Kapitel 31
Die kleine Papiertüte in meiner Hand schwingt fröhlich hin und her, während Kayla und ich uns auf dem Weg zu einem Café befinden, in dem wir mit Kian verabredet sind. Der kleine Second-Hand-Laden, wo ich zuletzt Klamotten gekauft hatte und Kians Geschenk sah, hatte dieses zum Glück auch noch, als wir eben dort waren. Sobald ich daran denke, stiehlt sich ein breites Grinsen auf mein Gesicht. Vielleicht finde ich die Idee doch etwas zu lustig.
Nachdem wir uns heute Morgen von Darian verabschiedet hatten, der nun erst mal zwei Wochen verreist, riefen wir Kian an, der doch tatsächlich zusagte und schon heute Nachmittag Zeit hat. Darian darf bei dem Auslandstermin, von dem er mir zuletzt erzählte, dabei sein. Es geht nach Frankreich, wo sie scheinbar Kunden haben, an die sie eine Maschine verkaufen wollen. Natürlich werde ich ihn vermissen, aber ich freue mich einfach für ihn, da es ihm so wichtig war, dabei zu sein.
Kayla, die sonst eher aufgedreht als ruhig ist, läuft stillschweigend neben mir her. Ihr ist die Unsicherheit, wie es nun zwischen uns aussieht, deutlich anzumerken. Um ihr diese zu nehmen, greife ich zögerlich nach ihrer Hand, die ich mit meiner verflechte. Ihre Haut ist zart und warm und fühlt sich richtig gegen meine an. Fast schon schüchtern schaut sie mir mit einem kleinen Lächeln entgegen, bevor sie den Griff verstärkt und ihren Blick erneut nach vorne wendet.
Die Gegend und die Häuser um uns herum werden schicker, weswegen ich mir immer mehr wie ein bunter, verkommener Kanarienvogel vorkomme. Wir sind nicht ungepflegt oder sonstiges, aber trotzdem stechen wir aus der wohlhabenden Menge heraus. Wirken fehl am Platz, weil wir es auch sind. Kian hatte uns eine Adresse genannt, zu der wir kommen sollen, dabei habe ich jedoch gar nicht bedacht, dass wir uns in dieser Gegend wahrscheinlich nicht mal ein Wasser leisten können. Hoffen wir auf das Beste.
Da wir genau zur Rush-Hour unterwegs sind, füllen sich die Straßen mit unzähligen Menschen und Verkehrsmitteln. Leute streifen mich im Vorbeigehen, Radfahrer quetschen sich durch den engen Verkehr und mehrere eilen wie verrückt, nach einem langen Tag der Arbeit, nach Hause.
Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber ich meine, den ein oder anderen schiefen und abschätzigen Blick wahrzunehmen. Kayla und ich sehen sicherlich wie ein Paar aus. Ein gleichgeschlechtliches Paar. Dass einige damit immer noch ein Problem haben, ist zwar absolut grauenhaft und bescheuert, aber leider wahr. Dabei sollte es doch egal sein, welches Geschlecht man liebt.
Unwohl verfestige ich den Griff um Kaylas Hand, woraufhin sie sanft mit dem Daumen über meinen Handrücken streicht. Ich kann nun schon das Café erkennen, das Kian ausgesucht hat, und dessen Inneres wir einen kurzen Moment später betreten. Sofort umhüllt uns ein mehr als himmlischer Duft, der meinen Magen zum Rebellieren bringt, vor allem, wenn man unsere sonstige Ernährung in Betracht zieht. Das hier ist der Himmel. Ein teurer Himmel.
Wir sind zwar wirklich pünktlich, aber trotzdem sitzt Kian bereits wartend an einem der Tische. Sobald er uns sieht, verziehen sich seine Lippen zu diesem gewitzten und leicht belustigten Grinsen, welches er mir schon bei unserer letzten Begegnung geschenkt hat. Mit einem ebenso frechen Lächeln laufe ich zu ihm und bleibe etwas unsicher und hilflos vor ihm stehen. Ich hasse Begrüßungen. Was macht man bei der Scheiße? Gott sei Dank habe ich Kayla dabei, die prompt ihre Arme um Kian schlingt, den Armen dabei fast erdrückt, und mir somit die Entscheidung des Vorgehens abnimmt.
„Hallo, Kian. Danke, dass du zugesagt hast und wir uns persönlich bedanken können. Du hast uns ganz schön den Arsch gerettet. Und das hättest du definitiv nicht gemusst", startet sie schon ihren Monolog, doch ich unterbreche sie liebevoll, indem ich sie zur Seite schiebe und Kian zögerlich die Hand gebe.
Er hat uns zwar wirklich den verdammten Arsch gerettet, aber deswegen muss ich ihm noch lange nicht um den Hals fallen. Umarmungen mit fast Fremden sind nicht so mein Ding. Wobei wir uns gegenseitig die Zunge in den Rachen gesteckt haben. Wir sind wohl doch nicht mehr ganz so unbekannt.
