Kapitel 32: Gefährliche Sicherheit
Weil ich mich nicht mehr alleine fühlte, umhüllte mich während dem Übergang von Realität zu Traum das gefährliche Gefühl von Sicherheit. Und deshalb unterlief mir ein Fehler, der mir schon lange nicht mehr passiert war.
Ich vergaß meine Visionen und somit den Knebel, den ich brauchte, um keine der gefährlichen Kreaturen anzulocken.
Doch der Gedanke kam zu spät. Ich wollte mich zurück kämpfen, wollte wieder in meinen Wachzustand, doch es ging nicht. Es war, als würde mein Körper sich gegen mich wehren. Ich versank im Schlaf, und mein letzter Gedanke war, dass ich wieder wach werden musste. Ich versuchte, mir das Feuer in Erinnerung zu rufen. Das Feuer. Flammen, Wärme, Schatten, Licht...
•••
Licht. Es leuchtete, pulsierte im Rhythmus meines Herzschlags. Farben spielten in dem Wirbel. Weiches, silbriges Leuchten tauchte alles in einen magisch anmutenden Glanz. Ich war wie gebannt. Via. Ich hörte ihre Stimme, das zarte Windspiel und Gurgeln eines Baches...
Die Szene wechselte. Katie. Das Bett voller Blut, und ich, voller Schmerz. Trauer, die mich erdrückte, Wut, die mir den Atem nahm. Und das Leuchten, silbern, stark.
Erkenntnis durchflutete mich. Katie... ihre Seele. Ich hatte sie gesehen, sie war da gewesen. Ihr Licht, ihr Sein. Doch ich hatte sie nicht bemerkt, war sie wirklich da gewesen?
Ich berührte ihre Wange, spürte, wie kalt und leblos sie war. Wo war ihre Seele? Wo? Sie war nicht da.
Nicht da.
•••
Ich riss die Augen auf und sog gierig frische Luft ein. Dann wurde mir plötzlich eine große Hand auf den Mund gepresst. Ich schlug um mich, mein Herz raste. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. Mir ging meine Schwester nicht aus dem Kopf, ihr Gesicht, das Glühen, Ranajeas verbundene Seele Via. Wo war der Zusammenhang?
Ihr hörte, wie jemand fluchte. „Scheiße Limeana, halt die Klappe! Du lockst noch die ganzen Viecher an!"
Das war Benaus Stimme. Kraftlos versuchte ich, seine Hand von meinem Mund zu ziehen, doch meine Finger zitterten zu stark. Ich hörte auf, mich zu wehren und ließ meine Arme sinken. Ich sackte in mich zusammen wie ein Ball, der Luft verlor.
Wenige Augenblicke später nahm Benau seine Hand fort und ich atmete tief ein. Endlich frei atmen. Erschöpft schloss ich die Augen. Ich war eine Idiotin. Wie hatte ich den Knebel nur vergessen können? Am liebsten hätte ich mich selbst getreten.
„Seit wann redest du im Schlaf?", schnaubte Benau und sah mich mit zusammengekniffenen Augen an.
„Ich... ich rede nicht im Schlaf", stammelte ich, obwohl ich wusste, dass das nicht stimmte.
Oder vielleicht doch? Schlaf konnte man meine Visionen nicht nennen.
„Nein? Du hast die ganze Zeit vor dich hingemurmelt, dann hast du gejammert und dann hast du wie am Spieß geschrien."
Ich senkte den Blick. Das Feuer war kleiner geworden, die Flammen tanzten nun träger über das Holz.
„Hast du Alpträume?", fragte Benau, seine Stimme wurde sanft. „Du weinst ja."
Ich wischte mir über die Wange. Sie war nass von Schweiß und Tränen.
„Nein", sagte ich leise. „Das sind keine Alpträume."
Ich konnte die Neugier sehen, die in seinem Blick aufflackerte, doch er hielt sich zurück.
„Normalerweise passiert mir das nicht", fuhr ich fort, als ich wieder etwas zur Ruhe gekommen war. „Eigentlich habe ich dafür Vorkehrungen getroffen, aber irgendwie habe ich das vergessen. Tut mir leid, kommt nicht wieder vor."
Benau musterte mich schweigend, seine blonden Haare hingen ihm in Strähnen ins Gesicht. Sie waren länger geworden und er musste sie öfter zurückstreichen.
Mein Blick wandte sich wieder dem Feuer zu. Meine Gedanken schweiften ab und ich wickelte mir eine Strähne um den Finger. Was hatten meine Visionen zu bedeuten? Es waren Erinnerungen, so viel war klar. Doch sie waren verwirrend und durcheinander, sie passten nicht zusammen. Was hatte ich übersehen?
Ich kaute auf meiner Unterlippe. Eine Angewohnheit, die sich in letzter Zeit stärker entwickelt hatte. Vielleicht, weil ich so wenig zwischen die Zähne bekam und mein Körper das irgendwie kompensieren musste.
Ich stieß einen tiefen Seufzer aus und legte mich wieder zurück. Die Decke zog ich mir bis zum Hals, als könnte sie mich vor den Kreaturen schützen, die draußen lauerten.
Ich sah, dass Benau ein paar kleinere Äste ins Feuer legte, um es zu nähren. Ein angenehmes Knistern ertönte. Müde schloss ich meine Augen. Es war so anstrengend.
Es kam öfter vor, dass ich bei der Seelensuche mein Ziel aus den Augen verlor. In diesen Momenten wusste ich nicht, was ich hier tat und wo ich hingehen sollte. Wo mein Ziel lag, konnte ich zwar nicht wissen, aber was es war, sollte mir eigentlich klar vor Augen liegen. Doch mit der Zeit war es immer schwieriger geworden, mich daran zu erinnern, daran festzuhalten.
Ranajea mochte eine Lügnerin sein, und ich wusste mit großer Sicherheit, dass sie nicht die war, die sie nach außen hin preisgab, aber in einem hatte sie recht gehabt. Das hatte ich immer wieder bitter feststellen müssen.
Diese Reise würde mich verändern. Sie tat es jetzt schon. Vielleicht so sehr, dass ich am Ende nicht mehr die sein würde, die ich einmal war. Und ich wusste nicht, ob das gut oder schlecht war.
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