensucher eine Stelle bei sich verwehrt. Ich hätte Möglichkeiten in allen Teilen des Landes.
Unser Land bestand aus fünf großen Teilen: Walia, Surreika, Belvêo, Pravena und Kraveen. Hier in Belvêo regierte Ranajea das Land. Das Land selbst hatte keinen eigenen Namen, für alle war es immer nur ,das Land'.
Jedes Jahr wurde aus jedem der fünf Teile eine 16-jährige Person ausgewählt, an der Suche teilzunehmen. Sofern diese das wollten. Es war auch schon vorgekommen, dass der oder die Auserwählte nicht an der Suche teilnehmen wollte. Dann wurde eine neue Person an der Stelle ausgewählt.
Ich konnte es noch nicht ganz glauben, dass es mich getroffen hatte. Dass ich als Bewohnerin von Belvêo eine Seele suchen durfte. In Belvêo lebten so viele Menschen, so viele, die diese Chance verdient hätten. Ich war dankbar, dass ich diese eine Chance bekommen hatte.
Doch ein schlechtes Gewissen konnte ich nicht wirklich haben, so sehr ich es anderen Menschen auch gegönnt hätte. Meine Schwester zu finden... das war das Einzige in meinem Leben, das ich immer so sehr gewollt hatte. Und dass ich jetzt die Gelegenheit dazu bekommen hatte, war unglaublich.
Und ich würde es schaffen. Irgendwie spürte ich das.
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