„Hi."
„Hi, Raquel."
„Oh, da war ja was." Ich streiche mir beschämt durch die Haare, wobei ich die Schultern ein wenig hochziehe. Ups. „Adela."
„Schöner Name."
„Klingt gestöhnt noch schöner", erwidere ich schlagfertig, woraufhin wir in Gelächter ausbrechen.
Mit dieser Floskel nehmen wir unsere Plätze ein, woraufhin prompt ein Angestellter angelaufen kommt, der unsere Bestellung aufnehmen will. Ich schaue panisch und überfordert zu Kayla, der ebenso bewusst ist, dass wir uns all das hier nicht leisten können. Vor allem, wenn wir unseren kleinen Nebenjob auf Eis legen müssen. Kian scheint aber der barmherzige Samariter zu sein, da er die Unannehmlichkeiten wahrnimmt und Initiative ergreift.
„Wir nehmen sechs von ihren besten Küchenstücken. Für mich noch einen schwarzen Kaffee und für die zwei Ladies..."
„Einen Kakao", gebe ich rasch auf Kians auffordernden Ausdruck von mir.
„Für mich auch."
Der Kellner verschwindet daraufhin wieder und lässt uns allein am Tisch zurück.
„Geht natürlich auf mich. Irgendeinen Vorteil muss es ja haben, wenn die Eltern Gold scheißen."
„Danke", kommt es gleichzeitig von Kayla und mir, was Kian belustigt auflachen lässt.
„Können wir dieses ganze dankbare Zeug mal hinter uns lassen? Ich bin nicht Gott. Auch, wenn ich natürlich göttlich aussehe", fügt er mit einem Zwinkern an, weswegen ich die Augen verdrehe.
Kian hat diesen bestimmten Charme, der ihn unglaublich attraktiv macht, aber scheinbar kommt des Öfteren flüssige Scheiße aus seinem Mund.
„Wir haben nur noch eine Kleinigkeit als Dankeschön für dich. Und dann können wir das wirklich hinter uns lassen." In einer fließenden Bewegung hole ich die Tüte hervor, die ich vor unserem Gegenüber abstelle und gespannt auf seine Reaktion warte. Kians Augenbrauen schießen in die Höhe, während er das Präsent skeptisch betrachtet und kurz hineinlugt.
„Ist da eine Bombe oder so drin? Wäre mal ein krasser Twist, wenn ihr mich killen würdet."
„Ich war dafür, aber Kayla war leider absolut dagegen. Also keine Leichen heute", meckere ich trocken, mit hinuntergezogenen Mundwinkeln, und seufze zusätzlich.
Kayla rammt mir mal wieder ihren Ellenbogen in die Seite, weswegen ich empört zu ihr schaue. Als ich meinen Kopf wieder zu Kian drehe, hat dieser schon die Hose in der Hand und beäugt sie kritisch. Sobald er die Reißverschlüsse an den Taschen sieht, verziehen sich seine Lippen zu einem breiten Grinsen.
„Prävention. So wirst du nicht mehr leicht beklaut. Dein Geldbeutel dürfte damit in Sicherheit sein. Ich weiß, ich weiß, eine geniale Idee", säusele ich.
Meine Stimme trieft nur so vor Selbstgefälligkeit, doch in Kians Gegenwart werde ich sicher nicht damit sparen. Irgendwer muss gegen seine eigene ankommen.
„Die Hose ist auch Prävention auf andere Art und Weise. Wenn ich die hier anhabe, brauche ich kein Kondom. Sie ist das beste Verhütungsmittel überhaupt."
Wir brechen gleichzeitig alle in schallendes Gelächter aus, was uns einige genervte und giftige Seitenblicke von den Nachbartischen einbringt. Die sollen sich mal nicht so anstellen, wir haben nur Spaß.
„Als ich die gesehen habe, musste ich natürlich sofort an dich denken."
„Du kannst mich auch mal am Arsch lecken, Adela."
Meinen richtigen Namen betont er besonders, jedoch strecke ich ihm einfach nur die Zunge heraus. Kindisch, aber effektiv. Ich hätte ihm ja den Mittelfinger gezeigt, aber ich glaube, dann würde die vornehme Gesellschaft hier die Polizei rufen. Solches Verhalten geht ja mal gar nicht. Schließlich sind wir nicht im Ghetto.
Kian faltet die Hose wieder sorgfältig zusammen, bevor er sie in der Tüte verstaut. Der Kellner kommt genau passend mit unseren Bestellungen, die gerade so auf die Tischplatte passen. Allein bei dem Anblick von diesen Meisterwerken, läuft mir das Wasser im Mund zusammen und ich kann aus dem Augenwinkel sehen, dass es Kayla genauso geht. Kuchen, vor allem aus einem Café, ist in den letzten Jahren eine große Besonderheit geworden. Wenn Kian so weitermacht, bin ich ihm bald mein Leben schuldig.
