Kapitel 24: Tiefe Dunkelheit

Je weiter wir gingen, desto vorsichtiger wurden wir. Die Vegetation wurde immer dichter, die Luftfeuchtigkeit erhöhte sich rapide. Ich hatte das Gefühl, dass ich gar nicht mehr trocken werden würde. Was schon seltsam war, denn innerlich fühlte ich mich so, als würde ich austrocknen.

Ich stand unter Anspannung. Ich wusste nicht, was uns im Dschungel erwarten würde, doch die Magie knisterte hier so stark, dass es wie ein elektrischer kleiner Stromschlag war, jedes Mal, wenn wir uns ruckartig bewegten. Es war nicht schmerzhaft, nur ein wenig unangenehm, wenn man nicht darauf vorbereitet war.

Die Landschaft schien sich mit jedem Blick zu ändern. Es wurde grüner und grüner und grüner. Bei jedem Schritt streiften meine Beine die Blätter unzähliger Pflanzen, und bald schon war es so dicht, dass wir nicht mehr sehen konnten, wohin wir traten. Hier und da ragte ein umgefallener Baumstamm aus dem Grün, ummantelt von feuchtem Moos und Lianen. Pilze sprossen aus dem verrottenden Holz.

Nach zwei Stunden konnten wir die unendlich staubige Fläche, die wir zuvor durchquert hatten, nicht mehr erkennen. Wir waren eingeschlossen von Pflanzen.

Irgendwann machten wir Rast, doch wir trauten uns nicht, uns hinzusetzten. Überall war es grün, nass, dreckig. Wer wusste schon, was da alles krabbelte. Wir knabberten an ein paar Blumen-Körner-Keksen, die Terimano und reichte und blickten uns immer wieder um, in der Angst, dass irgendwas aus dem Unterholz hervorspringen würde. Denn so langsam spürten wir die Gefahr, die in der Luft lag.

Wir blieben nie lange an einer Stelle stehen und dieses Mal liefen wir auch über Nacht. Es war stockdunkel und damit wir uns nicht verloren, nahmen wir uns an der Hand. Féamo vorne, dann kamen ich, Venelia, Terimano und Benau. Mehrmals stolperte jemand von uns und rappelte sich dann umständlich wieder auf.

Irgendwann, als ich schon fast den Umstand vergessen hatte, dass wir uns in einem Dschungel befanden, ertönte ein Knacken. Es war ziemlich laut und schien in der alles umfassenden Stille zu dröhnen. Egal was das Knacken ausgelöst hatte, es musste schwer sein. Sehr schwer. Ich biss die Zähen zusammen und versuchte, meinen Herzschlag zu beruhigen.

Venelia umklammerte meine Hand fester und ich verschränkte beruhigend meine Finger mit ihren. Das gab gleichzeitig besseren Halt. Auf keinen Fall durften wir uns jetzt verlieren. Ich bewegte meine Hand in der von Féamo und verschränkte meine Finger ebenfalls mit seinen. Kurz zögerte er, doch dann ließ er es zu. Der Druck seiner Hände war beruhigend, und ich versuchte die Ruhe auf Venelia zu übertragen.

Als hätten wir uns abgesprochen, kauerten wir uns auf den Boden, ohne ein Geräusch. Wir warteten ab. Ich betete, dass dort nichts war und es nur ein Stück Holz war, das durch die Jahre seine Festigkeit verloren hatte. Doch ich wusste, dass mein Wunsch eben nur das war- ein Wunsch. Alle von uns wussten, dass dort etwas lauerte.

Plötzlich ertönte es wieder- das Knacken. Mein Herzschlag beschleunigte sich noch mehr. Ich riss die Augen weit auf, versuchte irgendetwas mit ihnen wahrzunehmen, doch vergeblich. Ich sah nicht mal meine eigenen Hände vor Augen.
Und dann roch ich etwas. Es roch nach Fleisch, verrottet, verwest. Ich unterdrückte ein Würgen. Das war der Geruch eines Fleischfressers. Eines reinen Fleischfressers, eines Wesens, das eigentlich nicht mehr existierte. Eigentlich. Das hier war der Dschungel der Ungeheuer, hier existierten Sachen... die konnten wir uns nicht vorstellen.

Ein Röcheln ertönte. Es war tief und klang bedrohlich und war für meinen Geschmack viel zu nah.

Stinkender Atem wurde plötzlich in mein Gesicht gehaucht und meine Nackenhaare stellten sich auf.

„Scheiße."

„Lauf. Lauf!" Féamo riss an meinem Arm und ich kam stolpernd auf die Füße. Der Rest folgte und wir liefen los. Nichts war mehr wichtig. Ich schürfte mir die Haut an den Beinen auf, knickte zweimal mit dem rechten Knöchel um und trotzdem rannte ich weiter. Plötzlich ein Schrei. Venelias Hand rutschte aus meiner.

„Nein!", kreischte ich. „Venelia!"

Ich hörte ihre Schreie und Entsetzen machte sich in mir breit. Féamo zog mich weiter. Ich wehrte mich verbissen gegen ihn, doch er ließ nicht los.

„Komm schon, ihr ist nichts passiert. Wir müssen weiter." Doch seine Stimme war voller Angst und ich wusste, dass er das nur sagte, um mich zu beruhigen.

Vielleicht war Venelia schon tot, gefressen von einem Raubtier. Bei dem Gedanken daran durchfuhr mich Entsetzen.

Ein Brüllen ertönte und dann ein weiterer Schrei. Kalte Schauder liefen meine Wirbelsäule hinab.

Irgendwann verstummten die Schreie und ich sackte zusammen. Féamo legte seine Arme um mich und hob mich hoch. Ich war zu betäubt, um es überhaupt zu merken, und eigentlich war es mir auch egal, deshalb wehrte ich mich dieses Mal nicht.

In dem Moment stürzte er und ich landete im Dreck unter eine dicken Schicht schwer duftender Pflanzen. Féamo landete halb auf mir und blieb liegen. Er war ohnmächtig geworden.

Ich fluchte leise, blinzelte mehrmals, versuchte angestrengt, wach zu bleiben, doch ein Nebel erfüllte meinen Kopf und meine Augen fielen zu.

Ich sank in Dunkelheit. Tiefer... tiefer... tiefer... bis da nichts mehr war.

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