Kapitel 3: Demurì

Als wir den Weg zu Menas Haus einschlugen, kam uns eine Gestalt entgegen. Ein Lächeln erschien auf dem Gesicht meiner besten Freundin. Ich wusste sofort, wer diese Person war. Nur er konnte ein solchen Glanz in ihren Augen hervorrufen.

Mit Schwung warf Mena sich in Wenarius' Arme und er wirbelte sie herum, lachend, mit einem übermütigen Ausdruck in seinem Gesicht. Als die beiden sich küssten, wandte ich lächelnd den Kopf ab. Ich kannte Wenarius nicht besonders gut, aber er war nett und freundlich. Ich mochte ihn.

„Hi Limeana." Ich sah auf. Mena und Wenarius standen vor mir, er hatte einen Arm um ihre Taille gelegt. „Alles Gute zum Geburtstag."
Er löste sich von meiner besten Freundin und umarmte mich.

„Also..." Er neigte den Kopf in Richtung Stadt. „Wollen wir?"

Verwirrt schaute ich von ihm zu meiner Freundin. „Wollen wir was?", fragte ich.

„Ach so." Mena winkte ab. „Wir wollten mit dir und deinem Vater essen gehen. In diesem schönen Restaurant, das du so gerne magst. Wie heißt das nochmal?"

„Das goldene Venér", sagte ich.

Mena wandte sich ihrem Freund zu. „Siehst du, sie ist völlig besessen von diesen Dingern."

Ich mochte das Restaurant nicht nur wegen dem Namen. Es war einfach das Schönste von allen und das Essen war dort das Beste, was man finden konnte. Ich freute mich darauf, dort essen zu gehen. Kalorius, der Koch und Besitzer des Restaurants, war ein etwas in die Jahre gekommener Herr, der so in etwa die Rolle eines Großvaters für mich war. Katie und ich hatten es geliebt, wenn er unsere Teller lustig dekorierte und uns mit seinen blauen Augen zuzwinkerte.

Mein Lächeln verblasste. Katie. Es war auch ihr Lieblingsrestaurant gewesen.

Es gab kaum etwas, das mich nicht an sie erinnerte. Ich hatte alles mit ihr geteilt. Alles. Alles...

•••

„Limeana!", polterte Kalorius und schloss mich in eine feste Umarmung. Ich war noch nie so oft umarmt worden, wie an diesem Tag. „Wie geht's, wie steht's, junges Mädel? Alles Gute zum Geburtstag!"

Unwillkürlich musste ich lachen. In Kalorius' Gegenwart konnte man fast nicht ohne Lachen.

„Setzt euch, setzt euch." Er wies uns einen von den schönen Fensterplätzen zu. Die Sonne schien hinein und tauchte alles in ein sanftes Licht.

Ich setzte mich ans Kopfende, mein Vater, der uns vor dem Gasthaus getroffen hatte, setzte sich mir gegenüber und Mena und Wenarius nahmen links und rechts von uns Platz.

Kalorius kam kurz darauf zu unserem Tisch und begann, das vorbestellte Essen aufzutischen. Mit jeder Schüssel und Platte, die er hinstellte, wurden unsere Augen größer und größer.

„Na dann, guten Appetit."

•••

Das Essen hatte göttlich geschmeckt, wie wir alle Kalorius mehrmals versicherten, nachdem er unsere Teller abgeräumt hatte. Ich verkniff mir ein Stöhnen, als ich vorsichtig mein Gewicht verlagerte. Ich war mir sicher, dass ich niemals wieder Platz für etwas zu essen hatte.

Mena konnte sich ein Seufzen nicht verkneifen. Sie tätschelte ihren Bauch und grinste mich an. „Du wirst Tante, Limmy."

Ich lachte, was unglaublich viel Kraft kostete „Du auch."

„Hey!", protestierte Papa. „Ich bin noch nicht bereit, Großvater zu werden!"

Meine Freundin und ich grinsten uns an.

Dann klatschte Papa in die Hände. „So Große, ich hatte dir ja eine Überraschung versprochen. Kalorius!", rief er. Dieser schaute aus der Küche hervor. „Ist die Überraschung bereit?"

„Natürlich. Namagara hat sich sehr gut darum gekümmert."

Namagara war Kalorius Frau, rundlich, immer mit ihrer Lieblingsschürze unterwegs und die Gutherzigkeit in Person. Ich war gespannt, wovon Papa und der in die Tage gekommene Wirt, sprachen. Aber so, wie Mena und Wenarius sich anschauten, wussten auch die Beiden, worum es ging.