Nach einer Weile der Stille, ergreift er schließlich erneut das Wort.
„Ihr müsst ja echt mies dran sein, wenn ihr zu solchen Mitteln greifen müsst. Das hat meinem Ego einen fiesen Dämpfer verpasst. Du hast mich einfach ausgebeutet, während du mit mir rumgemacht hast. Und es war alles andere als schlecht. Autsch." Er legt seine Hand verletzt auf seine Brust und schiebt sich gleich darauf eine weitere Gabel Kuchen in den Mund.
Ich kann über seine Art nur schmunzelnd den Kopf schütteln und lausche gebannt Kayla, die nun das Wort ergreift.
„Dela kann einem ganz schön den Kopf verdrehen", gibt sie seufzend zu. „Wir hatten es beide in der Vergangenheit nicht sonderlich leicht und leider haben wir auch keine Eltern, die Gold scheißen. Als wir einen Monat einen Haufen Rechnungen, Mietkosten und den ganzen restlichen Kack hatten, aber vorne und hinten nicht genug Geld, hatte Adela diese Idee geäußert und wir haben es durchgezogen. Schon einige Male vor dir. Du warst nicht der Erste."
„Wahnsinn. Ich bin so dankbar, dass es mir an Geld nie gemangelt hat. Meine Eltern haben eine eigene Firma, in die sie alles stecken. Meine Geschwister und ich sind dadurch schon mal zu kurz gekommen, aber ich will mich echt nicht beschweren. Mir fehlt es an sonst nichts."
Er starrt gedankenverloren auf den Boden, scheint immer mehr abzudriften, doch dann fängt er sich und schaut mit einem erzwungenen Lächeln zu uns.
„Wir suchen momentan Auszubildende im Büro, vielleicht kann ich da was für euch tun. Ihr habt meine Nummer und ich eure, wir können ja in Kontakt bleiben. Ihr seid schwer in Ordnung. Hört mit der kriminellen Scheiße auf, das passt nicht zu euch."
„Das würdest du machen?", frage ich mehr als ungläubig. Eine Ausbildungstelle wäre der größte Jackpot überhaupt.
„Klar. Ihr habt was Besseres verdient. Außerdem bin ich froh, wenn ich euch helfen kann. Ihr scheint die Taten begangen zu haben, weil ihr nicht anders konntet und nicht, weil ihr Spaß daran habt. Das ist der Unterschied und deswegen habt ihr eine zweite Chance verdient."
„Danke."
„Ich hab doch gesagt, kein Danke mehr. Man sollte sich nicht für Menschlichkeit bedanken müssen." Damit hat er absolut recht.
Auf Kian trifft wohl das mit der harten Schale und dem weichen Kern zu. Sein äußeres Verhalten und Getue ist alles nur Image und Tarnung, vielleicht auch Schutz. Immerhin tragen wir alle unseren eigenen Ballast mit uns herum. In diesem Moment bin ich mehr als froh, dass ich mir Kian an diesem Abend ausgesucht habe. Es hätte uns nicht besser treffen können.
„Themenwechsel. Das wird mir alles zu sentimental und weichgespült." Sofort ist der weiche, gutmütige Kian verschwunden und der verspielte, freche und eingebildete kehrt an die Oberfläche zurück. „Seid ihr eigentlich zusammen oder so?", fragt er unschuldig.
In seiner Frage schwingt kein Unterton mit, er ist lediglich interessiert, doch ich ersticke trotzdem fast an einem Kuchenstück. Er hat mich eiskalt erwischt. Ich konnte die Sache mit Kayla in den letzten Stunden einigermaßen gut beiseiteschieben, doch jetzt werde ich mit voller Wucht von diesem Thema umgerissen. Kayla versteckt ihr leicht errötetes Gesicht hinter ihren Haaren, während sie auf ihre Fingernägel starrt und auch ich spüre, dass ich rot sein muss.
„Es ist kompliziert", presse ich schließlich hervor, da das wohl die Situation am besten beschreibt.
Wir sind nicht zusammen und nicht bloß befreundet. Ich weiß immer noch nicht, was ich will und es ist beschissen. Ehrlich gesagt habe ich Angst, Kayla zu verlieren. Und Angst, dass ich die falsche Entscheidung treffe.
„Ich glaube nicht, dass es kompliziert ist. Wir machen es uns nur selbst immer kompliziert. Eigentlich ist alles ganz einfach. Meiner Meinung nach ist die Antwort hier offensichtlich", sagt Kian entschlossen.
„Und was ist die Antwort?", will Kayla nun wissen.
Kian zuckt jedoch bloß mit den Schultern und versteckt sein wissendes Grinsen hinter der dampfenden Kaffeetasse, die er an seine Lippen führt.
„Das müsst ihr schon selbst herausfinden."
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