Kapitel 10: Nie wieder
„Da ist sie ja, unsere Auserwählte!" Mena jubelte und hob ihr Glas. Ich lächelte und stellte mich zu ihr.
„Du siehst wunderschön aus", sagte meine beste Freundin und musterte mich zufrieden.
„Danke", sagte ich und drehte mich einmal um mich selbst.
„Gefällt dir dein Kleid? Ich hoffe es für dich, ich hab es nämlich gemacht", sagte sie beiläufig und biss in ein Häppchen.
Ich starrte Mena an. Sie versuchte, ernst zu bleiben, doch ihre Mundwinkel zuckten.
„Wirklich? Oh Mann, Mena, es ist wunderschön!" Ich umarmte sie.
Sie lachte und dann begann sie, wie ein Wasserfall zu reden. „Als ich den Auftrag bekommen habe, dachte ich nur so: Oha ist das krass, ich darf das Kleid für die Auserwählte aus Belvêo, alias meine beste Freundin, machen! Und dann hab ich Panik gekriegt, ich hatte zuerst sowas von keine Idee und dann hab ich erstmal geheult und Wenarius musste mir diese süßen runden Dinger backen, damit ich mich beruhige. Ich sage dir, solche Panik hatte ich noch nie. Jedenfalls hat er dann gesagt, mir würde schon etwas einfallen und dann ist mir auch wirklich was eingefallen! Das Dumme war nur: Ich hab mich beim Schnittmuster vertan und dieser Stoff ist sehr, sehr teuer."
Meine beste Freundin holte tief Luft, dann fuhr sie mit dem Finger über den Streifen Stoff in meinem Nacken. „Das hier sollte nämlich ursprünglich nicht dabei sein. Aber was soll's, du siehst toll aus."
„Ich hatte schon Angst, dass ich Mena in den Keller sperren muss", warf Wenarius ein.
Mena stieß ihm mit dem Ellbogen in die Seite und ich lachte.
Plötzlich tauchte Papa auf. Er lächelte mich warm an. „Du siehst wirklich bezaubernd aus, Große."
„Danke Papa", sagte ich und versuchte mit meinem Lächeln zu sagen, wie lieb ich ihn hatte. Ich sagte ihm das viel zu wenig.
Papa zwinkerte mir zu. Er hatte mich verstanden.
Plötzlich entdeckte ich Terimano, der sich, gefolgt von einer blonden Frau und einem hochgewachsenen Mann, durch die Leute einen Weg zu uns bahnte. Als er schließlich vor mir stehen blieb, lächelte er mich an, dann reichte er höflich meinem Vater und meinen Freunden die Hand.
Schnell stellte ich die beiden vor. „Terimano, das ist mein Vater, Papa, das ist Terimano, der Seelensucher aus Kraveen."
„Freut mich, Sie kennenzulernen. Limeana, das sind meine Eltern. Ma, Pa, das ist Limeana, die Seelensucherin aus Belvêo."
Ich reichte dem Mann und der Frau die Hand.
Die Frau lächelte herzlich. Sie erinnerte mich an meine Mutter. An sie konnte ich mich nicht sehr gut erinnern, ihr Lächeln war eines der einzigen Dinge, die mir im Kopf geblieben waren.
Terimanos Vater war still und energisch, sein Sohn ähnelte ihm sehr. Die gleiche stille Art, der gleiche intelligente Blick. Doch das freundliche Lächeln war definitiv von der Mutter.
Mit einem Mal fragte ich mich, ob ich meiner Mutter auch ähnlich sah. Ich hatte nie danach gefragt und beschloss, das bei Gelegenheit nachzuholen.
Papa und Terimanos Eltern verstanden sich gut, eigentlich hatte ich nichts anderes erwartet. Papa war klug und witzig, die meisten Menschen mochten ihn.
Nach ein paar Minuten kam auch Féamo dazu. Er wurde von einer Frau und einem kleinen Mädchen, vielleicht elf Jahre alt, begleitet, das fast genauso aussah, wie er. Sie hieß Livina, bestand aber darauf, Livi genannt zu werden. Als sie mich frech angrinste, begann es, in meiner Brust zu schmerzen. Sie erinnerte mich daran, wer auch hier stehen sollte.
Die Frau, wie sich herausstellte, war die Mutter der beiden, ihren Kindern vom Aussehen her kein bisschen ähnlich, jung, mit sprühenden Augen und einer Stimme, die einen an den dunklen, süßen Likör erinnerte, den Kalorius manchmal machte. Vielleicht hatte sie ja doch eine Ähnlichkeit, zumindest mit ihrem Sohn, denn Féamos Stimme klang genauso.
Die Erwachsenen unterhielten sich eine ganze Zeit lang und Mena und Wenarius verschwanden, um nach etwas zu essen zu suchen.
Ich beobachtete Livi. Sie spielte mit einem anderen Mädchen in dem großen Saal fangen. Ihr Lachen hallte in meinem Kopf wieder, ihr glückliches Gesicht brannte sich auf meine Netzhaut.
„Alles in Ordnung?" Seine warme, dunkle Stimme war nicht weit von mir entfernt.
Ich ging nicht darauf ein. „Deine Schwester- du liebst sie, oder?" Meine Stimme klang ausdruckslos.
Féamo zögerte keinen Augenblick. „Ja."
Mein Herz krampfte sich zusammen. Ich drehte meinen Kopf. Er hatte mich die ganze Zeit angesehen, seine grünen Augen lagen forschend auf meinem Gesicht. Sie waren so grün, dass ich mich ganz kurz fragte, ob es wirklich seine echte Augenfarbe war, aber ich verwarf den Gedanken.
„Du musst auf sie aufpassen, hörst du? Beschütze sie, als würde es um dein Leben gehen. Denn wenn du sie verlierst... dein Leben wäre nie wieder wie vorher. Du würdest nie wieder komplett sein, du wärst, wie... zerbrochen. Nie wieder, wäre es so, verstehst du?"
Ich biss mir auf die Unterlippe und wandte den Kopf ab. Eigentlich hatte das nicht so ein Ausbruch werden sollen.
Féamos Blick lag immer noch auf mir, doch er erwiderte nichts. Ich wusste nicht, warum ich das gesagt hatte. Ich wandte mich ab und machte mich auf die Suche nach meinen Freunden.
Zum ersten Mal seit langer Zeit brannten wieder Tränen in meinen Augen. Und wie immer konnte ich sie nicht vergießen.
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