Wir erhoben uns und folgten Kalorius eine Treppe hinter dem Tresen hinab. Die Luft war kühl und roch nach süßem Likör und Staub. Wir durchquerten die Lagerräume und Kalorius öffnete die Tür, die in den Hof des Restaurants führte.

Ich liebte den Hof. Er war mit rotbraunen Steinen gepflastert, die Wiesenflächen dufteten nach Gartenkräutern und die zwei alten Bäume am hinteren Ende des Hofs knarzten im Wind. Früher hatten Katie und ich oft hier gespielt.

Unter einem der Bäume stand ein großes, kantiges Etwas, das von einem braunen Tuch verhüllt wurde. Und wir hielten direkt darauf zu. Erst später, als ich in die erwartungsvollen Gesichter meiner Freunde, meines Vaters und das von Kalorius blickte, wurde mir bewusst, was das große, verhüllte Etwas war.

„Ich hoffe, es gefällt dir, Große", sagte Papa und lächelte mich an.

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, ich konnte nur gerührt zurück lächeln. Mit langsamen Schritten ging ich auf das Ding zu und nahm eine Ecke des braunen Tuchs.

Ein Glucksen ertönte und dann ein tiefer Laut. Ich erstarrte. Langsam zog ich das Tuch herunter... und was ich sah, verschlug mir den Atem.

Es sah mich an, mit großen, runden Augen, das schimmernde Horn noch ganz klein, die Ohren viel zu groß für den kleinen, filigranen Kopf. Das Venérkitz machte einen Schritt auf mich zu, senkte den Kopf und schnupperte an meiner Hand, die ich in das Gitter gekrallt hatte.

„Wir haben es aus der Venérstation geholt. Der Kleine wurde im Wald gefunden, seine Mutter ist wahrscheinlich umgekommen und jeder Eingliederungsversuch in eine Wildherde ist gescheitert. Tja, und jetzt... jetzt gehört er dir", sagte Papa.

Wortlos stand ich auf und schlang meine Arme um ihn. Er lachte und küsste mich auf den Kopf. „Gefällt dir der Kleine?"

„Was für eine Frage!", sagte Mena und lachte.

Ich löste mich von Papa und umarmte der Reihe nach meine Freunde und Kalorius. Der lachte dröhnend.

„Namagara hat den Kleinen auch schon ganz schön ins Herz geschlossen. Sie lässt dir übrigens Grüße ausrichten, aber sie musste zu ihrer Schwester, es gab da was zu regeln."

„Danke, sag ihr, dass sie ihn so oft besuchen kann, wie sie will."

Kalorius seufzte gespielt leidvoll. „Ich werde meine Frau dann wohl in den nächsten Tagen nicht mehr zu Gesicht bekommen."

•••

Wir brachten den kleinen Kerl noch am gleichen Tag zu uns nach Hause. Wir stellten das Gehege in den Garten und begannen, ihm ein größeres zu bauen, so naturnah wie möglich, damit er sich wohl fühlte. Mena und Wenarius halfen tatkräftig. Am Abend war es fast fertig und meine beiden Freunde verabschiedeten sich von uns.

Als die Beiden weg waren, holte ich ein altes Tuch, eine Wärmflasche und eine Schüssel voll Wasser und ging zu meinem neuen kleinen Schützling. Vorsichtig öffnete ich den Käfig, kroch mitsamt den ganzen Sachen hinein und schloss ihn wieder hinter mir.

Der Kleine beobachtete die Aktion aus sicherer Entfernung. Ich stellte die Schüssel Wasser hin, nahm das Tuch und machte ihm ein Nest daraus, die Wärmflasche legte ich dazu.

„Na, Kleiner? Willst du nicht mal gucken?"
Ich streckte ihm eine Hand hin. Zögerlich stolperte er auf mich zu, schnupperte an mir und beäugte dann das Tuch.

Zehn Minuten später lag der Kleine in seinem Tuchbett, eng an die Wärmflasche gekuschelt und ließ sich von mir Streicheln. Vorsichtig strich ich über sein braunes, glattes Fell und der Kleine gurgelte vor sich hin. Dann fiel mir noch etwas ein.

„Du hast ja noch gar keinen Namen, oder, Süßer?"

Besagter Süßer gab einen schläfrigen Laut von sich.

„Hm... ich nenne dich... Demurì. Das ist doch ein schöner Name, oder Demurì?"

Er hob den Kopf und sah mich an, als wollte er sagen: Ja, das ist genau der richtige Name für mich.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top