Kapitel 31: Feuer und Magie

Grau. Die Farbe umgab mich, wie die Luft zum Atmen und die Magie, die in jeder Faser der Existenz lag. Der halb verrottete Untergrund war grau, die Rinde der riesigen Bäume war grau, die Lianen farblos. Sogar ich war grau. Ich fühlte mich grau.

Benaus Gesellschaft vermochte dieses graue Gefühl nicht zu vertreiben. Es tat zwar gut, nicht alleine sein zu müssen, und dennoch war diese Situation so trostlos, wie kaum eine andere. Ich fragte mich wieder einmal, wann ich jemals aus diesem Dschungel rauskommen würde. Ranajea hatte damals gesagt, dass für jeden Seelensucher der Weg anders sein könnte. Mir war klar, dass es noch Monate dauern konnte, bis ich die sichere Zone zwischen den Bergen des Vergessens und dem Dschungel erreicht hatte. Und dass ich nicht sicher sein konnte, alle meine Reisegefährten dort anzutreffen. Vielleicht war ich ja auch diejenige, die niemals dort auftauchen würde. Diesen Gedanken betrachtete ich ungewöhnlich emotionslos. Als würde es mir nichts ausmachen.

Als es fast so dunkel war, dass man die Baumstämme nicht mehr von der grauen Umgebung unterscheiden konnte, machten Benau und ich Rast zwischen drei Bäumen, die etwas enger aneinander standen, und einen behelfsmäßigen Schutz boten.

Schweigend arbeiteten wir gemeinsam an unserem Platz für die Nacht. Benau suchte ein paar Äste, die zumindest nicht ganz durchfeuchtet waren und machte sich daran, ein Feuer anzuzünden. Oder besser gesagt, versuchte er es. Denn es war eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, nasses Holz zum Brennen zu bringen.

Ich wickelte meine überaus nützlichen Lianen aus und errichtete eine Art Absperrung, unterstützt durch die Holzpflöcke. Als ich einen von ihnen in der Hand wog, kam mir eine Idee und ich reichte Benau das spitze Stück Holz.

„Hier. Das kannst du für unser Feuer benutzen."

Benau starrte den Pflock an, dann warf er mir einen dankenden Blick zu, und machte sich daran, ein Feuer zu entfachen.

•••

Als wir fertig waren, setzten wir uns zu dem kleinen Feuer und versuchten, uns an der Flamme zu wärmen.

Benau holte aus seiner Tasche etwas zu essen hervor, dass ausnahmsweise nicht halb vergammelt aussah. Verwundert hob ich die Brauen.

„Terimano hat das Essen unter uns aufgeteilt, falls wir getrennt werden", erklärte er mir und schüttete mir ein paar getrocknete Früchte in die hohle Hand. „Ich habe nicht mehr viel, wie müssen sparsam sein."

Ich nickte und lächelte leicht. Dass er seine letzten Reste mit mir teilte, berührte mich und ein Gefühl der Dankbarkeit ergriff mich. Ich schob mir eine der Beeren in den Mund und zerkaute sie, genoss den winzigen Rest Saft in der getrockneten Frucht.

Die Früchte machten mich nicht wirklich satt, aber sie ließen das nagende Gefühl in der Magengegend verschwinden. Das war etwas, von dem ich wahrscheinlich nicht mehr loskommen würde, wenn ich irgendwann, in ferner Zukunft, wieder ins Land kommen würde. Ich würde mich bei jedem Essen so lange vollstopfen, bis wirklich nichts mehr passte. Alleine an das gute Essen von Kalorius zu denken, ließ das Wasser in meinem Mund zusammenlaufen.

Ich gähnte und streckte mich, bis die Gelenke knackten. In letzter Zeit hatte ich viel abgenommen, mittlerweile war ich beim letzten Knopf meiner verstellbaren Hose angelangt. Sollte ich noch dünner werden, wäre mir die Hose bald zu groß.

„Hast du es dir so vorgestellt?", fragte Benau plötzlich. Er starrte ins Feuer, die hungrigen Flammen warfen rötliches Licht auf seine Wangen.

„Was meinst du?"

Er überlegte eine Weile und stocherte mit einem Stöckchen in der Glut. „Die Seelensuche. Hast du sie dir so vorgestellt? So gefährlich, so... trostlos?"

