Kapitel 16: Blanke Nerven
Es dauerte Tage, bis ich den verdammten Rucksack fertiggestellt hatte. Obwohl ich meistens eine sehr ausgeglichene Person war, lagen meine Nerven momentan blank. Ich hatte den Versuch aufgegeben, mich mit Venelia und Benau zu arrangieren. Sie waren anstrengend- das konnte ich nicht gebrauchen. Terimano war so beschäftigt mit seinen Vorbereitungen, dass wir kaum die Zeit fanden, uns für zwei Minuten unter vier Augen zu unterhalten. Und Féamo hielt sich auf mein Anraten hin fern.
Ich fühlte mich alleine gelassen. Die Wochen verstrichen und der Druck wurde immer größer. Ich hatte mir bisher Klamotten, einen Rucksack, eine Flasche, etliche kleinere Dinge, die mir nützlich erschienen waren, und auch Decken gemacht. Die Arbeit war anstrengend und mein Nacken schien chronisch verspannt zu sein.
Die Stimmung zwischen uns Seelensuchern war äußerst gereizt. Dass Ranajea uns jeden Tag auf der Empore beobachtete und dabei süße Getränke schlürfte und kleine Häppchen aß, machte es nicht besser. Zumindest darin waren wir einer Meinung. Hatte sie wirklich nichts besseres zu tun? Jedes Mal, wenn ich sie ansah, presste ich meine Lippen vor Wut zusammen. Ich wusste nicht, wieso, aber die Herrscherin wurde mir jedes Mal, wenn ich sie ansah... unsympathischer. Ich konnte dieses Gefühl kaum definieren.
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An einem Abend, drei Wochen waren bereits verstrichen, entdeckte ich einen Brief auf dem Boden, den man unter der Zimmertür hindurchgeschoben haben musste. Neugierig schloss ich die Tür ab, hob den Brief auf und ging zum Sofa. Dort ließ ich mich in die weichen Kissen sinken und öffnete den Umschlag. Der Brief war von Mena.
Hey Freundin,
wie ich von deinem Vater gehört habe, scheint es dir ja ganz gut zu gehen, abgesehen von der anstrengenden Arbeit und dem wenigen Essen. Ich kann immer noch nicht glauben, dass sie euch wirklich auf Diät setzten. Armes Ding :(
Deinem Kleinen geht es übrigens sehr gut, auch wenn es so aussieht, als würde er dich vermissen. Er jammert ständig herum. Ich versuche immer, den Süßen zu trösten, aber das funktioniert nur, wenn ich zwei Stunden neben ihm in seinem Käfig liege und er einschläft:)
Ich drücke dir die Daumen, dass du alles geregelt kriegst, egal, was da noch kommt. Du kriegst das hin.
Alles Liebe,
Mena
Ich ließ den Brief sinken und starrte vor mich hin. Meine Freundin erschien mir plötzlich so weit entfernt, wie noch nie. Ich vermisste sie.
Mit einem Mal fragte ich mich, ob ich wirklich für die Seelensuche bereit war. Ich war ein normales, 16-jähriges Mädchen. Ich war rein gar nichts Besonderes, nicht einmal meine Gabe oder Bestimmung schien wirklich hilfreich zu sein. Vielleicht hatte Venelia nicht ganz unrecht. Es konnte einen fertig machen, wenn man nicht wusste, wozu meine Gabe oder Bestimmung wirklich gut war. Ich wusste nicht einmal, was von beidem es wirklich war.
Zynisch lachte ich auf. Wirklich toll, wie rund es bei mir lief.
Zum ersten Mal seit Jahren fragte ich mich, ob die Suche wirklich eine gute Idee war. Der Gedanke zerriss mich fast. Ganz egal, ob ich dazu gemacht war oder nicht, ganz egal, ob ich daran zweifelte. Ich musste es schaffen. Nicht zu wissen, was mit meiner Schwester geschehen war, ließ mir keine Ruhe. Ich musste meine kleine Katie finden. Und wenn es das Einzige war, das ich in meinem Leben jemals schaffen würde.
Diesen Entschluss trug ich so fest in meinem zerbrochenen und gesplitterten Herzen, dass ich ihn nicht loslassen würde, bis ich ihn erfüllt hatte. Das wusste ich. Und es war genau das, was ich wollte.
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