Ich seufzte. „Nein. Nein, ich glaube nicht. So etwas kann man sich nicht vorstellen, wenn man es nicht schon erlebt hat. Egal wie viel besser wir vorbereitet gewesen wären- dieses Land ist magisch." Ich lachte, doch es klang trocken. „Selbst das normale Leben ist zu kompliziert für einen Menschen, es ist für uns kaum zu begreifen. Wie sollen wir dann das hier verstehen?"

Ich machte eine Geste mit der Hand, die das ganze Seelenreich einbeziehen sollte.

Benau warf das Stöckchen ins Feuer und beobachtete, wie gierig die Flammen daran leckten.

„Aber wir können damit umgehen", meinte er. Sein Blick wandte sich mir zu. „Unsere Vorfahren konnten das nicht. Sie waren zu verblendet, ihr Egoismus zu groß, das Verlangen nach allen Dingen der Welt zu mächtig. Wir können es nicht verstehen, aber wir können es akzeptieren. Die Menschen vor uns waren wie dieses Feuer hier", sagte er und zeigte auf die Flammen. „Einmal entflammt und wirklich groß geworden, waren sie nicht mehr zu stoppen. Das sind wir nicht mehr."

Ich schüttelte den Kopf. „Da bin ich mir nicht so sicher, Benau. Diese Welt mag eine bessere geworden sein, aber die Menschen..." Ich machte eine Pause und suchte nach Worten, mit denen ich beschreiben konnte, was mir durch den Kopf ging. „Wie du sagtest, sie sind wie Feuer. Du kannst sie zügeln, kannst eine Barriere errichten, sie damit kontrollieren. Aber wenn da ein Moment der Unachtsamkeit ist- nur ein Augenblick- dann kann es sich gegen dich wenden. Es kann zerstören, verwüsten und Leid verursachen. Selbst wenn es danach gestoppt wird, das Ergebnis bleibt das Gleiche. Und Feuer kommt immer wieder."

Benau dachte sehr lange darüber nach. Ich hatte nie gedacht, dass in ihm diese Seite schlummerte, diese poetische, weltdenkende Art.

In der Zeit holte ich die beiden Decken hervor und reichte ihm eine davon. Ich wickelte mich darin ein und legte mich an die Flammen, so nahe, dass ich die Wärme spüren konnte, die davon ausging.

Benau legte sich ebenfalls hin, sodass wir Kopf an Kopf lagen.
Stille breitete sich aus, nur ein leises Knistern war zu hören. Feuer und Magie.

„Aber obwohl du sagst, dass das Feuer gefährlich ist, dass es zerstört und verwüstet, zündest du es an, um dich daran zu wärmen", sagte er plötzlich, seine Stimme war leise. „Feuer muss nicht unbedingt böse sein. Jedes Feuer, dass sich entflammt, ist anders. Manches wärmt, manches spendet Licht und manches bringt Leid. Würdest du deshalb sagen, dass Feuer schlecht ist?"

Er atmete tief aus. „Du hast recht, wir sind wie Feuer. Meistens sind wir gut, und manchmal sind wir schlecht, und dazwischen liegen Millionen Dinge. Wer weiß, vielleicht sind wir ja eines dieser Dinge."

Und dann schwieg er, ließ mich über die Worte, die er gesprochen hatte, nachdenken. Ich wusste, dass das, was er gesagt hatte, richtig war, dass es die Wahrheit war. Wer konnte das besser sagen, als ich? Aber ich hätte seinen Worten auch ohne meinen Beinamen, der mir Fähigkeiten verlieh, die ich noch nicht genau kannte, geglaubt.

Ich drehte mich auf die Seite und betrachtete das Feuer. Es schien sanft und zärtlich und strahlte liebkosende Wärme aus. Es erinnerte mich an die Seele, an Via. Vielleicht waren wir ja wirklich einer Flamme gleich.

Ich beschloss, dass ich Benau mochte. Er war mir immer etwas unterbelichtet und grob erschienen, doch die Seite seiner Persönlichkeit, die er heute von sich gezeigt hatte, hatte mich angenehm überrascht.

Wie facettenreich das Leben doch sein konnte. Nichts war, wie es schien.

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